Beobachtungen in Thüringen

Abstract
Wir kennen unterschiedliche Gründe für die Verwendung von Krummhölzern: So wurden diese wegen ihrer Form beim Bau von Schiffen, aber auch in Cruck-Dachwerken eingesetzt. Im Fachwerkbau kamen sie sogar gezielt als Zierde an Schaufassaden zum Einsatz. Die Verwendung von Krummhölzern in Glockenstühlen lässt jedoch noch einen anderen – bisher unbeachteten – Grund vermuten: Krummwüchsige Eichen wurden vornehmlich im Mittelalter für die lastableitenden Streben im Glockenstuhl eingesetzt. Könnte es daher sein, dass die Schwingungskräfte aus dem Geläut durch die Krümmlinge „abgefedert“ werden sollten und somit spezifische, statisch-konstruktive Materialeigenschaften die Verwendung begründen?
Abstract (englisch)
We know of different reasons for the historical use of bent wood. Due to its special shape it was used for constructions like ships and cruck-roofs. It was also used as decoration in the fronts of timber-frame houses. Yet another – so far unnoticed – specific reason can be assumed for the use of bent wood in bell-frames: in the Middle Ages, warped oak was used in them for load transferring struts mainly. Therefore the question is whether forces from the oscillation of the bells were to be absorbed by the construction itself, and thus whether the use of warped wood was justified by static-constructive considerations due to its specific material properties.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Krummholz ist heute in der industriellen Holzwirtschaft unerwünscht und wird schon im Wald aussortiert. Seine Eigenschaften sind schwer vorauszusehen – es gilt daher als unberechenbar, als Fehlbildung, als Ausschuss. Natürliche Krümmungen sind nur in sehr eingeschränktem Maße zugelassen; werden bestimmte Grenzwerte laut DIN überschritten, gilt das Holz als minderwertig.
Lohmann/Blosen 42010,
“Krümmung, nach DIN EN 844-8 (1997) Abweichung der Längsachse des Rundholzes von der Geraden, Gegensatz: Geradschäftig. Für Einschnitt und Verarbeitung in den meisten Fällen je nach Ausmaß der Krummschaftigkeit ein mehr oder weniger schwerer Fehler. Bewertung nach DIN EN 1310 (1997): a) einfache Krümmung, b) Mehrfache Krümmung.”
Lohmann/Blosen 42010,
“Wertminderung: Zug- und Druckholz gehören zu den Gütekriterien für die Rohholzsortierung. Sie sind bei Güteklasse A (Handelsklassen für Rohholz) ausgeschlossen. Bei Güteklasse B darf Reaktionsholz nicht mehr als ein Drittel des Durchmessers umfassen. In der DIN 4074-1 (2002) ist Reaktionsholz nur begrenzt zugelassen.”
Während der Analyse historischer Holzglockenstühle in Thüringen
fiel die Verwendung von Krummhölzern insbesondere für Streben auf. Es stellt sich die Frage, ob krummes Holz in die Konstruktionen einbezogen wurde, weil geradwüchsiges nicht zur Verfügung stand oder ob gezielt statische, beispielsweise federnde, Eigenschaften ausgenutzt werden sollten. Sprachen also wirtschaftliche Gründe für den Einsatz von Krummhölzern oder gar die statisch-konstruktiven Materialeigenschaften der Krümmlinge selbst?Zur Verwendung von Krummholz
Aus dem historischen Holzbau ist uns Krummholz zunächst im Fachwerkbau als konstruktiv aussteifendes Bauteil, aber auch als gezielt gestaltendes Fassadenelement bekannt.
(Abb. 1)- Abb. 1 Gezielt gestalterische Verwendung von Krümmlingen. „Einfachster Bau, aber gehoben durch die Verwendung bizarr gewachsener Hölzer als Streben.“ Rabertshausen bei Nidda. Rathaus, aus: Walbe 1942, Tafel 76, oben.
- Abb. 2 Verwendung eines Krümmlings im Fachwerk als Schwellholz in Ermangelung geradwüchsiger Eichenhölzer. Die Länge der aufstehenden Ständer musste aufwendig angepasst werden. Treffurt 2013. Foto: Iris Engelmann.
Wie auch geradwüchsige Hölzer wurden Krümmlinge ebenso als Wand-, Kopf- oder Fußstreben verwendet.
Bei Schaufassaden achtete man auf ein symmetrisches Erscheinungsbild – entweder durch den Einbau ähnlich gekrümmter Hölzer oder durch das mittige Auftrennen der Krümmlinge. Im Unterschied dazu – und hier nicht weiter thematisiert – wurden auch gerade Hölzer bogenförmig zugerichtet. Dies war insbesondere zur Gestaltung von Brüstungsbändern oder komplett gestalteter Fassaden nötig, weil somit eine Vielzahl an exakt gleichförmigen Bögen hergestellt werden konnte. Die Verwendung der erwähnten Krümmlinge als Fassadenelement kann hier vorrangig mit einem gezielt gestalterischen Anspruch begründet werden. Vielleicht war sie aber auch eine Folge der mangelnden Verfügbarkeit an geradwüchsigem Holz, so dass aus der Not eine Tugend gemacht wurde, wie es bereits Manfred Gerner vermutete. (Abb. 2)Im Dachwerk finden sich Krummhölzer beispielsweise beim Bau von Holzgewölben.
Dabei nutzte man – wie bei den Glockenstühlen – die vorrangig krummwüchsigen Äste der Eiche. Die Krümmung des Holzes konnte für das Tonnengebinde genutzt werden, ohne dass geradwüchsige Bäume passend für die Rundung arbeitsaufwendig abgearbeitet werden mussten. Wie im Fachwerk wurde auch hier die Form – die Krümmung – des Holzes ausgenutzt, nicht aber die besondere statische Materialeigenschaft des Krümmlings.Anders verhält es sich in Krummholz- oder Cruckbinderdächern, bei denen tatsächlich die Materialeigenschaft des krumm gewachsenen Holzes zum Vorteil gegenüber einfachen Sparrendächern genutzt wurde, denn im Vergleich zu diesen konnten größere Spannweiten überbrückt werden.
Die abzuleitenden Horizontalkräfte wurden im Krümmling selbst bereits in Vertikallasten umgelenkt und mussten somit nicht ausschließlich über einen Zugbalken aufgenommen werden. Auf die makroskopischen Eigenschaften dieses Gelenks bzw. des Knicks wird im Folgenden noch einzugehen sein.Bekannt ist zudem die Verwendung von krummen kräftigen Eichenhölzern in Schiffsrümpfen.
Die an den Kiel des Schiffes angepasste Form war besonders rar und deshalb teuer. (Abb. 3 und 4.) Hier bestimmte wiederum die spezielle Form des Objektes den Radius des gesuchten Krummholzes, weniger wurde die statisch-konstruktive Materialeigenschaft ausgenutzt.- Abb. 3 Markierung bestimmter Baumteile für Konstruktionshölzer, aus: Jägerschmid 1828, Bd. 3 Abbildungen, Tafel VI.
- Abb. 4 Zuordnung der Hölzer aus Abbildung 3 für den Schiffsbau, aus: Jägerschmid 1828, Bd. 3 Abbildungen, Tafel VII.
Da krummwüchsige Eichenstämme in natürlicher Form nur an Hängen, als Windflüchter oder nach Naturereignissen wie Blitzeinschlägen begrenzt zur Verfügung standen, wurden insbesondere in Nordwesteuropa, dort wo Krümmlinge vor allem für Cruckbinder und den Schiffsbau benötigt wurden, künstlich in die gewünschte Krümmung gezwungen. Vorrichtungen, die während der Wachstumsphase die Stämme drücken, ziehen oder schienen werden beispielsweise in dänischen und französischen Traktaten zu Beginn des 19. Jahrhunderts publiziert.
(Abb. 5)
Abb. 5 Vorrichtung zum Biegen von Stämmen, aus: Hassenfratz 1804, Plan 8; abgedruckt in Hoffsummer 2002, fig. 12.
Im Unterschied dazu und hier nicht weiter zu behandeln steht Krummholz, das erst nach dem Fällen – beispielsweise mit Hilfe von Wasserdampf – gebogen wurde, unter anderem zur Errichtung von Bogensprengwerken.
Da dieses Holz höhere Spannungen im Faserverlauf aufweist als krumm gewachsenes, ist letzteres sowohl im Dachwerk als auch im Schiffsbau vorzuziehen.Zur Verwendung von Krummholz im Glockenstuhl
Während für die Ständer, aber auch für die Schwellen innerhalb einer Glockenstuhlwand geradwüchsiges Holz benötigt wurde, fiel hingegen für die Streben bei einem Viertel der untersuchten thüringischen Glockenstühle aus dem 15. und 16. Jahrhundert die Verwendung von krummwüchsigem Holz auf.
(Abb. 6 und 7) In neuzeitlichen Glockenstühlen – aus dem 17. bis 19. Jahrhundert – konnten hingegen in nur knapp 10% der untersuchten thüringischen Beispiele Krummhölzer festgestellt werden.- Abb. 6 Glockenstuhl in St. Peter und Paul zu Kerspleben, um 1500. Foto: Iris Engelmann.
- Abb. 7 Glockenstuhl in St. Bartholomäus zu Ebeleben, 1523 (d). Foto: Iris Engelmann.
Die Hölzer sind mit der gekrümmten Wuchsrichtung bebeilt, so dass die Fasern dadurch nicht geschnitten wurden. Die Beobachtung der Verläufe von Trocknungsrissen unterstützt die Vermutung, dass hier krumm gewachsene Äste gezielt ausgewählt und verwendet wurden. Die bereits im Fachwerkbau erwähnten bogenförmig ausgearbeiteten Hölzer waren in Glockenstühlen bisher nicht zu finden, da bei Belastung durch die Glockenschwingung Scherkräfte auf Grund der unterbrochenen kraftleitenden Fasern entstehen würden.
Es handelt sich bei den verwendeten Krümmlingen um einschnürig
krummes Eichenholz. In Thüringen finden sich hauptsächlich konvex gekrümmte Streben, einzig im 1462 errichteten Glockenstuhl im Nordturm von Divi Blasii zu Mühlhausen kommen konkav gekrümmte Streben vor. Diese nach innen gebogenen oder s-förmigen Streben finden sich jedoch vermehrt im süddeutschen Raum, wie es auch Heinrich Biebel für das Bodenseegebiet aufzeigte. (Abb. 8)- Abb. 8 S-förmige Streben im Glockenstuhl des Münster zu Konstanz, Nordturm. Foto: Iris Engelmann.
In diesem Gebiet finden sich zudem häufig Krümmlinge als Riegel für das Glockenauflager in Kastenkonstruktionen. Diese wirken wie vorgespannte Balken, so dass beim Durchschwingen der Glocke ein Durchbiegen des Balkens auf dem das Glockenlager ruht verhindert wird. (Abb. 9)
- Abb. 9 Kastenkonstruktion mit gekrümmtem Riegel als Glockenauflager und Untergerüst über gekrümmten Streben auf Konsolsteinen lagernd. Münster St. Nikolaus in Überlingen am See, Nordturm, 1585, Biebel 1921, Tafel V, Abb. 6.
- Abb. 10 Waltersleben, Glockenstuhl von um 1500 (d) mit ungewöhnlicher Strebe als Krummholz, die beide Ständer überblattet. Foto: Iris Engelmann.
Während die Streben oder auch die soeben beschriebenen Riegel fast immer aus zwei annähernd gleichartig gekrümmten Vollhölzern bestehen, zeigt die unsymmetrische Lösung im thüringischen Waltersleben eine Ausnahme. Hier ist eine der gebogenen Streben über beide Ständer der Stuhlwand geblattet und steift somit die Konstruktion zusätzlich aus. (Abb. 10)
Grundsätzlich gibt es zwei Konstruktionsformen der Glockenstühle: Bockstreben- und Kastenkonstruktionen. (Abb. 11) Die Streben dienen jeweils zur wesentlichen Lastabtragung aus der schwingenden Glocke. Die einfache Bockstrebenkonstruktion besteht aus einem Ständer, der durch zwei Streben gehalten wird und der die Achszapfen des Glockenjochs aufnimmt. Die Streben zapfen meist über einem Stirnversatz in die Enden einer Schwelle ein und sprengen so die Lasten aus der Glocke und deren Schwingungen ab. Die Streben sind demnach wichtiger Bestandteil des Sprengwerks. Bei der Kastenkonstruktion steht der Bock in einem Rahmen, und mehrere Stuhlwände sind wiederum über Rähme und Schwellen verbunden, so dass ein Kasten ausgebildet wird. Diese Grundtypen variieren durch regionale Besonderheiten und die Gegebenheiten in den Türmen; dies soll jedoch an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden.
- Abb. 11 Bockstreben- und Kastenkonstruktion. Rot markiert ist jeweils eine Stuhlwand mit Schwelle, Ständer(n) und Streben, in der Kastenkonstruktion zusätzlich mit Rähm. Grafik: Iris Engelmann.
Glockenstühle sind Teil eines Instrumentes – des Geläuts. Sie tragen die Glocken und nehmen die Lasten aus den Schwingungen auf. Das besondere eines Glockenstuhls ist, dass er separat im Turm als Einbau – quasi als Möbel – errichtet wird, um somit die statischen und dynamischen Einwirkungen der Glocken aufzunehmen, sie aber erst über eine Auflagerkonstruktion an das Turmmauerwerk weiterzuleiten. Diese Auflager können Balkenlagen oder aber Unterkonstruktionen sein. Je mehr Kräfte in einem Glockenstuhl oder in dessen Unterkonstruktion aufgenommen werden können, desto weniger dynamische Lasten werden in die Turmkonstruktion übertragen. Würden also die Krummhölzer im Glockenstuhl oder dessen Unterkonstruktion eine leicht federnde Wirkung haben und somit die abzuleitenden Kräfte minimiert werden, würde sich das nur positiv auf die Lastabtragung auswirken. Die beschriebenen krummwüchsigen Streben und Riegel wurden demnach weder als Zierelemente
eingesetzt, noch nahmen sie auf eine speziell gewünschte Form des Glockenstuhls Bezug.Eigenschaften der Eiche
Bis zum 18. Jahrhundert wurden abgesehen von wenigen Ausnahmen
Glockenstühle ausschließlich in Eiche abgebunden, hingegen verwendete man im Fach- und Dachwerk bereits seit dem 13. Jahrhundert neben der Eiche Nadelhölzer. Die bevorzugte Verwendung des Laubholzes gegenüber Nadelhölzern lässt sich mit dessen Eigenschaften begründen. Eiche hat im Vergleich zu anderen einheimischen Laub- und Nadelhölzern eine hohe Rohdichte und ist daher besonders schwer, wodurch die Standfestigkeit des Glockenstuhls begünstigt wird. Mit der Rohdichte des Holzes nehmen die elastischen Eigenschaften, die Festigkeit, die Härte und der Abriebwiderstand zu, gleichzeitig wächst allerdings die Schwierigkeit der Bearbeitung und Trocknung des Holzes. Die Festigkeit, die sich durch den E-Modul darstellen lässt, ist proportional zur Rohdichte, d. h. je höher die Rohdichte desto größer der Elastizitätsmodul, desto steifer das Holz. Durch einen vergleichsweise hohen E-Modul und die daraus folgende hohe Festigkeit, insbesondere in Faserrichtung, ist Eichenholz für die enorme Belastung im Glockenstuhl besonders geeignet. Auf die Holzeigenschaften haben im Wesentlichen die Jahrringbreiten, sowie die Anteile von Früh- und Spätholz innerhalb des Jahrrings Einfluss.Eigenschaften des Reaktionsholzes
Im Gegensatz zu den krummen kräftigen Hölzern der Cruckbinderdächer und den Kielhölzern im Schiffsbau, wurden für die Glockenstuhlstreben im Vergleich schlankere Asthölzer verwendet. Dies ist unter anderem daran zu erkennen, dass typischerweise die Krümmung der Streben außermittig liegt, und zwar in der Nähe des Ständers. Die Hölzer sind demnach über verschiedene Radien gekrümmt, wobei das obere Strebenende stärker gekrümmt ist und sich der Radius vom Mittelteil bis zum Strebenfußpunkt vergrößert. Es lässt sich leicht vorstellen, dass ein Ast zunächst eher horizontal aus einem Stamm herauswächst und nach kurzer Astlänge sich eher vertikal nach oben zum Licht hin orientiert. So entsteht ein Knick nahe am Baumstamm. Zudem sind die Querschnitte einiger krummer Streben insbesondere am Strebenkopf hochrechteckig oder quadratisch, dagegen an den Strebenfußpunkten eher querrechteckig.
Dies lässt sich mit der Bildung von Reaktionsholz im Ast erläutern, das sich im Zusammenhang mit der mechanischen Einwirkung in Stammnähe bildet. Dieses Reaktionsholz zeichnet sich durch Zellwandverdickungen und daraus resultierenden exzentrischen Zuwachs aus. Während bei Nadelhölzern und bei einigen Tracheiden aufweisenden Laubhölzern kompaktes Druckholz an der Unterseite der Äste entsteht, bilden Laubbäume Zugholzzonen verteilt auf den Astquerschnitt bzw. an der Astoberseite. (Abb. 12) Diese exzentrische Gefäßveränderung des sonst kreisrunden Querschnitts bedingt die Verlagerung der Markröhre aus ihrer zentralen Lage – im Nadelholz gewöhnlich nach oben, da das Druckholz an der Unterseite der Äste gebildet wird, bei Laubhölzern verschiebt sich die Markröhre nach unten, da das Zugholz tendenziell an der Astoberseite gebildet wird. Somit wird der kreisrunde Querschnitt durch eine elliptische Form ersetzt, die sich im Anschluss der Strebe an den Ständer als hochrechteckig bebeilter Querschnitt abzeichnet.- Abb. 12 Exzentrischer Wuchs und Reaktionsholzbildung. Das Druckholz der Nadelhölzer wird auf der Unterseite von hängenden Stämmen oder Ästen gebildet, das Zugholz der Laubbäume auf der Oberseite, Bosshard 1984, S. 122, Abb. 67.
Die Fasern des Zugholzes sind dickwandig und gegen das Zelllumen hin unregelmäßig geformt, da die normalen Zellwände durch eine sogenannte gelatinöse Schicht ergänzt werden, die i. d. R. reine Cellulose enthält.
In Folge dessen weist das Zugholz eine höhere Rohdichte auf: So ist die Rohdichte in Ästen von Laubhölzern im Vergleich zu dem sie umgebenden Holz fünf bis sechs Prozent höher. Die erhöhte Rohdichte bedingt hier wiederum eine erhöhte Festigkeit durch einen höheren E-Modul und somit eine höhere Steifigkeit des Holzes, ausgebildet um den durch sein Eigengewicht nach unten ziehenden Ast aufzurichten bzw. zu halten. Zudem ist festzustellen, dass je größer der Astdurchmesser ist, desto größer auch die Biegefestigkeit des Astes gegenüber seinem Eigengewicht ist. Das wiederum kommt den auf Druck belasteten Streben insbesondere zugute, da das Ausknicken somit verhindert wird.Abgesehen davon, dass sich Reaktionsholz schwerer bearbeiten lässt,
ist der Anschluss der gekrümmten Strebe an den Ständer vom Zimmermann auf Grund des flacheren Winkels leichter zu bewerkstelligen. Zugholz hat zudem die Eigenschaft, sehr stark in Längsrichtung zu schwinden. Dies wirkt sich nun wiederum in der Verwendung als Bockstrebe im Glockenstuhl positiv aus, denn hier wird die Strebe durch die Verkürzung der Strebeninnenseite entgegen der abzuleitenden Kräfte gehalten. Astholz scheint auf Grund seiner Eigenschaften prädestiniert für den Einsatz als Strebe oder Bockstrebe zu sein.Vorkommen von Eichen-Krummhölzern
Freistehende raschwüchsige Eichen, auch Wieseneichen genannt, bilden meist nur einen kurzen Stamm aus, der sich zeitig verzweigt und besonders astig wächst.
Dieser Freistand ergab sich aus der antropogenen Waldnutzung: Die Buchen-Eichen-Mischwälder wurden als Viehweide, Blätter und Äste als Einstreu genutzt. So entstanden typisch lichte Hutewälder, in denen zunehmend Eichen dominieren. Nahe den Siedlungen nutze man den Wald zur Brennholzgewinnung in Niederwaldwirtschaft. Dabei wurden wiederum auch Eichen bevorzugt, die reichlich Stockausschläge bilden. Diese intensive Waldbewirtschaftung ist insbesondere im 14. bis zum 16. Jahrhundert mit der Siedlungstätigkeit des Menschen, der Gründung von Salz-, Hütten-, Hammer- und Glaswerken zu beobachten, was sich mit dem Zeitraum der höchsten Befunddichte von Krummhölzern in thüringischen Glockenstühlen deckt. Das krumme Astholz war demnach leichter erhältlich als das rare geradwüchsige Stammholz der Eiche, welches nur im dichten Stand des Hochwaldes wuchs. Neben den statischen Vorteilen von Krummholz sprechen somit freilich auch Aspekte der Verfügbarkeit und der Wirtschaftlichkeit für deren Verwendung.Nadelholz statt krummer Eichen?
Statt krummen Streben aus Eiche sind seit dem 18. Jahrhundert geradwüchsige Nadelholzstreben in Glockenstühlen zu beobachten. Die restlichen Konstruktionsteile wurden hingegen weiterhin in Eiche gezimmert. Der Einsatz von Nadelholz ist zum einen auf den allgemeinen Holzmangel zurückzuführen, dem durch das Aufstocken mit schnellwüchsigem Nadelholz begegnet wurde. So wurden seit dem 17. Jahrhundert an Glockenstühlen zunächst Reparaturen in Nadelholz ausgeführt und später – seit dem 18. Jahrhundert – gezielt Nadelhölzer für bestimmte Konstruktionsteile eingesetzt. Dies betrifft wiederum insbesondere die Streben einer Stuhlwand. Da die Streben – wie bereits erwähnt – wesentlich zur Lastabtragung der schwingenden Glocke beitragen, ist zu vermuten, dass man bewusst auf die Eigenschaften des weicheren Nadelholzes abzielte bzw. diese in Kauf nehmen konnte.
Ein ähnlich differenzierter Einsatz der Holzarten ist in Dach- und Fachwerken nachweisbar.
Hier wurden Fichtenhölzer für auf Biegung beanspruchte Hölzer eingesetzt, hingegen Eichenholz nur dort, wo besonders Druck- oder Zugkräfte zu erwarten waren. Die von David Gilly beschriebene federnde Eigenschaft der Nadelhölzer könnte den Einsatz dieser für die Streben der Glockenstühle erklären, ggf. als neuzeitlicher Ersatz gekrümmter Eichenhölzer.Krummholz in schriftlichen Quellen
Seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wurden Glockenstühle in Konstruktionsbüchern für den Holzbau abgebildet – allesamt mit geradwüchsigem Holz. Das damals wie heute nicht zu berechnende Krummholz, dessen Einsatz vermutlich nur aus Erfahrungswerten begründet war, fand vermutlich deshalb keinen Eingang in diese Publikationen mit Lehrbuchcharakter.
Der Architekt und Regierungsbaumeister Heinrich Biebel beschrieb hingegen 1921 die statische Wirkung krummwüchsiger Hölzer für Glockenstühle: Er betonte wiederholt die federnde Wirkung „gebogener“ Hölzer und war der Meinung, dass diese „(…) zur Milderung der auf das Mauerwerk ausgeübten Erschütterungen beitrugen (…)“.
Als vorbildhaft erläuterte er den Glockenstuhl der Kathedrale von Chartres: Die hohe Konstruktion war als mehrgeschoßiger dreijochiger Ständerkasten auf einem Schwellenkranz aufstehend ausgeführt. Die Lasten der mittleren frei endenden Ständer wurden von krummen, laut Biebel „gebogenen“, Kragstreben auf die außenliegenden Ständer abgeleitet. (Abb. 13) Biebels Begeisterung äußerte sich in seiner Beschreibung: “Man durchdenke einmal angesichts der Abbildungen die leicht federnde Bewegung des Ganzen während der Glockenschwingung!”- Abb. 13 Kathedrale von Chartres, Hochständerkasten des 14. Jh. mit bogenförmigen Streben, 1856 durch Brand zerstört, aus: Biebel 1921, S. 96, Abb. 8.
Diese positiven Eigenschaften des krummwüchsigen Astholzes mit einer „leicht federnden Bewegung“ wie sie Biebel darstellte, wurden bisher nicht näher untersucht. Das Wissen dazu ging vielleicht schon im 17. Jahrhundert verloren, als man bevorzugt berechenbar-geradwüchsiges Holz verbaute. Es wäre interessant, diese vermuteten Eigenschaften tatsächlich rechnerisch und statisch durch weitere Forschungen nachzuweisen.
Fazit
Krummholz wurde auf Grund seiner Form zu dekorativen, als auch konstruktiven Zwecken in diversen Holzwerken verbaut. Neu ist die Beobachtung, dass Krümmlinge wohl auch auf Grund spezieller Materialeigenschaften besser geeignet waren als geradwüchsiges Holz. Das an der Krümmung ausgebildete Reaktionsholz besitzt einen derart hohen E-Modul, dass es vermutlich große Lasten „abfedern“ kann. Dies konnte insbesondere im Glockenstuhl zur Aufnahme der dynamischen Lasten ausgenutzt werden. Somit muss auch die These revidiert werden, dass Krummholz ausschließlich auf Grund eines Mangels an geradwüchsigen Stämmen im Glockenstuhl eingesetzt wurde. Vielmehr liegt es nahe, dass krumme Eichenhölzer gezielt auf Grund ihrer federnden Eigenschaften im Glockenstuhl abgezimmert wurden. Mit dem Aufkommen von Konstruktionsbüchern und der Verbreitung von Idealkonstruktionen mit geradewüchsigem Holz, wurden seit dem 17. Jahrhundert kaum noch Krümmlinge im Glockenstuhl verwendet. Seit den ersten schriftlichen Überlieferungen werden insbesondere für den Glockenstuhlbau Hölzer bester Qualität gefordert, das heißt: kein Krummholz! Die DIN 4178 empfiehlt heute ebenso ausschließlich Eichenholz höchster Sortierklassen zu verwenden,
obwohl vermutlich der gezielte Einsatz von Krummholz gar statische Vorteile bringen könnte.