Dokumentationsgeschichte von den Ausgrabungen im 18. Jahrhundert bis zu neuen Ausstellungskontexten
Abstract
Die Ausgrabungen antiker Artefakte erlebten in Rom und seiner Umgebung einen Höhepunkt im 18. und 19. Jahrhundert. Die damit verbundenen Aktivitäten nahmen exponentiell zu und ein dynamischer Kunstmarkt förderte den Export vieler Werke. Die reichhaltige, aber oft uneinheitliche Dokumentation erlaubt nicht immer, ein detailliertes bzw. umfassendes Bild der jeweiligen Überlieferungsgeschichte zu machen. Dennoch helfen die Entdeckung sowie die kritische Auslegung neuer Quellen, die Objektbiographien der antiken Artefakte aus verschiedenen Blickwinkeln zu rekonstruieren. Der Aufsatz gibt am Beispiel der Hadriansvilla in Tivoli (etwa 30 Kilometer nord-östlich von Rom) einen Einblick in diese komplexe Quellenlage.
Abstract (englisch)
The excavations of ancient artefacts in Rome and its surroundings reached a peak in the 18th and 19th centuries. The related activities increased exponentially, and a dynamic art market encouraged the export of many works. The rich, but often inconsistent documentation does not always allow a detailed or comprehensive picture of the respective legacy. Nevertheless, the discovery and critical interpretation of new sources helps to reconstruct the biography of the ancient artefacts from different perspectives. The essay gives an insight into this complex source situation using the example of Hadrian’s Villa in Tivoli (about 30 km north east of Rome).
Inhaltsverzeichnis
Die Erforschung der archäologischen Ausgrabungen in und um Rom in ihrer intensivsten Phase im 18. und 19. Jahrhundert wird nicht von einer systematischen Dokumentation gestützt. Dennoch, dank ihrer heterogenen Natur, offenbaren die vorhandenen Quellen in ihrer Vielfalt interessante Szenarien und vermitteln ein lebendiges Bild davon, was mit den antiken Artefakten geschah und was die vorherrschenden Interessen unter den beteiligten Personen waren. Um eine Vorstellung von diesem Phänomen zu geben, müssen viele einzelne Geschichten aneinandergereiht werden. Einmal im Verhältnis zueinander betrachtet, offenbaren sie ein dichtes Beziehungsnetz.
Zu den zahlreichen Fallbeispielen zählt z.B. jenes des Ausgräbers Domenico De Angelis, der zwischen 1769 und 1786 vor allem in Tivoli tätig war.
Er führte an vielen Stätten der römischen campagna Ausgrabungen mit mehr kommerziellen als archäologischen Interessen durch. Wie er arbeiteten oft auch andere Ausgräber für ‚feste Kunden‘ und partizipierten an dem direkten Verkauf der restaurierten Kunstwerke. De Angelis machte wichtige Entdeckungen in der sogenannten Villa des Cassius und war Eigentümer eines Grundstücks auf dem Gelände der im 2. Jahrhundert erbauten kaiserlichen Hadriansvilla, das er ebenfalls auf der Suche nach Antiken freilegte. Sensationell war seine Auffindung von 18 Statuen, unter denen sich Musen, Büsten von Philosophen, ein Apollo und eine Minerva befanden.Wegen der außerordentlichen Qualität der Skulpturen wurden 1776 die zwölf Musen und der Apollo von dem Vatikanischen Museum Pio-Clementino zu einem Preis von 5.600 scudi erworben; für sie wurde der Raum geschaffen, in dem die Gruppe seit 1784 ausgestellt ist: die Sala delle Muse .
Weitere wertvolle Funde entstammen dem Grundstück De Angelis in der Hadriansvilla, wie einige Zeichnungen aus den sogenannten „Townley Drawings“ belegen.
Dieses Eingangsbeispiel zeigt den Reichtum der Antiken auf römischem Boden und leitet den sich daraus entwickelnden Kunstmarkt sowie das Netzwerk internationaler Kontakte im 18. Jahrhundert ein, wie im Folgenden gezeigt werden soll.
Trotz der disparaten Quellenlage lassen sich Belege zusammenführen, die einen systematischen Einblick in die – für uns heute manchmal ungewöhnlichen erscheinenden – Methoden des Verzeichnens ermöglichen. Der Beitrag geht Beispielen zum Umgang mit der Dokumentation von Antiken nach: von ihrer Auffindung über Restaurierung, Verkauf, Transport und Ausstellung bis hin zu ihrer manchmal veränderten Materialität, die oftmals aus den neuen Ordnungskriterien resultierte und zu einem Bedeutungswandel führen konnte. Trotz der komplexen und heterogenen Sachlage soll im Folgenden versucht werden, einen möglichst kohärenten Überblick über die diversifizierte Situation zu geben, an der ein Netzwerk in- bzw. ausländischer Akteure – Ausgräber, Kunsthändler und Agenten, kauffreudige Sammler bzw. Kunstliebhaber – beteiligt war. Darüber hinaus soll auch exemplarisch ein kleiner Teil des schriftlichen bzw. visuellen Dokumentationsmaterials sichtbar gemacht werden, in der Hoffnung, dass zukünftige Studien und neue Entdeckungen das historische Bild zu diesem Thema weiter vervollständigen und präzisieren werden.
Hadriansvilla: eine antike Stätte der Superlative. Entdeckung und Plünderungen
Eine der im 18. Jahrhundert vielversprechenden und ergiebigen Grabungsstätten war die Hadriansvilla, etwa 30 Kilometer nord-östlich von Rom gelegen, die größte kaiserliche Residenz der Geschichte.
Diesen Superlativ verdient sie sowohl in Hinblick auf die bis heute bekannte Ausdehnung des Geländes (über 120 Hektar) als auch in Bezug auf die etwa 30 bereits identifizierten Gebäudekomplexe, die von einem ursprünglich unübertroffenen Reichtum und einer beispiellosen Mannigfaltigkeit zeugen. Unter den römischen Kaiserresidenzen übt seit jeher jene des Hadrians (117–138) eine besonders große Faszination auf Architekten, Künstler, Sammler, Ausgräber, Touristen, Archäologen und Schriftsteller aus. Es sind nicht nur ihre herausragenden architektonischen Überreste, die jahrhundertelang vermessen bzw. gezeichnet wurden und die als Inspirationsquellen für neue Projekte oder als didaktisches Material in den Akademien bzw. als Referenzen in den Traktaten dienten. Auch im Hinblick auf den Reichtum ihrer Ausstattung ist die Hadriansvilla seit ihrer Entstehung eine der bekanntesten Anlagen. Ihre Skulpturen, Stuckornamente, Mosaiken, Marmorverkleidungen und Wandmalereien – ursprünglich fester Bestandteil der Dekoration von Gebäuden, Gärten, Brunnen etc. – verwandelten sich im Laufe der Zeit in disiecta membra. Sie wurden vor Ort vorwiegend durch Ausgrabungen geborgen, teilweise restauriert und ergänzt, auf dem römischen Kunstmarkt oder direkt an interessierte Abnehmer verkauft und schließlich in öffentlichen bzw. privaten Sammlungen ausgestellt. Diese Pracht charakterisierte John Soane 1815 in seiner IX. Architecture Lecture an der Royal Academy in London treffend mit den Worten:Hadrian adorned his villa with an infinity of buildings peculiarly characteristic of the taste and manners of the different nations. Temples, theatres, circuses, baths, porticoes […] all these, surrounded with distinct and appropriate scenery were to be seen in Hadrian’s Villa. This villa in its perfect state must have presented an inexhaustible source of variety, a superb monument of imperial glory.
Die geschichtsträchtige römische campagna inspirierte neben der Ewigen Stadt ihre Besucher stets dazu, sich ihre ehrwürdige Vergangenheit anzueignen. Bei interessierten zahlungswilligen Abnehmern drängte sich im Laufe der Zeit immer mehr das Bedürfnis auf, vor allem Antiken oder, alternativ dazu, Abgüsse bzw. Reproduktionsgraphiken zu besitzen, die dieses unbezahlbare Erbe festhielten.
Über zwei Jahrhunderte nach ihrer Grundsteinlegung und Ausgestaltung fand die kaiserliche Residenz in der Historia Augusta – einer spätantiken Sammlung von 30 Kaiserbiographien aus der Wende vom 4. zum 5. Jahrhundert – Erwähnung. Die dort enthaltene Beschreibung ist konstitutiv für die langlebige Berühmtheit der Anlage, wenn auch die Villa von der Spätantike bis weit ins Mittelalter eher geplündert als bewusst erforscht wurde.Seit der offiziellen Wiederentdeckung der Hadriansvilla im Jahre 1461 durch Papst Pius II. und den Humanisten Flavio Biondo
beschäftigten Aufnahme, Freilegung, Untersuchung, Nachahmung und Rezeption ihrer einzigartigen Gebäude und Ornamente Generationen von Künstlern, Fachleuten und Bauherren.Erst im 16. Jahrhundert sorgten die Beschreibungen des neapolitanischen Architekten Pirro Ligorio für ihre Bekanntheit.
Ab dem 17. Jahrhundert hatten Privatpersonen begonnen, Grundstücke der Hadriansvilla zu erwerben. Es waren einige dieser Besitzer selbst, die das eigene Gelände auf der Suche nach Antiken aus hadrianeischer Zeit erkundeten, wie etwa die Jesuiten, Graf Giuseppe Fede, der Prälat Alessandro Furietti, der Rechtsanwalt Liborio Michilli, die Familie des Francesco Antonio Lolli, Kardinal Mario Marefoschi oder der bereits erwähnte Domenico De Angelis. Diese intensive Auseinandersetzung mit der kaiserlichen Residenz durch Ausgrabungskampagnen erreichte ihren Höhepunkt in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, als ihre ‚Plünderung‘ eine regelrechte Praxis auch seitens der Briten wurde. Der große Zustrom an ausländischen Besuchern lässt sich u.a. durch die allgemeine Friedenssituation in Europa nach dem Ende des Siebenjährigen Krieges (1756–1763) erklären. Der ‚Besitzrausch von Antiken‘ spiegelte sich in dem immer intensiver werdenden europaweiten Kunstmarkt und machte die Einführung einer Reglementierung der Ausgrabungen und der Exporte dringend notwendig. Ferner versuchte man den skrupellosen Ausverkauf der Antike einzuschränken, indem der Kirchenstaat selbst für die Erwerbung der Funde als Käufer in Erscheinung trat. Zusätzlich zu den privaten Unternehmungen entstanden zwischen 1775 und 1792 zahlreiche päpstliche Ausgrabungsstätten – die sogenannten Cave Camerali –, welche vorwiegend zur Beschaffung von Kunstwerken für das neue Vatikanische Museo Clementino betrieben wurden. Folglich verschärften die päpstlichen Behörden im 18. Jahrhundert sowohl die Kontrolle der Ausgrabungsgenehmigungen (licenze di scavo) als auch die Vorschriften zum Ausfuhrverbot von Kunstwerken, so dass eine lückenlose Erfassung der damit verbundenen ‚Tätigkeiten‘ zu vermuten wäre. Faktisch wird man aber mit einer eher fragmentarischen Ausgrabungsdokumentation konfrontiert. Auch die Einführung einer Regelung zur Teilung der Grabungsfunde, welche vorsah, dass je ein Drittel der Kunstwerke dem Ausgräber, dem Grundstücksbesitzer bzw. dem Kirchenstaat zustand, erschwert die Zusammenstellung anschaulichen Beweismaterials. Die Präfekten der Altertümer in Rom und im Kirchenstaat (Commissari delle Antichità) waren nämlich schon im 16. Jahrhundert eigens zur Überwachung dieses Handels eingesetzt worden. Zu ihren Aufgaben gehörten die Beaufsichtigung und der Schutz der antiken Bauten und Denkmäler der Stadt Rom und ihres Umlands sowie der neuen Grabungen und Funde. Sie hatten die zu erteilenden Lizenzen und die Ausfuhr von Antiken und Kunstgegenständen aus dem Kirchenstaat zu überwachen, archäologische Nachrichten wie z.B. für den Diario Ordinario di Roma zu verfassen sowie antike Artefakte für die Vatikanischen Museen auszuwählen. In den 336 Jahren seines Bestehens (1534–1870) bekleideten dieses Amt 18 Commissari, zu denen als einziger Ausländer Johann Joachim Winckelmann zählte.
Die Dokumentation
Wegen dieser heterogenen Gemengelage erweist sich die Dokumentation der Fundsituationen antiker Kunstwerke als diffizil. Auf der einen Seite waren antike Skulpturen sehr begehrt, wenn auch jene in fragmentarischem, unvollständigem Zustand einen fraglichen Wert für den Kunstmarkt hatten. Sie wurden zuerst für Studienzwecke nachgezeichnet und durch Restaurierungen und Ergänzungen für den Kunsthandel tauglich gemacht. Auf der anderen Seite versuchten die Ausgräber, den Wert der bruchstückartigen Kunstwerke zu mindern, um das aufwendige Ausfuhrverfahren bzw. zu hohe Zollabgaben zu vermeiden. Die Stücke wurden auf anderen Wegen für die potentiellen Abnehmer gepriesen, wie z.B. über die private Korrespondenz. Die Auswertung des gesamten Quellenmaterials, u.a. Fundberichte, Bestandaufnahmen, Protokolle, obwohl es nicht dem realen Umfang der Aktivitäten entspricht, bleibt immer noch ein Forschungsdesiderat. Konterkariert wird die unvollständige und teils unübersichtliche Quellenlage von der Anzahl der Ausgrabungsstätten, welche wesentlich größer als die ausgestellten Lizenzen war und auf eine breite illegale Tätigkeit rückschließen lässt, wie ein italienisches Sprichwort passend ausdrückt: fatta la legge, trovato l’inganno.
Wenn von ‚italienischer‘ Seite die Ausfuhr von Antiken einer Kontrolle unterlag, stellte auf der anderen Seite dieser Handel eine attraktive und wichtige Einnahmequelle für alle Beteiligten dar. Somit fanden direkt involvierte hohe Beamte und kirchliche Würdenträger zusammen mit den Ausgräbern und Künstlern immer wieder Möglichkeiten, diese Regelungen zu umgehen. Manchmal wurden die aufgefundenen Stücke summarisch, leicht abwertend beschrieben oder es wurde zuerst auf eine Restaurierung bzw. Ergänzung der Werke verzichtet, um sie günstiger zu verzollen. Alternativ verarbeitete man kleinere Stücke in neue Artefakte, wie im Fall von antiken Mosaiken, die in Tischplatten eingelegt wurden und die beispielsweise Kardinal Alessandro Albani als Gabe für die sächsischen Kurfürsten in Dresden anfertigen ließ. Diese und weitere diplomatische Geschenke dokumentieren vor allem Quellen des Sächsischen Staatsarchivs. Besonders aufschlussreich ist der Vergleich zwischen den etwas zurückhaltenden ‚offiziellen‘ Berichten und den Beschreibungen für die Käufer. In letzteren konnten die Qualität, die Beschaffenheit, der Wert und die Seltenheit der Funde nicht genug angepriesen werden.
Mit den Ausgrabungstätigkeiten an der Hadriansvilla sind in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts vor allem drei Namen eng verbunden: jene des venezianischen Künstlers und Antikenhändlers Giovanni Battista Piranesi, des schottischen Malers Gavin Hamilton und des britischen Malers, Antikenhändlers und Bankiers Thomas Jenkins, die mit Artefakten handelten, die sie den Käufern entweder direkt am Fundort bzw. in ihren ‚show-rooms‘ anboten. Ausgewählte Auszüge aus zeitgenössischen Quellen veranschaulichen die Art dieser Dokumentation, wie etwa summarische Fundberichte bzw. Beschreibungen für den Verkauf, private Korrespondenzen mit Informationen zu den Objekten, Restaurierungsprotokolle, Verkaufslisten mit Preisangaben, Bestimmungen zum Versand und Transport der Kunstwerke‚ Eingangsinventare mit Taxierung der Stücke, Ausführdokumentation und Name der Besitzer‚ Inventare und Beschreibungen neuer Ausstellungskontexte mit Angabe der Provenienz. Fundberichte, wie man sie heute im wissenschaftlichen Sinne versteht, wurden systematisch erst seit dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts erstellt. In dieser Zeit erkannte das junge italienische Königreich die Notwendigkeit, das schon bekannte oder gerade aufgefundene ‚nationale‘ Kulturerbe durch eine eingehende Erfassung und Katalogisierung zu sichern und zu dokumentieren. Gleichzeitig begann die Archäologie sich als akademische Disziplin zu etablieren. Die 1871 neugegründete Soprintendenza (Aufsichtsbehörde bzw. Denkmalpflege) führte sogenannte Giornali di scavi (Ausgrabungs-Journale) ein, welche ab 1873 in regelmäßigen Abständen erschienen. Diese Berichte bildeten die Grundlage für die später in der Rivista delle Notizie degli Scavi di Antichità (Nachrichtenmagazin über die Ausgrabungen von Antiken und Altertümer) publizierten wissenschaftlichen Beiträge. Frühere ähnliche Regelungen, wie etwa der sogenannte Editto Pacca – ein Ausfuhr- und Kulturgüterschutzgesetz vom 7. April 1820, benannt nach dessen Initiator, Kardinal Bartolomeo Pacca, welcher auf die lange Tradition des päpstlichen Kulturgüterschutzes verwies – sah u.a. einen wöchentlichen Bericht zu den Ausgrabungen im Kirchenstaat vor. Neben den Maßnahmen zur Denkmalpflege (cura degli antichi monumenti) und dem Schutz der Künste (protezione degli antichi monumenti), wurde auch ein ‚staatlicher‘ Anspruch auf die Kunstwerke erhoben, die nach dem Raub durch die Franzosen, ab 1815 teilweise nach Rom zurückgekehrt waren. Erst mit der Übertragung dieser Zuständigkeitsbereiche von den kirchlichen auf die Regierungsbehörden wurden die Vorschriften wirksam und die Dokumentationsberichte regelmäßig. Für die Zeit davor zeichnete dagegen die Beschreibungen der zahlreichen Ausgrabungskampagnen eher ein narrativer Inhalt als eine dokumentarische bzw. objektive ‚Anamnese‘ aus. Eine der inoffiziellen Berichterstattungen zu den Funden in Rom und in der Hadriansvilla wurde z. B. nachträglich – mit zehn Jahren Abstand – von G. Hamilton geschrieben: An Account of Ancient Marbles found by Mr. Gavin Hamilton in various places near Rome between 1769 and the Month of Nov.r 1779. Der schottische Künstler und Kunsthändler schilderte dort die Hintergrundfakten, die u.a. zur Auffindung des Pantanello-Teichs am Rand des Geländes der Hadriansvilla führte, wo im Laufe der Jahrhunderte zahlreiche Skulpturen und Fragmente der kaiserlichen Anlage ‚angehäuft‘ worden waren. Viele davon wurden von Hamilton freigelegt und auf dem Kunstmarkt angeboten. Erfreulicherweise werden in dieser Beschreibung auch die zeitgenössischen Aufstellungsorte der Stücke, sowohl in privaten, meist ausländischen Sammlungen, als auch in öffentliche Museen genannt: I shall now take notice of some of the principal things found in the cava of Pantanello as far as I can recollect. In the Museo Clementino […]; at the Villa Albani […]; Earl of Shelburne […]; Mr. Talbot […]; Cav. Piranesi […]; General Schowallof […]; to Monsieur de Cock for Muscovie […]; to Mr. Jenkins. Einige dieser Informationen lassen sich mit der berühmten Stichserie von Giovanni Battista Piranesi Vasi, candelabri, cippi… in Verbindung bringen. Die Kupfertafeln stellen Altertümer dar, die zum größten Teil von Piranesi und seiner Werkstatt restauriert wurden und nicht selten aus der Assemblage einiger, ursprünglich nicht zusammengehörender Fragmente resultierten. Die Begleittexte informieren über die Provenienz der Stücke, die aktuellen Aufbewahrungsorte bzw. ihre Besitzer. Diese ‚genauen‘ Angaben stärkten die Glaubwürdigkeit des Autors und die Authentizität der Werke. Zu den berühmtesten Antiken aus der Kaiservilla gehören u.a. die sogenannte Warwick Vase (Abb. 3) , die Stowe Vase und die Newdigate Kandelaber (Abb. 4).
Die erste Vase, benannt nach dem ursprünglichen Besitzer, George Greville Earl of Warwick (1746–1816), befindet sich heute in der Burrel Collection in Glasgow und wurde von Gavin Hamilton in der Hadriansvilla ans Tagelicht gebracht bzw. in der Werkstatt Piranesis, wahrscheinlich von seinem französischen Mitarbeiter Guillaume Antoine Grandjacquet restauriert.
Piranesi stellte sie sogar in drei Stichen dar und versah sie mit ausführlichen Erklärungen. Ein Auszug kann eine Vorstellung von den dort enthaltenen Informationen geben:A Sua Eccellenza il Sig. Cav. Hamilton Ministro Plenipotenziario della Mta di Giorgio III Re di Gran Bretagna preßo alla Mta di Ferdinando IV. Re delle due Sicilie, amatore delle Belle Arti […] un antico Vaso di marmo di gran mole, ritrovato l’anno 1770 nell’escavare, e diseccare il Lago detto Pantanello, Luogo anticamente situato nel recinto di Villa Adriana presso Tivoli due miglia. Sì l’invenzione di esso, che le sue ben’intese Sculture dimostrano la perfezione delle arti del secolo di Adriano. L’Iscrizione, che si legge nel suo moderno Piedestallo parimente di marmo indica il Personaggio, che si è preso la cura di fare restaurare questo antico Monumento.
Sehr suggestiv ist auch das sogenannte Tretham Laver des British Museums (Abb. 5), eine aus verschiedenen Fragmenten zusammengefügte Schale aus der Hadriansvilla, bekannt für ihre Greifen-Beine.
Erneut preist Piranesi in höchsten Tönen den außerordentlichen Wert und die Kunstfertigkeit des antiken Werks: Altare antico di marmo ritrovato fra le macerie della Villa Adriana nel sito detto Pantanello. La sua gran Conca è ovata e sostenuta da due Ippogrifi elegantemente lavorati, e corrispondenti al Secolo felice delle arti al tempo d’Adriano.
Piranesi verstand vermutlich seine Stichserie als eine Art Verkaufskatalog. Die 110 Platten wurden zwischen 1778 und 1780 von seinem ältesten Sohn Francesco (1758–1810) ergänzt und in zwei Bänden gebunden, waren aber vermutlich zum Teil schon einige Jahre zuvor entstanden. Die Piranesi-Sammlung veranschaulicht das dialektische Verhältnis des Autors zu den antiken Artefakten, das sich zwischen Phantasie und philologischem Wissen, d.h. zwischen antiquarischer Imagination einerseits und wissenschaftlicher Archäologie klassizistischer Ausrichtung andererseits, bewegte. Eine der intensivsten Beziehung zwischen einem Künstler-Ausgräber-Dealer und einem Sammler bestand über Jahrzehnten zwischen Gavin Hamilton und William Petty-Fitzmaurice, 2nd Earl of Shelburne und ab 1784 1st Marquess of Lansdowne. Dank ihrer Kooperation konnte zwischen den 1760er und 1790er Jahren eine der herausragenden Sammlungen klassischer Skulpturen – darunter mehrere Stücke aus der Hadriansvilla – zusammengestellt werden. Jene von Lord Lansdowne war für über 150 Jahre die bekannteste und prächtigste Privatsammlung antiker Skulpturen in Großbritannien. Leider wurde die Sammlung 1930 über Christie’s in London versteigert und in der Folge auf die ganze Welt verstreut. Der Lord hatte bereits während der 1770er Jahre im Rahmen seiner Grand Tour etwa 55 Skulpturen durch die Vermittlung von Thomas Jenkins, aber auch von anderen Künstlern erworben. Der spiritus rector hinter den Verhandlungen war aber Gavin Hamilton, welcher nicht nur zahlreiche Funde aus seinen Ausgrabungskampagnen besorgte, sondern auch die Galerie-Entwürfe für Landsdowne verantwortete. In einem seiner zahlreichen Briefe beschreibt Hamilton die erfolgreichen Ausgrabungen in der Nähe von Grottaferrata. Erwähnt wird das dem Papst zustehende Vorkaufsrecht beim Erwerb von Reliefs, die der Schotte gefunden hatte. Ferner berichtet er im Januar 1773 von Ausfuhrproblemen mit einer Statue (vermutlich der Diskophoros aus Tor Colombaro), die – ein einzigartiges Vorkommnis – trotz einer bereits ausgestellten Lizenz von den päpstlichen Behörden konfisziert wurde:
I am now making my excavations near Grotto Ferrata where I have begun with some success, having already found some very fine bassorilievos &c which are already bespoken for the Pope. His Holyness seems to have very extencive views with regard to the new museum & the difficulties of sending antiques encreases dayly. They have hold of my fine statue that I found at Albano, notwithstanding I had already got my license sign’d, a thing never practiced before.
Wenige Monate später spricht Hamilton in einem weiteren Brief konkret und direkt über Preise, Zahlungsbedingungen und weitere empfohlene Werke für die Sammlung des Earl of Shelborne:
I have already given to Marquis Belloni my bills on your Lordship for £300, payable 40 days after date, wh. I make no doubt you will honour with acceptance & shall place this sum with the £250, received of Barazzi formerly to the account of this year 1773. Inclosed I send a note of those pieces of sculptour wh. I propose sending for this year & which on account of Cincinnatus & Meleager run high. […] As to the Amazon, your Lordship will find it one of the best of that kind, particularly the head, which surpasses much any that I have yet seen, not excepting that of the Pope Museum, so much esteemd.
Ein wesentlicher Moment zwischen Auffindung einerseits und Verkauf, Versand bzw. Neuaufstellung andererseits der Kunstgegenstände war der Zeitraum, in dem die Objekte in den Werkstätten lagerten, um dort ergänzt oder restauriert zu werden, bevor sie zum Verkauf angeboten wurden. Diese entscheidende Phase ist oftmals sehr gut dokumentiert sowie Thema theoretisch-wissenschaftlicher Abhandlungen.
Restaurierungsberichte sind vor allem im Zusammenhang mit den Erwerbungen für die päpstlichen Sammlungen in dem großen Archivalien-Bestand des römischen Staatsarchivs erhalten. Andererseits wurden Fragmente oftmals nicht ergänzt, um den Export aus dem päpstlichen Gebiet und ihren Transport in In- und Ausland zu erleichtern und um auf diese Weise Beschädigungen zu vermeiden. Die Geschäfte mit den anvisierten Käufern wurden dann so abgewickelt, dass die Fragmente erst nach der Ankunft vor Ort ergänzt wurden. Erfolgte eine Restaurierung, so unterscheiden sich die Beschreibungen der zu verkaufenden oder exportierenden Werken in ihrer Ausführlichkeit je nachdem, ob diese von den Ausgräbern direkt nach der Freilegung der Fragmente oder als Gutachten von den zuständigen Vertretern der Commissari delle Antichità verfasst worden waren. Die ersten sind sehr summarisch und nennen die Zahl bzw. die Ikonographie der Stücke und manchmal auch eine Preisangabe (Wertschätzung oder Restaurierungskosten). Nach den Ausbesserungsarbeiten sind die Eingriffe oft als „modern“, „gewöhnliche Leistung“ oder „angepasst“ (riattato) hervorgehoben. Drei Auszüge aus diesen Dokumenten zeigen wie dieselben Skulpturen unmittelbar nach der Freilegung von dem Maler Gavin Hamilton (H), nach der Restaurierung von dem Bildhauer Pietro Bracci (B) bzw. von Giovanni Battista Cantoni (C), Assessore del Commissario delle Antichità, beschrieben wurden.3. November 1758
H: una statua di Apollo con molte parti fatte modernamente dal Sig. Cavaceppi Scultore.
C: la suddetta Statua è di palmi sette di marmo bianco con tutto il Braccio destro moderno, mano; parte del braccio, e la maggior parte della gamba sinistra perimenti moderna; in molte parti delle pieghe riattata, e con Testa antica riportata; quale stimo di ordinario merito.
28. Juli 1759
H: due Statue ristaurate con molto lavoro moderno.
C: due Statue, una delle quali al naturale rapresenta una Amazone di marmo bianco con ambedue le braccia, le due gambe, parte di una coscia, e collo moderni; Testa antica riportata, con solo Torso antico riattato nelle pieghe in più parti. E l’altra rappresenta un Giovine consolare dello stesso marmo di palmi sei, con le braccia, collo e parte di un piede moderni, è riattato nelle pieghe, con Testa antica riportata; quali due Statue tanto per conto del molto Lavoro, e supplimento moderno, che anno, quanto per raggione de soggetti ordinarj, e frequenti, le stimo di poco merito.
20. April 1774
H: due statue antiche riattate ed un Putto.
B: le due sopradette Statue di marmo, una delle quali rappresentante Agrippina; hà questa di moderno ristaurato il braccio destro; la mano sinistra, gran parte di panneggiamento, e la testa riportata non sua; rappresenta l’altra una statua imperiale con somiglianza di Augusto, con braccio destro, mano sinistra, gamba, parte del volto, e del paludamento di moderno lavoro: alte ambedue palmi nove, e di mediocre scoltura; come anche è il sovraccenato Putto di marmo mancante di Braccia, gambe e testa scudi cento ottanta.
Diese detailreichen Dokumente geben eine Vorstellung davon, was während der Restaurierung geschah und zeigen, wie wichtig die Art des Eingriffs oft sein konnte. Diese Quellenlage existiert hauptsächlich für jene Werke, die Teil der päpstlichen Sammlungen waren. Privatpersonen hingegen brauchten eine solche Dokumentation nicht, oder sie war dann relevant, wenn sie eine Rechnung oder Bezahlung belegen musste. Eine der bekanntesten zum Verkauf zusammengestellten Antikensammlungen befand sich in der casa-museo-bottega
Die Rolle und die Bedeutung von Piranesis Sohn Francesco konkretisieren sich außerdem gerade in seiner regen publizistischen Tätigkeit: Er verfasste u.a. den Itinéraire de Rome (1788) sowie zahlreiche Briefe und Beschreibungen künstlerischen Inhalts, die neues Material zu den aufgefundenen Antiken erhalten. Zum Beispiel berichtete Francesco in einem Brief vom 17. August 1783 von der Freilegung der Statue des Schlafenden Endymions (Abb. 6) durch Kardinal Marefoschi und von den sich für die Statue interessierenden Käufern: On lui a donné avis d’une superbe statue d’Endimion dormant qu’on a trouvée a la Ville Adrianne à Tivoli precisement dans en lieu qu’on appelle le Palais de l’Empereur. Il est d’une beauté ravissante, et passera probablement dans les Museon Vatican […].
Die Skulptur erwarb schließlich Gustav III. von Schweden. Offizielle Exportbriefe wurden nach Ermessen des Pontifex ausgestellt, wie z. B. jener für die Statue des Endymions: Der Papst genehmigte am 14. August 1785 die Ausfuhr der berühmten Skulptur.
Der schwedische Herrscher hatte während seines 1783/1784 erfolgten Aufenthaltes in Rom Bildhauerwerkstätten und Antikensammlungen besucht und war in den Vatikanischen Museen Gast von Pius VI. gewesen (Abb. 7).Zusammen mit dem schwedischen Sekretär und Antiquar Fredenheim war Francesco Piranesi eine zentrale Figur für die Vermittlung antiker Kunstwerke, vor allem weil es ihm gelang, dem schwedischen Hof die väterliche Antikensammlung für das 1794 in Stockholm eröffnete Königliche Museum zu verkaufen.
Eine andere Form der Berichterstattung stellt das über 40 Jahre lang täglich geführte Tagebuch von Vincenzo Pacetti dar, der minutiös festhielt, was auf dem römischen Kunstmarkt geschah. Er hat eine außerordentliche Anzahl von Namen und Ereignissen verzeichnet, die es – synchron gelesen – erlauben, die dynamische römische Kunstwelt zu rekonstruieren. Einige Notizen betreffen auch die Hadriansvilla und den Verkauf von Antiken, inklusive der Nennung von Käufer und Preis, wie z. B. jene über eine große Kunsttransaktion: Adi 5 Gennaio 1792: Ieri si è effettuata la vendita in Villa Adriana ove comprò tutte le sculture M.r Hienchins [Jenkins] per il prezzo di sopra duemila scudi.
Transport und Ausfuhr
Sofern die Auffindung der Antike und ihre Abwicklung reibungslos verlaufen waren, erfolgte beispielsweise der Versand nach England auf dem Seeweg von Civitavecchia oder Livorno über Genua oder andere Häfen bis zu den verschiedenen englischen Docks.
Darüber geben uns Briefe wiederum Auskunft. Auch Zeitungen bieten vielfach Ausschlüsse: Während der Diario Ordinario di Roma über die Entdeckungen und Geschäfte auf dem römischen Kunstmarkt informierte, gab die Gazzetta Toscana ein Bild der Situation in dem Großherzogtum und auch über die Ereignisse im Hafen von Livorno. Manchmal gab es bei diesen Überführungen unerfreuliche Zwischenfälle, wie am 7. Januar 1779, als das britische Handelsschiff Westmorland vor der spanischen Küste bei Malaga von zwei französischen Kriegsschiffen gekapert wurde. Das Ereignis änderte das Schicksal der verschifften Kunstwerke (u.a. Bücher, Graphik, Gemälde, antike Skulpturen), die anstatt nach England zu gelangen, zuerst in der andalusischen Hafenstadt gelagert wurden. Vier Jahre später (1783) wurde im Auftrag des spanischen Königs Karl III. ein Inventar der 778 Objekten aus den 50 Kisten zusammengestellt, das nicht nur die Werke und ihren geschätzten oder wirklichen Wert, sondern auch ihre Besitzer nennt. Diese Unterschlagung löste eine dichte Korrespondenz zwischen denjenigen aus, die ihre jeweiligen Rechte durchzusetzen suchten: Es waren vor allem die Eigentümer, die ihre Werke zurückforderten, aber auch Künstler und Vermittler, die die Bezahlung für die an diesen Objekten geleistete Arbeit reklamierten.Neue Ausstellungskontexte
Weitere Quellen zur Objektbiographie der antiken Artefakte ergaben sich in Wechselwirkung mit neuen Ausstellungsorten: Inventare, Werkverzeichnisse oder Beschreibungen erlauben es, das ‚neue Leben‘ der Objekte zu verfolgen und diese in den neuen Kontexten zu identifizieren, obwohl sie nicht immer klare Beweise einer bewussten Sammelpolitik bieten. Die tatsächliche Wahl der Akquisitionen scheint weitgehend von der Zufälligkeit der Funde und von wirtschaftlichen Faktoren bestimmt worden zu sein: dem Vorhandensein der Werke sowie der finanziellen Verfügbarkeit bzw. Zahlungsbereitschaft der Käufer.
Solche Dokumentationen helfen jedoch in der Regel nicht, die originale Fundsituation zu klären. Wegen der massiven Verlagerung der Werke kann im Falle der Hadriansvilla der Fundort sehr selten Auskunft über den ursprünglichen Aufstellungsort oder das zugehörige Gebäude geben. Da die gesammelten Artefakte allein nicht ausreichen, um die originale Anordnung in neuen Kontexten zu rekonstruieren, erhob ihr ‚modernes‘ Arrangement ex situ nur gelegentlich den Anspruch auf Wiederherstellung eines ‚authentischen‘ Milieus. Darüber hinaus müssten vom Fall zu Fall der Provenienznachweis aus der Hadriansvilla überprüft werden, denn diese Ortsangabe konnten auch fälschlicherweise gemacht worden sein, um den Wert und das Prestige der Sammlung zu steigern.
Im Zusammenhang mit der Hadriansvilla ist bis jetzt ein einziges aussagekräftiges Beispiel bekannt, bei dem eine inhaltlich zusammengehörende Skulpturengruppe nach ihrer Auffindung ‚kohärent‘ aufgestellt wurde, wenn auch über ihre genaue Verortung in der kaiserlichen Anlage lange spekuliert werden kann. Es handelt sich um eine signifikante Anzahl ägyptisierender Skulpturen, die im Laufe mehrerer Kampagnen auf dem Gelände der kaiserlichen Residenz ausgegraben wurden. Zu diesen Funden gehören die beiden über drei Meter hohen Telamonen aus rotem Granit, welche schon in der Frühneuzeit aus der Villa entnommen und in Tivoli am bischöflichen Palast angebracht worden waren. Seit 1779 flankieren sie im Vatikanischen Museo Pio-Clementino das Portal, das die Sala a Croce Greca mit der Sala Rotonda verbindet (Abb. 8).
Mit diesen Kolossalstatuen begann eine erfolgreiche Anzahl von Entdeckungen ägyptisierender Skulpturen in der Hadriansvilla. Einen entscheidenden Impuls gaben die Ausgrabungen der Jesuiten auf ihren Grundstücken bei dem sogenannten Kanopus-Serapeums-Komplex, der Roccabruna und den Centocamerelle.
In der Nähe dieses letzten Gebäudes fanden sie in der Mitte des 17. Jahrhunderts zehn ägyptisierende Statuen aus lydischem Stein (sog. pietra di paragone), die wahrscheinlich aus dem vermeintlichen Antinoeion stammten und die nach mehreren Besitzerwechseln nach Spanien gelangten. In Wirklichkeit haben die vielen Umzüge nur zwei Statuen überlebt. Kardinal Camillo Massimo hatte in den 1670er Jahren die vollständige Gruppe zu sehr günstigen Konditionen erworben, danach restaurieren lassen und dem spanischen Botschafter Gaspar de Haro y Guzmán, 7. Marquis del Carpio weiterverkauft. Neun von ihnen kamen 1676 zusammen mit anderen Ägyptiaca in seiner Madrider Residenz an. Danach sind sie in den königlichen Palästen Philipps V. – La Granja und Aranjuez – dokumentiert, bevor sie verschwanden. Nur zwei tauchten im 19. Jahrhundert wieder auf und sind heute als Teil der Skulpturensammlung zusammen mit den sogenannten Odeons-Musen im Prado ausgestellt. Die Musen wurden in den 1660er Jahren von Christina von Schweden für ihren römischen Palast erworben und 1725 von den Odescalchi ebenfalls an Philipp V. für seinen Palast La Granja de San Ildefonso (Segovia) verkauft. Sie stammen aus den letzten Regierungsjahren Hadrians und reproduzieren griechische Modelle aus dem späten 2. Jahrhundert v. Chr. Bereits Ligorio berichtete, dass sie im 15. Jahrhundert unter Alexander VI. zutage gefördert worden waren. Marten van Heemskerck zeichnete sie zum Teil in den 1530er Jahren, als sie sich in der Villa Madama in Rom befanden.Im Areal um den Canopus-Serapeum bzw. bei der Roccabruna wurde in den 1730er Jahren eine weitere bedeutsame Anzahl ägyptisierender Statuen ausgegraben, die Papst Benedikt XIV. 1748 sofort für die neuen Kapitolinischen Museen erwarb. Er ließ sogar einen Raum zur Aufstellung der Skulpturen mit Nischen ausgestalten und nannte ihn Canopo. 1839 gelangen sie in die Vatikanischen Museen, in das neugegründete Museo Gregoriano Egizio, wo sie zunächst Funden aus dem Nil-Land zugeordnet wurden. Erst 1989 wurde ihre Provenienz aus der Hadriansvilla im Zuge einer Neuordnung des Museums durch den damaligen Kurator Jean-Claude Grenier thematisiert, der versuchte, ihre exakte Platzierung zu rekonstruieren und zu interpretieren (Abb. 9).
Die ägyptisierenden Skulpturen stellen nur ein Beispiel für eine repräsentative zusammenhängende Gruppe von Werken aus der Hadriansvilla dar, deren Geschichte sich recht gut nachverfolgen lässt. In vielen anderen Fällen ist die ursprüngliche Provenienz aus der Villa dagegen nicht mehr zu ermitteln. Für die neuen Ausstellungskontexte konnte die allgemeine Information „Tivoli-Hadriansvilla“ als Qualitätsmerkmal Relevanz erhalten, wenn auch eine genaue Rekonstruktion des originalen Umfelds nicht gewährleistet werden konnte. Das belegt eine weitere Gruppe aus acht ägyptisierenden Skulpturen aus dem Staatlichen Museum Ägyptischer Kunst in München. Sie kam ursprünglich ebenfalls aus der Hadriansvilla, wurde im 18. Jahrhundert von Kardinal Alessandro Albani erworben und befand sich in dessen römischer Villa (heutige Villa Torlonia), bevor sie 1798 nach Paris überführt wurden, um schließlich 1815–1816 im Rahmen der damaligen ‚Restitution‘ vom zukünftigen bayerischen König Ludwig I. erworben zu werden.
In München waren die Skulpturen zunächst in der Glyptothek mit anderen Antiken ausgestellt und kamen nach dem Zweiten Weltkrieg in das Interimsquartier der Residenz. Seit 2013 sind sie als Höhepunkt der zweiten Halle im neuen Ägyptischen Museum in München unter der identitätsstiftenden Provenienz aus der Hadriansvilla gruppiert (Abb. 10).Verglichen mit der über 4.000 Jahre alten ägyptischen Zivilisation sind diese Statuen aus dem 2. Jahrhundert fast ein Produkt der ‚Moderne‘ und daher nach ihrer topographischen Herkunft ausgestellt. Für den bayrischen Kronprinz war sowohl die erste Provenienz der antiken Artefakte – Hadriansvilla – als auch die zweite – Villa Albani – relevant.
Werke aus der Sammlung des Kardinals, der 1823 von Melchiorre Missirini als l’Adriano del secolo [XVIII] (der Hadrian des 18. Jahrhunderts) bezeichnet worden war, waren Garanten eines guten Geschmacks und hoher Qualität der königlichen Sammlung. Eine gesicherte Provenienz aus der kaiserlichen Anlage bei Rom ist nur für einige wenige der Skulpturen nachweisbar, während es sich bei den meisten von ihnen eher um tradierte Informationen handelt, die geprüft werden müssen, wenn auch ihr Wahrheitsgehalt nicht gänzlich zurückzuweisen ist. Eine Geschichte der ägyptisierender Skulpturen aus der Hadriansvilla ließe sich im Idealfall rekonstruieren, wenn sich alle Quellenarten sowie die erhaltenen Stücke in privaten und öffentlichen Sammlungen zusammenführen ließen.Fazit
Die Bedeutung des römischen Kunstmarkts im 18. Jahrhundert brachte in den 1760er Jahren Joseph Jérôme Lefrançois de Lalande zum Ausdruck, der ihn als die dritte wirtschaftliche Säule des Kirchenstaats bezeichnete. Mit dem Kunstmarkt sind Begriffe und Akteure wie connoisseurship, expertise, tastemaker, intendenti, Sammler sowie Künstler, Restauratoren, Agenten, Vermittler, Vertreter ausländischer Höfe aber auch Einheimische – darunter Adelige und kirchliche Würdenträger – verbunden. Die Beteiligung so vieler unterschiedlicher Menschen hat eine dichte Dokumentation hervorgebracht, die, wie die Akteure selbst, recht heterogen ist. Das Phänomen der Ausgrabungen von antiken Stätten – sowohl in Rom als auch in seiner Umgebung – erlebte seinen Höhepunkt im 18. und 19. Jahrhundert. Deren Dokumentation verhält sich dazu umgekehrt proportional: Die Archäologie als Wissenschaft war noch nicht „geboren“, und obwohl seit der Renaissance antiquarische Interessen bestanden, die Ausgrabung von Antiken durch päpstliche Dekrete reglementiert bzw. durch explizit dafür ernannte Kommissare überwacht wurde, waren die Informationen zu den Funden aus den verschiedenen Ausgrabungen eher uneinheitlich, knapp, manchmal tendenziös. Wenn man auch großzügig auf die reichen Briefwechsel, auf die Verkaufskataloge und Sammlungsinventare zurückgreifen kann, müsste man dennoch bei der komplexen Lage der Hadriansvilla sorgfältig eine komparative Auswertung der Dokumente vornehmen. Dazu sollten auch andere Methoden und Quellengattungen herangezogen werden. Eine Rezeption der antiken Artefakte darf nicht nur auf den schriftlichen Dokumenten basieren, ferner müssten fehlende oder mangelhafte Informationen in den Beschreibungen, Tagebüchern, Verträgen mit Restauratoren, Inventare und Schätzungen,Verkaufskatalogen, Ausfuhrgenehmigungen, Bestandskatalogen der Sammlungen durch Bildquellen ergänzt werden.