Materielle Kultur und die Funktionen der Beutelogistik in der Conquista Amerikas

Abstract
Wenn die Konquistadoren in Spanisch-Amerika Edelmetalle oder Edelsteine akquirierten, mussten sie königliche Vorgaben für den Umgang mit diesen Objekten befolgen. Die Verwaltungs-, Markierungs-, Besteuerungs- und Distributionsakte beeinflussten die Ordnung(en) der Beute in mannigfaltiger Weise: Sie konnten sie herstellen, auflösen oder modifizieren. Solche Veränderungen der Ordnung finden sich insbesondere in der Conquista, weil es sich da um Objekte handelt, die in einem konfliktiven bis gewaltsamen und in einem interkulturellen Kontext ihren Besitzer wechselten. Im Folgenden soll daher der Frage nachgegangen werden, welche strukturierende Dimension die Beutelogistik während der Conquista enthielt. Ich zeige, dass die Logistik geraubter Dinge in der Conquista eine spezifische Vielschichtigkeit aufwies und die weitreichenden Transformationen prähispanischer Ordnungen förderte.
Abstract (englisch)
When the conquistadors in Spanish America acquired precious metals or gems, they had to follow royal guidelines for handling these objects. The acts of administration, marking, taxation, and distribution influenced the order(s) of the booty in many ways: They could create, dissolve, or modify them. Such transformations of order are found especially in the Conquista because there, the objects changed their owner in a sometimes violent and in an intercultural context. In the following, we will examine the question of what structuring dimension the looting logistics contained during the Conquista. I show that the logistics of looted things in the Conquista had a specific complexity and fostered the far-reaching transformations of pre-Hispanic orders.
Inhaltsverzeichnis
Relikte der Inka, Maya, Nahua, Chibcha etc. gehören heute zu den besonderen Sehenswürdigkeiten europäischer und amerikanischer Museen.
Viele der edelmetallenen Artefakte stammen dabei aus modernen archäologischen Ausgrabungen prähispanischer Fundstätten, denn während der Kolonialzeit schmolzen die Spanier die meisten davon früher oder später ein. (Abb. 1 und Abb. 2) Während diese Transformation von Körperschmuck, Grabbeigaben und sakralen Gegenständen zu Goldbarren oder Silbermünzen simpel erscheinen mag, enthüllt ein genauerer Blick auf dieses Phänomen dessen Komplexität.- Abb. 1: Kriegerfigur aus Gold, Silber und Kupfer, Zentralmexiko nach 1325. Cleveland Museum of Art, 1984.37, (CC0 1.0).
- Abb. 2: Goldbarren aus Tenochtitlan um 1519–1520. Museo Nacional de Antropología, Mexiko-Stadt, INAH 10-220012, Foto: Vitus Huber.
Monoton wirkende Vorgänge wie das Registrieren und Markieren, das Verwalten, Aufbewahren oder Transportieren von Objekten können die Ordnung(en) dieser Objekte in vielfältiger Weise beeinflussen, sie also herstellen, auflösen oder modifizieren. Dass eine solche Veränderung der Ordnung geschieht, ist umso wahrscheinlicher, wenn es sich um Objekte handelt, die in einem konfliktiven bis gewaltsamen und/oder in einem interkulturellen Kontext ihren Besitzer wechseln.
In einem ersten Schritt gilt es nach den präskriptiven Ordnungen zu fragen, die bereits im Vorfeld eines Konquistadorenzuges durch die Spanier hinsichtlich der Beuteobjekte hergestellt wurden. In einem zweiten skizziere ich, wie die Beutelogistik konkret funktionierte. Wie gestalteten sich die Normen und Praktiken, die unter anderem überhaupt erst dazu führten, dass amerikanische Schätze zu Gold- oder Silberbarren geschmolzen wurden? In einem dritten Schritt sind die damit einhergehenden Transformationen der Beuteobjekte und ihrer Bedeutungszuschreibungen zu analysieren. Dass diese Zuschreibungen je nach Kulturkreis und je nach Zustand des Objekts variierten, klingt banal. So erhielt beispielsweise der berühmte Federkopfschmuck, der heute zu den Highlights des Weltmuseums in Wien zählt, für europäische Betrachterinnen und Betrachter eine andere Bedeutung als für die Angehörigen der Nahua-Kulturen. (Abb. 3) Was hingegen frappiert und hier dargelegt wird, ist, wie vielschichtig die Ordnungen der Objekte waren und wie bedeutend der Umgang damit für die Conquista war.
- Abb. 3: Penacho bzw. quetzalāpanecayōtl genannter Federkopfschmuck nach Geschenk von Moctezuma an Hernán Cortés, der heute im Weltmuseum Wien zu sehen ist. Hier Kopie ca. 1950 aus Museo Nacional de Antropología, Mexiko-Stadt, Foto Thomas Ledl (CC BY-SA 4.0).
Imaginierte Gewinne. Präskriptive Ordnungen durch normative Beuteteilung
Alonso Luis Hernández de Lugo handelte am 22. Januar 1535 für seinen Vater Pedro Hernández de Lugo, spanischer adelantado und Gouverneur der Kanarischen Inseln, mit der spanischen Krone eine capitulación aus. Mit solchen lizenzähnlichen Vereinbarungen erteilte die Krone privaten Lizenznehmern – capitulantes genannt – die Erlaubnis, ein bestimmtes Gebiet der ‚Neuen Welt‘ zu „entdecken“ (descubrir) und/oder zu „erobern“ (conquistar). Die Krone und Hernández de Lugo legten darin die Bedingungen für dessen Expedition nach Südamerika fest, genauer gesagt in die Provinz Santa Marta. Schon vor Beginn eines Unternehmens definierten sie dabei potenzielle Funde von Ländereien und Bodenschätzen als Beute. Zugleich bestimmten sie, wer von ihnen welche Ansprüche auf die erhoffte Beute erheben durfte. Die Befugnis dazu hatte die Krone in den alexandrinischen Bullen vom Papst zugesprochen und im Vertrag von Tordesillas (1494) vom Rivalen Portugal zugestanden bekommen.
Wie bei Handelsverträgen mit unbestimmtem Geschäftserfolg teilten die Parteien die Erträge relational zueinander in Prozent auf. Um die potenziellen Ertragsressourcen semantisch lückenlos abzudecken, wurden nicht nur Kategorien wie Gold oder Handelsware explizit genannt. Eine Klausel proklamierte in totalem Duktus, dass sich die Abgaben auf „alles, was sie haben würden“ (todo lo que hubiereis), beziehe. Die Krone, welche die Unterfangen nicht finanzierte, sondern nur legitimierte, forderte in der Regel 20 Prozent als quinto real ein. Dieser königliche Fünfte galt in variierender Form seit den spätmittelalterlichen Beutepraktiken auf der Iberischen Halbinsel als zweifaches Privileg des Königs: zum einen auf allen Bodenschätzen in seinem Reich sowie zum anderen auf Beute – insbesondere auf Edelmetallen und Edelsteinen. 1504 wurde er für Spanisch-Amerika auf „Gold, Silber und Metallen aus Minen oder rescate“ gesetzlich festgeschrieben. Bei den späteren Conquista-Unternehmen wie jenem von Hernández de Lugo verlangte der König mehrfach sogar 50 Prozent der Beute zuzüglich der Schmelzrechte und des Fünften der anderen Hälfte, wenn der feindliche Fürst bei der Konfrontation getötet worden war. Hatten ihn die Konquistadoren am Leben gelassen – was die Krone durch diese Maßnahme zu fördern bezweckte –, mussten nur ein Sechstel und der königliche Fünfte abgegeben werden. Bei anderen als Hernández de Lugos Kapitulation gestattete die Krone indes oft eine Reduktion des Quinto Reals für die ersten – maximal zehn – Jahre, gewissermaßen als Starthilfe. Der verbleibende Rest, also 80 Prozent, sollte der Anführer unter den Teilnehmern im Sinne der Verteilungsgerechtigkeit (iustitia distributiva), das heißt je nach ihrem Beitrag, aufteilen.
- Abb. 4: Eine Kiste mit drei Schlössern (arca de tres llaves) aus dem 17. Jh. Casa de Ponce de León, San Juan PR, Foto Vitus Huber.
Ein weiteres Instrument, um den königlichen Fünften zu konsolidieren und eine normkongruente Beuteverteilung zu garantieren, stellte die arca de tres llaves dar. Die Schlüssel zu dieser sogenannten „Kiste der drei Schlösser“ (Abb. 4) sollten den königlichen Vorschriften zufolge verteilt sein auf den Schatzmeister, den Buchhalter und den Tributverwalter. So ließ sich die Kiste nur in Anwesenheit aller drei öffnen. Es gab auch Varianten davon mit nur zwei Schlössern, die der Generalkapitän (der oberste Anführer) und ein Amtmann besitzen sollten. In dieser Truhe hatte der Schatzmeister die ihm überreichten Schätze sowie wichtige Dokumente und das königliche Prägesiegel aufzubewahren.
Zwei weitere Maßnahmen zur Sicherung des königlichen Fünften bestanden zum einen im Erlass zur Edelmetallschmelzung und zum anderen in der Forderung nach Buchführung und Berichterstattung. Die Krone proklamierte am 14. September 1519, dass alles Gold, das die Spanier in den Amerikas akquirierten, bewertet, eingeschmolzen und geprägt sowie der Quinto Real davon abgezogen werden musste. In den Kapitulationen und Instruktionen an die Generalkapitäne verlangte die Krone, dass über alle Einkünfte und Ausgaben Buch geführt werde. Außerdem musste ihr über den Verlauf der Expedition Bericht erstattet werden. Auf die Auswirkungen dieser Vorschriften wird weiter unten vertieft eingegangen.
Als Zwischenfazit lässt sich hier festhalten, dass die Krone und Konquistadoren basierend auf spätmittelalterlichen Normen und Praktiken Rechtsansprüche erhoben, die erst auf Erwartungen beruhten und demnach ohne Kenntnis der realen Beute entstanden. Damit machten die europäischen Akteure nach ihrem Rechtsverständnis die Bodenschätze und die Bevölkerung Amerikas bereits im Vorfeld diskursiv zur Beute. Die beiden Vorgaben, die Erze einzuschmelzen und über die Einnahmen Buch zu führen, sollten durch ihre Umsetzung die heutige Überlieferungslage fundamental beeinflussen. Wie funktionierte also die Beutelogistik in der Praxis und wie bemühte sich Hernández de Lugo darum, dass die Instruktionen eingehalten wurden und sowohl die Krone als auch er selbst an die vereinbarten Anteile der Beute kamen?
Gold und Smaragde in Kolumbien. Normen und Praktiken der Beutelogistik
Hernández de Lugo, der durch die Kapitulation von der Krone zum Gouverneur von Santa Marta an der heute kolumbianischen Karibikküste ernannt worden war, verfasste dort am 4. April 1536 eine Instruktion für Gonzalo Jiménez de Quesada. Darin beauftragte er diesen als Generalkapitän eine Entrada ins Landesinnere durchzuführen, wozu er ihm auch befahl, mindestens einen Amtmann zu ernennen. Jiménez de Quesada sollte außerdem der königlichen Vorschrift Folge leisten und die Einkünfte während der Entrada schriftlich festhalten. Sowohl der Aufseher wie auch er selbst hatten Buch zu führen.
Weil der Schatzmeister in der Regel ebenfalls aufschrieb, was und wie viel ihm überreicht und wieder genommen wurde, lagen im Idealfall drei Listen über die Beuteeinnahmen vor. Überliefert sind am Ende meistens weniger, in diesem Fall jene des Generalkapitäns – allerdings mit Indizien dafür, dass damals noch eine zweite existierte.- Abb. 5: Axtgeld bzw. kupferne Axtklingen, die neben Kakaobohnen und Tüchern im zentralmexikanischen Hochland als Zahlungswährung fungierten. Royal Museum of Art and History Brüssel, AAM 48.26.1ff., Foto Vitus Huber.
Am 6. Juni 1538, also rund einen Monat vor der Gründung von Santa Fé de Bogotá, ließ Jiménez de Quesada nach über zweijährigen Eroberungszügen unterwegs die Teilung der Beute anordnen, ein Vorgang, der insgesamt neun Tage dauerte: Zuerst überprüfte der Schreiber Gil López, ob die beiden Bücher des Generalkapitäns und des Aufsehers Diego de Aguilar übereinstimmten. Das taten sie. Danach durchsuchten der Schreiber und Jiménez de Quesadas Bruder Hernán Pérez de Quesada die Schlafplätze und Wäsche der Konquistadoren auf potenziell unterschlagene Beute. Das erwies sich zwar als überflüssig, aber zeigt, dass die Beute nicht immer in Kisten mit drei Schlössern transportiert wurde.
Sicherlich gingen die Konquistadoren hier sehr pragmatisch vor und transportierten die Schätze auch in Säcken und Kisten mit nur einem oder ganz ohne Schloss. Nach Möglichkeit ließen sie diese von lokalen Trägern schleppen. Um also Beuteunterschlagungen zu minimieren, ordneten die Hauptmänner Durchsuchungen (catas) an, und es drohten hohe Strafen auf diesbezügliche Vergehen. Solche wurden unter Umständen aufgedeckt, wenn die Edelmetalle keine offiziellen Prägemarkierungen trugen.Schiffe voller Schätze? Transformationen der erbeuteten Objekte
Der interkontinentale Transport von Schätzen aus den Amerikas nach Europa bildet im Falle mobiler Objekte den hier chronologisch letzten Schritt der Beutelogistik. Er forderte neben hochseetüchtigen Schiffen ebenfalls gewisse Kontrollmechanismen. Die geladene Ware wurde deshalb unter anderem in Frachtbriefen registriert. Jene von Hernán Cortés’ Schiffssendungen von Gold-, Feder- und Lederschmuck der Nahua an den spanischen Hof sind hierfür sehr anschauliche Beispiele. Zudem eignen sie sich, um nach den Konsequenzen dieser Beutelogistik auf die geraubten Dinge und die Conquista insgesamt zu fragen.
Mit den Praktiken der oben behandelten Beutelogistik gingen Transformationen der Beuteobjekte und ihrer Bedeutungszuschreibungen einher. Während diese Tatsache per se nicht sonderlich überrascht, bestehen in der Forschung unterschiedliche Thesen zu ihren Gründen. Dem französischen Semiotiker Tzvetan Todorov zufolge zerstörten Hernán Cortés und seine Gefährten bei der Conquista des zentralmexikanischen Gebiets die kulturellen und insbesondere die religiösen Artefakte wie Statuen indigener Gottheiten und ersetzten sie durch christliche Symbole wie Kruzifixe, um durch die so markierte Dominanz über die Götterwelt den irdischen Herrschaftsanspruch der Spanier zu untermauern. Die Herstellung einer neuen spirituellen Ordnung und die damit einhergehende Destruktion indigener Kulturgüter wurde in der Historiografie wiederholt als genialer Schachzug von Cortés dargestellt, doch entsprang sie bekanntlich mehreren Ursachen. Mehr noch als eine Diskussion um die Motive und Funktionen lohnt es sich hier, die Vielschichtigkeit der Transformationen erbeuteter Objekte auszuleuchten. Diese sollen im Folgenden auf ihren verschiedenen Ebenen, wie der rechtlichen, politischen, ökonomischen, symbolischen und kulturell-epistemischen, kurz analysiert werden.
Dass sich bei den Schmelz- und Prägeprozessen die Gegenstände physisch, also in ihrer äußeren Form, veränderten, ist unbestreitbar. Zu dieser neuen materiellen Ordnung kommen indes weitere Veränderungen hinzu, allen voran auf der rechtlichen Ebene: Nachdem das Bunt- und Edelmetall zuvor bereits den Besitzer gewechselt hatte, sei dies aus freiem Willen oder unter Gewaltanwendung geschehen, wurde der juristische Eigentumsanspruch auf diese Objekte durch den Schmelz- und Prägeakt offiziell bestätigt. Indem der neue Besitzer einen Teil der Beute als Steuer an die spanische Krone zahlte, legitimierte diese stellvertretend durch das königliche Prägesiegel die übrige Beute als rechtmäßiges Eigentum des Konquistadors – zumindest nach europäischem Rechtsverständnis. Diesem wussten sich zumindest einzelne indigene Eliten anzupassen, was sich aus deren Supplikationen um Tributreduktionen etc. punktuell schließen lässt.
Fazit
Die Conquista Amerikas bietet einen geeigneten Fall, um Ordnungen von Objekten und deren Transformationen zu beobachten. Die Analyse der Beutelogistik an den Beispielen der Entrada Jiménez de Quesadas und der Frachtbriefe von Hernán Cortés hat gezeigt, wie vielschichtig diese Ordnungen waren und wie die spezifischen Praktiken des Verzeichnens, Verwaltens und des Transportierens diese Ordnungen entweder erzeugten, zerstörten und/oder veränderten – wenn auch teilweise nur graduell. Die Beutelogistik entwickelte in der Conquista eine in mancher Hinsicht weitreichende strukturierende Dimension, die zu nachhaltigen Transformationen prähispanischer Ordnungen führte. Nicht zuletzt dadurch, dass die Beutelogistik die Produktion von Textquellen verlangte, hat sie die historiografischen Narrative lange geprägt und prägt sie teilweise weiterhin.
Insofern lohnt es sich, die Ansätze der materiellen Kultur für alternative Herangehensweisen an diesen welthistorischen Vorgang zu berücksichtigen.