Zusammenfassungen

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Redaktion Medium Aevum Quotidianum
Erstveröffentlichung: 1988

Abstract

Medium Aevum Quotidianum 14 | 1988

Abstract (englisch)

Medium Aevum Quotidianum 14 | 1988

Inhaltsverzeichnis

MEDIUM AEVUM
QUOTIVIANUM
NEWSLETTER 14
KREMS 1988
Herausgeber: Medium Aevwn Quotidianwn. Gesellschaft zur Erforschung der materiellen
Kultur des Mittelaltera. Körnermarkt 13, A-3500 Krems, Österreich. – Für den Inhalt verantwortlich
zeichnen die Autoren, ohne deren auedrückliehe Zustimmung jeglicher Nachdruck,
auch in Auszügen, nicht gestattet ist. – Druck: HTU-Wirtschaftabetrieb Ges. m. b. H.,
Wiedner Haupstraße 8-10, A-1050 Wien.
Inhaltsverzeichnis I Contents
Vorwort
Kongreß Mensch und Objekt im Mittelalter und in der friihen Neuzeit.
Alltag – Leben – Kultur I Zusammenfassungen der Referate
Maria Serena Mazzi, Ferrara:
Civilization, Popular Culture, Material Life, Daily Life . . .
Confusions and Concepts: the Approach of a n Italian Medievalist
Andrzej Klonder, Warschau:
G eschichte der materiellen Kultur des Mittelalters und der frühen Neuzeit.
Theorie – Methoden – Bilanz der Forschung
Jean Marie Pesez, Lyon:
L ‘histoire de Ia culture materielle du Moyen Age.
5
7
8
Theorie – methodes – bilan des recherches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
Peter Burke, Cambridge:
The History of Popular Culture of Early Modern Times.
Theory – Methods – Results of Research . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
Norbert Schindler, Konstanz:
Nächtliche Ruhestörung. Hegemoniespiele
zwischen Adels- und Volkskultur im 1 6 . Jahrhundert 13
Gabor Klaniczay, Budapest:
Daily Life and the Elites in the Later Middle Ages –
the Civilized and the Barbarians . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
Adel L. Jastrebizkaja, Moskau:
Alltag – Volkskultur – materielle Kultur
aus der Sicht der sowjetischen Mediävistik
3
18
Brian P. McGuire, Copenhagen:
Spiritual Life and Material Life in the Middle Ages:
a Contradiction? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
Pierre Boglioni, Montreal:
Common People and Popular Culture by XIIIth-Century Theologians,
From William of Auvergne to Thomas Aquinas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
Robert Scribner, Cambridge:
The Impact of the Reformation on Daily Life in Germany
Hans-Werner Goetz, Bochum:
Geschichte des mittelalterlichen Alltags.
Theorie – Methoden – Bilanz der Forschung
Jean-Pierre Sosson, Bruxelles:
Les images et la culture materielle au bas Moyen Age
Fransoise Piponnier, Paris:
Le costume et la mode au Moyen Age
Hans Louis Janssen, Utrecht:
Medieval Material Culture and the Problem of
the Historical Interpretation of Archaeological Evidence:
23
24
30
32
the Example of the Town of ‘s-Hertogenbosch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
Weitere Referate 35
Berichte – Besprechungen – Mitteilungen 36
4
Vorwort
Zum dritten Mal seit 1984 tritt Medium Aevum Quotidianum als Mitveranstalter
eines Kongresses des Instituts für mittelalterliche Realienkunde Österreichs
der Österreichischen Akademie der Wissenschaften auf. Vom 27. bis 30. September
1988 steht das Thema “Mensch und Objekt im Mittelalter und in der
frühen Neuzeit. Leben – Alltag – Kultur” zur Diskussion. Wieder ist daher
dieser Band von Medium Aevum Quotidianum-Newsletter den Resümees der
auf dieser Tagung präsentierten Vorträge gewidmet. Wir danken dem Großteil
der Referenten, daß sie durch termingerechte Lieferung ihrer Zusammenfassungen
die Grundlage für eine solche rasche Überblicksinformation geschaffen
haben. Die geplante Publikation der Beiträge und Diskussionen der Tagung im
Rahmen der Veröffentlichungen des Instituts für mittelalterliche Realienkunde
Österreichs ist für Mitte 1 990 zu erwarten.
Während sich die vora􀑳gegangenen sechs Kongresse des Instituts für mittelalterliche
Realienkunde Osterreichs mit verschiedenen Einzelbereichen von
Alltag und materieller Kultur des Mittelalters beschäftigten, soll diesmal eine
Art von Standortbestimmung der Auseinandersetzung mit Alltag, materieller
Kultur, Volkskultur, etc. des Mittelalters und der frühen Neuzeit stattfinden.
Dies soll einerseits dazu führen, daß gerade die in einer Geschichte von Alltag
und materieller Kultur des Mittelalters bis dato nur in sehr geringem Maße
geführte Theorie- und Methodendiskussion in stärkerem Maße initiiert wird
– eine Diskussion, welche vor allem unter Historikern, die sich Phänomenen
des 19. und 20. Jahrhunderts widmen, bereits einigermaßen weit gediehen ist.
Darüber hinaus soll das häufig auftretende ‘Nebeneinanderlaufen’ der Untersuchung
von Alltag, materieller Kultur, Volkskultur, Lebensweise, etc . einer
kritischen Reflexion unterzogen und auf seine Plausibilität hin geprüft werden.
Schließlich ist es weiteres Ziel der Veranstaltung, auf internationaler Basis eine
Bilanz jüngster Forschungsergebnisse zu ziehen und Desiderata zukünftiger Arbeit
zu formulieren.
Für das Jahr 1990 plant Medium Aevum Quotidianum – wieder in Zusammenarbeit
mit dem Institut für mittelalterliche Realienkunde Österreichs –
5
die Veranstaltung seiner nächsten Tagung, die sich mit dem Problem “Kommunikation
und Alltag in Mittelalter und früher Neuzeit” (Arbeitstitel) auseinandersetzen
wird. Im Konnex mit dieser Konferenz ist ein Round TableGespräch
zur Rolle von Pilgerwesen und Wallfahrt im Rahmen der mittelalterlichen
Alltagskultur in Vorbereitung. Genauere Informationen werden 1m
nächsten Medium Aevum Quo tidianum-Newsletter gegeben werden.
Gerhard Jaritz, Schriftleiter
6
Civilization, Popular Culture, Material Life, Daily Life …
Confusions and Concepts: the Approach of an ltalian Medievalist
MARIA SERENA MAZZI, FERRARA
The paper will first consider the reasons for the approach chosen to treat the
topics and problems to be dealt with. The specification introduced in the title
– the approach of an Italian medievalist – is intended to indicate the course and
Iimits of the route to be followed. The decision to use the Italian experience as
the principal focus is only in part dictated by related reasons of familiarity and
language even if, obviously, the latter is of vital importance when definitions
and concepts are considered. However, the Italian situation which is distinct
compared to other historiographical experiences may provide a basis for noti ng
confusion and Iack of clarity.
In order to define concepts one must first begin with the words, that is
i n this case move backwards: given the definition examine the significance
of the words to identify the conceptual space which the definition sums up
and try to understand the dissimilar and the similar, the specificity or the
superimposition. A not unimportant problern is constituted by the presence of
different languages. It is not only the semantic difference of the terms w hich we
must actually evaluate but the historically different evolution of the meaning.
A diversity which must therefore be evaluated in time and space betwecn the
terms and concepts of culture, civilization, life and the adjectives material,
daily, private.
It will, in addition, be necessary to questioil the existence of an etfecti ve
identity or diversity in the field not only conceptual but above all historiographical,
which each of these definitions delimits. The latter etfort is all the more
difficult given the conjunction of a number of disciplines contending for the
control of these areas: in the first place today, perhaps, archaeology and history
but with a strong intervention in the past of the social sciences in general
– anthropology, economics, and geography.
Finally a number of considerations must be explored on the relationship
between these circles of research, typology, selection, use of sources and the
relationship between new contents and historiographical form.
7
Geschichte der materiellen Kultur
des Mittelalters und der frühen Neuzeit.
Theorie – Methoden – Bilanz der Forschung
ANDRZEJ KLONDER, WARSCHAU
Einleitend befaßt sich der Autor mit dem Gegenstand der Forschungen über
die Geschichte der materiellen Kultur (in weiteren GmK) und präsentiert die
Anschauungen der polnischen und der französischen Forscher (hauptsächlich
aus dem Kreis der Ecole) . Im Tätigkeitsbereich der GmK befindet sich die
Geschichte der gesamten materiell-technischen Seite der Produktion, des Austausches
und der Konsumtion. Im Laufe von über einem halben Jahrhundert
haben sich die Einstellungen zur GmK verändert. Eine erstrangige Rolle schrieb
man einmal den Problemen der Produktion, ein anderes Mal denen der Konsumtion
zu. Im Bereich der materiellen Kultur suchte man nach Elementen
der historischen “langen Dauer” . Manchmal lenkte man die Aufmerksamkeit
hauptsächlich auf die Relation Mensch und Sache. Der Autor verteidigt die
Entwicklung der Forschungen über die Fragen der Konsumtion, die letzten
Endes dazu führen, daß U nterschiede verschiedener gesellschaftlicher Gruppen
und Milieus (Stände, Berufsgruppen, Stadt-Land) sowie der Mikro- und
Makroregionen festgestellt werden. Natürlich spricht er sich nicht für den totalen
Verzicht auf die Forschungen über andere Bestandteile der GmK aus.
Indem er von den Arbeitsmethoden handelt, erachtet er als die wichtigste
die schon allgemein hervorgehobene, obwohl nicht immer erfüllte Forderung der
Integration der Aktivitäten der Historiker (Spezialisten im Bereich der GmK
und der Gesellschafts- und Wirtschaftsgeschichte) , der Archäologen, Kunsthistoriker,
Ethnographen, Volkskundler usw. Am Beispiel der französischen, italienischen
und polnischen Forschungen schildert er die Methoden und die Ergebnisse
eines solchen Zusammenwirkens. Die Beteiligung der Archäologen ist z. B .
von grundlegender Bedeutung i n den Forschungen über die räumliche Entwicklung
der Städte und Dörfer, der Geschichte des Bauwesens und des Handwerks und
das sowohl im technologischen als auch im nutzbezogenen Aspekt. Bei Versuch
der Einschätzung des Lebensniveaus einzelner Gemeinschaften wiederum
ist sehr wesentlich die gegenseitige Verifizierung der archäologischen Materialien
und der Daten bestimmter schriftlicher Quellen, wie etwa Vermögensinventare
oder Wirtschaftsrechnungen.
8
Abschließend stellt der Autor fest, daß der fließende Charakter der Grenzen
zwischen der GmK und den verwandten Disziplinen oder Forschungsrichtungen
(Wirtschaftsgeschichte, Ethnographie, Forschungen über das Alltagsleben) , wie
auch die Unterschiedlichkeit der im Bereich der Forschungen über die GmK
auftretenden organisatorischen Formen die Einschätzung der bisherigen Leistungen
erschwert. Sie sind beachtlich, was die monographischen Forschungen
betrifft. Synthesen sind immer noch selten und bleiben Desiderata.
9
L’histoire de la culture materielle du Moyen Age.
Theorie – rnethodes – bilan des recherches
JEAN-MARIE PESEZ , LYON
1. Si on veut une definition lapidaire de la Culture Materielle, s’offre celle que
F. Braudei a donnee de la vie materielle: “ce sont les hommes et les choses,
les choses et les hommes” . Et pour preciser le champ couvert par Ia notion,
les travaux theoriques aussi bien que les recherches realisees de specialistes de
l ‘Europe de l’Est (d’ou nous est venue Ia notion) proposent: Ia nature, l’homme,
les techniques, la consommation.
L’histoire de la Culture Materielle, cependant, eprouve quelque difficulte
a faire accepter son projet comme objet de connaissance desinteressee et se
justifie en s’affirmant utile et ntkessaire aux progres des sciences sociales. Une
teile attitude comporte plus d’un risque, notamment celui de ne retenir des faits
que ceU:x ayant valeur d’explication; c’est, en outre mettre la charrue avant !es
boeufs, car il s’en faut que les faits soient solidement etablis.
2. Si la Ctilture Materielle, c’est les choses et les hommes, l ‘archeologie, science
des objets se trouve designee comme la methode privilegiee pour etablir les
faits. Et il faut admettre qu’au depart, au moins, les archeologues ont domine
le nouveau champ de recherches.
Cependant, l ‘exemple des techniques agricoles rappeile que l’histoire de
la Culture Materielle du Moyen Age s’ecrit encore surtout sur la base des
documents ecrits et des sources iconographiques. L’archeologie precise certes
la connaissance de l ‘outillage, surtout d ‘ailleurs pour montrer qu ‘il n ‘a guere
evolve, encore l’histoire de Ia charrue, celle de l ‘attelage doivent-elles beaucoup
a l ‘iconographie et a la linguistique. Les progres considerables de la production
agricole au Moyen Age, sont, eux, imputables a d’autres aspects des techniques,
comme Ia rotation des cultures dont les sources ecrites sont !es seules a parler.
Mais, dans le meme domaine, les avancees qu’on peut attendre, viendront
de l ‘archeologie experimentale et des sciences naturelles mobilisees par
l’archeologie. Celle-ci, vraisemblablement, continuera a entrainer le mouvement
de Ia recherche.
3. Il n’y a guere d’ouvrage embrassant l ‘ensemble de la Culture Materielle
pour un milieu et un temps donnes (si on fait exception de ceux places sous le
signe de Ia vie quotidienne dont Ia vision n ‘est peut-etre pas tout-a-fait celle
10
de la Culture Materielle) . Les fouilles urbaines sont en train de mettre au jour
des materiaux extraordinairement abondants, mais !es archeologues publient
peu, sauf peut-etre dans les pays de l’Est et aux Pays-Bas. On saluera quand
meme les revues specialisees en archeologie medievale, en Angleterre, France,
Allemagne, Jtalie.
Les connaissances sont discontinues et leur niveau inegal selon les secteurs.
Des recherches traditionelles continuent a produire beaucoup: les armes, par exemple.
De nouveaux secteurs sont apparus, comme les mines et Ia metallurgie.
D’autres recherches tiennent une place considerable en archeologie – Ia ceramologie
( et a moindre degre 1 ‘etude du verre) – au risque de fausser les
perspectives. Les progres les plus sensibles concernent peut-etre le vetement,
l’alimentation et surtout l ‘habitation.
4. L’histoire de la Culture Materielle produit des collections des faits dont la
coherence echappe, encore qu’il ne soit pas impossible d’apercevoir des structurations,
des associations necessaires entre techniques par exemple. Il n’est
pas non plus interdit de fonder des aires culturelles sur des faits materiels. Mais
meme si l’histoire de Ia Culture Materielle devait se Iimiter a decrire un milieu
materiel, elle n’en serait pas moins necessaire.
11
The History of Popular Culture of Early Modern Times.
Theory – Methods – Results of Research
PETER BURKE, CAMBRIDGE
This paper will be concerned with
1. Research on the history of popular culture, especially in the last ten
years, with special reference to early modern Europe (but paying some attention
to Asia and the Americas).
2. The contribution of social and cultural theory to the analysis of popular
culture (notably the contributions of Bakhtin, Bourdieu, De Certeau, Douglas,
Elias, Geertz ).
It will be divided into two main parts:
1. The problern of the ‘popular’-alternative conceptualisations, the study
of the interaction between elite and people, the concept of ‘cultural hegemony’
and the diffi.culties it raises.
2. The problern of ‘culture’, in the wide and narrow senses. Connexions
with the idea of ‘the everyday’ and of ‘material culture’ will be discussed here,
and I shall take a critical look at the idea of consumption as a form of creativity
(with special reference to the work of Chartier).
12
Nächtliche Ruhestörung.
Hegemoniespiele zwischen Adels- und Volkskultur
im 16. Jahrhundert
N ORBERT SCHINDLER, KONSTANZ
Um die – von westdeutschen Historikern mit einer gewissen Verspätung rezipierte,
z. T. gerade erst begonnene und als Forschungsaufgabe noch keineswegs
allgemein akzeptierte – Diskussion um die Geschichte der populären Kultur
fortzuführen, wird es nützlich und erforderlich sein, einzelne Segmente und
Elemente dieser ebenso umfassenden wie letzten Endes kaum eindeutig abgrenzbaren
kulturellen Formation genauer zu untersuchen. Vielleicht wäre es
forschungsstrategisch sinnvoll, dabei von bestimmten Knotenpunkten und ‘Gelenkstellen’
in der Anatomie der Volkskultur auszugehen, von denen sich ihre
Funktionsweise und ihre historische Dynamik am besten erschließen lassen.
Ein solcher systematischer Ansatzpunkt, der gleichermaßen der empirischen
wie theoretischen Aufmerksamkeit bedürfte, scheint mir etwa im historischen
Wandel des Verhältnisses von J ugendlichen und Erwachsenen zu liegen. Ich
möchte deshalb von der unruhigen männlichen Jugend, den nächtlichen Aktionen
und Streichen der ledigen Burschen und ihrer Einschätzung durch die
Erwachsenenwelt in der frühen Neuzeit sprechen.
Jugend in der friihen Neuzeit – das war noch nicht der pädagogisch gehätschelte
und zugleich mit tiefem Mißtrauen betrachtete, von zahlreichen
bürokratischen Überwachungsinstanzen umstellte Lebensabschnitt und gesellschaftliche
Sektor, den wir heute vor Augen haben. Erst die industrielle Klassengesellschaft
hat die Dramaturgie des Jugendalters als emphatischem Hoffnungsträger
und latenter sozialer Bedrohung zur vollen Höhe entwickelt und die
Phase des Erwachsenwerdens zum ebenso positiv wie negativ besetzten, in jedem
Fall aber richtungsweisenden Kulturphänomen stilisiert. Im Grunde sind
diese aufgeregten J ugenddebatten und die sich darin ausdrückenden Ängste,
die nachfolgenden Generationen könnten das ihnen angediente Erbe ganz einfach
ausschlagen, kaum mehr als hundert Jahre alt. Im Vergleich dazu fällt das
relativ entspannte Verhältnis der frühneuzeitlichen Erwachsenenwelt zu ihren
J ugendlichen auf. Es gründete nicht nur in festgefügten hierarchischen Ordnungsvorstellungen,
deren Normenangebot sich vergleichsweise durch Alternativenarmut
auszeichnete, sondern auch in der schlichten, an einem quasifamilialen
Sozialmodell orientierten Idee des allmählichen Hineinwachsens in die
13
gesellschaftlichen Verhältnisse. Diese Idee des erfahrungsbezogenen sozialen
Lernens, d. h. des “Lernen(s) als einfachem Vertrautwerden . . . , worin der Lernende
unmerklich und unbewußt die Prinzipien – einschließlich der unbekannten
– der ‘Kunst’ und Lebenskunst der Produzenten der Praxisform . . . erwirbt”
(P. Bourdieu), ist von ‘der aufklärerischen Pädagogik so radikal aufgekündigt
worden, daß es schwerfällt, sich deren unausgesprochene Prinzipien und Sozialisationsmechanismen
neuerlich zu vergegenwärtigen. Ihre Rekonstruktion sieht
sich einem doppelten Mißverständnis ausgesetzt: neigt die professionalisierte
pädagogische Intelligenz dazu, die Effizienz des sozialen, nicht von autorisierten
Vermittlungsinstanzen geprägten Lernens zu unterschätzen, so begnügen sich
ihre antipädagogischen Kritiker zumeist mit dem romantischen Verweis auf
frühere, vermeintlich ‘organischere’ Formen der Wissensvermittlung, in denen
Lernen angeblich noch kein Problem darstellte, um ihre zweite rousseauistische
Kehre zu legitimieren. Doch nichts ist trügerischer als der idyllische
Anschein des einfachen Lebens, und deshalb ist auch der schlichten Fassade
des impliziten Lernens zu mißtrauen. Historische Rekonstruktionsversuche,
die mehr als nur eine Projektion heutiger Probleme in die Vergangenheit sein
wollen, hätten daher die frühneuzeitliche Jugendkultur nicht als soziales Moratorium,
sondern eher als eine Initiations- und Übergangsphase zum Erwachscneustatus
im Sinne ethnologischer Passageriten zu begreifen. Die Freiräume,
die den Jugendlichen von der Erwachsenenwelt zugestanden wurden, hatten
ihren festen Platz im Tagesablauf (die Jugendlichen als ‘ Herrscher der Nacht’),
sie lancierten die altersklassenförmige Gruppenbildung und boten hinreichend
Gelegenheit zur gruppeninternen Selbsterziehung und Selbstdarstellung. Die
ausgeprägte rituelle Praxis der jugendlichen Alterskohorten bildete geradezu
ein Laboratorium des praktischen Wissens, in dem mit dem Erwerb geltender
Normen experimentiert werden konnte und infolgedessen mit unerwarteten
sozialen Rückkopplungseffekten gerechnet werden muß. Im Mittelpunkt der
spielerischen Aneignung und Relativierung der herrschenden Anschauungen
standen nicht individualistische Prozesse der N ormeninternalisierung, sondern
kollektive Lernmechanismen, die der Dialektik von Regelbefolgung und lizensierter
Regelüberschreitung gehorchten. Das wohl bekannteste Beispiel für
solche sozialisationswirksamen Paradoxien des Kulturerwerbs ist die Stellvertreterrolle,
die insbesondere ländliche J ugendliche als lokale Sittenwächter, ja
als “die aufrührerische Stimme des kommunalen Gewissens” (N. Z. Davis) in
den Rügebräuchen und Charivaris wahrnahmen.
Ich möchte daher in meinem Beitrag zunächst einige Grundzüge der frühneuzeitlichen
Jugendkultur und ihrer rituellen Praxis anhand von bayerischem
Quell􀑴nmaterial rekapitulieren, um dann in einem zweiten Schritt an einem
ausgewählten Beispiel die Frage nach der politischen Instrumentalisierbarkeit
14
dieses rituellen Handlungskomplexes im Spannungsfeld von Adels- und Volkskultur
zu stellen. Mit der Billigung des regierenden Feudalherrn verübte eine
Bande junger oberschwäbischer Aristokraten um 1540 einen nächtlichen Überfall
auf die eigene Stadt, der ganz im Stile der traditionellen J ugendkrawalle
vorgetragen wurde. Oie Vielfalt der Handlungskalküle und der symbolischen
Bedeutungsfacetten, die in dieses seltsam anmutende Unternehmen eingingen
bzw. in ihm zum Tragen kam, wird herauszuarbeiten sein, insbesondere aber
sein Charakter als Testfall in doppelter Hinsicht, nämlich Mutprobe fiir den
adeligen Nachwuchs und zugleich Bewährungsprobe für die städtische Obrigkeit
als Ordnungsmacht zu sein. Doch was vermag ein solcher Einzelfall an unserem
Bild von der Gesellschaft des 16. Jahrhunderts zu verändern? Zum
ersten widerspricht er der verbreiteten Auffassung, soziales Handeln sei durch
Rituale und Traditionen determiniert worden. Zumindest die aristokratische
Herrenschicht wußte sich der ‘Rebellionsrituale’ der Jugendkultur wohlkalkuliert
und mit bemerkenswertem strategischen Geschick zu bedienen; aber auch
die stadtbürgerliche Gegenpartei taktierte klug genug, um die drohende Eskalation
der Gewalt zu vermeiden. Es scheint, als ob gerade die geringfügigen
Abweichungen vom gewohnten Konfliktritual, die freilich nur auf dem Hintergrund
des Konventionellen und Erwartbaren in ihrem Bedeutungsgehalt z u
entziffern sind, der Gegenseite jeweils die Informationen geliefert haben, die
das gefährliche Spiel schließlich zu einem glimpflichen Ende gelangen ließen.
Zweitens erinnern die sozialen Kompetenzen, die in solchen Klassengrenzen
überschreitenden ‘ Hegemoniespielen’ sichtbar werden, daran, wie wichtig es wäre,
unsere Vorstellungen von Herrschaft und die Dimension kultureller Hegemonie
zu erweitern. Gedacht ist dabei vor allem an die volks- und hautnahen
Praktiken des aristokratischen Herrschaftstheaters, d. h. an jene subtilen
Herrschaftstechniken, die Respekt und Anerkennung weit unterhalb der Einsatzschwelle
der real verfügbaren Machtmittel verschafften und deren elaboriert-
distanziertes Endstadium E. P. Thompson beschrieben hat. Schon das
angeführte Beispiel zeigt eine ebenso risikofreudige wie wohlinszenierte Kunstfertigkeit
des aristokratischen Auftritts, eine situative Verhaltenskunst, die den
populären Bedürfnissen entgegenzukommen und aus ihnen Kaptial zu schlagen
verstand. Vielleicht könnten diese heimlichen Affinitäten zwischen Adels- und
Volkskultur schließlich auch ein neues Licht auf die Frage werfen, weshalb die
Loyalitätspotentiale der Feudalherrschaft im 16. Jahrhundert noch längst nicht
erschöpft waren. Aber das ist – zugegeben – ein weites Feld.
15
Daily Life and the Elites in the Later Middle Ages –
The Civilized and the Barbarians
GABOR KLANICZAY I BUDAPEST
My investigation departs from a re-examina.tion of one of the most influential
theories speaking about the relation of medieval and early modern elites to
various aspects of daily life: the theory of Norbert Elias about the “Civilizing
Process”. The relevance of this theory to the problems discussed should be particularly
underlined: its scope is to trace the emergence of the European model
of civilization exactly in the historical change of routines, norms, etiquettes,
morals regulating daily life, manifesta.tions like eating habits, clothing, relation
to bodily functions, behaving in public and private places. According
to the theory of N orbert Elias the changes on this field were brought abou t
and contributed to the ambitions of self-distinction of medieval and early modern
( chivalrous, urban, intellectual and courtly) elites. The outlines of this
tra.nsformation (a growing self-discipline, a. distanciation from and a repression
of bodily realities, a growing cultural distance between elites and popular culture)
have been nuanced by other theoretically relevant historical investigations
( M. Foucault, P. Aries, F. Braudel, P. Burke) .
The problern I should like to concentrate upon is twofold.
1. Approaching the historical transforma.tions described by Elias and other
historians of these problems, I should like to re-examine the explanation given
by him about the intensification of the civilizing process in Renaissance times.
I would argue that medieval Christian attempts of civilizing daily life of elites
according to ascetic principles met a growing resistance in the later Middle
Ages. This Iead at Renaissance courts to a kind of rehabilita.tion and even to
a. certain cult of some of the formerly reprehended things or ma.nifestations:
body, sexua.lity, nudity, nature, enjoyment of ea.rthly pleasures, festi ve manifestations
of popular culture. This series of transgressions in the daily life
of Renaissance elites contributed a lot to the emergence of the civilizing process
as a kind of counter-tendency (via humanistic critiques of courtly manners
based on disciplinary-civilizatory ideals of Antiquity; moral critiques by urban
intellectuals or preachers based on the ernerging ideals of Reformation; postTridentine
ecclesiastical writers reaffirming medieval Christian ideals with an
early modern sense of distinction and hierarchy) .
16
2. The other aspect of this Iate-rnedieval and Renaissance phase of civilizing
process is the geographical diffusion of the ernerging new model in Europe,
and the various resistances to it. It can be noticed, that some of the most
spectacular cultural images of Renaissance transgression of civilized norms
( expressed in mock-heroic, satirical or even deliberately exaggerated literary
forms, like the work of Rabelais or the Grobianus of Dedekind) come rather
from countries still hesitating whether to adopt the new Italian-Spanish styles.
A recurring theme of these resistances to the ideal of civilization was to amplify
approvingly the image of the monstrous, uncivilized Barbarian and provide it
with a kind of cultural Iegitimation. Several examples can be cited that a
considerable part of late medieval and Renaissance elites preferred this to the
adoption of the new civilized ways.
In this respect it can be very i nstructive, if one examines the fate of the ci vilized
manners and daily life routines in two Central European kingdoms, Hungary
and Poland. From the 14th century onwards both were touched by intensive
cultural influences from the West in this field, and the courtly-aristocratic
circles adopted a strange, ambiguous relation to these ideals. While keeping up
Italian, German or French courts in many other fields of cultural-intellectualpolitical
representation, they tended, with regard to their daily life and the
manners related to it, to reject the “over-affected” new ideal, and presented
themselves rather as kind of deliberate barbarians. This ideal could be based
on the tradition of the oriental Scythian identity of Hungarians or the Sarmathian
one of the Polish, both rooting in the Middle Ages and ernerging as
factors of national identification or ethnic character in the early modern times.
The ideal meant a kind of cult of exaggerated eating and drinking (with a belated
sprcading of civilized eating manners and utensils), of “manly” warrior
merits opposing the over-refined courtly ideal (leading almost to the cult of
Grobianism), an abundance of the colourful pompousness in clothing, a special
preference of furs, a prolongation of the late medieval type of furniture, etc.
The same ideal could be accepted by 15th – 16th century Italian, French or
German “ci vilized” courts as a kind of exotic manifestation of oriental difference,
creating thus a strange corc-periphery effect in the distribution of the
models of civilization within Early Modern Europe.
17
Alltag – Volkskultur – materielle Kultur
aus der Sicht der sowjetischen Mediävistik
ADEL L . JASTREBIZKAJA, MosKAU
Das Konferenzthema sowie das gesamte Programm und die Tätigkeit des Instituts
für mittelalterliche Realienkunde Österreichs der ÖAW sind vom Standpunkt
der Entwicklungstendenzen der modernen Mediävistik und der historischen
Wissenschaften in ihrer Gesamtheit äußerst aufschlußreich. Bereits
jetzt ist feststellbar, daß es sich hier um die Gestaltung neuer historischer
Denkungsart und die Entstehung einer neuen Historiographie- der 2. Hälfte des
20. Jahrhunderts – handelt. Dieser Prozeß vollzieht sich in der Geschichtswissenschaft
aller Länder. Eine der Aufgaben unseres Instituts, i. e. des Instituts
für wissenschaftliche Informationen der Gesellschaftswissenschaften an
der Akademie der Wissenschaften der UdSSR (gegründet 1970), besteht in der
Analyse solcher neuer Tendenzen in den Gesellschaftswissenschaften, darunter
natürlich auch in den historischen Wissenschaften.
Die Prinzipien der neuen Ansätze in den Geschichtswissenschaften sind folgendermaßen
festzulegen: Systematik und Komplexität in der Analyse gesamthistorischer
Probleme, einzelner Perioden, sowie charakteristischer Institutionen
und sozialer Phänomene; Klärung innerer funktioneller Wechselverbindungen
und Wechselwirkungen, Interesse am Prozeß, an den Besonderheiten sozialer
und kultureller Formen, am wirtschaftlichen Leben, am Alltag bestimmter
Epochen. Dabei ist das Überdenken der Geschichte und ihrer Phänomene –
“über den Menschen” – durch eine Auseinandersetzung mit seiner schöpferischen
Tätigkeit und seinem Bewußtsein als Schwerpunkt anzusehen. Von hier
aus erfolgt die methodologische Orientierung der neuen historischen Erkenntnisse
zur Synthese über den Menschen in allen gesellschaftlichen Disziplinen.
Das Studium des Alltags und der materiellen Kultur im derzeitigen breiten
Verständnis ist in diesem Kontext als einer der möglichen Wege zur Synthese
zu sehen, als produktives Herangehen zum einheitlichen Überdenken der Vergangenheit,
zur Klärung allgemeiner historischer Gesetzmäßigkeiten, die deren
Unumkehrbarkeit bestimmen. Damit wird nicht allein die Erforschung der
menschlichen Umwelt ermöglicht, des “Seins” als Organisator der Prinzipien
gesellschaftlicher Entwicklung, sondern gleichzeitig der Determiniertheit und
des inneren emotionalen, psychologischen Anreizes menschlichen Verhaltens.
18
Die sowjetische Mediävistik folgt diesem angedeuteten allgemeinen Trend.
Dies bezeugt das in den letzten Jahren gewachsene Interesse der Forscher an
“neuen” Thematiken – an historischer Demographie und Sozialpsychologie, an
der Volkskultur des Mittelalters, an sozio-ökonomischen Aspekten im Lichte der
ökonomischen und politischen Problematik einzelner Perioden des Mittelalters
in verschiedenen europäischen Regionen.
Bezeichnend ist, daß sich immer stärker ein breites Verständnis für “Kultur”
behauptet, die alle Sphären der menschlichen Tätigkeit umfaßt, vom geistigen
Leben bis zu den sozialen Beziehungen und der Herstellung sozialer Güter.
In den Vordergrund rückt nicht so sehr das Studium einzelner Werke individuellen
Schaffens und menschlichen Könnens, als vielmehr das darin verkörperte
und dadurch zum Ausdruck kommende “Weltbild ” , Wertvorstellungen und Ideale,
das Selbstverständnis des Menschen und das Verständnis seiner Umwelt.
Die in dieser Weise erfolgende Erforschung von Alltag und materieller Kultur
des Mittelalters beschränkt sich in der sowjetischen Mediävistik vorläufig
auf Arbeiten einzelner Wissenschafter. Gleichzeitig verfügt diese Forschungsrichtung
aber über eine gute methodologische und quellenkundliehe Basis. Einen
bedeutenden Beitrag zu ihrer Begründung lieferten die Arbeiten der Mediävisten
der zwanziger und dreißiger Jahre, sowie die Entwicklung der Nachkriegszeit
in der Archäologie, Ethnographie, Naturwissenschaft, Semiotik und
Kunstwissenschaft.
Somit geschieht das Umdenken im Gegenstand auf Grund der historischen
Analyse und das Suchen adäquater neuer Aufgaben auf Grund der Entwicklung
der Forschungsmethoden – dies ist einer der Grundakzente auch in der
sowjetischen Mediävistik der gegenwärtigen Entwicklungsetappe.
19
Spiritual Life and Material Life in the Middle Ages:
a Contradiction?
BRIAN PATRICK McGUIRE, COPENHAGEN
Asking this question, we propose an opposition which medieval people, both
learned and unlearned, apparently also conceived. Vita 􀁺pirituali8 and vita
ca.rnali􀁻 are as opposed within the individual as they are within the social
body. The reformers involved in each new wave of monasticism from the tenth
century to the fifteenth felt that they had to clear away the material distractions
of daily life in order to make room for concentration on the purified spiritual
life.
It is both an advantage and a disadvantage to have similar terms and
considerations to those our medieval ancestors did. An advantage because we
can Iook directly into the sources without superimposing on them some modern
terminology that in a few years will be out of date. A disadvantage because
we thereby malte the same assumption medieval people did: that there is an
opposition between the material and the spiritual, and that the enhancement
of the one means the reduction of the other. We end in the same dualism that
has stalked western thinking and religion since the Greeks.
I would like to contend that this duality must be modified. We can deal
with material and spiritual life in terms of a tension concerning ends and means,
rather than an opposition. Here means are in everyday life much more significant
than ends, for the members of medieval society were in general agreement
on the ends to be achieved in the life of the individual and the community.
In dealing with three episodes from Danish medieval history, I want to
show the tensions involved between the material and the spiritual as they manifested
themselves for monks and lay people. The abbey controversy with the
bishop of Arhus from the 1260s reveals how a monastery can lose its sense of
perspective and balance. Its members fought for what they considered a just
cause with spiritual content, even though the matters involved were quite material
(how much hospitality in terms of food and Iodging the monastery was
obliged to provide for the bishop). Another situation where material and spiritual
met arose when a pious donor tried to found a monastery for nuns in the
fourteenth century. Here we find tension between a strong religious conviction
and entrenched landed interests. Finally the fifteenth century story of the devil
disguised as the abbot’s phenomenal cook, “Brother Rus” , at Esrum abbey in
20
Northern Zealand hints at a fundamental respect among common people for
the integrity of the monks’ spiritual life, though they too could be tempted by
a good meal.
In the monks’ chronicle at Esrum, in charters for Lolland, and in a folk
story from the end of the Middle Ages, we find the same assumption that
dominated the life and writings of Bernard of Clairvaux: there is no need to
fret about involvement in the world for the spiritual man, for his concern for
the life of the spirit will lead him in the right direction. This confidence could
border on what appears to us as arrogance in the assertion of social privilege,
but it also hints at a medieval sense of balance and harmony in combining
material and spiritual life. For the medieval monastic reformers, and for their
followers, the spiritual life created a basis for the material life.
This procedure may put Marxism on its head, but to me it seems a fair
description of a point of departure in medieval christian life. Contradiction
between the spiritual and the material is possible but not necessary. Tensions
will always be there, but the two aspects of life are not mutually exclusive.
What appears to us as contradiction seems in many ways to have functioned
in terms of interdependence.
21
Common People and Popular Culture
by Xlllth-Century Theologians,
From William of Auvergne to Thomas Aquinas
PIERRE ßOGLIONI, MONTREAL
Although their theological enterprises and careers had much in common and
were separated by only half a century, William of Auvergne and Thomas
Aquinas differed greatly in their treatments of, and attitudes towards, popular
culture.
In the writings of William of Auvergne, popular culture – in both its
religious and its profane aspects – is presented in a concrete and lively fashion,
with frequent references to the author’s personal Observations. Even in the
midst of theological discussions, William makes many detailed references to
popular beliefs and practices which surprisingly have been largely ignored by
historians of folklore. There is, however, almost no theoretical treatment of the
common people and of popular culture in William’s works.
In contrast, Thomas Aquinas’ writings do not provide any new information
concerning folkloric practices; indeed, the very few practices which are mentioned
are very common and are to be found in earlier written sources. On the
other hand, Thomas provides a detailed “anthropology of the common people”
richly laden with his perceptions of their social and psychological characteristics
(such as their inability to abstract and truly to understand religious truths,
their materialistic tendencies, and their rational capacities as being weakened
and overrun by their senses) .
After presenting the positions of the two authors and stressing how much
William’s works can bring to the writing of a (hitherto unattempted) history
of medieval folklore, this paper will attempt to explain the different approaches
taken by William and Thomas, and sketch a framework which may serve to
group thirteenth-century theologians according to their respective treatments
of popular culture.
22
The Impact of the Reformation
on Daily Life in Germany
ROBERT SCRIBNER, CAMBRIDGE
The Reformation in Germany brought a massive upheaval not only in the forms
of religious and ecclesiastical life, but also in the daily life of every citizen and
subject touched by it. At the simplest Ievel, religious ceremonies which had
ordered the rhythm of the working week and the annual seasonal cycle were
abolished and replaced by others held to represent a ‘simplification’ of religious
life. Thus, there were no more saints’ days, many of the major feast days were
no Ionger celebrated, and those that were observed were celebrated in radically
altered manner. There was a sharp change in the ritual life of the people:
there were no more Masses, Requiems, processions, blessings or pilgrimages.
The sacramental system was simplified and the life-cycle rituals reorientated
towards new understandings of salvation and how to attain it. There was a
drastic alteration in the perception of the ‘sacredness’ of the world, sacred tim es
and places, sacred objects and actions being declared to be no Ionger holy or
a means of sanctification.
This paper concerns itself with several main questions. First, what was
the nature of the Reformation’s impact on daily life in all its aspects? Second,
how far reaching were these changes in the daily life of Reformation Germany,
given what we now know about the slowness of penetration of religious change
and its relative Iack of success among !arge sections of the population? Third,
how far did it succeed in creating a new ‘religious culture’ in those areas in
which it took firm and Iasting root? Finally, did the Reformation radically
reshape any of the major determinants of daily life, or was it itself constrained
by and conformed to broader and deeper patterns of material culture?
There are numerous recent ( and less recent) theories and interpretations
which touch these questions: the Entzauberung der Welt and the ‘secularisation’
of daily life, the ‘Reformation of popular culture’, the ‘acculturation’ of the
rural world, the ‘confessionalisation’ of early modern society, the emergence
of ‘social discipline’, and the beginnings of ‘modernization’, to name but a
few. This paper is not intended to be primarily a discussion of these theories,
although it may cast some indirect light on their validity or otherwise seen from
the perspective of ‘daily life’.
23
Geschichte des mittelalterlichen Alltags.
Theorie – Methoden – Bilanz der Forschung
HANS-WERNER GOETZ, BOCHUM
“Alltagsgeschichte” (AG) ist, legt man die Diskussionen der letzten Jahre zugrunde,
weder begrifflich noch inhaltlich eindeutig abgrenzbar. Überschneidungen
ergeben sich nicht nur mit historischen, sondern auch mit anderen,
die Geschichtswissenschaft überschreitenden Disziplinen, die sich ebenfalls mit
dem Alltag befassen und Gegenstand der bevorstehenden Tagung sind: mit
Realienkunde, Volkskultur, materieller Kultur. Versteht man AG als jenen
Teil der Beschäftigung mit dem Alltag, der in der Kompetenz des Historikers
liegt, so decken jene sich damit weder inhaltlich ( Realien, Volk, Kultur) noch
vom wissenschaftlichen Ansatz her völlig, haben in der Erforschung des Alltags
aber ein wesentliches, gemeinsames ForschungszieL Meine Aufgabe hier
sehe ich darin, den Beitrag des Historikers in diesem Rahmen auszuleuchten
durch Betrachtung theoretisch-methodischer Forderungen im Vergleich zu (vorwiegend
deutschen) forschungspraktischen Ergebnissen.
I. THEORIE UND METHODE
Legt man – mangels umfassender theoretischer Reflexion seitens der Mediävisten
– die kontroversen Diskussionen der Neuzeit-Historie um die AG zugrunde,
so ergeben sich sechs zentrale Streitfragen, die die mittelalterliche AG
gleichermaßen betreffen:
(1) die Begriffe “Alltag” und “Alltagsgeschichte”,
(2) deren Gegenstand,
(3) ihren wissenschaftlichen Standort,
( 4) die Relevanz und Aussagekraft ihrer Ergebnisse,
(5) ihre Methoden und
(6) ihre Darstellungsmöglichkeiten.
( 1 ) Die Begriffe “Alltag” und “Alltagsgeschichte” wurden anfangs (und
werden oft immer noch) unreflektiert verwendet. Ein solches Vorgehen ist unhaltbar,
seit Norbert Elias auf die Begriffsvielfalt aufmerksam gemacht hat.
Seine Bestimmung durch Abgrenzung von Gegenbegriffen bleibt jedoch unbefriedigend,
solange auch diese sich weder exakt eingrenzen noch zu einem
24
gemeinsamen Ganzen zusammenfassen lassen. Daher fehlt eine allgemeingültige
Definition.
(2) Um so nötiger ist eine (jeweilige) Abgrenzung des Gegenstandes. Dabei
zeichnen sich in der Diskussion drei oft wiederholte Forderungen ab, die man
zugrundelegen kann:
– Der Alltag umfaßt jene Bereiche menschlicher Existenz, die eine gewisse
Regelmäßigkeit aufweisen (darunter auch Standardthemen der alten Kulturgeschichte
wie: Essen, Wohnen, Kleiden, Arbeiten, Spielen, Lieben usw . ) .
– A G betrachtet i n erster Linie den Menschen (in seinem Leiden, Handeln,
Verhalten und Denken) in dem strukturellen Rahmen seiner Lebenswelt
(Umwelt), von der er (passiv) geprägt ist, die er nach seinen Möglichkeiten
aber auch (aktiv) mitgestaltet. In solcher Bestimmung kann AG keine Abkehr
von der Strukturgeschichte bedeuten; sie betrachtet den Menschen vielmehr in
seiner Wechselbeziehung zu den strukturellen Bedingungen (und daher auch
das Verhältnis zwischen Mensch und Objekt): AG unterscheidet sich damit
grundlegend von einer “politischen Geschichte” , ohne jedoch unpolitische Geschichtsschreibung
zu werden, insofern sie deren Rückwirkung auf den einzelnen
einbezieht; ihr Gegenstand ist das Privatleben, aber durchaus im Schnittpunkt
der sozioökonomischen Verhältnisse, das Individuum, aber doch als repräsentatives
Massenphänomen, als Typus des geschichtlichen “Normalmenschen” .
– AG ist schließlich zwar schichten- und klassenspezifisch zu differenzieren,
nicht aber entsprechend festzulegen, weil alle Menschen einen Alltag haben.
Die vielzitierte “Geschichte von unten” bezeichnet als Gegenstand (Unterschichten)
nur einen Ausschnitt, als Perspektive hingegen eine unangemessene
Verkürzung historischer Betrachtungsweise; eine “Geschichte von innen” (aus
der Perspektive der Betroffenen) ist weder auf den Alltag einzuschränken noch
– als lediglich ein Aspekt – mit diesem gleichzusetzen. Gleichwohl ist die
Wahrnehmungsweise seitens der Betroffenen ein wichtiger Faktor der hier mit
der Mentalitätsgeschichte verknüpften AG.
(3) Damit ist die Frage nach deren Standort im Rahmen der Geschichtswissenschaft
berührt. In der noch unentschiedenen, zentralen Streitfrage einer wissenschaftstheoretischen
Zuordnung ist AG sowohl als Sektoralwissenschaft mit
eigenem Gegenstand (Alltag), wenngleich im Schnittpunkt von Sozial- und Kulturgeschichte,
als auch als eigene Perspektive gesamthistorischer Betrachtungsweise
unter alltagsgeschichtlichem Blickwinkel und Zuhilfenahme anderer Disziplinen
denkbar. Sie ist allerdings – und erst dann geraten beide Möglichkeiten
zu einem Widerspruch – nicht als die beste oder gar einzig sinnvolle Perspektive
aufzufassen, die andere Betrachtungsweisen ersetzen könnte. Mit dem auf
alle Menschen gerichteten Blick trägt sie jedoch zu einem Gesamtbild bei, das
der heutigen Zeit angemessen und damit weit mehr als ein Modethema ist.
25
(4) In dieser Bereicherung und in der extrem anthropologischen Komponente
– und nicht nur darin, daß sie vielleicht einen konkreteren und leichter
verständlichen Zugang zur Geschichte bietet – liegt zugleich die Leistung der extrem
komplizierten AG, die (in Deutschland) verschüttete, kulturgeschichtliche
Ansätze anzugreifen und in moderne, sozialgeschichtliche Betrachtungsweisen
einzugliedern in der Lage ist: AG ist notwendig, weil der Alltag sowohl geschichtswürdig
wie vor allem auch geschichtlich, nämlich veränderlich und zeitabhängig
ist.
(5) Diese Leistung kann die AG (als Teil der Geschichtswissenschaft) allerdings
nur mit modernen geschichtswissenschaftliehen Methoden erbringen.
(Sie besitzt hingegen keine eigene Methode.) Das beinhaltet neben der schon
angesprochenen Berücksichtigung der Mensch-Struktur-Beziehungen und des
Wandels des zu Unrecht gern in der longue duree gesehenen Alltags vor allem
– die endgültige Lösung von einer oft bemängelten Theorieferne (sowohl
hinsichtlich der geschichtstheoretischen Reflexion wie der Anwendung von theoretischen
Erklärungsmodellen),
– eine interdisziplinäre Arbeitsweise,
– eine kritische Quellenbehandlung traditioneller wie “neuer” Quellengruppen
und Einzelquellen, die Klärung also, wieweit sich aus den sämtlich anderen
Intentionen und Inhalten als dem Alltag (und oft auch der Realität)
verpflichteten, mittelalterlichen Quellen Aussagen zum Alltag gewinnen und
zu einem repräsentativen Gesamtbild zusammenfassen lassen. Hier ist die AG
dank der notwendigen, umfassenden Quellenbenutzung auf die Hilfe anderer
Wissenschaften (Archäologie, Kunstgeschichte, Literaturgeschichte, Philologien,
Volkskunde, Soziologie) angewiesen.
(6) Es gibt keine bestimmte, der AG einzig angemessene Form der Darstellung.
Aus den obigen Bemerkungen folgt aber zwangsläufig, daß AG nicht nur
erzählen oder beschreiben darf, sondern auch strukturieren und erklären muß.
1 1 . BILANZ DER MITTELALTERLICHEN ALLTAGSGESCHICHTSSCHREIBUNG
Die deutschsprachige Alltagsgeschichtsschreibung fußt wesentlich auf zwei Wurzeln:
Einmal auf der – teils, aber durchaus nicht immer aktualisierten – älteren
Kulturgeschichte, zum anderen auf dem Vorbild der französisch-englischen
Geschichtsschreibung, der die Notwendigkeit eines solchen Ansatzes, anders als
hierzulande, nie problematisch geworden ist. Da – und das ist allen Richtungen
gemeinsam – mittelalterliche Alltagsgeschichten sich gern als an eine breite
Leserschaft gerichtete Einführungen vermitteln (in der sie vielleicht mehr
Interesse erwarten dürfen als in der Fachwelt), handelt es sich in der Regel
bisher nicht um monographische Forschungsergebnisse, sondern entweder um
26
Aufsatzsammlungen und Tagungsbände oder aber um umfassende oder auch
räumlich, zeitlich oder thematisch beschränkte Überblicke, die für die Gefahr
eines Theorie- und Methodendefizits im Sinne der vorgetragenen Forschungen
vielleicht besonders (wenngleich nicht unvermeidlich) anfällig sind. Während
nun eine theoretische Grundlegung der AG tatsächlich in allen Ländern i n
erschreckend geringem Ausmaß erfolgt, besitzen viele mittelalterliche Alltagsgeschichten
durchaus ansprechende, wenngleich nicht immer explizit vorgestellte
Konzepte (A. Borsts “Lebensformen”, Kühne!, Meckseper /Schraut, Goetz)
und eine – im Mittelalter schon von der Quellenlage her geforderte – Strukturierung
der Ergebnisse. Kaum ein Problem bietet die Notwendigkeit einer (oft
der Darstellung zugrundegelegten) schichtenspezifischen Differenzierung – es
genügt hier, an die Kremser Bände zu erinnern -, wenngleich deren Beziehungen
untereinander und Zusammenfassung in entsprechenden Institutionen darüber
nicht vernachlässigt werden sollten.
Ein größerer methodischer Mangel liegt häufig in einer noch ungenügenden
zeitlichen und räumlichen Differenzierung wie auch in einem fehlenden Gespür
für die U nterschiede zwischen Norm (Ideal) und Wirklichkeit. Der Alltagswandel
ist (in Krems) inzwischen eingehend theoretisch reflektiert, aber noch kaum
korrekt herausgearbeitet. Interdisziplinarität ist mehrfach (vorbildlich auch in
Krems) verwirklicht, hat bisher aber erst die Stufe des gemeinsamen Gesprächs
erreicht, ohne schon zu einer Kooperation am gemeinsamen Gegenstand zu
führen. Eine Repräsentativität der Ergebnisse wird gelegentlich (Kühne!) durch
eine entsprechende Breite der Quellenbelege gefördert (noch nicht aber bewiesen)
, die allerdings nicht eine eingehende Quellenkritik zu ersetzen vermag.
Eine solche ist nötig, weil die mittelalterlichen Quellen durchwegs andere A bsichten
haben, als den Alltag darzustellen, sie ist intensiver bisher aber nur –
und auch das nicht durchgängig – bei entsprechender Beschränkung auf eine
Quellengattung geleistet worden (Opitz). Zu häufig noch werden wahllos und
ungefiltert Quellenbelege verschiedener Provenienz nebeneinandergestellt und
verallgemeinert, werden so Vorurteile der Quellen übernommen und zu einem
Klischeebild vom mittelalterlichen Alltag stilisiert und verbreitet, das es gerade
zu korrigieren gälte.
Die für die neuere Alltagsgeschichte wesentlichen Beziehungen zwischen
den Menschen und ihrer strukturellen Lebenswelt sind ..s owohl monographisch
behandelt als häufig auch in den alltagsgeschichtlichen Uberblicken angestrebt,
in der Regel aber in darstellerischer Trennung zweier Ebenen erzielt, so daß
der Alltag vor dem Hintergrund der zuvor beschriebenen strukturellen Bedingungen
vorgestellt wird. Eine wissenschaftliche Analyse der Wechselwirkung
zwischen Mensch und Struktur, Alltag und Lebenswelt, Privatem und Öffentlichem,
Geprägtsein von und Gestaltung der Umwelt, Wahrnehmung (Men-
27
talität) und Alltagswirklichkeit, fehlt bisher: Der mittelalterliche Alltag ist
heute ansatzweise – nicht immer genügend abgesichert und noch nirgends
endgültig – beschrieben, aber er ist noch nicht erklärt. Überblicke wären
damit wohl auch überfordert. Hinreichend läßt sich das nur in sowohl mikrohistorischen
wie thematisch begrenzten Detailuntersuchungen leisten, die sich
dann ihrerseits wieder einordnen und zu einem neuen Gesamtbild zusammenfügen
lassen müßten.
I l l . FAZIT
1 . Die moderne Wissenschaft braucht die Alltagsforschung, weil der Alltag Bestandteil
unseres Lebens ist.
Die Alltagsforschung braucht den Historiker (braucht eine AG), weil der
Alltag geschichtlich und seine Einbeziehung dem heutigen, differenzierten Geschichtsbild
angemessen ist.
Die Überschneidung verschiedener Disziplinen im Blick auf eine historische
Alltagsforschung kann durchaus fruchtbar sein. Wichtiger als eine enge Abgrenzung
ist die Gewährleistung, daß die Beziehung zwischen Mensch und Objekt
(das Kongreßthema) im doppelten Sinn “historisch” betrachtet wird: als
Gegenstand einer sich dauernd ändernden Vergangenheit und unter geschichtswissenschaftliehen
Methoden.
2. Dazu bedarf es des Beweises der Relevanz einer (noch längst nicht überall
anerkannten) mittelalterlichen AG, die abhängig ist von deren Einordnung und
Stellenwert. Die moderne AG unterscheidet sich von der vielfach verwandten,
alten Kulturgeschichte durch
– eine veränderte Fragestellung: den neuen Gegenstand (Alltag),
– eine veränderte Betrachtungsweise: einen zeitgemäßen, sozialgeschichtlichen
Ansatz,
– eine veränderte Herangehensweise: die kritisch-wissenschaftliche Methode,
und
– einen neuen Forschungsanspruch: Alltag soll nicht nur beschrieben, sondern
auch erklärt werden.
3. Vor diesem Hintergrund der aus dem Streit um die neuzeitliche AG erwachsenen
Diskussion weist auch die mittelalterliche AG noch Defizite auf, indem sie
solche Forderungen erst zum (geringeren) Teil erfüllt. Das liegt sowohl an mangelnden
Vorbildern wie auch an dem Vorherrschen breiterer Überblicke über
den mittelalterlichen Alltag in der bisherigen ersten Phase der AG. Sie waren
dank ihres inhaltlichen Aufrisses, Konzeptes und ihrer Anregungen, aber auch
dank 􀑲er Angriffsflächen, die sie einer Kritik bieten, hilfreich und notwendig.
Auch sie müssen bei aller Popularisierung aber einem wissenchaftlichen Stan-
28
dard genügen: Überblicke sollten sich (wie i n Frankreich) zugleich an Fachwelt
und breites Publikum richten und, über das westliche Vorbild hinaus, ihr
Konzept darlegen und untermauern. Die zweite Phase der mittelalterlichen
AG aber sollte der Detailforschung gehören, um in eine neue (gesichertere)
Zusammenfassung einzumünden.
29
Les Images et Ia Culture Materielle au bas Moyen Age
JEAN-PIERRE SossoN, BRUXELLES
Tirer parti des documents iconographiques aux fins de mieux saisir les societes
medievales, et notamment leurs cultures materielles, voire en reveler des pratiques
ou des aspects qui n’entrent pas ou guere dans le champ de l’ecrit: avant
meme d ‘etre tente, le projet a suscite et suscite reserve et scepticisme. Davantage,
il est vrai, a propos des realia qu’ils portent qu’a l’egard des schemes de
pensee dont ils temoignent. Scepticisme paralysant. Et qui repose sans doute
sur une erreur de perspective: vouloir d’emblee attribuer a l’image les caracteristiques
“du croquis documentaire, representatif a des fins utilitaires d’un
objet isole” , c’est s’interdire d’en tirer parti car lieu de rencontre du pen;u,
du reel et de l’imaginaire, “elle ne constituera [jamais) le double, l ‘equivalent
[immediatement utilisable) d’un element detache du reel ” .
Il s’imposerait donc d e definir une methode capable d e fournir a l’historien
des materiaux siirs, dont le realisme et la representativite, en un lieu et en un
temps, seraient attestes. Permettant aussi, et peut-etre surtout, de mesurer
dans quelle mesure il peut les utiliser. UNE methode: le propos est parfaitement
illusoire. Tout au plus peut-on songer a quelques prealables methodologiques,
applicables, semble-t- il, Urbi et Orbi. A dissiper aussi quelques illusions
relatives a l’etendue du champ technique ou socio-economique couvert par le
document iconographique. Pour le moins, dans le cadre des anciens Pays-Bas
meridionaux aux confins du moyen äge et des Temps modernes.
Les premiers s’ordonnent autour de quelques approches indispensables et
toujours complementaires: heuristique et serielle, terminologique, materielle,
historique, experimentale.
Les secondes: des denombrements touchant, notamment, l ‘ensemble de
Ia peinture de chevalet et nombre de livres d’heures des anciens Pays-Bas
meridionaux aux XVe et XVle siecles, les dissipent vite. A l’aune de ce
qu’on sait, par exemple, des infrastructures et activites economiques de ces
regions, meme en milieu rural, le champ couvert est reduit ( on trouvera plus
de faucheurs que de forgerons ou de tisserands). D’autant qu’il faut souvent
noter le caractere etonnamment repetitif, stereotype des representations. Centrer
l’optique sur des domaines precis, – l’outillage ou l’architecture rurale par
exemple, – aboutit au meme constat. La source iconographique ne permettra
pas de dresser l ‘inventaire de l ‘ou tillage d ‘une epoque.
30
Nonobstant et grace a ces reserves d’ordre critique, l’apport des Sources
iconographiques definies ci-dessus peut etre essentiel en ce qui concerne Ia
forme, Ia destination, Je mode d’utilisation et l ‘ntilisateur, Ia permanence an
cours des siedes de tel ou tel realia.
3 1
Le costurne et la rnode au Moyen Age
FRAN<;OISE PIPONNIER, PARIS
L’histoire du costume a longtemps ete consideree du point de vue et avec Ia
problematique de l’historien de l’art et l’essentiel de I ‘attention s’est porte
alors sur I ‘evolution des form es et le jeu des influences. Entre dans Je champ de
l ‘histoire economique par le biais de l’etude de la production et du commerce
de ses matieres premieres, Je costume a ete admis plus recemment comme objet
d’etude des historiens de Ia societe en tant que signe de l’appartenance a
certaines classes et a certains groupes. Tout dernierement enfin, I ‘etude de sa
signification symbolique a retenu l ‘attention des historiens des mentalites; mais
ceux-ci ecartent resolument de leurs preoccupations les realites materielles qui
constituent Je coeur de Ia recherche des historiens de Ia culture materielle.
Le tout recent renouveau des recherches sur l’artisanat, a Krems, en France
aussi, mettra sans doute en lumiere certains aspects plus negliges de Ia production
des vetements et de leurs materiaux. L’enorme valeur des vetements
par rapport aux autres biens de consommation souligne l’importance de cette
categorie d’objets dans Ia vie economique et les echanges; mais certains documents
suggerent aussi des moyens non commerciaux d’acquisition, a travers un
systeme complexe de dons, de legs et d’aumones.
La consommation vestimentaire, avec les types de vetements utilises, leur
nombre et leur qualite, Je rythme de leur renouvellement, sont plus faciles a
etudier dans les milieux princiers ou aristocratiques. On dispose cependant
pour Ia fin du Moyen Age de donnees relatives a des categories sociales plus
diversifiees et meme au groupe Je plus nombreux, la paysannerie.
Le Sources manquent malheureusement pour etudier dans Je long terme du
Moyen Age millenaire les modifications survenues dans ces modes de consommation.
L ‘iconographie ne permet de saisir que les grands traits de l’evolution
des formes, des ornements, des couleurs, des matieres premieres pendant les
trois premiers quarts de cette longue periode. C’est dans son dernier quart
que de nombreux historiens du costume situent la naissance du phenomene
de mode. L’analyse de ce phenomene et l’etude des sources qui permettent
de Je percevoir doivent poser Ia question de savoir si ce n ‘est pas seulement
l’insuffisance de Ia documentation qui interdit de le saisir plus precocement. Il
faudra egalement tenter d’evaluer l’impact de Ia mode comme facteur stimulant
de Ia production, de sa diversification et d’une augmentation des echanges a
plus ou moins longue distance.
32
Medieval Material Culture and the Problern
of the Historical Interpretation of Archaeological Evidence:
the Exarnple of the Town of ‘s-Hertogenbosch
HANS LOUIS J ANSSEN , UTRECHT
The history of material culture is an interdisciplinary subject. Although it
seems self-evident that for this subject historical as weil as iconographical and
archaeological sources should be used, in many cases integrating the results of
sturlies from these sources seems to be still a problem. This is caused mainly
by unfamiliarity of the individual researchers with the possibilities and Iimitations
of the separate branches of study. This is especially true for the relation
between historians and archaeologists.
The purpose of the present paper is, first, to give a theoretical approach
of the relationship between archaeology and history, based upon the conviction
that it is necessary first to i nterpret facts from archaeological sources and then
transforming them into historical information. In doing so, the main question
to be answered, however, will be how archaeological results can be transformed
into historical information, which questions have to be solved and which pitfalls
have to be avoided.
Secondly, this theoretical approach will be illustrated by means of the
current archaeological research programme in the town of ‘s-Hertogenbosch.
During the last ten years systematic archaeological investigation of the town
has been carried out, the main tool being rescue excavations on threatened sites.
As it is impossible to excavate every threatened site, an archaeological research
model has been formulated, on the basis of known historical information. It
consists of seven main strategic archaeological subjects, which are of special
interest for the history of this particular town. Each of these strategic subjects
has its own priorities, on the basis of which sites are selected for excavation.
One of these seven strategic subjects is the history of material culture.
Results of this approach will be presented. There are provisional results
on different aspects of the material culture, like house-construction and housecomfort,
the use of public space and the problern of rubbish disposal, the relation
between luxury objects and objects in daily use. Furthermore the general
quality of living, evidence for trade and ecological and archaeo-zoological evidence
for food consumption patterns will be rcviewed.
33
A central idea in working with these archaeological sources as evidence for
the history of material culture is that a first priority for archaeology ought to be
to search for the local standards for the town and its region. Only when we have
mastered a detailed insight into the typological and chronological development
of all sorts of material objects, moveable and immoveable, we can distinguish
the normal (standard) pattern from the exceptional. Only then it will possible
to detect not only differences between one particular town and another, but also
differences within the town itself. Examples are social and economic differences
between different population groups as weil as functional differences between
certain institutional groups (for instance monasteries) and other social groups
within the town.
To my opinion the study of material culture from archaeological sources
has to reach this stage before the archaeological evidence can be considered to
have been transformed into historical information.
34
Weitere Referate
Zwei weitere Referate werden im Rahmen des Kongresses “Mensch und Objekt
im Mittelalter und in der frühen Neuzeit. Leben – Alltag – Kultur” gehalten
werden. Zusammenfassungen derselben sind vor der Drucklegung dieses Heftes
nicht eingetroffen. Es handelt sich dabei um:
Ulf Dirlmeier, Siegen: Alltag, Volkskultur, materielle Kultur des Spätmittelalters
und der frühen Neuzeit im Spiegel territorialer, kommunaler und privater
Abrechnungen.
Robert Delort, Paris/Genf: Geschichte des mittelalterlichen Alltags. Theorie
– Methoden – Bilanz der Forschung.
35
BERICHTE – BESPRECHUNGEN – MITTEILUNGEN
Heinrich Rüthing:
Höxter um 1500. Analyse einer Stadtgesellschaft (Studien und Quellen zur
westfälüchen Geschichte 22) Paderborn 1986, 490 S.
Die Frage, ob bestimmte sozial- und alltagsgeschichtliche P roblematiken eher in
globalen oder eher in Einzelfallstudien untersucht werden sollten, wird immer
wieder diskutier t 1 . Unabhängig vom allgemeinen Problem der Feststeilbarkeit
der Reichweite von historischen Aussagen, bringt die praktische Entscheidung
für das je eine oder andere jeweils Vor- und Nachteile mit sich. Gegen globale
Studien wurde mitunter vorgebracht, sie würden das Phänomen der historischen
Individualität vernachlässigen. Einzelfallstudien waren mitunter mit
dem Vorwurf der historischen Marginalität, mit dem Vorwurf der Redundanz
gegenüber anderen Einzelfallstudien oder auch mit dem Vorwurf der historiographischen
Hypertrophieruns des Einzelfalles konfrontiert. Welchen Positionen
und Argumenten in diesem gerade auch im Zusammenhang mit alltagsund
mentalitätsgeschichtlichen Fragestellungen aufflammenden Richtungsstreit
Recht gegeben werden soll, kann hier nicht entschieden werden.
Für die Stadtgeschichte kann jedenfalls gesagt werden, daß es sich bei
einem der letzten allseits anerkannten ‘Meisterwerke’ dieser Disziplin um eine
‘case study’ handelt. Freilich wählte diese ‘case study’ eine Stadt zum Objekt,
deren (fast möchte man sagen ‘weltgeschichtliche’) Bedeutung außer Zweifel
steht 2 . Hier soll nun von einer Fallgeschichte die Rede sein, deren Gegenstand
selbst wohl nicht diese überregionale Bedeutung zugeschrieben werden könnte,
handelt es sich doch dabei um eine kleine Stadt an der Weser, deren Name
nicht einmal beim einschlägigen Historikerpublikum einen besonders hohen Bekanntheitsgrad
aufzuweisen haben wird. Es wird also zu zeigen sein, worin die
überregionale Bedeutung einer Studie über diesen Gegenstand liegen könnte.
Höxter um 1500, um das es hier geht, wird von Heinrich Rüthing3 als allseitig
entwickelte Gewerbestadt von regionaler Bedeutung im Sinne der alten
1 Vgl. z. B. Michelle Vovelle, Histoire serielle ou ‘case studies’: vrai ou faux dilemme en
histoire des mentalites. Hütoire 6ociale, un6ibilitti6 collective6 et mentt1litb. Milange•
Robert Mandrou. Paris 1985. Dt. unter dem Titel: Serielle Geschichte oder ‘case studies’:
ein wirkliches oder nur ein Schein-Dilemma? Mentolittiten-Geuhichte. Zur Rd:on6truktion
geilfiger Prouue, hg. v. Ulrich Raulff. BerHn 1987, 114-126.
2 David Herlihy – Christiane Klapisch-Zuber, Le• To􀁔eon• et leur6 famille6. Une itude du
cato1to florentin de 1-421. Paris 1978.
3 Seitenzahlen im Text beziehen sich auf das besprochene Buch. Rüthing hat sich im Rahmen
internationaler Tagungen mit der Sozialgeschichte dieser Stadt mehrmals beschäftigt; vgl.
36
Typologie Jechts charakterisiert (S. 1 5 1 ), deren Bevölkerung auf ca. 2000-
2500 Bewohner einschließlich des in der Stadt lebenden Klerus und Adels
geschätzt werden kann (S. 58). Insofern gehört Höxter zur großen Masse eher
kleiner Städte, deren (Sozial)geschichte von der (spät)mittelalterlichen Stadtgeschichtsforschung
oftmals zugunsten der als interessanter und bedeutender
erachteten Großstädte vernachlässigt wurde.
Rüthing stützt seine “Analyse einer Stadtgesellschaft” auf die prosopographisch,
sozialtopographisch und deskriptiv-statistische Analyse der Schoßregister
von 1482 bis 1 5 1 7, Steuerlisten also, die hier eine relative hohe Informationsdichte
aufweisen. Ergänzend dazu benützte er eine Reihe weiterer
Quellentypen, wie Ratswahlprotokolle, Rechnungsbücher, Urkunden etc. Aus
all diesen Quellen erhob er nicht nur gleichsam die sozialen Merkmale (Beruf,
relative Vermögensgröße, Ämter etc.) sondern auch ‘life event ‘-Daten (Zeitpunkt
der Heirat, Geburten etc.) sowie Daten zum sozialen und familialen
Netzwerk (Genealogien, Verschwägerungen, Nachbarscharten etc.) für die Mitglieder
der Population. Dabei bedient er sich eines Verfahrens, das er selbst
mit dem Wort “Puzzlespiel” (S. 38) (treffend) umschreibt, und das nicht nur
der Familienrekonstitution als ‘nominative record linkage’ geläufig ist. Der lapidare
Satz des Autors, “Der Computer wurde nicht benutzt.” (S. 16) – obwohl
dies in Anbetracht der Quellenlage nahe gelegen wäre -, mag beim Leser die
Achtung vor der mühevollen, manuell durchgeführten Rekonstruktionsarbeit
und den umfänglichen Berechnungen noch steigen lassen.
Riithing gruppiert seine Aufarbeitung des Materials um vier durchans
naheliegende Themenbereiche, “Beobachtungsfelder”, wie er sie selbst nennt
(S. 14): Herrschaft, Wirtschaft, Kultur, soziale Distanz. Er wählt dabei eindrucksvolle
Darstellungsformen, mit deren Hilfe er sozialtopographische und
quantitative Daten präsentiert. Konsequent durchgehaltene Grundmuster gra-
2. B. Bürg􀂕rlich􀀼r Landb􀀼sitz in Höxt􀀼r um 1500. Bevölkerung, Wirt.chaft und Geull.chajt.
Stadt-Land-Beziehungen in Deut.chland und Frankreich 14. bi• 19. Jahrhundert, hg. v .
N􀀼ithart Bulst, Jochen Hoock u . Franz lrsigl􀀼r. Tri􀀼r 1983, 139-168; Di􀀼 Familie i n dnl!r
deutschen Kleinstadt am Übergang vom Mittelaltl!r zur Neuzdt. Materia!il!n und Beobachtungl!n.
Familie zwüchen Tradition und Moderne. Studien zur Ge.chichte der Familie
in Deut.chland und Frankreich vom 16. bi• zum 20. Jahrhundert, hg. v. Neithart Bulst,
Joseph Goy und Jochen Hoock (Kritüche Studien zur Ge.chicht•winen.chaft 48) Göttingen
1981, 19-38; Bemerkungen zur Sozialstruktur und Sozialtopographie Höxters am Ausgang des
Mittelalters. Beiträge zum •ptitmittelalterlichen Sttidtewe.en, hg. v. Bernhard Diestelkamp
( Sttidtefor.chung A/12) Köln — Wien 1982, 130-143; Der W!!chsel von Pl!rsonennam􀂕n in
l!iner spätmittelalterlichen Stadt. Zum Problem der Identifizierung der Personen und zum
sozialen Status von Stadtbewohnern mit wechselnden und unvollständigen Namen. Medieval
LiveJ and the Hütorian. Studie• in Medieval Pro•opography, hg. v. Neithart Bulst u. JeanPhilippe
Genet. Kalamazoo 1986, 21 5-226.
37
phischer, kartographischer und tabellarischer Darstellung erleichtern dem Leser
das Verständnis für die Daten insgesamt und erlauben ihm, selbständig Vergleiche
am Material durchzuführen, ein Vorzug dieser Arbeit, der hier gebührend
hervorgehoben werden soll. Die prägnante Form der Datenpräsentation erspart
dem Autor zumeist die umständliche verbale Deskription und Erläuterung der
Daten und gibt ihm Raum für narrative Darstellung in Form von Lebens- und
Familiengeschichten, der Darstellung von Karrieren, Beschreibung von Einzelereignissen,
bis hin zur (lehrreichen) Anekdote. Dergestalt verbindet Rüthing
also analytische Datenpräsentation mit dem ‘revival of the narrative’.
Von den zahlreichen Detailinformationen des Buches sollen auf beschränktem
Raum nur einige hervorgehoben werden. Im ersten Untersuchungsfeld beschreibt
Rüthing ausführlich die Organe der städtischen Selbstverwaltung. Auf
der Basis des verfassungsgeschichtlichen Hintergrundes beschäftigt er sich mit
der Rekrutierung der städtischen Ämter. Die Elektoren, Schoßherren, Pfennigmeister,
Marktmeister, Werkmeister, Büwemeister und andere werden untersucht
und dargestellt. Für die Rekrutierung der Ratsstellen (S. 76 tf.), die
sowohl von Kaufleuten als auch von Handwerkern besetzt wurden, waren die
Vermögensgröße und die die familiären Verbindungen von wesentlicher Bedeutung,
wie im Detail empirisch gezeigt werden kann. Reichtum war weitgehend
eine notwendige, aber in Einzelfällen noch keine hinreichende Bedingung für
ein städtisches Amt (S. 130 f.).
Die Untersuchungen zum Bedeutungsfeld “Wirtschaft” gliedern sich nach
den einzelnen Berufsgruppen. Zu den einzelnen Handwerken, Gewerben, zur
zünftigen und nicht-zünftigen Kaufmannschaft werden zahlreiche Informationen
gegeben, die die ökonomischen Strukturen insgesamt erhellen. Besonders
hervorzuheben ist, daß Rüthing die ökonomische Inhomogenität zahlreicher
Berufsgruppen vor allem des Handwerks nachweisen kann. Sein Befund steht
im Gegensatz zu älteren Ansätzen, die mitunter ganze Berufsgruppen innerhalb
‘der’ Unterschicht, ‘der’ Mittelschicht etc. verorteten, und die durch
seine detaillierten Untersuchungen überwunden werden. Von Bedeutung ist
die Rekonstruktion detaillierter ökonomischer Karrieren einzelner Höxteraner
vor dem Hintergrund ihrer jeweiligen Berufsgruppe.
Äußerst vielfältig sind die Informationen zum Bereich Kirche und Kultur.
Wie viele andere Städte besaß Höxter außer einer Pfarrkirche ein Franziskanerkloster,
Kapellen und Spitäler sowie das Petristift, dessen Kapitel und Dekan
innerhalb der Stadt eine wichtige Rolle spielten. Innerhalb von fünf Bruderschaften
war eine besondere religiöse Aktivität der Laien möglich.
Die vielfältigen verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen Bürgerschaft
und Klerus ( ca. 50 % des Klerus können Höxteraner Familien zugeordnet werden)
sind von besonderem Interesse, da dadurch die soziale Herkunft des Klerus
38
rekonstruierbar wird. Die Petrikanoniker nehmen eine besondere Stellung ein.
Ihre nächsten Verwandten gehören weitgehend den oberen Vermögensgruppen
an, während die nächsten Verwandten der anderen Kleriker vergleichsweise
besser über das Gesamtspektrum der Vermögensgrößen streuen. Während die
Petrikanoniker bürgerlich dominiert waren, handelte es sich bei dem außerhalb
Höxters, in Brenkhausen angesiedelten Zisterzienserinnenkonvent um eine ständisch
gemischte Gemeinschaft. Wenn dieser Konvent auch für Töchter aus bürgerlichen
Familien offenstand, werden die impliziten sozialen Schranken hier
noch deutlicher als beim Petristift: alle von Rüthing nachgewiesenen Zisterzienserinnen
aus Höxter entstammen Bürgerrneisterfarnilien.
Innerhalb der sozialen Komplexität der Bürgerschaft war den Nachkommen
von Klerikern ein offenbar konfliktträchtiger sozialer Ort zugewiesen. Eine
Integration in die Bürgerschaft bzw. in eine Zunft scheint für diese Personengruppe
kaum möglich gewesen zu sein, allerdings kann Rüthing in ihr
Akademiker- und Klerikerkarrieren nachweisen.
Unter dem Stichwort “kulturelles Leben” verzichtet Rüthing auf den Bereich
der Alltagskultur, der sich aber in vielfältiger Weise über die gesamte
Darstellung hinweg zieht, und konzentriert sich auf die Bereiche Schule, Studenten,
wissenschaftliche Leistungen und bildende Kunst.
In seinem Schlußkapitel “Soziale Distanz: Nähe und Ferne, Armut und
Reichtum” bemüht sich Rüthing um eine integrative Sicht der städtischen
Gesellschaft. Die ‘Dichte’ seiner Beschreibung von Lebenszyklen gewährt hier
Einsichten, die die bisherige (deutschsprachige) Literatur zu städtischen Sozialstrukturen
nicht vermittelte: Niemand hat etwa so genau die sozialen und
ökonomischen Kosten der Heirat bzw. des Selbständigwerdens von Söhnen und
Töchtern für einen spätmittelalterlichen bürgerlichen Haushalt veranschaulicht
(z. B. S. 349, 433). Ebenso beeindruckend sind Rüthings Darstellungen zur
sozialen Position der Frauen. Auch hier steht die lebensgeschichtliche Argumentation,
etwa bei der Erörterung von ökonomischen Einbrüchen bei Witwen
im Vordergrund (S. 360 ff.) . Zahlreiche weitere empirische Beispiele belegen die
These der zentralen Bedeutung der Familie für soziale Plazierung und soziale
Reproduktion.
Aussagen zur Kultur des Festes, die aufgrund normativer Quellen möglich
sind (S. 4 1 3-415), gewähren einen weiteren Einblick in das System sozialer
Differenzierung, das i n diesem Aspekt von der ökornornischen begründet wird.
Die Zahl der Gäste etwa, die zu einer Hochzeit eingeladen werden dürfen, ist
unmittelbar vorn Ausmaß des versteuerten Vermögens abhängig.
Soziale Differenzierung findet ihren Niederschlag auch im Wohnort innerhalb
der Stadt. Die zahlreichen kartographischen Darstellungen in Riithings
Buch legen ein Modell von Zentrum und Peripherie nahe, das den ‘Grundriß’
39
seiner ‘Gesellschaft’ prägt. Dieses Modell ist so sehr wirksam, daß Rüthing von
“sozialer Segregation” sprechen kann.
Die Konstante der sozialen Differenzierungen wird, bezogen auf das Individuum,
überlagert von der Dynamik der sozialen Mobilität. Auch für dieses
Phänomen werden eindrucksvolle Beispiele angeführt ( S . 427 ff.). Ebenso werden
die Migranten exemplarisch behandelt (S. 394 ff. ) .
I n einem wesentlichen Punkt unterscheidet sich Riithings Konzeption –
neben einer Reihe anderer – ebenfalls vom ‘main stream’ der Stadtgeschichtsforschung
seit den sechziger Jahren. Er verzichtet auf die Applikation eines
Schichtmodells auf die städtische Gesellschaft (V gl. dazu S. 453 ff. ) . Sein
milder Spott für “zählebige Schichtungsmodelle [ . . . ], die sich [ . . . ] fast alle
auf die Maxime reduzieren lassen: Societa.s est omnis di visa in partes tres:
Oberschicht, Mittelschicht, Unterschicht” (S. 1 5 ) , hat weitgehende Berechtigung,
da solche Modelle von Historikern zumeist oktroyiert und nicht durch
das Material getestet wurden. Gerade die Höxter Quellen hätten eine empirische
Bestätigung oder Verwerfung eines solchen Modells mit Hilfe komplexerer
statistischer Verfahren möglicherweise erlaubt.
Rüthings schlüssige Verwendung des Konzepts der sozialen Distanz und
dessen empirische ‘Ladung’ zeigt, daß es sich dabei tatsächlich um eine Alternative
zum Schichtmodell in der Praxis des Historikers handeln kann.
Neben den hier hervorgehobenen sozialgeschichtlichen Bereichen enthält
Rüthings Buch eine Fülle von Material für die Bereiche Rechts-, Kirchen-,
Verfassungs-, Stände-, Handwerks-, Wirtschafts-, Handels-, Militärgeschichte
etc.
Die hervorragende Aufarbeitung des Materials läßt Rüthings ‘totale Geschichte’
über das Beispiel Höxter hinaus für den Bereich der so lange vernachlässigten
sozialen Mikrostrukturen einer Stadt schließlich paradigmatisch
erscheinen und sollte gerade auch den Alltagshistoriker interessieren. Die Lektüre
wird nicht nur wegen der Informationsfülle, sondern auch aufgrund des
instruktiven Stils der Darstellung ein Vergnügen sein.
Albert Müller, Salzburg-Wien
* * *
40
Caroline Walker Bynum:
Holy Feast and Holy Fast. The Rcligious Significance of Food to Medieval
Women. University of California Press, Berkeley – Los Angeles – London
1987, 444 p., 30 ill.
Caroline Walker Bynum legte 1982 das vielbeachtete Buch “Jesus as a Mother”
vor. In diesem schildert sie die Entwicklung der christlichen Spiritualität vom
1 1 . bis zum 13. Jahrhundert1 . Als zentrale Frage wird ein Symbol dieser
Entwicklung behandelt, und zwar die Feminisierung der religiösen Sprache2 .
Bereits dort wird deutlich, daß Bynum in erster Linie an geistes- und religionsgeschichtlichen
Themen interessiert ist. Damit folgt sie einer in der amerikanischen
Mediävistik – besonders auch in der Frauengeschichte – stark vertretenen
Richtung3.
Ihre hier besprochene Arbeit scheint jedoch nicht nur für die Geistesgeschichte
interessant, sondern beinhaltet auch Aspekte der Erforschung einer
materiellen Kultur. In “Holy Feast and Holy Fast” geht sie von dem in der materiellen
Welt feststellbaren Zusammenhang von Frauen und Nahrung aus – und
zeigt gleichzeitig die unterschiedlichen Konnotationen sowie das große Bedeutungsfeld
von ‘Nahrung’4 auf. Den Konnex zwischen Frau und Nahrung weist
1 Einige weitere Arbeiten der Autorin: Docere Verba et E:umplo. Missoula – Montann 1979;
Stephen of Paris ond His Commentory on the Benedictine Rule. Revue bw.dictine 81 ( 1 9 7 1 )
67-91; Did the Twdfth Century Discover the Individual? Journal of Eccle•ia.•tica.l Hi•tory
31 ( 1980) 1-17; Women’a Stories, Women’s Symbols: A Critique of Victor Turner’s Theory
of Lirninality. In: Frank Reynolds – Robert Moore (Eds. ), A nthropology a.nd the Study of
Religion. Chicago 1984, 105-125; Fast, Feast, ond Flesh: The Religious Significance of Food
to Medievnl Warnen. Repreunta.tion• 1 1 (1985) l-25; ‘ . . . And Woman His Humonity’:
Fernale lmagery in the Rdigious Writing of the Later Middle Ages. In: C. Walker Bynum,
S. Harre!!, P. Richman (Eds.), Gender a.nd Religion: On the Complexity of Symbol•. Boston
1986.
2 Je.u• a.• a. Mother, 263.
3 V gl. dazu die in letzter Zeit erschienen Aufsntzsnrrunlungen, die sich vor allem mit religiösem
Leben beschiiftigen: John A. Niehals – Lillinn T. Shank (Eds.), Medieval Rdigious
Women 1 : Distant Echoes, Medievnl Religious Wornen 2: Pence Wenvers ( Ci•lercian Studie•
Serie• 71 und 72) Kaiomazoo 1984 und 1987 – besonders dazu im Bnnd Pence Wenvers:
Chnrles Cummings, The Motherhood of God According to Julian of Norwich, 305-314; –
Derek Baker (Ed.), Medieval Warnen ( Studie• in Church Hi.tory Sub• idia 1 ) Oxford 1978;
Katharina M . Wilson, Medievo.l Women Writer•. Athens 1984; Julius Kirshner – Suzanne F .
Wempie (Eds.), Women of the Medieva.l World. Oxford 1985. Fiir den deutschen Sprachraum
sei – nicht nur wegen seines “kleinen Exkurses zur feministischen Kritik” – exemplarisch
verwiesen auf: Peter Dinzelbocher – Dieter R. Bauer (Hg.) , Frauenmy•tik im Mittelalter.
Stuttgort 1985.
4 Hier und im folgenden wird der bei Bynum – in breitem Bedeutungsfeld- verwendete Begriff
4 1
sie anband der christlichen Symbolik und Metaphorik nach und versucht damit,
Manifestationen der materiellen Welt anhand geistesgeschichtlicher Quellen
und Fragestellungen zu verdeutlichen.
Ihre Arbeit ist in drei Teile gegliedert, die sich mit ( 1 ) dem Hintergrund, (2)
den Quellen und (3) den Erklärungen jener Verbindung von Frau und Nahrung
im Mittelalter befassen5. Neben breiter schriftlicher Quellenbasis verwendet
sie auch dreißig – für ihre Argumentation aussagekräftige – Bilder. In U nterschied
zu vielen anderen Werken werden die Abbildungen hier nicht zu
rein illustrativen Zwecken gebraucht, sondern als Quellen interpretativ verwertet.
Die Benützung der Arbeit wird erleichtert durch einen umfassenden
Anmerkungsapparat sowie durch ein Orts-, Sach-, und Personenregister und
einen Index der in den Anmerkungen verzeichneten Sekundärautoren.
Die U ntersuchung unterscheidet sich – wie auch Bynum selbst vermerkt
– von der bisherigen Literatur: sowohl aus feministischer als auch aus der
traditionell männlichen Sicht weiblicher Religiosität wurde der Zusammenhang
zu Nahrung bis dato nicht hergestellt (S. 29 f.) .
Einführend erläutert sie die verschiedenen Definitionen und den Bedeutungswandel
des Fastens und seiner Signifikanz für das Christentum (S. 33-48).
Veränderte Interpretationen und der Einstellungswandel zur Eucharistie vom
frühen Christentum bis zum Spätmittelalter sind Indikatoren für ihre Interpretation
(S. 48-72).
Herangezogene Quellen, die den Zusammenhang von heiligen Frauen und
Ernährung verdeutlichen sollen, sind zum einen die Heiligenviten6. Während
Fasten in diesen zentraler ‘heiligmachender’ Punkt für Frauen ist, stellt in bezug
auf heilige Männer Fasten nur einen Aspekt dar, um heilig zu werden (S. 95).
Bei der Untersuchung der Rolle der Ernährung im Leben heiliger Frauen wird
das Grundkonzept, auf das sich Bynum stützt, klar: Mittelalterliche heilige
Frauen ernähren symbolisch und faktisch andere Menschen (S . 1 1 4). Sie selbst
werden faktisch und symbolisch durch die Kirche ernährt (wie zum Beispiel
durch Eucharistie und Kelch) .
Anband mehrerer Viten aus dem holländischen, französischen, deutschsprachigen
und italienischem Raum wird dieser Zusammenhang in seinen verschiedensten
Ausprägungen durchleuchtet. Da Bynum keine Verhältnisse angibt
zwischen Gesamtheit der durch Viten gewürdigten weiblichen Heiligen und
‘food’ mit ‘Nahrung’ (angeglichen an dieses breite Bedeutungsfeld von ‘food’ ) übersetzt.
5 Die folgenden Seitenverweise beziehen sich auf das besprochene Buch.
6 Andere Fragestellungen an dieselbe Quellengattung stellt Claudia Opitz, Frauenalltag im
Mittelalter. Biographien des 13. und 14. Jahrhunderts (Ergebniue der Frauenfor􀁦chung 5 )
Weinheim – Basel 1985.
42
jenen, in deren Viten die verschiedenen Konnexe zur Nahrung auftreten, wird
aus der Lektüre mitunter nicht klar, ob die genannten Zusammenhänge in den
Viten regelmäßig so deutlich zu Tage treten, oder ob die Autorin eine ‘subjektive’
Gewichtung vorgenommen hat.
In einem weiteren Kapitel bezieht sich Bynum auf eine Quellengruppe, i n
der die heiligen Frauen selbst zu Wort kommen: Nahrung i n den Schriften der
Mystikerinnen (S . 150 ff. ) . Hier übt die Autorin Kritik an der von der Forschung
so oft in den Vordergrund gestellten Verbindung der Schriften der Mystikerinnen
mit erotischen Metaphern. “What does seem more characteristic of
women mystics than of men, however, is hnngering for God” (S . 152). Schwerpunkte
sind neuerlich Nahrung, Hunger, Essen und Ernähren, durch welche
die Verbindung zu Christus hergestellt wird. Zentral für jene Verbindung mit
Christus ist Teilnahme an seinem Leiden. Dieses Leiden kann besonders durch
Fasten hergestellt werden.
Für die Erklärung des oben besprochenen Zusammenhangs zieht Bynum
kritisch neuere Interpretationsmuster anderer Forschungsdisziplinen heran. So
bedient sie sich beispielsweise unterschiedlicher psychologischer Definitionen
von Magersucht, Hysterie oder Depression, um deren Umlegbarkelt auf die mittelalterliche
Situation zu überprüfen (S. 203). Dabei kommt sie zur Erkenntnis,
daß stärker als psychologische Faktoren das “cultural setting” dominierend
für das Verhalten der untersuchten Frauen im Zusammenhang mit Fasten war
(S. 206).
In der Behandlung von ‘Nahrung als Selbstkontrolle’ wird jener Konnex
zum ‘cultural setting’ verdeutlicht. Bynum meint: “[ . . . ] extreme asceticism
and Jiteralism of women’s spirituality were not, at the deepest Ievel, masochism
or dualism but, rather, efforts to gain power and to give meaning” ( S. 208).
Weiters führt sie dazu aus: “We must go beyond the Interpretations that see
women’s food behavior as primarily punishment or control of the body. [ . . .)
First, women’s food behavior – fasting and feeding – was an effective way of
manipulating the environment in a world in which food was woman’s primary
resource. Second, women’s radical asceticism was less an internalizing of the
church’s negative views of flesh and female than a rebellion against the moderation
of the high medieval church, which was moving toward a more positive
sense of the body. Third, food asceticism, food distribution, and eucharistic
devotion did not, to medieval people, mean self-torture; rather, they were ways
of fusing with a Christ whose suffering saves the world” (S . 2 1 8 ) .
Die Verbindung von Frau u n d Nahrung schafft ein Machtverhältnis, das
nicht nur das Selbst, sondern auch die Umwelt beeinflußt. “Far from substituting
control of self for control of circumstance or destroying ego and body
while attempting t o direct the attention of others toward them, women’s food
43
practices frequently enabled them to determine the shape of their lives – to
reject unwanted marriages, to substitute religous activities for more menial duties
within the family, to redirect the use of fathers’ or husbands’ resources,
to change or convert family members, to criticize powerful secular or religious
authorities, and to claim for themselves teaching, counseling, and reforming
roles for which the religious tradition provided, at best, ambivalent support.”
(S. 220).
Als nächsten Bereich untersucht sie die Bedeutung von Nahrung im Zusammenhang
mit Körperlichkeit. “The flesh of Jesus – both flesh as body and flesh
as food – is at the very center of female piety. And this flesh is simultanously
pleasure and pain.” (S. 245) . Die Frau als Körper ist Symbol für das Menschsein
(S. 261) sowie für die ‘ Nahrung’ (besonderer Bezug auf Muttermilch als
erste Nahrung) (S. 269).
In ihrer Beschreibung weiblicher Symbole geht sie auf die Bedeutung symbolischer
Umkehrungen ein (S. 279), auf welche Weise etwa Männer weibliche
Symbole benützen (S. 282), und untersucht die unterschiedliche Interpretation
von Symbolen für Männer und Frauen (S. 288). Dabei kommt sie zur Erkenntnis,
daß für beide Geschlechter die symbolische Dichotomie verschiedene
Bedeutung hatte und für Männer und Frauen von unterschiedlicher Relevanz
war.
In starkem Maße versucht sie die Bedeutung von “gender” in der mittelalterlichen
Religion herauszuarbeiten 7 . Bei ihrem Bestreben, eine Verbindung
zwischen Geistesgeschichte und materiellem Leben herzustellen, bleibt sie allerdings
mitunter wohl zu sehr der Geistesgeschichte verbunden. Vielleicht
auch auf Grund dieses Zugangs (nicht zuletzt aber auch wegen der Quellenlage)
kommen nicht – wie im Titel angedeutet – alle Frauen, sondern Heilige, Nonnen
sowie im weitesten Sinn mit Religiosität verbundene Frauen zu Wort.
Von nicht zu leugnender Wichtigkeit erscheint jedoch – auch als Vorbild für
entsprechende zukünftige Arbeiten – der Grundgedanke des Buches, nämlich,
ausgehend von dem in der materiellen Welt nachweisbaren Zusammenhang
von Frauen und Nahrung, diesem auch in der Ideologie nachzuspüren. Auch
Bynum’s phantasiereiche neue Interpretationsansätze – hier sei nicht nur auf die
Einbindung interdisziplinärer Erklärungsversuche, sondern auch auf die bereits
oben erwähnte Integration der Kategorie “gender” hingewiesen – könnten sehr
anregend für weitere Arbeiten sein.
7 Vgl. dazu allgemein die Stellungnahme von Giaela Bock: “So ist beispielsweise die Geschichte
von Religion – von den antiken Göttern bis zu denen des 20. Jnhrhunderts –
geachlechtaneutral in vielerlei Hinsicht gar nicht zu verstehen.” (Geschichte, Frauengeschichte,
Geschlechtergeschichte. Guchichte und Geull􀁄ehaft 14 (1988) 364-391].
44
Schließlich sind die getroffenen Bezüge zur Gegenwart hervorzuheben, die
die Autorin immer wieder, besonders auch im Epilog (S. 297-302), herstellt.
Dem Buch wäre eine deutsche Übersetzung zu wünschen, die einer hierzulande
oft ziemlich akademisch abgehobenen Diskussion neue Impulse brächte,
und darüber hinaus eine breitere Leserschaft für dieses Thema gewinnen könnte.
Brigitte Rath, Wien
* * *
45
An ‘example’ to increase the communication
of the Medium Aevum Quotidianum-Community
Shortened version of a Wü.senschaft Letter [Malcolm Bradbury, Unsent Letters.
Irreverent Notes From a Literary Life. Viking, New York, 1988, p. 1-3]:
Dear Herr Doktor Professor Bradburg,
Excuse please that I address you so, but I think in your country you do not
mind such informality. My name is Hans-Joachim Wissenschaft, and I am
advanced student in Anglisten-Studien at Liebfraumilch University, with nice
manners, rimless glasses and a small moustache. I have already passed the
examens for my Arbeitsnachrichten, my Fernspreche and my Hinauslehnen mit
Pradikat, and I also have good competences in Philoiogik, Linguistik, PsychoAnalytik
and Aerobik. Now I must write my thesis for my Habitat. Always I
Iove very much your English litteraturs, ever since as a boy I made holiday i n
Grimsby, and came t o relish the distinct flavours of your country. My favourite
authors are E. Waugh, A. Huxley and M. Python, and always I hoped to make
a thesis of their works. Unfortunately, this is not possible, because my famous
professor, Frau Doktor Professor Brunehilde Zwischenprüfung (who teils you
know her very weil), likes it better that I write rather on the ‘campus-novel’,
called also the ‘university-novel’, which is much studied in my country. I do
not find this so easy because the subject does not interest me very much. But
of course I take her advices, because as you know she is a very big Iady and
one day she likes to write a very big book on this subject. Also there are not
so many jobs now, even in Germany, and I like to take a little care for my
future. So now I am very pleased to make my thesis on the ‘campus-novel ‘,
and I write for your helps. I think you will please to know I intend to make a
special concentrate of your works!
[ . . . ] In fact I like your helps with my work as much as possible. I write
to you with the urgence of Professor Zwischenprüfung, who teils that once you
met together in Harnburg in a very exciting congress, which was greatly enjoyed
by ail present. Now she sends you her very best greetings, likes to remind you
what a small world it is, and also that she lended you a small black folded
umbrella that she now likes very much to have back, as it is raining here. She
teils also that you are a good critic, but even so a very nice person who likes
much to answer big questions. This is good because I have very many.
[ . . . ] Piease give me a very fuil answer to these questions so I can write
an excellent thesis. I would like an explanation of the history, ontology and
aesthetik of the ‘campus-novel’, also fuil bibliography. I like you to interpret
46
the representation of university life in these novels from the standpoint of Lande”
kunde, and explain me, from the standpoint of Reception-theoric, who likes
to read them, and why so. If your books are funny, please tel! me where, and
send me your ontology of the comedic and your theoretiks of the humoristic,
and how you like to compare yourself with Aristotle, Nietzsche, Bergson and
Freud. [ . . . ] Also please send a cassette of Supertramp, Breakfast in A merica,
which is not so easy here to obtain. I hope you reply to this Ietter very quickly,
as in my country we like an efficience in our correspondences. I thank you in
expectation of your good helps, yours fidelistically,
Hans-Joachim Wissenschaft
47