Vorwort zur achten Ausgabe von MEMO

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Isabella Nicka
Kontakt: isabella.nicka@sbg.ac.at
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Institution: Institut für Realienkunde des Mittelalters und der Frühen Neuzeit | IZMF, Universität Salzburg
GND: 1033040681
Miriam Landkammer
Kontakt: miriam.landkammer@sbg.ac.at
Website: https://www.imareal.sbg.ac.at/team/miriam-landkammer/
Institution: Universität Salzburg | IZMF | Institut für Realienkunde des Mittelalters und der frühen Neuzeit (IMAREAL)
GND: 1011575329
Manuel Schwembacher
Kontakt: manuel.schwembacher@sbg.ac.at
Website: https://uni-salzburg.elsevierpure.com/de/persons/manuel-schwembacher
Institution: Universität Salzburg | IZMF | Fachbereich Germanistik
GND: 1059000741
ORCID: 0000-0001-9214-8915
Peter Hinkelmanns
Kontakt: peter.hinkelmanns@sbg.ac.at
Website: https://uni-salzburg.elsevierpure.com/de/persons/peter-hinkelmanns-4
Institution: Universität Salzburg | IZMF | Mittelhochdeutsche Begriffsdatenbank (MHDBDB)
ORCID: 0000-0001-8618-0185
Katharina Zeppezauer-Wachauer
Kontakt: katharina.wachauer@sbg.ac.at
Website: http://mhdbdb.sbg.ac.at/
Institution: Universität Salzburg | IZMF | Mittelhochdeutsche Begriffsdatenbank (MHDBDB)
GND: 1140611232
ORCID: 0000-0001-9310-9029
Erstveröffentlichung: Mai 2021
Lizenz: Sofern nicht anders angegeben Creative Commons License
Medienlizenzen: Medienrechte liegen, sofern nicht anders angegeben, bei den Autoren
Letzte Überprüfung aller Verweise : 02.04.2021
Übersicht Abbildungen

Abstract

Welche unterschiedlichen Funktionen nimmt materielle Kultur in historischen Narrativen ein und mit welchen Zugängen können die Dinge in den Erzählungen untersucht werden? Diese und mehr Fragen bilden den Ausgangspunkt für die achte Ausgabe von MEMO. Sie sind Ergebnis aus dem Projekt ONAMA – Ontologie der Narrative des Mittelalters, ein Kooperationsprojekt der Mittelhochdeutschen Begriffsdatenbank und der Bilddatenbank REALonline am Institut für Realienkunde des Mittelalters und der frühen Neuzeit in Krems, die beide am Interdisziplinären Zentrum für Mittelalter und Frühneuzeit der Universität Salzburg angesiedelt sind.

Abstract (englisch)

What different functions do things play involved in narrative strategies and what approaches can be used? These and more questions form the starting point for the current issue. They are the result of the ONAMA – Ontology of Medieval Narratives project, a collaboration between Mittelhochdeutsche Begriffsdatenbank and the REALonline image database at the Institute for Medieval and Early Modern Material Culture, both affiliated to the Interdisciplinary Centre for the Middle Ages and Early Modern Studies at the University of Salzburg.

Narrative – in welchem Medium sie sich auch immer manifestieren – sind voller Dinge.

Gegenstände können prägnant für ein Thema stehen, wie etwa die Klopapierrolle in den ersten Monaten der Verbreitung der Covid-19-Pandemie für die damit verbundenen Ausgangsbeschränkungen und das Erliegen des sozialen und kulturellen Lebens. Ob in den Eingaben für die #betweenartandquarantine Challenge einiger Museen, bei denen Kunstwerke mit Dingen der eigenen vier Wände rekreiert wurden, in Rezeptvorschlägen eines Satiremagazins oder bei einer Sonderbriefmarke der Österreichischen Post, die auf Klopapier gedruckt ist (Abb. 1), ist das Objekt des täglichen Bedarfs präsent und die Bedeutung für Rezipient*innen leicht nachvollziehbar.

In anderen Kontexten sind Dinge sogar Trigger für neue Narrative. Etwa wenn Max Goldt visuelle Medien unterschiedlicher Art (von alten Fotos und technischen Skizzen über Kunstreproduktionen bis hin zu Werbebildern oder Alltagsgegenständen wie Puddingpäckchen) mit kurzen Texten versieht.1 Darunter ist auch ein Foto (Abb. 2), das aus den 1980er Jahren stammen dürfte: Max Goldt nimmt die – aus heutiger Sicht – altmodische Kleidung dreier in Rückenansicht beim Durchschreiten eines historischen Tors gezeigter Damen zum Ausgangspunkt für eine Geschichte, der zufolge diese drei als Verkäuferinnen in einem Damenunterwäschegeschäft nicht eingestellt wurden, weil sie nicht schick genug angezogen gewesen wären.

Goldt merkt daraufhin an, dass der Dessousladen eine ideale Atmosphäre vermissen lasse: „Wer möchte denn eine tonnenschwere, vermutlich enorm knarrende Eisentür bewegen, bevor er sich einen erotisierenden Slip kauft?“2 Die Pointe des Textes lebt von der Diskrepanz von dem im Bild dominanten Tor eines historischen Gebäudes und der Assoziation mit einem Unterwäschegeschäft, gerade weil man in dem Foto wohl am ehesten den während einer Kulturreise aufgenommenen Schnappschuss vermuten würde.

Diese beiden Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit können durchaus als besondere Verwendungen von Dingen in Erzählungen gelten. Uns interessiert in diesem Heft, welche unterschiedlichen Funktionen materielle Kultur in historischen Narrativen einnimmt und mit welchen Zugängen die Dinge in den Erzählungen untersucht werden können. Ausgangspunkt für die aktuelle Ausgabe von MEMO sind die Ergebnisse aus dem Projekt ONAMA – Ontologie der Narrative des Mittelalters, ein Kooperationsprojekt der Mittelhochdeutschen Begriffsdatenbank und der Bilddatenbank REALonline am Institut für Realienkunde des Mittelalters und der frühen Neuzeit in Krems, die beide am Interdisziplinären Zentrum für Mittelalter und Frühneuzeit der Universität Salzburg angesiedelt sind (mehr zum Projekt findet sich in dieser Ausgabe im Beitrag „Needful Things“). Im Projekt haben wir eine Semantic-Web-Ontologie als digitales Werkzeug für die Analyse des imaginativen Potenzials und der narratologischen Muster in der Literatur und in den Bildern des Mittelalters entwickelt.

Im Rahmen dieses MEMO-Heftes war es uns daher auch besonders wichtig, Beiträge zu Realisierungen von Erzählungen in verschiedenen Medien zu versammeln, weil sich anhand von Beispielen im Corpus von ONAMA bereits gezeigt hat, wie unterschiedlich etwa Bild und Text in dieser Hinsicht agieren.

Als Beispiel dafür kann der Frühdruck des Prosaromans „Tristrant und Isalde“ herangezogen werden, der 1484 von Anton Sorg in Augsburg herausgegeben wurde.3 Verglichen mit dem Text ist in den inserierten Holzschnitten nur eine Auswahl der Ereignisse  festgehalten worden. Die angewandte künstlerische Technik und das kleine Format (die Größe der Holzschnitte misst ca. 9 mal 5 cm) führen darüber hinaus zu einer Fokussierung auf wenige Elemente und Details. Damit ist es aber umso interessanter, welche Dinge herausgegriffen und auf so geringem Raum überhaupt dargestellt werden. Der Holzschnitt auf Folio 58 recto aus dem Berliner Tristrant und Isalde-Exemplar (Abb. 3) stammt aus der Episode rund um den versuchten Mord an Brangel, der Untergebenen von Königin Isalde. Mit dem Verdacht, Brangel hätte die heimliche Beziehung zwischen Tristrant und Isalde verraten, gibt die Königin Isalde zunächst den Befehl zur Ermordung ihrer Dienerin, ist dann aber froh, dass die dafür angeheuerten Männer den Auftrag nicht ausgeführt haben.

Im Text der Prosaauflösung des Tristrant-Drucks wird der Abschnitt der Versöhnung zwischen den beiden Frauen dadurch eingeleitet, dass Brangel in die Kemenate von Isalde gebracht wird. Nun hoerent wie die fraw sprach, als Brangel zuo der thür ein gieng. bis will kommen vil liebes weib, mein frau, mein künigin, vnnd du mein gebieterin. Ich vall dir zuo fuoß, ich suoch dein fuoß, vnd begere genad von dir […] (fol. 59r). In dem darauffolgenden Abschnitt entfaltet sich eine vielschichtige Versöhnungsszene, der dezidiert nur diese beiden Frauen beiwohnen, oder wie die Prosa vermeldet: […] es was niemant beye in […] (fol. 59r). Erst in einer zweiten Stufe des Versöhnungsprozesses wird – gemäß dem Text – Tristrant eingebunden. Er geht zu Isalde und mahnt sie ob ihres Frevels ab und hält sie an, in Zukunft Brangel alle Wünsche zu erfüllen. Letztlich sprach [Tristrant, Anm. der Verf.] sy darauf wyeder zuo guoten friunden (fol. 59v) und am Schluss, als Zeichen der vollzogenen Aussöhnung, küssen sich Brangel und Isalde.

Die Settings dieser Abfolge von Szenen sind im Text von untergeordnetem Interesse. Ganz anders verhält es sich naturgemäß in den Holzschnitten. Im Medium des Bildes wird zunächst geschildert, dass die Auftragsmörder Brangel in Isaldes Kemenate bringen (fol. 56v). Eine Andeutung auf den Friedensschluss der beiden Frauen ist dabei nicht zu erkennen. Wo der zweite Part der Versöhnung stattfindet, bei dem auch Tristrant teilhat, wird von der Textvorlage nicht thematisiert. Im Holzschnitt auf fol. 58r (Abb. 3) handelt es sich um ein Gemach, in dem sich Brangel (die Frau rechts im Bild) bereits befunden hat, während Isalde (ganz links) als erst in den Raum Gekommene inszeniert wird. Die Zugangssituation zu diesem Raum ist durch eine Tür links definiert. Die Schleppe Isaldes, die noch über die Schwelle dieser Tür hinausgeht, deutet an, dass die Königin hier gerade erst im Begriff ist, den Raum zu betreten und damit, der Bewegungsrichtung entsprechend, im wahrsten Sinne des Wortes auf ihre Dienerin zugeht. An der rechten Seitenwand ist eine leere Bank dargestellt, auf der ein textiles Element liegt. Brangel kann dadurch als von dieser Bank Aufgestandene wahrgenommen werden, sodass sowohl die Darstellung der Raumhülle als auch das leere Möbelstück dazu beitragen, dass die Szene als ein Entgegenkommen der beiden Frauen gelesen werden kann, in deren Mittelpunkt Tristrant im Begriff ist, die beiden Hände der Königin und ihrer Dienerin zueinander zu führen.

Dinge machen es in diesem Holzschnitt also überhaupt erst möglich, eine Geschichte im Bild zu erzählen. Damit wird der Textvorlage zwar nicht widersprochen, aber doch ein ganz anderer Akzent gesetzt. Liegt im Text – vor allem was Ausführlichkeit und Gefühlsbetontheit angeht – der Fokus auf dem Teil der Versöhnung, der nur die beiden Frauen beiwohnen, wird im Bildmedium der Friedensschluss als ein durch Tristrant herbeigeführtes Zugehen von Isalde auf Brangel inszeniert.

Umgekehrt sind es im Text der Prosaauflösung andere Dinge, die besondere Bedeutung erlangen und ohne die die Geschichte nicht erzählt werden könnte, ohne eine Entsprechung im Bild zu haben oder zu benötigen. So verhält es sich etwa mit dem „Hemd“ Brangels, ihrer Unschuld. Wie sie den Auftragsmördern erzählt, „lieh“ Brangel es ihrer Königin, damit verheimlicht werden konnte, dass Isalde nicht mehr Jungfrau ist: Sye [Isalde, Anm. der Verf.] erbat mich mit grosser bete, gelobet mir sovil trew un[d] freuntschafft, das ich ir mein hembd lihe, nur die ainig nacht das sy beye de[m] küng mit eren in de[m] hembt geschlaffen moecht.4 Die Szene des Betrugs an König Marke – und damit auch Brangels Hemd – wird im Holzschnitt nicht aufgegriffen und Nacktheit von weiblichen Figuren wird durchwegs anhand eines entblößten Oberkörpers – und nicht über das Kleidungsstück – greifbar.

Dinge spielen auch eine bedeutende Rolle in den Vorsorgemaßnahmen im Mittelalter, die nicht nur auf die Bewältigung des alltäglichen Lebens, sondern ebenso sehr auf das Sterben, das Schicksal der Seele nach dem Tod und den am Ende des Weltgeschehens zu erwartenden Jüngsten Tag gerichtet waren. Die im Matthäusevangelium überlieferte Parabel Christi von den zehn Jungfrauen handelt davon, zum nicht vorhersagbaren Zeitpunkt vorbereitet zu sein, und sie wurde dementsprechend eschatologisch gelesen: Als der von den zehn Jungfrauen erwartete Bräutigam um Mitternacht eintrifft, haben nur die fünf klugen Jungfrauen noch brennende Lampen und werden daher in den Hochzeitssaal eingelassen. Die fünf törichten Jungfrauen haben ihre Lampen mitgenommen, aber kein zusätzliches Öl. Sie sind daher zum Zeitpunkt der Ankunft bei den Händlern und werden danach nicht mehr eingelassen.

Abb. 4: Lucas Moser, Magdalenenaltar, Predella, 1432. Tiefenbronn, Pfarrkirche St. Maria Magdalena. Foto: Ewald Freiburger, J.S. Klotz Verlagshaus Neulingen.

Lucas Moser hat das Gleichnis 1432 auf der Predella seines Tiefenbronner Altarretabels mit der Legende der Heiligen Maria Magdalena dargestellt (Abb. 4–6). Er folgt dabei einem gängigen Schema, das den Zeitpunkt der Entscheidung zeigt: In Entsprechung zu Darstellungen des Jüngsten Gerichts erscheint Christus, hier als Schmerzensmann, der die zu seiner Rechten angeordneten klugen Jungfrauen segnet, während er die zu seiner Linken befindlichen törichten Jungfrauen abweist. Dass hier trotz des einheitlichen Bildfelds nicht ein einzelner Augenblick gemeint ist, zeigt die Figur von Christus als Schmerzensmann, die mehrere Handlungsmomente und damit auch zeitliche Schichten in sich vereint: Die Gesten, die Christus nach beiden Richtungen ausführt, sind von Spruchbändern begleitet, mit welchen er sich separat an die beiden Gruppen wendet (venite benedicti / nescio vos). Kirchenbesucher*innen des 15. Jahrhunderts wird die Parabel aus Lesungen im Gottesdienst, aus Gebeten und Gesängen, aus ihrem häufigen Vorkommen in geistlichen Schauspielen, vielleicht auch aus anderen bildlichen Darstellungen bekannt gewesen sein.5 Für sie dürfte entsprechend in dem Bild noch weitere erzählte Zeit aus dem Gleichnis enthalten gewesen sein – präsent in den Öllampen der Jungfrauen. Die Lampen auf der rechten Seite brennen nicht mehr, ein physikalischer Prozess von einer gewissen Dauer ist beendet, weil der Brennstoff sichtlich aufgebraucht ist: Eine der Frauen hält ihre Lampe mit der Öffnung schräg nach unten. Eine längere Wartezeit bis zur Ankunft des Bräutigams ist verstrichen, und man hat diese verbracht, ohne in vorausschauender Weise rechtzeitig für neues Öl zu sorgen. Zwei Jungfrauen hantieren einander zugewandt mit Lampen und Dochten, um diese doch nochmals zu entzünden, eine hält ein glühendes Stück Zunder mithilfe einer Zange an den Docht und bläst darauf. Die Szene betont die mangelnde ‚Wachsamkeit‘ und ‚Bereitschaft‘ der Gruppe noch einmal. In den noch brennenden Lampen der klugen Jungfrauen ist hingegen durch das Glas hindurch deutlich das Öl zu erkennen, das von der vorhergehenden vorausschauenden Handlung zeugt, ausreichend Öl mitzunehmen.

Auf der Ebene der Auslegung, die die Betrachter*innen sicher gleichzeitig parat hatten und die ja auch im Bild mit dargestellt wird – in der Substitution des Bräutigams aus der Parabel durch Christus und der Anlehnung an Gerichtsdarstellungen – standen das bereitgehaltene Öl und die leuchtenden Lampen für eine weit längere Zeitspanne als eine halbe Nacht und für eine Palette an Handlungen: für die im Lauf des Lebens verrichteten guten Werke, die Nächstenliebe, die Buße, den Glauben, die Tugenden, mit denen jede*r Gläubige für die Errettung am Jüngsten Tag vorsorgen konnte.

Unabhängig von den Bedeutungen der Lampen ist hier interessant, wie der Maler deren Funktion für die bildliche Erzählung produktiv macht. Lampen erzeugen Licht, das Sicht ermöglicht. Erloschene Lampen resultieren in Finsternis. Moser stellt Licht und Dunkelheit nicht atmosphärisch dar – seine Halbfiguren sind vor einem durchgehenden Goldgrund angeordnet –, sondern tauscht die sonst an dieser Stelle dargestellte verschlossene Tür, vor der die törichten Jungfrauen stehen, gegen eine in die Vertikale gekippte Wolke aus, die, nach rechts hin tief verschattet, eine Mauer der Finsternis bildet. Der von Christus ausgehende Strahlenkranz wird in den brennenden Lampen der klugen Jungfrauen reflektiert, während zu den törichten Jungfrauen kein Lichtstrahl durchdringt. Das Eingelassen- oder Abgewiesenwerden, das in der verbalen Erzählung aus einer problematischen Handlungsabfolge in der Zeit hergeleitet wird – der Abwesenheit (dem Ölkauf) und der darauf folgenden zu späten Rückkehr der törichten Jungfrauen –, wird hier, entwickelt aus den Eigenschaften des Objekts ‚Lampe‘ einerseits sowie des Mediums Bild andererseits, als eine Entscheidung über Sehen oder Nicht-Sehen – Gottesschau oder Verdammnis – geschildert. Bilder erzählen im mimetischen, nicht diegetischen Modus, sie zeigen – damit sind Erzählungen von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit besondere Themen der Bilderzählung.

Die Beiträge und Interviews dieser MEMO-Ausgabe fokussieren und untersuchen Dinge unterschiedlichster Art in zumeist medienübergreifenden Realisierungen von Erzählungen.

Sophie Marshall (Jena), Klaus Speidel (Wien) und Werner Wolf (Graz) haben sich bereit erklärt, uns in Interviews Fragen zur narratologischen Verortung von Dingen, zu narratologischen Modellen, Narrativdefinitionen und zur digitalen Narrativforschung zu beantworten – diese sind im Beitrag Überbordende Gegenstandswelten, zerstörte Objekte und ein erzählendes Schwert zusammengeführt.
Franziska Ascher (München) und Florian Nieser (Heidelberg) gehen in ihrem Beitrag Die Dinge und das Verschwinden der Rolle und Bedeutung von unsichtbaren beziehungsweise unsichtbar machenden Gegenständen in der mittelhochdeutschen Epik – der tarnkappe Siegfrieds, dem helmkeplein und dem Zaubergürtel Laurins sowie dem Gürtel des Wigalois – nach und setzen deren Funktionen intermedial in Relation zu vergleichbaren Objekten und dem Phänomen der Unsichtbarkeit in modernen Computerspielen.
Um Kleidungsstücke geht es auch im Beitrag Als er bedacte die swarzen lîch, dô wart er einem rîter gelîch. Ein Erzählen mit und über Kleidung in Hartmanns von Aue Iwein von Nora Grundtner (Salzburg), der aufzeigt, wie textile Materialien in mittelalterlichen Texten als Kommunikationsmittel und gleichzeitig Ausdruck eines umfassenden Körper-Gesinnungsprogramms fungieren.
Im Beitrag Needful Things. Die Relationen der Dinge in einer Ontologie mittelalterlicher Narrative zeigen die Teammitglieder von ONAMA Peter Hinkelmanns (Salzburg), Miriam Landkammer (Salzburg/Krems), Isabella Nicka (Salzburg/Krems), Manuel Schwembacher (Salzburg) und Katharina Zeppezauer-Wachauer (Salzburg), wie Dinge in der Semantic-Web-Ontologie der Narrative des Mittalters modelliert werden und welche Potentiale deren Analyse für das Verständnis von Narrativen in Bildern und Texten haben kann.
Rostislav Tumanov und Gabriel Viehauser (Stuttgart) diskutieren in Anknüpfungspunkte. Erzählende Dinge im Netz der Graphdatenmodellierung einer digitalen Edition von Giovanni Domenico Tiepolos Bildzyklus Divertimento per li Regazzi einen komplexen, durch modulare Erzähllogik geprägten Zyklus des ausgehenden 18. Jahrhunderts, in welchem erzählende Dinge essentiell für dessen Verständnis sind. Die von den Autoren entwickelte, auf einem Graphdatenmodell beruhende Digitaledition ermöglicht die Darstellung der vielfältigen Sinnpotenziale des Bilderzyklus, da die Blätter nach vielfachen Kriterien immer wieder sortiert und verknüpft werden können.
Die ins Rampenlicht gerückten erzählenden Dinge im Themenheft zeigen eindrücklich die Potentiale, die eine Analyse der Objektwelt für die Erforschung der Narrative des Mittelalters und der frühen Neuzeit hat, aber auch die Notwendigkeit einer Ausweitung des Methodenrepertoires.

Fußnoten

  1. Goldt 2016. Die Bild-Text-Kombinationen dieses Bandes erschienen erstmals im Monatsmagazin „Titanic“.
  2. Goldt 2016, S. 23.
  3. Tristrant und Isalde, Druck von Anton Sorg, Augsburg 1484, Staatsbibliothek zu Berlin / Preußischer Kulturbesitz, Signatur Inc. 138 8°. Das Beispiel ist Teil einer umfassenden Analyse der dargestellten Settings des Frühdrucks in der Dissertation „Prozessierte Objekte? Möbel in den visuellen Medien des Mittelalters“ von Isabella Nicka, die 2021 als Band 3 in der Reihe formate – Forschungen zur Materiellen Kultur erscheint.
  4. Zur Bedeutung des fragilen Kleidungsstücks „Hemd“ als Form der Nacktheit des weiblichen Körpers siehe Feichtenschlager 2016, in Zusammenhang mit der Figur Brangels besonders S. 181–186.
  5. Eine Aufarbeitung von Belegen bietet Körkel-Hinkfoth 1994.

Bibliografie

Martina Feichtenschlager: Entblößung und Verhüllung. Inszenierungen weiblicher Fragilität und Verletzbarkeit in der mittelalterlichen Literatur. Göttingen 2016.
Wird erwähnt in Fußnote: [4]

Max Goldt: Gattin aus Holzabfällen. Mit Text versehene Bilder. 2. Auflage, Berlin 2016.
Wird erwähnt in Fußnote: [1] [2]

Regine Körkel-Hinkfoth: Die Parabel von den klugen und törichten Jungfrauen (Mt. 25,1-13) in der bildenden Kunst und im geistlichen Schauspiel. Frankfurt am Main u.a. 1994.
Wird erwähnt in Fußnote: [5]