Ein Erzählen mit und über Kleidung in Hartmanns von Aue Iwein

Abstract
Im Versroman Iwein, der auf 1200 datiert wird, verzichtet der Dichter Hartmann von Aue auf ausführliche Kleiderbeschreibungen. Dort wo die wenigen Textilien jedoch vorkommen, werden sie von Erzähler wie Figuren mit dem gesellschaftlichen Stand und der Übernahme höfischer Werte verknüpft. Mithilfe von (un-)angemessener Kleidung wird über den Wertekanon von Rittern reflektiert. So kann Kleidung höfische Gesinnung versinnbildlichen, aber gleichzeitig ist es unmöglich, dass ein einfaches Gewand die höfische Herkunft verdeckt. Die Kommunikation mit und über Gewand ist im Versroman Ausdruck eines umfassenden Körper-Gesinnungsprogramms.
Abstract (englisch)
In the verse romance Iwein, which is dated around 1200, the poet Hartmann von Aue does not describe the beautiful gowns of his figures with many words. But the selective textile expressions are used by the narrator and the figures to reflect on social ranks and to link clothing with courtly values. On the basis of clothing a knight can show, that he is part of the court and comply with its rules. Clothing can express the wearer’s attitudes, but at the same time it is impossible to cover courtly origin with simple cloth. In the verse romance, the communication through and with clothes expresses a comprehensive body-attitude-programme.
Inhaltsverzeichnis
Iwein, der Held aus dem gleichnamigen Versroman Hartmanns von Aue aus dem späten 12. Jahrhundert, ist wohl eine der berühmtesten Figuren in der mittelhochdeutschen Literatur. Bekannt ist insbesondere, dass sich der Held im Wahn die Kleider vom Leib reißt und wie ein Wilder im Wald lebt. Die Krise und deren Überwindung markiert eine Zäsur. Der Verlust der Identität geht mit fehlender Kleidung einher, die Reintegration in die höfische Welt erfolgt wiederum (u.a.) über das Anlegen höfischer Kleider.
Kleidung kommt an dieser Stelle der Handlung eine gewichtige Rolle zu. Es wäre nur folgerichtig, wenn sich ausführliche Kleiderbeschreibungen und -erwähnungen durch den gesamten Versroman ziehen. Dass dies aber nicht der Fall ist, wird umso deutlicher, wenn man dem Iwein zeitgenössische deutschsprachige Versromane gegenüberstellt. Während die verslangen Kleiderbeschreibungen in Heinrichs von Veldeke Eneasroman Vorbild für Gottfrieds von Straßburg Tristan, Wolframs Parzival oder auch Hartmanns Erec sind, zeigen sich diesbezüglich kaum Einflüsse auf den Iwein . Darüber hinaus ist der Iwein innerhalb Hartmanns Œuvre jener Text, der die wenigsten Kleiderbegriffe nennt, worauf Gabriele Raudszus und Dietmar Peil hinweisen. Die Schlussfolgerung, der Kleidung komme in diesem Versroman weniger Bedeutung zu, ist daraus aber nicht zu schließen. Vielmehr ist trotz zahlenmäßig geringer Erwähnungen Kleider und deren Materialität im Iwein Gegenstand von Gesprächen, Reflexionen und Argumentationen. Dort, wo Kleiderbeschreibungen vorkommen, ist also anzunehmen, dass Hartmann die Kleiderbeschreibungen durchaus gezielt einsetzte.
Der Vergleich der Kleiderbeschreibungen im Iwein und der französischen Vorlage Yvain von Chrétien de Troyes soll diese Annahme stärken und ein bewusstes Heranziehen von Kleidern und Kleiderbeschreibungen Hartmanns verdeutlichen. Danach werden Möglichkeiten und Grenzen des Sprechens mit und über Kleidung sowohl allgemeiner als auch speziell auf Hartmanns Iwein in den Blick genommen. Anhand von ausgewählten Kleiderepisoden soll veranschaulicht werden, dass Hartmann trotz und gerade wegen der wenigen Kleider(-beschreibungen) ein konsequentes Konzept von Bekleidung verfolgt, dass Kleidung stets im Verhältnis zum Körper und der Gesinnung des Trägers und der Trägerin stellt.
Kleiderbeschreibungen im Iwein und Yvain
Der um 1200 datierte Versroman
Held der Handlung ist der Artusritter Iwein. Iweins Werdegang ist wie der vieler Ritter von Bewährungsproben, âventiuren, geprägt, deren erfolgreiches Absolvieren mit Ankleideszenen, sogenannten Investituren, geprägt sind. Wie sehr Kleidung eine Rolle spielt, zeigt sich insbesondere in der Krise und deren Bewältigung: Am Zenit seiner ritterlichen Laufbahn führt ein Fristversäumnis zum Treuebruch an seiner Frau, Iwein, tief verzweifelt, verlässt die höfische Sphäre, wird wahnsinnig und lebt nackt in der Wildnis. Ein Fräulein findet ihn schlafend, reibt ihn mit einer Zaubersalbe ein und legt neue Kleider zurecht. Als Iwein diese anzieht, fühlt er sich als Ritter. Ein erster Schritt in die höfische Eingliederung ist erfolgt, weitere erfolgreich bewältigte Herausforderungen führen schlussendlich zur Versöhnung mit Laudine, seiner Ehefrau.
Der Vergleich der beiden Texte, Yvain und Iwein, zeigt deutlich, wie unterschiedlich Chrétien und Hartmann mit Kleidererwähnungen und -beschreibungen umgehen. Hartmanns Iwein enthält viel weniger Kleider als die altfranzösische Vorlage. Die wenigen Kleiderbeschreibungen transportieren aber ein klares Konzept, das Kleidung stets in Bezug auf Körper und Gesinnung des Trägers und der Trägerin steht und zugleich die Grenzen dieser Lesbarkeit hervorhebt. Da Hartmann nicht nur Kleiderbeschreibungen Chrétiens weglässt, sondern zusätzliche hinzufügt, die bei Chrétien nicht enthalten sind, kann von einem bewussten Umgang mit Kleidern gesprochen werden. Hinzu kommt, dass bei Hartmann im Unterschied zu Chrétien ein Sprechen über Kleidung stattfindet. Die Figuren sind also nicht allein in (schöne) Gewänder gehüllt, sondern die Kleider werden auf eine Metaebene gehoben, über die u.a. höfische Werte veranschaulicht werden.
Dass Chrétien quantitativ mehr Textilien erwähnt als Hartmann, ist bereits in den ersten Episoden des Versromans ersichtlich. Die Szene, in der Iwein gefangen auf der Burg Laudines verbringt, umfasst bei Chrétien: die Decke auf der Iwein liegt, die Kleidung, die Iwein von Lunete – eine Edeldame und Laudines Vertraute – erhält, Textilien, mit denen die Straßen ausgekleidet sind, um König Artus zu empfangen, und die Beschreibung von Laudines Gewand, als der königliche Besuch erscheint (vgl. Yvain 1038–1042; 1883–1885; 2340–2347; 2359–2364). Bei Hartmann findet sich allein die Beschreibung des Gewandes, das Iwein von Lunete erhält (vgl. Iwein 2191-2199). Dieses Gewand, führt der Erzähler im Iwein aus, gehörte ursprünglich Askalon, dem ersten Mann Laudines, der im Kampf gegen Iwein sein Leben gelassen hat. Im Yvain wird kein früherer Besitzer der Kleidung erwähnt, die Kleider sind ganz im Gegenteil so neu, dass noch der Kreidestaub der Fertigung auf den Kleidern zu sehen ist. Hartmann hingegen führt über die Kleidung den vorbildhaften Lebensweg Askalons aus. Indem Iwein diese Kleider anlegt, schlüpft er in die Hülle des vormaligen Besitzers, die Investitur zum Burgherrn wird hier vorweggenommen. Bereits an diesem Beispiel zeigt sich, wie Hartmann zwar Kleiderszenen Chrétiens übernimmt, diese aber qualitativ verändert, mit neuen Attributen versieht, sodass ein bewusster Umgang mit Kleidung erkennbar ist.
Dabei nennt Hartmann nicht allein Kleider, welche die Figuren anhaben oder überreicht bekommen, sondern lässt Figuren wie Erzähler anhand von Kleidung Inhalte transportieren. Dies zeigt sich insbesondere in jenen Kleiderepisoden, die bei Chrétien nicht erwähnt werden. So warnt Gawein den frisch gebackenen Ehemann Iwein davor, seine ritterlichen Pflichten zu vernachlässigen. Er solle sich vor dem verligen-Schickal Erecs hüten, der aus Liebe zu Enite seinen höfischen Aufgaben nicht nachgekommen sei. Eine Absage an die ritterliche Art gehe mit einem Abschied von ritterlichen Freuden einher – ein Begriff, der von Volker Mertens mit ‚Feste‘ übersetzt wird. Gawein verknüpft in seinen Ausführungen mangelnde Ritterlichkeit mit einem lotterhaften Aussehen und nicht standesgemäßer Bekleidung. Er malt ein abschreckendes Bild vom verlotterten Hausherrn mit strubbligen Haaren, der auf ritterliche Kleider verzichtet und sich stattdessen dick, barschenkelig und barfuß zeigt und warme Kleidung trägt (vgl. Iwein 2813-2821). Die innere Gesinnung, sich von ritterlichen Aufgaben fernzuhalten, wird nach Außen durch unhöfische Attribute und Verhaltensweisen zum Ausdruck gebracht. Analog dazu wird die Zugehörigkeit zur ‚Gruppe’ der Ritter und die Übernahme des Verhaltenscodes über das Aussehen transportiert. Die Abkehr vom Ritterleben führt zu Ehrverlust, auch ein ehrenvolles Wirtschaften scheint ohne die regelmäßige Bestätigung auf Turnieren oder âventiure-Fahrten nicht möglich, wie Gawein meint. Die falsche Gesinnung beeinflusse in der Vorstellung Gaweins das Leben nachhaltig negativ, sodass Standesattribute wegfallen, da man sich diese nicht mehr leisten könne (vgl. Iwein 2824–2870). Das verligen ist für Gawein Ausdruck einer allumfassenden Trägheit, die u.a. über warme Kleidung veranschaulicht wird.
Das Reden über warme Kleider wird noch an einer anderen Stelle des Versromans – im Unterschied zu Chrétiens Yvain – thematisiert. Iwein unterhält sich mit der jungen schönen Tochter des Herrn der Burg zum schlimmen Abenteuer, beide sehnen sich nach Liebe (minne), sie erfreuen sich ihrer Jugend, sprechen vom Sommer und darüber, wie sie ihr Leben gestalten wollen. Das ältere Ehepaar thematisiert hingegen das (gemeinsame) Älterwerden, sie unterhalten sich über den nahenden Winter und wie sie durch Fuchspelzbedeckungen ihren Kopf wärmen können (vgl. Iwein 6524–6541). Über die Erwähnung des Kleidungsstückes, das vor Kälte schützt, wird gezeigt, was Jugend und Alter voneinander trennt. Der Sommer der Jugend bedarf keiner Überlegungen zu praktischen Dingen wie die Haushaltsführung, während im Winter des Lebens, im Alter, dies hingegen sehr wohl eine Rolle spielt.
In den beiden Beispielen warmer Kleidung handelt es sich um Textilien, die in der direkten (bei Gawein) und indirekten (bei den Burgherren) Figurenrede erwähnt werden. Es sind Textilien über die Figuren und der Erzähler etwas zum Ausdruck bringen. Gawein betont u.a. über die Kleidung den unhöfischen Zustand einer Erec-Figur, der Erzähler hingegen, dass sich die älteren Burgherren Gedanken über eine angemessene, nützliche wie vorteilhafte Haushaltsführung machen.
Weder bei Gawein noch beim Burgherrenpaar handelt es sich um Kleider, die die Figuren tragen, sondern es findet ein Sprechen über Kleidung statt. Die Kleider werden metonymisch gebraucht, um höfische Werte zu verdeutlichen. Über die Kleidung, die Materialen sollen anderen Figuren oder den Rezipienten bzw. Rezipientinnen etwas veranschaulicht werden.
Hartmann verknüpft im Iwein Kleidung mit der Teilhabe an und der Abkehr von der höfischen Welt. Trotz weniger Nennungen wird über das Ankleiden und Ablegen von Kleidern die Gesinnung des Trägers zum Ausdruck gebracht und verstärkt darüber hinaus die These, dass Kleidung bei Hartmann kein ornamentales Beiwerk, sondern eine Zeichenfunktion erfüllt.
Die exemplarisch angeführten Textstellen geben Hinweise auf Hartmanns Einsatz des Textilen zur Kommunikation über höfische und insbesondere ritterliche Ideale und fehlen in der altfranzösischen Vorlage. Dabei zeigt sich, dass die Einordnung und Bewertung der Kleider kontextabhängig sind. Die warme Kleidung, über die sich das ältere Ehepaar unterhält, ist Zeichen ihres Alters. Ein Ritter, der sich in seinen Jugendjahren gemütlich kleidet, sich ungepflegt und barfuß zeigt, gilt nach Gaweins Vorstellungen hingegen als unritterlich. Je nach textlichem Rahmen kann ähnliche Kleidung/Materialien ganz Unterschiedliches signalisieren. Dabei zeigt sich die Wichtigkeit des Kontexts. Dass Objekt allein kann nicht unabhängig des Verwendungszusammenhangs und der beteiligten Figuren untersucht werden. Etwas, worauf im nächsten Abschnitt noch ausführlicher eingegangen werden wird.
Möglichkeiten und Grenzen: Kleidung als Kommunikationsmittel in der höfischen Literatur
Kleidung ist in der höfischen Literatur
Das bedeutet, jeder Gegenstand verfügt neben seiner denotativen Aussagekraft noch über eine „konnotative Metasprache“. Diese Metaebene zeigt, wie Entitäten Wert beigemessen wird, der von der Gesellschaft definiert ist. Da gewisse Materialien aufwendiger herzustellen, seltener und daher kostbarer waren, zeigt das Tragen, was sich der oder die Besitzende zu leisten imstande war. Mit Kleidung wird kommuniziert und das gleich auf mehreren Ebenen.
Kleider können auf einen bestimmten gesellschaftlichen Stand und/oder eine bestimmte Tätigkeit verweisen. So sind etwa Pilger und Mönche nicht zuletzt über schlichte Kleider gekennzeichnet. In der Literatur kann die Nennung von Kleidern bereits ausreichen, um eine bestimmte Gruppe oder bestimmte Situationen vor Augen zu führen. Dies lässt sich anhand der Repräsentation höfischer Kultur nachvollziehen. Höfische Feste, so Andreas Kraß, werden mit spezifischen Dingen und Materialien verknüpft, sodass es zu einer formelhaften Verkürzung nach Roland Barthes‘ vestimentären Codes kommt: „Kleid + Seide = Hoffest“. In Bezug auf die Literatur lässt sich daraus folgende Formel ableiten: Kleid + Seide = Hof. Die höfische Lebenswelt ist durch die Erwähnung von spezifischen Entitäten präsent, gleichzeitig kommt es innerhalb des Zeichensystems ‚Text’ zu einer begrifflichen Chiffrierung. Mithilfe von (materiellen) Schlagwörtern wird dem Rezipienten oder der Rezipientin mitgeteilt, dass von höfischen Akteuren die Rede ist. Das kann über Materialien wie Seide, Hermelin oder Scharlachtuch erfolgen oder über zusätzliche Informationen, dass etwa ein Kleidungsstück nach französischer Art angefertigt ist. Auch Herkunftsbezeichnungen, wie Gent oder Brügge, stehen für besondere Qualitäten. Das bedeutet, ein einziger Kleidungsbegriff im Text kann bereits die höfische Welt vor Augen führen.
Das Gewand ermöglicht dabei sowohl einen Blick nach außen wie innen. Das Gewand kommuniziert nach Außen, es ist die Hülle, mit welcher der Träger bzw. die Trägerin gezeichnet wird. Darüber hinaus liegt das Gewand am Körper und steht so in einem Naheverhältnis zu den Figuren und kann nicht unabhängig von diesen untersucht werden. Denn in der höfischen Erzählliteratur sind idealerweise Körper wie Kleidung schön, strahlen einen Glanz aus, der die höfische Gesinnung des Trägers oder der Trägerin symbolisiert.
Ein schönes Äußeres, des Körpers und der Kleidung, verweist dabei im besten Fall auf ein schönes Wesen. Die Kleidung hat hier eine doppelte Zeichenfunktion, da sie sowohl den sozialen Status als auch die innere Gesinnung zum Ausdruck bringen kann.Schöne Kleidung als Bild für den Charakter des Trägers oder der Trägerin ist keine Besonderheit des Hochmittelalters, sondern zeigt sich beispielsweise im AltenGal 3,26–28), für die Übernahme christlicher Werte (Kol 3,9–14) und für das Kleid der Auferstehung (Offb 3,5) verwendet.
So wie Paulus die Christen im Kolosserbrief auffordert, sich „mit innigem Erbarmen, Güte, Demut, Milde, Geduld“ (Kol 3,12) zu kleiden, ist die Kleidung eines Ritters Ausdruck seiner tugendhaften Gesinnung. Das Tragen spezifischer Kleidung, das die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe verdeutlicht, geht, etwas verkürzt formuliert, mit der Zustimmung der Übernahme des jeweiligen Verhaltenscodex einher. Hier lässt sich ein weiterer vestimentärer Code für die höfische Literatur aufstellen: Schönheit des Körpers + (Schönheit der Kleidung) + höfische Gesinnung = Höfische Figur. Die Kleidung in Klammern verdeutlicht, dass es unter Umständen zu einer Schieflage kommen kann, wenn Kleidung und Körper nicht im Einklang stehen, also inkongruent sind. So wie es möglich ist, dass eine Figur schlichter gekleidet ist, als angemessen wäre, kann jemand schöner gekleidet sein, als es seinem Wesen entspricht.
Ein wichtiger Faktor für das Verständnis des Zeichensystems Kleidung ist die Berücksichtigung des jeweiligen Kontextes. Denn Kleidung kann abhängig vom textlichen Rahmen eine spezifische Bedeutung zukommen. Das zeigt Kraß, indem er die Nennung von Seidengewändern in klerikalen Texten mit der Erwähnung in Chroniken und höfischer Erzählliteratur kontrastiert. Während die Seidenkleider im geistlichen Kontext vielerorts allein für den Gottesdienst vorgesehen sind und in allen anderen Bereichen Ausdruck von Hoffart sind, wird in der profanen Literatur ab dem 12. Jahrhundert der Prunk hervorgehoben, da die Kostbarkeiten unter anderem Zeichen edler Gesinnung sind. Kleider können also aus demselben Material, aber mit grundsätzlich verschiedenen Konnotationen behaftet sein, wie die unterschiedliche Verwendung warmer Kleider in den beiden Gesprächen, zwischen Gawein und Iwein und zwischen dem älteren Paar auf der Burg zum schlimmen Abenteuer, verdeutlichen.
Ein verkürztes Bild wird jedoch gezeichnet, wenn textile Materialien innerhalb eines Textes oder einer Textepisode losgelöst vom inhaltlichen wie kulturellen Rahmen erforscht werden. Wie verschieden das Verständnis einer Textstelle sein kann, wenn die mittelhochdeutschen Textilbegriffe divers ausgelegt werden, zeigt eine Gegenüberstellung der Analysen von Kraß und Raudszus. In Hartmanns von Aue Iwein erhält der Held nach einer Krise, die ihn von der höfischen Gesellschaft weit entfernt hat, neue Kleider:
vrischiu kleider, seit von gran
unde cleiner lînwæte, zwei,
schuohe unde hosen von sei.
(Iwein 3454–3452)
[…] zwei neue Gewänder, aus rotem Wollstoff
und aus feinem Leinen, [.]
sowie Schuhe und Strümpfe aus Wolle.
Die Materialien dieser Textstelle sind lînwæte, Leinengewand, seit und sei. Was sich hinter den Materialien, sei und seit, verbirgt, die erstmals im Iwein belegt sind, darüber sind sich Raudszus und Kraß uneinig.
Raudszus versteht darunter Folgendes: „Seit bezeichnet ein grobes, aus Ziegenhaaren gewirktes Tuch, das gewöhnlich purpurn gefärbt wurde, sei dagegen ein feines Wollgewebe, das man wegen seiner Anschmiegsamkeit gern für Hosen, aber auch für Schuhe verwandte.“ Raudszus schließt daraus, dass es sich bei der Kleidung nicht um höfische sondern um Sonntagskleider von Bauern handelt und somit Iwein noch kein vollständiges Mitglied der höfischen Gesellschaft sei. Kraß hingegen übersetzt die Kleidungsstücke als „scharlachroten Wollmantel“ und „feinwollene Beinlinge“ und folgert: „als er [Iwein, Anm. N. G.] aber die edlen Kleider vorfindet, nimmt er sie in Besitz, legt sie an und sieht sich in seiner ritterlichen Identität wiederhergestellt […]“. Während Iwein für Raudszus aufgrund seiner Kleidung ein Zwischenstadium zwischen Wildsein und Höfischsein erreicht hat, sind es für Kraß „edle[.] Kleider“, über die sich Iwein nach der Einkleidung für einen vollständigen Ritter hält. Iwein wird u.a. „durch die Einkleidung ein neuer Mensch“ .Textnähe ist erforderlich, wenn Kleider- und Materialaspekte genauer beleuchtet werden. So kann nicht allein ein Material in Augenschein genommen werden, wenn weitere erwähnt werden. Darüber hinaus sollte in die Analyse nicht nur der Bezug zum Träger/zurTrägerin einfließen, sondern auch die Herkunft der Kleider. Iweins neue Kleider stammen von der Dame von Narison, welche sie dem Fräulein gemeinsam mit der kostbaren Heilsalbe mitgibt. Zusätzlich sind die Kleider mit dem Adjektiv vrisch versehen, was auf neue bzw. ungetragene höfische Kleidung hinweist.
Das Beispiel der Kleider der Dame von Narison führt mögliche Schwierigkeit des materiellen Verständnisses vor Augen. Um eine einseitige Analyse zu vermeiden, helfen einerseits präzise Übersetzungen und die Berücksichtigung des textlichen wie kulturellen Zusammenhangs. Nicht jedes Kleidungsstück muss Träger von Bedeutung sein, dennoch ist es möglich, dass selbst winzige Details bedeutungsschwer sind. Daher ist es erforderlich, dass die Verwendung wie das Sprechen über das Material im Kontext berücksichtigt werden.
Die Bedeutsamkeit von Kleidung kann in Hartmanns von Aue Iwein an einer Verknüpfung von materieller und symbolischer Ebene beobachtet werden: Ein feines Äußeres wird mit einem schönen Inneren, geringe Kleider mit Unhöfischem in Verbindung gebracht. Dies wird in der Figurenrede Iweins und Gaweins deutlich. Gleichzeitig werden Grenzen dieser Sichtweise aufgezeigt. Einerseits reicht eine schöne Hülle allein nicht aus, um Teil der höfischen Sphäre zu sein, andererseits muss ein einfaches Gewand nicht zwingend Schlichtes bedecken.
Erzählen mit und über Kleidung
Schöner Körper im schönen Gewand
Iwein verfügt nach dem ersten Drittel des Versromans über alles, was sich ein Ritter wünschen kann: Er hat eine wunderschöne Frau und über ein Jahr Erfolge auf seinen âventiure-Fahrten gesammelt, sodass es weit und breit, mit Ausnahme von Gawein, keinen anderen ähnlich erfolgreichen Ritter gibt. Die Mitteilung Lunetes, die ihn vor der versammelten Artusgemeinschaft entehrt und das Fristversäumnis und damit den Treuebruch an seiner Frau offenbart, führt zu Iweins Wahnsinn und Flucht in den Wald, wo er nackt als Wilder lebt.
So außerordentlich ritterlich Iwein zuvor seine Tapferkeit unter Beweis gestellt hat, so außerordentlich unhöfisch ist Iwein nun. Wie die Waldmann-Figur zu Beginn des Versromans wird auch Iwein schwarz wie ein môre und als grauenerweckend beschrieben (Iwein 427; 3348; vgl. Iwein 3307f; 980;). Den dunklen Körper Iweins betrachtet Silke Winst als Kontrast zum höfischen weißen Körper, der oftmals über den Umweg der Kleidung zum Ausdruck gebracht wird. Im Unterschied zu Iwein, der sich völlig nackt im Wald aufhält, ist der Waldmensch, dem Kalogreant und Iwein zu Beginn des Versromans begegnen, zumindest mit Tierhäuten bedeckt (vgl. Iwein 3236; 465–468). Ob diese Figur zivilisierter als der wahnsinnige Iwein ist, da diese sprechen kann und über wilde Tiere herrscht, könnte diskutiert werden. Dass es sich bei dem Waldmann um keine höfische Figur handelt, zeigt sich spätestens, als er mit dem Begriff âventiure nichts anzufangen weiß (vgl. Iwein 527).
Iwein ist in seinem Wahn weit davon entfernt, um Ehre zu kämpfen. Er ist völlig unbekleidet, ein Zustand, der im höfischen Roman nur, so Friedrich Wolfzettel, im Wahn ‚entstehen’ könne.
Er handelt zwar wie ein Narr, aber aufgrund seiner Herkunft und seiner Taten bleibt er ein edel tôre (Iwein 3347). Iweins höfische Herkunft und Gesinnung sind nun weder an der Kleidung noch am Körper ablesbar, wodurch außerdem die Feststellung der Identität erschwert wird. Das Fräulein erkennt Iwein, dessen Verschwinden weithin bekannt ist, dennoch, und zwar an seiner Narbe. Sie meint zu seiner Herkunft, als sie ihn schlafend auffindet: von bezzern zühten wart geborn/ nie rîter dehein (Nie stammte ein Ritter aus besserer Familie […]. Iwein 3400f.). Obwohl Iwein seine eigene Abstammung unbekannt ist, meint er, als er durch die Zaubersalbe des Fräuleins erwacht:
zwâre doch versihe ich mich,
swie swarz ein gebûr ich sî,
wær ich noch rîterschefte bî,
wær ich gewâfent unde geriten,
ich kunde nâch rîterlîchen siten
als wol gebâren
sô die ie rîter wâren.
(Iwein 3556–3562)
Und dennoch glaube ich,
obwohl ich ein schmutziger Bauer bin,
wäre ich aber beim Turnier,
gerüstet und zu Pferd,
so wüßte ich mich nach Ritters Art
ebenso gut zu bewähren
wie die geborenen Ritter.
Iwein schließt aufgrund seines Aussehens, das ihn an einen Bauern denken lässt,
dass das, woran er sich erinnere, ein Traum gewesen sein müsste, nicht wahr sein könne. Denn Körper und Gesinnung stehen nicht im Einklang, außerdem fehlen nicht zuletzt Kleider. Die Nacktheit hebelt die soziale Distinktion auf, was nicht nur für die Beobachter und Beobachterinnen gilt, sondern auch für die Figur selbst. Der Held wird erst durch die Kleidung zur gesellschaftlichen Person und zum Individuum. Und dennoch ist er der Auffassung, wenn er nur die nötige Ausrüstung hätte, könnte er sich wie ein höfischer Ritter verhalten. Die Diskrepanz zwischen höfischer Gesinnung und außerhöfischem/r Körper und Kleidung wird von Iwein hervorgehoben:mîn herze ist dem lîbe ungelîch:
mîn lîp ist arm, daz herze rîch.
(Iwein 3575f.)
Mein Herz gleicht nicht meiner Erscheinung:
mein Leib ist niedrig, mein Herz von Adel.
Iwein findet, als er aus seinem Wahnzustand erwacht, neue Kleider neben sich. In einem Monolog beginnt er diese mit jenen, die er in seiner Erinnerung trug, zu vergleichen und mit seinem früheren Leben in Beziehung zu setzen.
Diese Ausführung ist eine Erweiterung Hartmanns. Bei Chrétien schämt sich Yvain nackt zu sein. Er macht sich Sorgen, dass ihn jemand in dieser Aufmachung – nackt wie Elfenbein – vorgefunden haben könnte und zieht sich rasch an (vgl. Yvain 3020–3032). Chrétien betont mehrmals Yvains Nacktheit, dessen Körper im Gegensatz zum Iwein hell und weiß bleibt. Der Erzähler des Iwein kommentiert das Anlegen der Kleider in Bezug auf dessen Körperfarbe mit folgenden Worten:Als er bedacte die swarzen lîch,
dô wart er einem rîter gelîch.
(Iwein 3595f.)
Als er den schwarzen Körper bedeckt hatte,
sah er wie ein Ritter aus.
Als Iwein die neuen Kleider neben sich liegen sieht, überlegt er, ob diese ihm ähnlich gut stünden, wie jene, die er im Traum trug. Er zieht die Kleider kurzerhand an, wodurch er auf den ersten Blick wie ein Ritter aussieht.
Jenes Gewand, das Iwein nach seinem Wahnzustand anzieht, ist aus Leinen, sei und seit gefertigt. Die letzteren Materialien sind in der höfischen Literatur weniger weit verbreitet und werden, wie bereits ausgeführt, in der Forschungsliteratur unterschiedlich gedeutet. Brüggen meint, es handele sich bei sei(n) um feine Wollqualitäten, aus denen insbesondere Beinkleider gefertigt wurden, so auch im Iwein. Die Beschreibungen in anderen mittelhochdeutschen Texten verdeutlichen, dass es sich um ein qualitätsvolles Material handelt.
Der zweite Begriff, seit, bezeichnet nach dem mittelhochdeutschen Wörterbuch Matthias Lexer ebenfalls einen leichten Wollstoff, Brüggen erwähnt Ausführungen Alwin Schultz‘, der damit ein Ziegenhaargewebe bezeichnet. Dass es sich um ein einfaches Gewand handelt, ist aufgrund des Zusatzes von gran unwahrscheinlich. Denn gran bezeichnet einen scharlachroten Farbstoff, der von einer Schildlaus gewonnen wurde, und zu den teuersten Farbstoffen des Hochmittelalters zählt. Wieso sollte man einen einfachen Stoff mit kostbaren Färbemitteln färben? Auch die Vorlage legt einen edlen Stoff nahe. Denn bei Chrétien ist ein Seidenkleid mit diesem Farbstoff gefärbt: Robe veire, cote et mantel/ Li fet porter de soie an grainne. (Yvain 2974f; Ein pelzgefüttertes Kleid, Wams und Mantel aus scharlachfarbener Seide gibt sie [die Dame von Narison] ihr [dem Fräulein, Anm. N. G.] mit.).
Raudszus ist zuzustimmen, dass es sich bei den erwähnten Stoffen nicht um die kostbarsten handelt, mit der die höfische Literaturwelt aufwarten konnte. Auch in dieser Sphäre gibt es bessere und schlichtere Qualitäten. So könnte Iwein mit Gold applizierte Seidenstoffe vorfinden oder eine von Salamandern im Feuer gewebte Fantasieseide, wie sie in Wolframs Parzival erwähnt wird (vgl. Parzival 735,23–27). Iwein bezeichnet die Kleider als rîch gewant (Iwein 3593), was von Raudszus als Missdeutung der Qualität verstanden wird, da ihm beispielsweise von Lunete viel kostbarere Kleidung überreicht worden sei. Doch da Iwein die Kleider auf seinen ‚Rittertraum‘, sein früheres Ritterleben bezieht, ist davon auszugehen, dass es sich um durchaus höfische Kleider handelt (vgl. Iwein 3587f.).
Ein Vergleich der Kleidungsqualitäten von sei(n) bzw. seit mit anderen textilen Materialien im Versroman ist nur unzureichend möglich, da es sich dabei um die einzigen Oberkleider handelt, die explizit im Iwein erwähnt werden. Alle anderen Kleider sind entweder Unterkleider oder Mäntel. Von Lunete bekommt Iwein drei Pelze. Vermutlich handelt es sich um ein Überkleid aus drei verschiedenen Futterpelzen (vgl. Iwein 2191–2199). Ein Leinenuntergewand und ein mit Hermelin gefütterter Samitmantel werden Iwein auf der Burg, wo er gegen zwei Riesen kämpft, überreicht. Ein Oberkleid erhält er an diesem lauen Sommerabend nicht (vgl. Iwein 6482–6489). Ob es sich also bei Iweins Bewertung der Kleidungsstücke um eine verzerrte Wahrnehmung des Helden handelt, wie Raudszus nahelegt, lässt sich nicht so einfach festmachen bzw. widerlegen.
Überzeugend und nachvollziehbar erscheint die Analyse, dass Iwein durch das Anlegen der Kleidung ein erster Schritt in die Wiedererrichtung seines sozialen Standes gelungen ist, diese Eingliederung aber stufenweise erfolgt und durch die Kleidung allein nicht abgeschlossen ist. Dies ist offensichtlich, denn Spuren seiner Wildheit sind durch das Verdecken des Körpers durch Kleidung allein nicht getilgt. Erst als der geschwächte Ritter gebadet, genährt und gestärkt ist, kann er sich als Ritter bewähren (vgl. Iwein 3648–3650; 3695–3697). Nach den ersten ritterlichen Erfolgen würde, von außen betrachtet, nichts gegen eine völlige und gelungene Reintegration in die höfische Welt sprechen, aber Iwein hat sich selbst ein höheres Ziel gesetzt. Eine völlige Wiederherstellung seiner Person erfolge für ihn erst dann, wenn Laudine ihm verzeiht habe; der Weg zu sich selbst führt über die Dame (vgl. Iwein 5496–5501; 7780–7789). Daher tritt er nach der Krise vorwiegend als der Ritter mit dem Löwen in Erscheinung. Diesen Namen legt er erst am Ende des Versromans wieder ab, als er zum zweiten Mal Herrscher an Laudines Seite wird (vgl. Iwein 4741; 8074).
Symbolisch tritt Iwein dieses Erbe bereits zu Beginn des Versromans an, als er Askalons Kleider anlegt, was als (Herrscher-)Investitur gesehen werden kann. Anhand von Askalons Kleider wird ausgeführt, dass der ursprüngliche Besitzer stets eine Balance zwischen Körperpflege und Gesinnung aufrechterhielt:
wan des was der wirt zaller stunt
gewarnt als ein hövsch man
der wol des lîbes pflegen kan
unde des ouch guote state hât:
(Iwein 2194–2197)
[…] denn damit war der Hausherr immer versehen gewesen
wie ein höfischer Mensch,
er weiß, was man anzieht,
und dazu auch die Mittel besitzt.
Der ehemalige Quellenhüter sorgte sich um sein Äußeres und betonte dadurch seinen Stand. Darüber hinaus verteidigte er bis auf den letzten Kampf erfolgreich die Quelle und war nach Aussprüchen seiner Frau der beste Ritter, der je geboren war (vgl. Iwein 1454–1459). Iwein, der Askalon im Kampf besiegt, behauptet sich als vortrefflicher Ritter und ist geeignet, in dessen ‚Fußstapfen‘ zu treten, was durch das Anlegen der Kleidung symbolisiert wird.
Askalons Kleider, die Iwein anzieht, zeigen Iweins ritterliche Überlegenheit. Dass er trotz dieser Investitur (noch) nicht über alle Rittertugenden verfügt, wird durch Iweins Fristverfehlung deutlich. Die Inkongruenz von ritterlichem Auftritt und Verfehlung beendet Iwein in seinem Wahn, indem er alle Kleider ablegt. Dass die Wiedereinkleidung allein keinen vollständigen Ritter ausmacht, zeigt Iwein, indem er seine Identität erst dann wiederhergestellt sieht, als er sich mit Laudine versöhnt. Hartmann verdeutlicht sowohl über die Kleidung Askalons wie über jene der Dame von Narison, dass höfische Kleidung allein nicht ausreicht, um einem höfischen Ideal von Kleid – Körper – Gesinnung zu entsprechen. Gleichzeitig kann ein schlichtes Gewand niemals die höfische Gesinnung verdecken, was sich insbesondere anhand von Frauenkleidern zeigen lässt. Denn, während die Ritter im Iwein durchaus mit schönen Kleidern versehen sind, werden höfische Frauenkleider mit keiner Silbe erwähnt. Kleidung wird nur dann in den Vordergrund gerückt, wenn ein Missverhältnis zwischen höfischer Herkunft und ärmlichem Gewand besteht.Schöner Körper im schlichten Gewand
Die erste Erwähnung von Frauenkleidung erfolgt beim Auftritt Laudines. Diese trauert um ihren verstorbenen Mann, zerrauft dabei ihre Haare und zerreißt ihre Kleider derart, dass ihr Körper darunter zum Vorschein kommt (vgl. Iwein 1310; 1327–1331). Das Verhalten Laudines, das Sichtbarmachen ihrer Haut, führt dazu, dass Iwein sich verliebt und es ihn schmerzt, wie sie ihrem schönen Körper so zusetzt. Die teilweise Enthüllung Laudines lege, so Barbara Haupt, Iweins erotische Wünsche offen.
Rein auf Mitgefühl zielt hingegen die Darstellung Lunetes im Hemd ab. Diese soll zu Unrecht zum Tode verurteilt werden (vgl. Iwein 5151–5154). Lunete wurden alle Kleider abgenommen, lediglich das Hemd trägt sie noch. Von ihrem Körper, der dadurch erkennbar wird, ist keine Rede, sodass Lunetes Anblick allein Mitleid erwecken soll.
Werden die schönen Damen in Hartmanns Iwein in den Blick genommen, so wird deutlich, dass der Dichter sich kaum an Schönheitsbekundungen seiner Zeit orientiert. Anhand vieler Beispiele hochmittelalterlicher Texte zeigt Barbara Haupt, wie die Lobpreisung von (weiblicher) Schönheit mit der Ausführung schöner Kleidung einhergeht. Neben einer Beschreibung des Körpers von Kopf bis Fuß soll die Kleidung die Schönheit unterstreichen, aber nicht verhüllen. Die schönen Frauen in Hartmanns Iwein rücken kaum durch schöne Gewänder und ihren schönen Körper ins Zentrum. Die meisten Frauen werden – ohne detaillierter auf das Äußere einzugehen – als tugendhaft und schön geschildert (vgl. Iwein 316; 1153). In keiner Beschreibung anmutiger Damen werden die Kleider oder Stoffe erwähnt. Weshalb hat Hartmann darauf verzichtet? Bei Chrétien kommen diese, wenn auch nicht häufig, durchaus vor. So tritt Yvains zukünftige Ehefrau dem Gefolge König Artus‘ in einem herrschaftlichen Gewand aus Hermelin entgegen (vgl. Yvain 2359–2364). Lunete und andere Damen werden in Mänteln und weiteren schönen Kleidern geschildert (vgl. Yvain 2711–2715; 3966–3970; 4737–4739). Hartmann hat nur die Darstellung der trauernden Laudine, der Hemd tragenden Lunete und der ärmlich gekleideten Textilarbeiterinnen von Chrétien übernommen.
Dennoch schwärmen im Iwein Erzähler wie Figuren von außergewöhnlich attraktiven Frauen: Kalogreant wird die Rüstung vom bezauberndsten Mädchen abgenommen (vgl. Iwein 315f.); Laudine ist die schönste Frau, die Iwein je gesehen hat (vgl. Iwein 1307–1309) und die Tochter des Burgehepaares ist so liebreizend, dass sie selbst einen Engel verleitet hätte, sich vom Himmel abzuwenden (vgl. Iwein 6500–6503). Diese wird mit Worten gelobt, die auch auf andere Frauen des Versromans übertragbar und bezeichnend für das Frauenideal im Versroman sind:
ez ist reht daz man sie krœne
diu zuht unde schœne,
hôhe geburt unde jugent,
gewizzen unde ganze tugent,
kiusche unde wîse rede hât
daz was an ir, unde gar der rât
des der wunsch an wîbe gert.
(Iwein 6463–6469)
Aus gutem Grund erkennt man den höchsten Preis der zu,
die Bildung und Schönheit,
adlige Abkunft und Jugend,
Verständigkeit und edle Tugend,
Zurückhaltung und Beredsamkeit vereint.
Das besaß sie und überhaupt alles,
was man sich bei einer Frau wünscht.
Im Iwein ist Kleidung in Bezug auf die weiblichen Trägerinnen zweitranging. Weder Körper noch Kleidung der Frauen werden explizit erwähnt, wenn sie den höfischen Vorstellungen entsprechen. Der Liebreiz der Protagonistinnen wird dem Publikum durch die Erwähnung abstrakter Tugenden und die Schönheitspreisung präsentiert. Kleidung wird erst dann thematisiert, wenn es zu einer Schieflage von höfischem Stand und Kleidung bzw. Körper kommt, um darzulegen, dass dadurch der Schönheit höfischer Herkunft und Tugendhaftigkeit kein Abbruch getan werden kann. Damit wird ein Bild höfischer Weiblichkeit gezeichnet, das nicht durch schlichte und zerrissene Kleidung verdeckt werden kann. Der Erzähler zeigt, dass höfische Frauen selbst durch einfach(st)e Kleidung nichts von ihrer Tugend und (inneren) Schönheit verlieren, wenn sie in bescheidener Aufmachung erscheinen. Denn die Damen in Hartmanns Iwein sind, wenn deren Gewand thematisiert wird, mit Materialien gekleidet, die im Kontrast zur höfischen Stellung der Damen stehen. Das Fehlen von höfischen Frauenkleidern im Iwein erklärt Raudszus mit Hartmanns immanenter Kleiderkritik, wie sie im Erec angeführt ist.
man sol einem wîbe
kiesen bî dem lîbe
ob si ze lobe stât
unde niht bî der wât.
(Erec 646–649)
Man soll eine Frau
nicht nach der Kleidung beurteilen,
ob sie zu loben sei,
sondern nach ihr selbst/ihrer Gestalt.
Was im Erec explizit geäußert wird, wird im Iwein implizit veranschaulicht.
Nicht standesgemäß kann Kleidung in zweierlei Hinsicht sein. Entweder ist diese unvollständige oder von minderer Qualität. Einfache Kleider, die etwa aus grobem Sackleinen hergestellt und dazu noch dreckig sind, tragen die Gefangenen des Riesen Harpins. Jene Kleider, die ihrem Stand angemessen wären, wurden ihnen abgenommen. Stattdessen haben die Gefangenen die bœsten, also wertlosesten, Hemden an, die je ein Küchenknecht trug (Iwein 4920–23). Wie Materialität und Form Ausdruck des sozialen Standes sind, zeigt sich in dieser Beschreibung. An den Textilhandwerkerinnen wird darüber hinaus deutlich, wie die Schönheit der Abstammung selbst durch Kleidung, die sonst nur arme Frauen oder Bettlerinnen tragen, nicht verdeckt werden kann (vgl. Iwein 6403).
Die Kleidung Laudines und das Hemd Lunetes sind jedoch nicht von ausdrücklich geringer Qualität, sondern unvollständig oder mangelhaft. Lunete ist allein mit einem Hemd, dem Unterkleid bedeckt, eine Ober- und Überkleidung trägt sie nicht. Lunete fehlt es an weiteren Kleidungsstücken, um sie als gesellschaftlich angemessen bekleidet, bezeichnen zu können. Laudines Kleidung hingegen ist zerrissen, ihr nackter Körper, der an manchen Stellen zum Vorschein kommt, nicht gänzlich bedeckt.
Der vestimentäre Code, dass prächtige Kleidung an einem schönen Körper in der Literatur Ausdruck der höfischen Welt ist, kann an den weiblichen Protagonistinnen nicht in gleicher Weise wie für die Ritter nachvollzogen werden. Die Frauen werden zwar als schön beschrieben, deren Tugendhaftigkeit wird gelobt, aber höfische Kleidung, die sich durch kostbare Materialien, besondere Herkunft oder auffallenden Schnitt auszeichnen, spielen bei den weiblichen Figuren keine Rolle. Dass auch die Schönheit höfischer Herkunft eines Ritters nicht durch ein unhöfisches Auftreten verdeckt wird, legt Iweins Monolog nahe. Sein Körper sieht nicht ritterlich aus, dennoch meint er, ritterlich kämpfen zu können, wenn er nur über die nötige Ausrüstung verfügen würde. Das, was die Damen trotz schlichter Kleidung nach Außen kommunizieren, nämlich Teil des Hofes zu sein, fühlt Iwein, obwohl er nackt und verwildert aussieht. Hier bringt Hartmann von Aue anhand des Erwähnens von und des Sprechens über Kleidung ein Konzept höfischer Etikette im Artusroman zum Ausdruck. Dieses stellt nicht nur einen Zusammenhang zwischen Körper, Tugendhaftigkeit und Kleidung her, sondern die höfische Gesinnung über den Körper und die Kleidung. Die Inkongruenz zwischen Körper und Kleidung lässt die höfische Gesinnung nicht so schnell verblassen.
Resümee
Obwohl Hartmanns von Aue Iwein im Vergleich zu Versromanen seiner Zeitgenossen kaum Kleiderbeschreibungen enthält, sind diese keineswegs nebensächlich, sondern zeugen von einem bewussten Umgang mit dem Textilen. Das lässt sich im Vergleich mit der altfranzösischen Vorlage Yvain nachvollziehen. Hartmann übernimmt Kleider Chrétiens, erweitert manche Kleiderbeschreibungen, lässt andere Kleider weg und fügt weitere Textstellen hinzu. Auffallend ist dabei, wie Hartmann in der Erzählerrede aber auch in der direkten Rede der Figuren Kleider heranzieht und damit höfische Werte transportiert und argumentiert. Dabei zeigt sich, wie Hartmann ein konsequentes Körper-Kleid-Gesinnungs-Konzept verfolgt, dass die Kommunikationsfunktion von Kleidung hervorhebt, aber zugleich auch einschränkt. Kleidung kann auch in Hartmanns Iwein Ausdruck des Höfischen bzw. Nicht-Höfischen sein. Das legt Hartmann anhand Askalons Kleidern und Gawans Warnung dar. Der Erzähler berichtet, dass Askalon stets auf ein höfisches Auftreten bedacht war, was sich u.a. an seinen Kleidern ablesen lässt. Im Gegensatz dazu zeichnet Gawein ein Bild von einem Mann, der dem Ritterleben den Rücken kehrt, somit keine Ehre gewinnen kann, wie das verlotterte Äußere, die nicht standesgemäße Kleidung demonstrieren. Dabei ist Gewand stets nur ein Aspekt, über den die höfische Welt transportiert werden kann. Kleidung allein kann diese aber weder ausdrücken noch verdecken. So fühlt sich Iwein als er nach seinem Wahnsinn Kleider anlegt, wie ein Ritter, obwohl die Kleider lediglich seinen schwarzen Körper bedecken. Dennoch ist auch Iweins Selbsteinschätzung zu kurzsichtig, denn dieser legt erst nach einem längeren Genesungsaufenthalt auf der Burg der Dame von Narison seine wilde varwe ab. Iweins höfische Wiedereingliederung erfolgt also nicht einfach über das Anziehen von höfischen Kleidern. Gleichzeitig kann höfische Gesinnung im Versroman Iwein nicht durch Kleidung verdeckt werden. Das verdeutlichen die Darstellungen der unhöfisch gekleideten Frauen, deren höfische Herkunft selbst durch ärmliches oder unvollständiges Kleid schimmert. Während die Männer durchaus über das Tragen schöner Gewänder charakterisiert werden, wird die Schönheit der Damen nicht über die Erwähnung von Körperattributen noch Kleidung sichtbar.
Anhand der Ausführungen konnte gezeigt werden, dass Hartmann Kleider sehr bewusst, als Ausdruck von (un-)höfischen Werten heranzieht. Darüber hinaus findet immer wieder ein Sprechen über Kleidung statt, Kleidung wird auf eine Metaebene gehoben, um nicht zuletzt höfische Vorstellungen und Ideale zu veranschaulichen. Gleichzeitig werden dabei auch Grenzen der Zeichenfunktion von Kleidung aufzeigt.
Zweikampf zwischen Iwein und Ascalon, Anfang 13. Jh., Burg Rodneck, Südtirol
online unter REALonline 7005772