Ein Gespräch mit Gerhard Jaritz
Abstract
In welchem Umfeld kann sich ein junges, in einer Kleinstadt beheimatetes Forschungsinstitut etablieren, wie kann es international Fuß fassen und wie seine Schwerpunkte zu einem Alleinstellungsmerkmal innerhalb der Forschungslandschaft ausbauen? Gerhard Jaritz erzählt im Interview mit Ingrid Matschinegg über die Internationalisierungsaktivitäten des Instituts für Realienkunde in den 1970er und 1980er Jahren. Gerhard Jaritz war als Historiker von 1973 – 2014 am Institut für Realienkunde tätig; er ist Professor für Medieval Studies an der Central European University (Budapest/Wien).
Abstract (englisch)
In what environment can a young research institute located in a small town establish itself, how can it become an international player and how can it develop its focal points into a USP within the research landscape? In the interview with Ingrid Matschinegg, Gerhard Jaritz talks about the Institute’s internationalization activities in the 1970s and 1980s. The historian Gerhard Jaritz worked at the Institute for Medieval and Early Modern Material Culture from 1973 to 2014; he is Professor of Medieval Studies at the Central European University (Budapest/Vienna).
Die Anfangszeit des Institutes war vor allem durch die Tagungen auf Internationalisierung ausgerichtet.
Die Gründung des Instituts für Realienkunde fiel in Krems auf einen fruchtbaren Boden und in eine gesellschaftliche Aufbruchszeit, in der generell Vieles versucht und neue Wege eingeschlagen wurden. Mit dem Spirit der Anfangszeit wurde versucht die „große Welt“ ein Stück weit nach Krems zu holen und die neuen wissenschaftlichen Ansätze über die Grenzen der politisch in Blöcke geteilten Welt hinauszutragen.
Dass das kleine Institut in Krems zu einer Drehscheibe für innovative Forschung werden konnte, verdankt es vor allem dem Elan der Gründer*innengeneration.
Gerhard Jaritz hat den Paradigmenwechsel in der Geschichtsschreibung vorangetrieben und aktiv dazu beigetragen, die Realienkunde zu einem modernen, interdisziplinären Fach auszubauen; nicht zuletzt durch seine Präsenz auf den internationalen Mediävist*innentagungen, von wo er mit neuen Themen und frischen Ideen sowie bepackt mit den aktuellen Neuerscheinungen von den Büchertischen der internationalen Wissenschaftsverlage nach Krems zurückkehrte. Auf diesem Weg kam die Bibliothek des Instituts zu einem interessanten Bestand an internationaler Forschungsliteratur, die es in dieser Zeit in Österreich nur in Krems gab und die auch eine wichtige Basis für den wissenschaftlichen Austausch darstellte.Wenn man auf die Anfangszeit zurückblickt fällt auf, dass die Internationalisierung des Instituts sehr rasch vonstattenging. Interessant erscheint dabei, dass in dieser Zeit neben der Orientierung in den angelsächsischen Wissenschaftsraum sehr enge Beziehungen zu Forschungseinrichtungen in den ost- und südosteuropäischen Ländern geknüpft wurden. Wie wurden diese aufgebaut und gepflegt? Gab es Unterstützung seitens der Akademie?
Die Anfangszeit des Instituts war hauptsächlich in Zusammenhang mit den Tagungen auf Internationalisierung hin ausgerichtet. Zu einer Zeit, als Historiker noch häufiger als jetzt auf Tagungen gefahren sind, auch wenn sie keinen eigenen Vortrag gehalten haben, waren die Tagungen in den 1980er Jahren zur städtischen, bäuerlichen, adeligen und klösterlichen Sachkultur mit an die 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmern in Krems sehr gut besucht. Schon bei unseren ersten Tagungen in den 1970ern, wie zum Beispiel „Das Leben in der Stadt des Mittelalters“
im Jahr 1976 und den folgenden, war es unser Bestreben, auch osteuropäische Referenten und Referentinnen zu gewinnen. Dabei geholfen hat der damals existente Akademieaustausch, der vor allem und manchmal sogar nur mit ost- und südosteuropäischen Ländern funktioniert hat. Wir konnten die Referentinnen und Referenten über den Akademieaustausch einladen und auch bezahlen. Die meisten konnten kommen, einige Probleme hatten wir bis in die 1980er Jahre mit der Deutschen Demokratischen Republik (DDR). Für uns war es einfach, über den Akademieaustausch in die DDR zu reisen, aber für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der DDR war es sehr schwierig, nach Österreich zu kommen. Aus der Sowjetunion ist fast immer nur ein und dieselbe Person gekommen, das war Adel Jastrebickaja aus Moskau, und umgekehrt wurde ich damals zu einer relativ hochrangig besetzten Tagung von Aaron Gurjewitsch nach Moskau eingeladen. Auch das hat über den Akademieaustausch gut funktioniert.In den 1960er und 1970er Jahren haben die großen internationalen Mediävist*innenkongresse in Kalamazoo (Michigan, US) und Leeds (UK) begonnen, auf denen auch das Institut regelmäßig vertreten war. Kann man sagen, dass die Themen die auf den internationalen Mediävist*innentagungen diskutiert wurden, dann auch Auswirkungen auf die österreichische Forschung hatten?
Vor allem die Gender-Studies sind eindeutig von der USA-Forschung ausgegangen. In Bezug auf Material Culture und Daily Life war allerdings sehr wenig dort zu hören. Da waren eher wir diejenigen, die diesbezügliche Themen dort präsentiert haben. Abgesehen von den Gender Studies und zum Teil auch der Environmental History haben wir mehr Themen dorthin gebracht als dort abgeholt. Die Alltagsgeschichtsforschung ist in den 1970er Jahren ganz stark vom deutschsprachigen Raum ausgegangen, zuerst von der neueren Geschichte und Zeitgeschichtsforschung. Die Mittelalterforschung hat diese Ansätze dann erst später übernommen. Ausschlaggebend war das Standardwerk von Hans Werner Goetz „Leben im Mittelalter“ das 1986 erschien und dann ins Englische übersetzt wurde,
womit es auch sehr schnell an ein breiteres Publikum gekommen ist.Wie wurde das Institut in der Anfangszeit wahrgenommen?
Abgesehen von Österreich, wo das Institut schon wahrgenommen wurde, aber auch nicht überragend, weil das in Österreich nie so ist, war vor allem von den osteuropäischen Forscherinnen und Forschern größeres Interesse an uns; natürlich auch von manchen Kolleginnen und Kollegen aus dem deutschsprachigen Raum, zu denen vor allem Harry Kühnel ganz gute Kontakte hatte, die uns rezipiert haben und zu unseren Tagungen gekommen sind. Der englischsprachige Raum war aber kaum vertreten. Wir haben deshalb verstärkt versucht, die internationale Forschung zu rezipieren und jemanden aus Großbritannien und den USA zu den Tagungen einzuladen und bekamen zum Beispiel mit Peter Burke einen herausragenden Kulturwissenschaftler aus Cambridge als Vortragenden;
wir hatten auch mehrmals Vortragende aus Frankreich, woher mit Françoise Piponnier und Perrine Mane wichtige Vertreterinnen der Kleidungsgeschichte nach Krems gekommen sind. Auch Jean-Claude Schmitt, dessen Studie über Gesten sehr wichtig für uns war, hat an einer der Tagungen teilgenommen. Aber die Rezeption der Arbeit des Instituts in diesen Ländern war praktisch nicht gegeben.Geändert hat sich das durch den Einsatz computerunterstützter Methoden, die von Seiten des früheren Akademiepräsidenten Herbert Hunger großzügig mit Computerausstattung gefördert wurde. Am Institut hat Gert Adamek
damit begonnen; auf der Grundlage des von ihm entwickelten Beschlagwortungssystems für Dinge am Bild wurde die Datenverarbeitung schrittweise ausgebaut. Die Ergebnisse dieser Arbeiten wurden dann auch international rezipiert, was dann zu einem stärkeren Ausbau der Verbindungen zu Instituten unter anderem in den Niederlanden und in Dänemark geführt hat, die sich vor allem mit Bildinterpretation und visueller Kultur beschäftigt haben. Durch diese Entwicklungen ist das internationale Interesse an unserem Institut klar gestiegen, womit sich die Verbindungen von den osteuropäischen Ländern stärker auf die westeuropäischen verlagert haben. Dazu trug dann auch bei, dass der „Daily Life“-Strand am International Medieval Congress in Leeds eingerichtet wurde, für den ich bis heute als Koordinator fungieren kann.Die Beschäftigung mit der materiellen Kultur hat in den 1980 Jahren allmählich Eingang die universitäre Lehre gefunden. Welche Rolle spielte das Institut für Realienkunde dabei?
Die Arbeit des Instituts ist im Laufe der Zeit in die universitäre Lehre eingeflossen. Zum einen durch die Lehrveranstaltungen zur Realienkunde des Mittelalters, die ich am Institut für Geschichte an der Universität Graz regelmäßig angeboten habe und zum anderen durch die Vermittlung der computerunterstützten Methoden in den Salzburger Hochschulkursen, der Universität Wien und an der CEU in Budapest. Hauptsächlich bestand dabei Interesse an der computergestützten Bildanalyse mit unserem detailliert beschriebenen Bildmaterial. Wir haben aber auch Rechnungsbücher und Testamente mithilfe von textanalytischen Verfahren und Statistikprogrammen ausgewertet. Das hat Interesse erweckt und mitunter auch Einladungen an Universitäten nach sich gezogen, z.B. konnte ich in Zürich und Kopenhagen je ein Semester lehren.