Flüssigkeiten als Trägersubstanzen beim Gebrauch figürlicher Gießgefäße
Abstract
Der Beitrag beschäftigt sich mit der Aspektivierung von Material im Kontext von figürlichen Gießgefäßen des Hoch- und Spätmittelalters (12. bis 16. Jahrhundert) mit einem räumlichen Fokus auf Mittel- und Westeuropa. Dabei wird gefragt, welche Aspektivierungen der von den Gefäßen aufgenommen und abgegebenen Flüssigkeiten als auch hinsichtlich des Herstellungsmaterials der Objekte identifiziert werden können. Des Weiteren wird untersucht, in welcher Relation die figurale Gestaltung der Gefäße zu diesen Aspektivierungen stehen.
Zu diesem Artikel existiert eine Episode des begleitenden Podcasts “Sonic Trinkets”:
Abstract (englisch)
The article deals with the aspectivation of material in the context of figurative serving vessels of the High and Late Middle Ages (12th to 16th century) with a spatial focus on Central and Western Europe. The question is asked which aspectivations of the liquids contained and dispensed by the vessels can be identified, as well as with regard to the material of manufacture of the objects. Furthermore, the relationship between the figural design of the vessels and these aspectivations will be investigated.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Wie faßt die Leere des Kruges? Sie faßt, indem sie, was eingegossen wird, nimmt. Sie faßt, indem sie das Aufgenommene behält. Die Leere faßt in zwiefacher Weise: nehmend und behaltend. Das Wort ‚fassen‘ ist darum zweideutig. Das Nehmen von Einguß und das Einbehalten des Gusses gehören jedoch zusammen. Ihre Einheit aber wird vom Ausgießen her bestimmt, worauf der Krug als Krug abgestimmt ist. Das Zwiefache Fassen der Leere beruht im Ausgießen. Als dieses ist das Fassen eigentlich, wie es ist. Ausgießen aus dem Krug ist schenken. Im Schenken des Gusses west das Fassen des Gefäßes.
Martin Heidegger bringt in seinem Aufsatz Das Ding am Beispiel des Kruges auf den Punkt, was ein konkretes Ding ausmacht: Es ist weniger ontologisch definiert als durch seinen Gebrauch. Heideggers Text ist eine Warnung davor, Dinge nur über wenige, spezifische Eigenschaften zu charakterisieren, und fordert dazu auf, sich diesen über die Bandbreite von Gebrauchsmöglichkeiten anzunähern.Einleitung jener (historische) Vorgang bezeichnet, „aus der Vielzahl der Eigenschaften, Verfügbarkeiten, Zuschreibungen, Bedeutungen und Wirkungen eines Materials jene Aspekte zu fixieren, die in konkreten Settings sowie in Situationen oder Konstellationen als Teile kultureller Prozesse relevant sind.“
Im Folgenden werden zunächst der methodische Zugang näher erläutert und die Fragestellungen konkretisiert. Der weitere Aufbau des Beitrages erfolgt entlang der Hauptfragestellungen:
- Welche Flüssigkeitsaspekte wurden im Rahmen welcher Gebrauchssettings, das heißt in welchen konkreten sozialräumlichen Konstellationen im Umgang mit selbigen aktiviert?
- Welche Materialaspekte der Gießgefäße nehmen Bezug mit welchen Flüssigkeiten und mittels welcher damit verbundenen Praktiken bzw. Settings?Aktivieren die figuralen Motive der Gießgefäße Aspekte des Gebrauchs und/oder der Gefäßwerkstoffe?
- Lassen sich bei diachroner Betrachtung im Wechselspiel zwischen Flüssigkeitsgebrauch, Objektherstellung und -nutzung neue Aspektivierungen beobachten?
Methodische Annäherungen und Grundprobleme
Da der Beitrag aus archäologischer Perspektive erarbeitet und verfasst wurde, erscheint es sinnvoll, zunächst aus praxeologischer Perspektive auf den Umgang mit Flüssigkeiten durch den Gebrauch figuraler Gießgefäße zu blicken. Dafür stehen nach A. Velings Modell der Archäologie sozialer Praktiken
drei Analysekategorien zur Verfügung: die Materialien (materielle Objekte und Materialien inkludierend), sowie die Praktiken und die Settings, in die beide spezifisch und situativ eingebettet sind (Abb. 1). Als Settings werden, aufbauend auf Veling, die konkreten sozialräumlichen Kontexte und Situationen des Gebrauchs bezeichnet. Die Herausforderung der archäologisch-praxeologischen Annäherung an den Gebrauch von Flüssigkeiten ist freilich, dass die fluiden Inhalte im wahrsten Sinne des Wortes ‚verflossen‘ sind: Bestenfalls bieten Rückstände in den Gefäßen Hinweise auf deren ehemaligen Inhalt. Analysen zur Identifizierung derartiger Substanzen in mittelalterlichen Originalartefakten sind aber – im Gegensatz zu antiken Vorbildern – bislang nicht durchgeführt worden und konnten im Rahmen dieses Beitrages nicht geleistet werden. Ebenso war es nicht möglich, Gebrauchsspurenanalysen durchzuführen. Auch der klassische anthropologische Zugang der teilnehmenden Beobachtung ist für den hier angesetzten Untersuchungszeitraum nicht geeignet. Hingegen kann der experimentelle Nachvollzug der Handhabung Aufschlüsse erbringen – immer unter der Prämisse, dass ein Experiment nur durch Falsifizierung Beweiskraft erlangt und in allen anderen Ergebnissen nur zur Plausibilisierung etwaiger Gebrauchspraktiken beizutragen vermag.Hinsichtlich der Settings stehen wir aus archäologischer Perspektive vor dem Problem, dass die allerwenigsten figuralen Gießgefäße bzw. deren Fragmente in archäologischen Formationen überliefert bzw. dokumentiert sind, die nahe am oder in einem Gebrauchskontext zu verorten sind. Rare und damit auch hinsichtlich einer Verallgemeinerung nur bedingt belastbare Nachweise stellen das im Versturz eines Kachelofens aufgefundene, metallene Hirsch-Aquamanile aus dem Brandzerstörungshorizont der Burg Scheidegg (Schweiz) der Zeit um 1320 sowie vereinzelte Funde von keramischen Aquamanilien aus Brunnenschächten dar.
Im Fall der hier diskutierten figuralen Gießgefäße lässt aber gerade die plastische Ausgestaltung auf eine Diskursivierung von Elementen des Beziehungsgefüges ‚Material − Praxis – Setting‘ im Sinne einer symbolischen Aufladung für unterschiedliche kommunikative Zwecke schließen. Die reichhaltige Literatur zur Ausdeutung insbesondere der Aquamanilien ist ein beredtes Zeugnis dafür, dass es eine weitgehende Übereinstimmung in der Scientific Community gibt, dass dies als Prämisse herangezogen werden kann, auch wenn die Bandbreite von eindeutiger Zeichenhaftigkeit bis hin zu einem objekt- und kontextspezifischen „semantischen Rauschen“ reicht. Es kann und soll daher nicht die Aufgabe sein, hier ein neues ‚Welterklärungsmodell‘ für Gebrauch und Bedeutung der mittelalterlichen figuralen Gießgefäße zu entwickeln. Entsprechend der Forschungsperspektive ‚Materialities‘ wird daher die Frage nach Praktiken des Materialgebrauchs und dessen Diskursivierung, genauer: nach dem Verhältnis von materialbezogenem Praxiswissen und diskursiviertem Materialwissen primär in Bezug auf die mit den Gefäßen manipulierten Flüssigkeiten, sekundär in Bezug auf die für die Gefäßherstellung genutzten Werkstoffe gefragt.
Eine zentrale Rolle in der Aspektivierung von Materialien durch Gebrauch und Diskurs spielt Materialwissen. Oftmals wird in der Forschung eine Dichotomie zwischen Praxiswissen als implizit im ‚Tun‘ erworbenen Kenntnissen (Know-how-Wissen) in Abgrenzung zu intellektuell vermitteltem Diskurswissen konstruiert, wobei, wie oben bereits angedeutet wurde, die Grenzen zwischen bewusstem und unbewusstem Handeln, wie auch zwischen bewusster und unbewusster Rezeption und Übernahme/Aneignung von Praktiken und Wissen eng miteinander verwoben sind. Es ist ein Anliegen dieses Beitrags, diese Dichotomie zu überwinden, indem auch nach den Wechselwirkungen zwischen Praktiken und Diskursen gefragt wird. Analog zu den anderen Beiträgen in dieser Ausgabe wird daher ein anderer Zugang gewählt und versucht, sowohl in Bezug auf den Gebrauch der Flüssigkeiten als auch in Bezug auf die Gefäßwerkstoffe nach möglichen Aspektivierungen und der diskursiven Aktivierung dieser Aspekte zu fragen. Um den Rahmen eines Beitrages nicht zu sprengen, wird der Fokus zunächst auf jene Flüssigkeitsaspekte gelegt, die im Gebrauch der Gießgefäße potenziell aktiviert werden. In weiterer Folge werden daher wiederum nur jene materiellen Aspekte der Gießgefäße behandelt, die mit den Flüssigkeiten bzw. deren Gebrauch mehr oder weniger plausibel in Beziehung gebracht werden können. Daraus folgt, dass hier nur Zusammenhänge zwischen den Flüssigkeiten, mit den Gießgefäßen verbundenen Praktiken von der Herstellung bis um Gebrauch und dem Material der Gießgefäße gefunden werden können und andere mögliche Aspektivierungen ausgeblendet bleiben. Auch hier gilt das für den experimentellen Nachvollzug Dargelegte: Die methodische Annäherung ist der Versuch eines gedanklichen wie praktischen Nachvollzugs, der Plausibilisierungen anbietet, mehr nicht. Die wissenschaftliche Aspektivierung stellt schon im Begriff überdies klar, dass wiederum nur Aspekte der vielfältigen historischen Gebrauchs- und Sinnbezüge sowohl der Materialien als auch der damit verbundenen Objekte und Settings herausgearbeitet und beleuchtet werden können.
Wasser predigen, Wein trinken?
Oder: welche Flüssigkeiten und zu welchem Zweck?
Figurale Gießgefäße, ihr Inhalt und ihr Gebrauch: Zum Forschungsstand
Im Folgenden soll die Objektgruppe der figürlichen Gießgefäße vorgestellt werden, anhand derer die Frage des Flüssigkeitsgebrauchs untersucht wird. Unter dem Begriff ‚Gießgefäße‘ werden Objekte aus unterschiedlichen Werkstoffen wie Metall (v.a. aus Bronze/Messing und Zinn, seltener aus Gold und Silber), Keramik, Glas und Holz zusammengefasst, die entweder durch Aufhängung oder Handgebrauch zum Ausgießen von Flüssigkeiten geeignet sind. In dieser Hinsicht sind sie durch Ein- und Ausgussöffnungen sowie zumeist durch Handhaben und Hängevorrichtungen in Form von Henkeln oder Bügeln gekennzeichnet. Das Spektrum an Phänotypen reicht dabei von Hochformen wie Kannen und Krügen über Kessel bis hin zu Schalen und Schüsseln. Dass Letztere nicht nur als Auffanggefäße von Flüssigkeiten dienten, sondern bisweilen auch zum Ausgießen, lässt sich allerdings in erster Linie nur über bildliche Quellen erschließen.
Aus dieser Palette ragen Objekte heraus, die entweder partiell figurale Gestaltungen, wie z.B. am Henkel oder am Ausguss, aufweisen oder – wie die Aquamanilien – als Hohlformen vollplastisch gestaltet wurden. Vor allem Letzteren galt sowohl im Rahmen von Ausstellungen als auch durch zahlreiche Publikationen das Hauptinteresse, während eine Zusammenschau verschiedener Gefäßtypen bislang selten erfolgte.Gießgefäße, die entweder teilweise oder komplett figural ausgeformt sind, firmieren unter dem Verabredungsbegriff ‚Aquamanilien‘ (Abb. 2). Zu den partiell figuralen Objekten gehören vor allem Kannen mit künstlerisch gestalteten Ausgüssen. Die Aquamanilien wurden vor allem aus zwei Werkstoffen hergestellt – aus Metall, hier wiederum vor allem aus Kupferlegierungen (Messing, Bronze) sowie aus Keramik. Sie umfassen ein breites Spektrum an Motiven, das weiter unten näher vorgestellt und diskutiert wird. Während die metallenen Aquamanilien vom (frühen) 12. bis in das 16. Jahrhundert produziert wurden,
Auch bei den Henkelkannen sind ab dem 14. Jahrhundert Ausgüsse mit figuraler, überwiegend zoomorpher Ausgestaltung als Sondertypus ansonsten formal identischer Kannen belegt (Abb. 5). Ihre Blütezeit hinsichtlich Produktion und Gebrauch dürfte im 15. Jahrhundert liegen, im 16. Jahrhundert läuft diese Gestaltungsvariante aus. Hinsichtlich ihrer Werkstoffe überwiegen Messingkannen, daneben sind in geringerer Anzahl auch Zinngefäße überliefert. Figural verzierte Kannen aus Keramik, vor allem, was die Ausgestaltung des Tüllenausgusses anbelangt, stellen eine absolute Ausnahme dar. Ihr Verbreitungsgebiet deckt sich mit jenen der einfach gestalteten Messingkannen, wobei aufgrund der weitgehend musealen Überlieferung hier nur sehr generalisierende Aussagen getroffen werden können.
Im Gegensatz zu den Aquamanilien, die – selbst bei den motivisch bisweilen stark abstrahierten keramischen Beispielen – immer figural gestaltet sind, sind die Kannen mit figuralen Ausgüssen somit immer im Kontext ihrer undekorierten Varianten zu analysieren, vor allem dann, wenn es um die Plausibilisierung eines möglichen Bedeutungsüberschusses ersterer geht. Selbiges gilt es auch zu bedenken, wo (undekorierte) Kannen und Aquamanilien potenziell als Gebrauchssubstitute der jeweils anderen Objektgruppe in Frage kommen könnten.
Somit nähern wir uns dem ersten Fragekomplex: Welche Flüssigkeiten wurden aus figuralen Gießgefäßen des Mittelalters zu welchem Zweck ausgeschenkt? Blickt man auf die Literatur, erscheint die Sachlage relativ klar: Wie bereits die beiden aus mittelalterlichen Schriftquellen entlehnten Verabredungsbegriffe ‚Aquamanile‘ und ‚Lavabo‘ nahelegen, stimmt die Forschung weitgehend darin überein, dass es sich um Wasserbehälter – einschließlich eventueller Duftessenzen – handelt, die für überwiegend rituelle (Hand-)Waschungen eingesetzt wurden. Diese reichen hinsichtlich der Settings von der christlichen Liturgie bis hin zu Reinigungsritualen im Kontext von Mahlen sowohl in christlichen, als auch in jüdischen Haushalten. ‚Lavabo‘ bezieht sich auf Psalm 25 (26), Vers 6: „Ich will meine Hände in Unschuld waschen / und will, Herr, deinen Altar umschreiten“, was sich gemäß dem Pentateuch auf das Reinigungsritual der jüdischen Priester vor dem Altardienst bezieht. Aquamanilien sind ein zusammengesetztes Wort aus ‚aqua‘ (lateinisch für Wasser) und ‚manus‘ (lateinisch für Hand), das begrifflich somit selbsterklärend ist.
Blickt man allerdings in die Antike, so zeigt sich, dass es zwar sowohl mehr oder weniger standardisierte Geschirrsets für ritualisierte Waschpraktiken, vorzugsweise im Mahlkontext, gab, dafür aber zumindest in der römischen Kultur keine figuralen Gießgefäße verwendet wurden.
Diese Frage erscheint umso mehr gerechtfertigt, wenn wir den Blick chronologisch in die andere Richtung, nämlich in die Neuzeit, lenken: Denn auch hier erfreuen sich figurale Gießgefäße großer Beliebtheit, unter diesen auch solche, die analog zu den mittelalterlichen Aquamanilien vollplastisch gestaltet waren und über zwei Öffnungen verfügten. Diese werden von der Forschung als Scherzgefäße angesprochen, die insbesondere in Willkommensritualen den Gast auf die Probe – konkret auf Trinkproben – stellen sollten (Abb. 7). Einmal mehr wechselt – nach Ansicht der Forschung – somit Gebrauch und Flüssigkeit, denn es wird wiederum Wein bzw. alkoholische Destillate statt Wasser geboten. Und nicht nur das: Die ‚Probe‘ ist wiederum ein ritualisiertes Austesten von Kulturtechniken, die entsprechendes Vorwissen voraussetzt oder zumindest abprüft, in diesem Fall als Teil einer Trinkkultur, nicht eines Waschrituals. Oder liegt die ‚Probe‘ gerade in der Verfremdung des Gebrauchskontexts, indem aus einem Reinigungsbehelf getrunken wird?
Potenzielle Aspektivierungen von Material im Gebrauch figuraler Gießgefäße
Es erscheint aus den genannten Argumenten geboten, an die Ursprünge zurück zu gehen und nach den Aspektivierungen von Flüssigkeiten zu fragen, die im Gebrauch dieser Gefäße auf verschiedenen Ebenen und – um in der Flüssigkeitsmetaphorik zu bleiben – kaskadenhaft aktiviert wurden. Blicken wir zunächst auf den kleinsten gemeinsamen Nenner dieser Gebrauchsgegenstände: Sie gießen. Und als Gießgefäße aspektivieren sie vor allem eine Materialeigenschaft aller Flüssigkeiten, nämlich das Fließen. Es braucht nicht unser heutiges naturwissenschaftliches Verständnis von Aggregateigenschaften von Flüssigkeiten, um zu wissen, dass ‚Fließen‘ der zentrale Aspekt von Substanzen im Aggregatszustand ‚flüssig‘ ist, aber damit ein Materialverhalten in Bezug auf andere Aspekte wie Temperatur und – wie wir heute wissen – (atmosphärischen) Druck darstellt. Darüber hinaus fließen fluide Substanzen in der Regel nur bergab, weil es – wiederum vom heutigen Wissensstand aus – von der Schwerkraft der Erde dazu aktiviert wird, sofern keine physischen Sperren, egal ob Dämme oder Gefäße, es daran hindert, dem tiefst möglichen Punkt zuzuströmen. ‚Fließen‘ ist daher ein materielles Verhalten von Flüssigkeiten und ‚Flüssig-Sein‘ ein Verhalten von Substanzen/Materialien in Bezug auf andere Phänomene.
Dieses Materialwissen wird in der Herstellung und dem Gebrauch von Gießgefäßen aspektiviert. (Abb. 8). Dies kommt bereits in der Bezeichnung der antiken Rhyta zum Ausdruck, deren Wort sich vom griechischen Verb rhein – ‚fließen‘ – ableitet.
Der Aspekt ‚Fließen‘ wurde in Bezug auf spezifisches Materialverhalten im Gebrauch fließender Substanzen aktiviert. Genau genommen werden jene Materialverhalten fließender Substanzen aspektiviert, die beim Kontakt mit Festkörpern, insbesondere bei Lebewesen, und hier natürlich vor allem bei Menschen beobachtet und als nützlich gespeichert wurden. Dazu zählen unter anderem:- Die Reinigungswirkung fließender Substanzen, insbesondere von Wasser. Denn diese ist deutlich höher als von stehenden Gewässern, auch was die Selbstreinigungskraft von Gewässern anbelangt. Diesen Effekt machen sich Menschen auch beim Waschen in stehenden Gewässern zunutze, zu denen auch Badewannen und Waschbecken gehören, in denen der Körper bzw. Körperteile im Wasser bewegt werden. Auf ritueller Ebene spielt dieser Aspekt beim Bau von Mikwen – jüdischen Ritualbädern – eine große Rolle: Die darin ausgeübten Ritualwaschungen durften nur in ‚lebendigem‘ Wasser stattfinden, zu denen in mittelalterlichen Städten aus Platzgründen auch das fließende Grundwasser gerechnet wurde.
- Flüssigkeiten löschen Durst. So banal es klingen mag: Neben dem Verzehr von Nahrungsmitteln mit hohem Wassergehalt stellt das Trinken, d.h. das aktive ‚Hineinfließen-Lassen‘ in den Körper, die wichtigste Form der lebenserhaltenden Flüssigkeitsaufnahme dar. Wie auch die Reinigung spielt Trinken nicht nur auf der Ebene der Aufrechterhaltung biologischer Grundbedürfnisse eine zentrale Rolle, sondern diente und dient einer großen Bandbreite von Zwecken von der Einnahme von Genussmitteln bis zur Inkorporation von Ritualsubstanzen. Daher ist bei diesem Aspekt neben Wasser in Bezug auf die Gießgefäße auch an eine Bandbreite weiterer Flüssigkeiten mit wasserähnlichen Fließeigenschaften, wie Wein, eventuell auch Bier, zu denken. Alkoholische Destillate wären auch denkbar, spielen allerdings in der Früh- und Blütezeit der hier behandelten Gießgefäße im 12. bis 14. Jahrhundert als Getränke noch eine untergeordnete Rolle.
- Flüssigkeiten schmieren und pflegen andere Materialien und Oberflächen. Diese Aspekte werden zum einen durch Zähflüssigkeit (Öle), aber auch aufgrund von Inhaltsstoffen, wie Lipiden und anderer Substanzanteile, aktiviert.
- Flüssigkeiten können als Geschmacks- und Geruchsträger dienen: Dies gilt für beigemengte Essenzen aller Art, zu denen Öle, aber auch Destillate zählen, und die ihre Wirkung sowohl bei Körperkontakt (Riechen, Schmecken), aber auch durch Verdampfen (Riechen) erzielen können. In diesem Fall werden somit nicht nur über den Aggregatszustand ‚flüssig‘, sondern auch im Aggregatszustand ‚gasförmig‘ Aspekte potenziell aktiviert.
Materielle Spuren
Soweit der Verfasser die Forschungsliteratur überblickt, steht es mit dem materiellen Nachweis etwaiger Rückstände in mittelalterlichen figürlichen Gießgefäßen – im Gegensatz zur Antike – nicht zum Besten, daher können an dieser Stelle nur Desiderata und Potenziale formuliert werden. Hinsichtlich Wasser ist, sofern dieses nicht mit anderen Essenzen angereichert war, der Nachweis am schwierigsten: Hier böte sich nur die Chance bei kalkreichem Wasser, da es hier durch Verdunstungseffekte (längeres Aufbewahren des Wassers im Gefäß, warme/erwärmte Flüssigkeit) zur Ausfällung von Kalk und entsprechenden Rückständen im Gefäßinneren käme. Für Wein gilt Ähnliches, auch hier hätten am ehesten Honig- oder Gewürzbeimengungen die Chance, materielle Spuren durch Anhaftungen zu hinterlassen,
dies gilt im Übrigen auch für alle alkoholischen Destillate. Die höchste Nachweiswahrscheinlichkeit hätten Öle, zumal sich insbesondere die Aquamanilien aufgrund der kleinen Öffnungen bei gleichzeitig großem und zumeist quer zur Öffnung orientierten Innenvolumen kaum reinigen lassen. Dies könnte auch als Argument gegen eine Nutzung für Öle angeführt werden, allerdings wird diese Nutzung für die ähnlich gestalteten antiken Rhyta dennoch in Erwägung gezogen. Die bisher analysierten Rückstände sprechen allerdings eher für vergorene Inhalte, wie Biere oder Gewürzweine. Eventuell waren entsprechende Rückstände sogar erwünscht, um den Geschmack der Flüssigkeit zu beeinflussen.Praktiken: experimenteller Nachvollzug
Daher erscheint es erfolgversprechender, sich der Frage, welche Flüssigkeitsverhalten für welche Zwecke durch den Gebrauch von Gießgefäßen aspektiviert wurden, aus praxeologischer Perspektive, konkret durch den praktischen Nachvollzug anzunähern. Dies wurde mit antiken Rhyta bereits durch R. B. Koehl mit Erfolg betrieben; für die Frage des „Gebrauchsgestus“ beim Einsatz von Aquamanilien bei rituellen Handwaschungen wurden von T. Pöpper entsprechende Versuche durchgeführt.
A. Scherner testete ausgewählte frühneuzeitliche Scherzgefäße auf ihren ‚richtigen‘ Gebrauch.Für die Selbstversuche, die im Kontext dieses Beitrags durchgeführt wurden, wurden drei Repliken verwendet, die vom Reenactment-Verein Historia Vivens 1300 zur Verfügung gestellt wurden. Das Reiteraquamanile aus Messing ist ein Imitat eines Originals, das mutmaßlich norddeutscher Provenienz ist. Es befindet sich heute im Metropolitan Museum in New York und wird um die Mitte des 13. Jahrhunderts datiert (Abb. 9). Das zweite Objekt, ein Pferdeaquamanile aus reduzierend gebrannter, unglasierter Irdenware, ist eine Nachformung eines unpublizierten Exponats im Stadtmuseum Wiener Tor in Hainburg (Niederösterreich), das auf Grund von Vergleichsfunden nur sehr breit in das 13./14. Jahrhundert datiert werden kann (Abb. 10). Weiters stand eine Bügelkanne mit zwei zoomorphen Ausgüssen in Form von Hasenköpfen aus oxidierend gebrannter, außen glasierter Irdenware zur Verfügung. Sie wurde einem Altfund aus Wien, der ebenfalls nur allgemein in das 13./14. Jahrhundert datiert wird, nachgebildet (Abb. 11). Die Bügelkanne wurde im Rahmen der Versuchsanordnung in erster Linie zum Befüllen der Aquamanilien genutzt, als Flüssigkeit diente Wasser, da Wein ähnliche Fließeigenschaften aufweist und Öle zum Schutz der durchaus wertvollen Repliken und deren beschränkten Reinigungsmöglichkeiten nicht in Frage kamen. Dass diese Beschränkung auf Wasser und die Tatsache, dass nur drei Gießgefäße getestet wurden, die Aussagekraft potenziell einschränkt, ist dem Verfasser bewusst, ein breiterer experimenteller Nachvollzug war in diesem Rahmen aber nicht möglich.
Mit dem Fokus auf die Aspektivierung des Materialverhaltens ‚Fließen‘ standen Fragen im Fokus, die Gießgefäße als Mittler zwischen Aufbewahrungsgefäßen (‚stehende Gewässer‘: Fässer, etc.) und Trinkgefäßen in den Mittelpunkt rückten. Insbesondere sollten das Einfüllen und Ausgießen als situative Fließmomente nachvollzogen werden.
In Rahmen der ersten Durchgänge wurde untersucht, inwieweit die jeweilige Position und Ausformung der mutmaßlichen Ein- und Ausgussöffnung auf das Fließverhalten hin abgestimmt sind. Bei der Bügelkanne war dies unstrittig, da die große Öffnung, die vom Bügel überspannt wird, sowie die kleinen Tüllen im oberen Gefäßdrittel eine klare Präferenz für das Einfüllen und Ausgießen erkennen lassen. Bei den Aquamanilien erscheint es, folgt man der Literatur, auch klar, dass die zumeist am Rücken, im Henkel oder am Kopfscheitel platzierten Öffnungen dem Einguss dienen, während jene im Tiermaul oder als Tülle im Vorderkörper zum Ausgießen der Flüssigkeit gedacht waren. Allerdings konnte R. B. Koehl bei ähnlich gestalteten zoomorphen Rhyta experimentell nachvollziehen, dass durch partielles Eintauchen des Gefäßes und anschließendem Verschließen der oberen Öffnung mit dem Daumen oder (angefeuchtetem) Handballen das Gefäß wie ein Weinheber genutzt werden konnte bzw. das Tier mit seinem Maul die Flüssigkeit aufnimmt, d. h. ‚trinkt‘.
Allerdings kann die Flüssigkeit eben nur so lange im Gefäß gehalten werden, solange die obere Öffnung abgedeckt ist – damit eignet sich diese Vorgehensweise nur für unmittelbar aufeinander folgende Handlungen des Einfüllens und Ausgießens. Überdies funktioniert dies nur, wenn das Maul sehr tief positioniert wird. Sind das Maul bzw. die vordere Öffnung hoch angelegt, kann zwar das Gefäß relativ leicht bis zur Höhe dieser Öffnung angefüllt werden, allerdings muss es zur Flüssigkeitsaufnahme durch diese Öffnung sehr tief in die Flüssigkeit bzw. in ein entsprechendes Gefäß (Becken, Brunnen, Quellfassung, etc.) eingetaucht werden, womit der ‚Trinkeffekt‘ verloren geht. Genau dies ist aber bei den meisten Aquamanilien der Fall, denn das Maul bzw. die vordere Öffnung ist oftmals nur geringfügig tiefer oder gleich hoch situiert als die am Rücken, Hinterteil oder am Bügel angebrachte zweite Öffnung: Da diese zudem mit 1,5–3 cm gegenüber der vorderen Öffnung mit durchschnittlich 0,5 cm Innendurchmesser auch größer ist, erscheint die bisherige Deutung letzterer als Eingussöffnung weiterhin stimmig (Abb. 12–15).Das Ausgießen in ein zweites Gefäß ließ sich bei beiden Aquamanilien mit etwas Kraftaufwand auch alleine bewerkstelligen, das Reinigen der Hände war, wenig überraschend, durch eine Diensthandlung einer zweiten Person deutlich leichter zu bewerkstelligen (Abb. 16–19).
Allerdings zeigte sich, dass das Ausgießen mit einem gleichmäßigen Strahl nur bis zu einem bestimmten Winkel möglich ist. Ab einer starken Überkopf-Neigung des Aquamaniles beginnt das Wasser zu sprudeln und wird mit Luft vermengt (Abb. 19). Sollte dies ein unerwünschter Effekt gewesen sein, dann würde sich damit die zur Verfügung stehende Füllmenge zumindest bei den Keramik-Aquamanilien deutlich reduzieren. Die Darstellung der Handwaschung des Pilatus aus Hirschegg/Steiermark von 1530 zeigt genau diese Verwendung mit demselben Effekt. (Abb. 20)
Bereits mehrfach wurde in der Literatur darauf hingewiesen, dass das geringe Fassungsvermögen von Aquamanilien von ca. 0,4–1 Liter nur für rituelle Reinigungen, wie beispielsweise der Fingerspitzen im heutigen katholischen Messritus, verwendet werden konnte.
Eventuell reichten geringe Flüssigkeitsmengen aber auch für andere Reinigungszwecke, wie zum Beispiel dem Abspülen von Tinte von Fingerspitzen im Kontext von Schreibarbeiten. Im Fall der Messing-Replik des Reiter-Aquamaniles konnte das Fassungsvermögen mit 850 ml bestimmt werden, davon ließen sich 600 ml leichtgängig ausgießen. Die keramische Replik des Pferde-Aquamaniles fasste 450 ml, wovon 250 ml leicht und 350 ml nur unter entsprechenden Verrenkungen und breitem Wasserstrahl ausgegossen werden konnten. Die restlichen 50 ml diffundierten im porösen Keramikkörper. Daher erscheint neben der Nutzung im Schreibkontext eine rituelle Verwendung wahrscheinlich. Insbesondere bei den im Vergleich zu den Metallgefäßen kleineren Keramik-Aquamanilien ist eine Nutzung für maximal ein bis zwei Personen denkbar. Dies ist im liturgischen Kontext nachvollziehbar, aber im Rahmen eines Mahls ließen sich daraus vier Optionen ableiten:- Der Reinigungsritus wurde nur von einer sehr exklusiven Personengruppe vollzogen (Herr des Mahles, Gast?)
- Es musste oft nachgefüllt werden
- Es standen gleichzeitig mehrere (figürliche) Gießgefäße zur Verfügung
Gleiches gilt für eine Verwendung als Schenkgefäß: Analog zu den frühneuzeitlichen Scherzgefäßen wäre hier nur eine ritualisierte Nutzung denkbar. Die spätmittelalterlichen Lavabokannen und -kessel haben tendenziell mehr Fassungsvermögen.
Aber selbst ihre Nachfolger, die Wasserkästen und Wasserblasen aus Keramik und Metall, weisen ein bisweilen erstaunlich geringes Fassungsvermögen auf, sodass auch hier die funktional monokausale Deutung als Waschbehelf für den menschlichen Körper zu differenzieren respektive zu erweitern ist, so beispielsweise zur Reinigung von Fingern und Schreibgerät. Die Erwartungen, die speziell durch die Experimente R. B. Koehls mit Repliken antiker Rhyta geweckt wurden, konnten von den hier zur Verfügung stehenden Objekten nicht erfüllt werden. Die Verwendung von Wein anstelle von Wasser und somit die Nutzung der Gießgefäße für einen wie auch immer zu bewertenden Getränkeausschank kann weiterhin nicht ausgeschlossen werden, es erhöhte sich aber auch nicht deren Plausiblität gegenüber der Nutzung für (rituelle) Reinigungsakte. Es konnte aber gezeigt werden, dass eine Verwendung auch nur durch eine Person für beide Zwecke zwar möglich, wenngleich im Reinigungsvorgang der Hände nicht dienlich ist, da dafür immer nur eine Hand zur Verfügung stünde und nur ein einfaches Übergießen ohne Händereiben die einzige Option wäre.Settings: Diskursive Quellen und archäologische Kontexte
Die bislang am häufigsten gewählte Herangehensweise, den Gebrauch der figürlichen Gießgefäße zu ermitteln, war die Auswertung bildlicher und schriftlicher Quellen. Dabei gilt es, zwei Problemfelder zu bedenken: Bezugnehmend auf A. Reckwitz sind diskursive Quellen wie Texte und Bilder eigentlich das Forschungsterrain der Diskursanalyse, gilt es doch, deren Codes zu entschlüsseln und ihre Bedeutungsebenen für zeitgenössische Diskurse zu ermitteln.
Die bildliche Überlieferung zu Aquamanilien ist zuletzt bei J. Olchawa ausführlich dargelegt worden: Sie umfasst, soweit es den Darstellungen entnommen werden kann, in erster Linie Metallobjekte. Hinsichtlich der Bildthemen ist hier zunächst die Handwaschung des Pilatus als Teil der Passionsgeschichte Christi zu nennen, deren Beispiele vom 13. Jahrhundert bis in das frühe 16. Jahrhundert reichen. Das jüngste Beispiel aus Hirschegg/Steiermark mit einem dargestellten Löwenaquamanile datiert 1503 und ist somit zeitlich am oberen Ende des Produktionszeitraumes von Aquamanilien anzusiedeln (Abb. 20). Gerade die Nürnberger Erzeugnisse des 15./16. Jahrhunderts weisen oftmals kleine Zapfhähne als Ausgüsse auf, die anders gehandhabt wurden als auf dem Bild ersichtlich. Es stellt sich daher die Frage, ob hier noch auf einen zeitgenössischen Gebrauch ritueller Handwaschungen rekurriert wird oder ob hier, wie oben angeführt, eine ikonographische Tradition wirkmächtig bei der Motivwahl war. Inhaltlich bietet die Handwaschung des Pilatus – freilich unter ‚Täter-Opfer-Umkehr‘ – eine neutestamentliche Ausdeutung von Psalm 26, Vers 6 („Ich wasche meine Hände in Unschuld, / ich umschreite, Herr, deinen Altar“), der einerseits als Gebet eines unschuldig Verfolgten tituliert wird, andererseits im Kontext der rituellen Handwaschungen der Priester vor dem Opfergottesdienst im Jerusalemer Tempel einzuordnen ist. Damit bietet die Handwaschung des Pilatus die Postfiguration des alttestamentarischen Opferkults in Bezug auf die Passion Christi und gleichzeitig die Präfiguration für die rituellen Handwaschungen christlicher Priester vor bzw. während der Messfeier. Die Darstellung eines Löwenaquamanile als Altargerät an einem Siegel der Benediktinerabtei St. Ägidien in Braunschweig (1235–37) bietet dafür ein singuläres Zeugnis. Als Scherzgefäß wurde hingegen von A. Scherner die bildliche Wiedergabe eines Hirschgefäßes auf dem Buffett eines Festbanketts im Alten Schloss zu Stuttgart von 1579 durch Christoph Friedel d. Ä. gedeutet (am linken Rand der Abb. 21). Das mit wenigen Federstrichen skizzierte Objekt könnte mit aller gebotenen Vorsicht mit einem Ausgusshahn an der Vorderseite dargestellt worden sein. Wenn diese Interpretation stimmt, dürfte es sich somit eher um ein Hirschaquamanile handeln und somit um den derzeit einzig bekannten bildlichen Beleg einer außerliturgischen Nutzung eines derartigen Objekts im Kontext eines Mahls, wobei auch hier die im Vergleich zum Produktionszeitraum sehr späte bildliche Wiedergabe hervorzuheben ist. Ob das Gießgefäß nun zur Handreinigung oder zum Ausschenken von Trinkflüssigkeiten diente, erschließt sich aus dem Bild freilich nicht.
Auch hinsichtlich der schriftlichen Überlieferung kann auf die umfassenden Auswertungen durch J. Olchawa verwiesen werden.
Die vereinzelte Nennung von entsprechenden Objekten in mittelalterlichen Inventaren und Testamenten außerhalb des kirchlichen Kontexts liefert Hinweise auf das Vorhandensein in gehobenen Haushalten, ohne aber damit Aussagen zu ihrem Gebrauch zu ermöglichen. Auch hier ist zu bedenken, dass mit Begriffen wie ‚Handfass‘ ein breites Spektrum figuraler und nicht-figuraler Gießgefäße gemeint sein kann. Bemerkenswerterweise stammen die einzigen expliziten schriftlichen Belege zur Nutzung von Aquamanilien nicht aus christlichem, sondern aus jüdischem Kontext: Auf mehreren metallenen figuralen Gießgefäßen blieben – sekundär angebrachte – hebräische Inschriften erhalten. So befindet sich auf einem Löwen-Aquamanile, heute im Walters Art Museum in Baltimore, eine hebräische Inschrift, deren deutschsprachige Übersetzung lautet: „Gesegnet seist Du, Ewiger, unser Herr, König der Welt, der uns durch seine Gebote geheiligt und uns zum Waschen der Hände verpflichtet hat.“ Dies entspricht dem Segensgebet, das einerseits als Morgengebet, aber nach dem Babylonischen Talmud auch nach der Handwaschung und vor dem Brechen des Brotes als Beginn des Mahls seit dem Mittelalter gesprochen werden sollte. Inwieweit es sich hierbei um die Integration von Metall-Aquamanilien aus christlichen Handwasch- und Mahlritualen in die jüdischen Gebräuche handelt oder um eine eigenständige kulturelle Entwicklung ohne Bezug zu christlichen Praktiken, ist unklar. Inschriften auf einzelnen spätmittelalterlichen Messingkannen weisen diese hingegen nebst allgemeinen Segenssprüchen explizit als Waschutensilien aus, wie die Formulierungen „LAWR“ und „VENEZ LAVER“ belegen. Weitere Nutzungsmöglichkeiten, auch mit anderen Flüssigkeiten, sind damit selbstverständlich nicht ausgeschlossen. Für ähnlich gestaltete hohe Röhrenkannen muss dies mangels klarer Kontexte noch offener diskutiert werden. Die archäologische Kontextualisierung möglicher Praxis-Settings ist bislang trotz der mittlerweile zahlreichen Funde von überwiegend keramischen Aquamanilien ebenfalls sehr überschaubar: Blendet man die Produktionsnachweise aus Töpfereien aus, so sind vor allem die Funde aus Brunnen überraschend: Sollten diese tatsächlich aus den Brunnenstuben und nicht aus der späteren Verfüllung derselben stammen, könnte dies ein Hinweis sein, dass tatsächlich Wasser mittels figürlicher Gießgefäße aus den Brunnen bzw. den Brunneneimern geschöpft wurde und diese dabei vereinzelt verloren gingen und in den Brunnenschacht fielen. Dies verwundert insofern, da der Transport von Wasser in Gefäßen mit derart geringem Fassungsvolumen alles andere als praktisch war. Oder wurden hier Mahle im Freien im näheren Umfeld des Brunnens praktiziert?
Das einzige, annähernd vollständige Metall-Aquamanile stammt, wie oben bereits dargelegt, aus dem Brandhorizont der Zeit um 1320 aus der Schweizer Burg Scheidegg. Das hirschgestaltige Gefäß wurde aus einem Kachelofenversturz geborgen und stand daher mutmaßlich auf diesem. Dies legt nahe, dass die darin aufbewahrte Flüssigkeit erwärmt oder warmgehalten werden sollte. Die bisherige Deutung geht in Richtung Nutzung als Handwaschgefäß, wobei natürlich auch Weine warm getrunken werden können. Theoretisch wäre auch noch die Nutzung als duftverströmender Diffusor durch Verdunsten der Flüssigkeit mit entsprechenden Essenzen denkbar. Die bildliche Überlieferung zur Nutzung von Bügelkannen mit figürlichen Ausgüssen ist im Gegensatz zur Literatur über Aquamanilien noch kaum bearbeitet. Es erweist sich daher als sinnvoll, hier auch partiell Bügelkannen und Lavabo-Kessel mit undekorierten Ausgüssen in die Betrachtung mit einzubeziehen, da es durchaus wahrscheinlich ist, dass diese demselben Zwecken dienten.
Die Nutzung von metallenen Lavabokannen zur Reinigung der Hände im Messritus kann exemplarisch durch die illusionistisch gemalte Wandnische mit Messgerät im Chor der Burgkapelle St. Stefan in Obermontani (Gemeinde Morter, Südtirol/Italien, um 1420/30) erschlossen werden: In der rechten Hälfte der Nische sind neben dem auf einer Stange aufgehängten bronzefarbenem Lavabokessel mit zwei zoomorphen Ausgüssen ein ähnlich farbiges Auffangbecken und ein Handtuch dargestellt. In den beiden linken Wandfächern sind hingegen neben liturgischen Büchern im unteren Fach und einem Weihrauchfass sowie einer Pyxis (?) zwei kleine bronzefarbene Kännchen bildlich positioniert, die für Wein und Wasser bei der Gabenbereitungszeremonie benötigt werden. Damit ist eine klare funktionale Abgrenzung zwischen beiden Gießgefäßtypen gegeben.
Die Nutzung von – zumeist nicht figural ausgestalteten – Lavabokesseln als Substitute für Wasserkästen und Wasserblasen in hölzernem Waschmobiliar, gemeinsam mit Auffangbecken und Handtuch, ist in bildlichen Innenraumdarstellungen des 15./16. Jh. vielfach belegt, wobei insbesondere die Einbettung in die Motivik schreibender Kirchenväter auf deren Bedeutung zum Reinigen der Hände aber auch des Schreibgeräts von Tinte verweist.Vita Posterior, der zweitältesten hagiographischen Schrift aus dem 10. Jahrhundert, in anderem Gebrauchszusammenhang in Erscheinung: Verena, Pfarrersgehilfin in Zurzach, stiehlt Wein aus dem Keller des Pfarrhauses, um damit Bedürftige (Leprosen) zu versorgen. Vom Pfarrer gestellt und zur Herausgabe des Weins aufgefordert, verwandelt sich dieser zu Wasser, analog zum späteren Rosenwunder der Heiligen Elisabeth von Thüringen und kontrapunktisch zum Weinwunder von Kana (Joh 2,1–12). Bereits im ältesten Mirakelbuch der Zeit um 1000 wird das Gefäß aber in Richtung Pflege umgedeutet: Einer an den Augen erkrankte Frau wird im Traum erläutert, wo sie das zwischenzeitig verloren gegangene Gefäß der Heiligen Verena auffinden wird; nach der Auffindung wird sie von der Erkrankung geheilt. Damit dient die ‚Verenen-Kanne‘ hinsichtlich ihrer hagiografischen Narrative sowohl dem Weinausschank als auch der Bereitstellung von Wasser zur Reinigung. Keine der Darstellungen zeigt allerdings figural ausgestaltete Ausgüsse, was aber auch der geringen Größe der Objekte geschuldet sein kann (Abb.23).
Eine weniger breit rezipierte Überlieferung stellen die sog. ‚Verenen-Kannen‘ als Attribute der Hl. Verena von Zurzach dar. Die hagiographische Tradition, die bis in das 9. Jahrhundert zurückreicht, weist sie als spätantike Frau aus, die im Bodenseegebiet durch Werke der Nächstenliebe, insbesondere der Pflege von Armen und Kranken, in den Status der Heiligmäßigkeit gelangte und entsprechende Verehrung erfuhr. Die vielfachen Darstellungen mit Kamm und Krug referenzieren auf diese Tugenden Verenas, wobei seit dem 12. Jahrhundert die Bügelkanne zur dominanten Gefäßvariante wird. Somit scheint auch hier der Bezug zu Wasser und Reinigung evident. Allerdings tritt das Gefäß mit der Bezeichnung vasculum in der schriftlichen Überlieferung zur Heiligen Verena in der sog.Als drittes und letztes Beispiel seien hier bildliche Darstellungen von Henkelkannen mit zoomorphen Ausgüssen in Drachenkopfgestalt erwähnt: Ihre Vorbilder sind vor allem in der Nürnberger Messingproduktion zu suchen,
An den hier ausgeführten Beispielen diskursiver Quellen zur Verwendung von figuralen Gießgefäßen wird somit deutlich, dass die ausschließliche Verwendung derselben im Mittelalter für Handwaschrituale mit Wasser durchaus in Frage zu stellen ist. Dies mag daran liegen, dass es seit der Antike eine konzeptionelle Nähe von Kultmahl und Reinheitspraktiken gibt, aber auch daran, dass die einander scheinbar ausschließende Verwendung der Flüssigkeiten Wein und Wasser (ersterer für Reinigung, letztere zum Trinken) in rituellen Kontexten durchaus verschwimmt: So werden eben im katholischen Messritus in der Analogie zu Blut und Wasser aus der Herzwunde des gekreuzigten Christus bei der Gabenbereitung Wein und Wasser in den Kelch gegossen, worauf auch die Doppelung der Kännchen in der bildlichen Darstellung der Altargerätnische der Burgkapelle von Obermontani verweist. Auf der anderen Seite gibt es zumindest einen schriftlichen Beleg aus dem Jahr 1256: Demnach empfiehlt der Dominikanergeneral Humbert von Romais die Reinigung der Finger vor der Eucharistie mit Wein über einem Kelch und eine weitere mit Wasser über einem Becken. Als drittes Beispiel für die praxis- und deutungsoffene Verwendung von Wein und Wasser können Tischbrunnen bei fürstlichen Mahlen des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit angeführt werden, wo sowohl Wein als auch Duftwasser als festliche Substitute normalen Brunnenwassers in schriftlichen Nachrichten überliefert sind. Auch wenn die Flüssigkeiten somit für den Einzelfall nicht bestimmbar sind, kann festgehalten werden, dass ‚Fließen‘ als zentraler Gebrauchs-Aspekt identifiziert werden kann, deren daraus abgeleitete affordante Merkmale als Teilaspektivierungen ‚Reinigen‘ und ‚Durst löschen‘ sein dürften, wenngleich die Rolle von Ölen als Schmier- und Pflegemittel sowie mit Essenzen angereicherte Flüssigkeiten, die ihre Wirkung durch Verdunsten als Geruchsträger entfalten, nicht ganz auszuschließen sind.
Materialität der Gefäße in Bezug auf Flüssigkeiten und Verhalten
Weitere potenzielle Aspektivierungen können im Wechselspiel zwischen der Materialität der Flüssigkeiten und der Materialität der Hüllen der Gießgefäße in spezifischen Gebrauchssituationen gesucht werden. Es soll daher im Folgenden veranschaulicht werden, dass Materialeigenschaften keine neutrale Entität darstellen, sondern eben im Gebrauch oder aber im Verhalten in Bezug auf andere Materialien relationale Größen darstellen.
Blicken wir zunächst auf Metalle als Hüllen: Abgesehen von bislang in erster Linie nur schriftlich belegten figürlichen Gießgefäßen aus Edelmetall sind für Aquamanilien Kupferlegierungen und − soweit bestimmt − Messing, eine Kupfer-Zink-Legierung, vorherrschend. Sowohl bei den metallenen Lavabokesseln als auch bei den Henkelkannen mit zoomorphem Ausguss sind Messing- wie auch Zinnobjekte überliefert. Allen Metallvarianten gemeinsam ist neben einer differenzierten Ver- und Bearbeitbarkeit das im Vergleich zu den Keramikgefäßen höhere spezifische Materialgewicht, das in Verbindung mit tendenziell höherem Fassungsvermögen – insbesondere bei Aquamanilien – sich in der Handhabung auswirken kann. Hinzu kommt die gegenüber Keramik höhere Wärmeleitfähigkeit, was umgekehrt aber auch bedeutet, dass Metallgefäße schneller wieder auskühlen. Aufgrund der glatten Oberfläche sind sie überdies leichter zu reinigen, sofern ein Zugriff auf die Innenoberfläche möglich ist (siehe enge Öffnungen von Aquamanilien). Über die potenziell genutzten Flüssigkeiten kann ausgesagt werden, dass alle hier angeführten Metalle und Legierungen in Bezug auf Wasser und dessen Nutzung für Reinigungspraktiken als mehr oder weniger wechselwirkungsneutral bezeichnet werden können. Auch die mögliche Anreicherung von Blei bei längerer Wasserhaltung in Zinngefäßen mit Bleianteil dürfte für diese Nutzung vernachlässigbar sein. Anders sieht dies in Bezug auf Wein aus: Blei kann durch Weinsäure aus der Legierung ausgelöst werden, was eine latente Vergiftungsgefahr mit sich bringt. Auch hier gilt wiederum, dass die kurzzeitige Befüllung mit Wein eine zu vernachlässigende Wirkung gehabt haben dürfte. Hinsichtlich Messing ist allerdings anzumerken, dass sich dieses Metall negativ auf den Geschmack von Wein auswirkt. Es verwundert daher nicht, dass bei bildlich dargestellten Festmahlen die in Wassertrögen eingekühlten Schenkgefäße sich aufgrund ihrer Farbigkeit, grau statt gelb, eher als Zinnkannen identifizieren lassen. So ist auch die Mehrzahl der erhaltenen Tischbrunnen aus Silber und nicht aus Messing/Bronze. Hinsichtlich der keramischen Gießgefäße ist zunächst auf die Porosität von gewöhnlicher Irdenware hinzuweisen. Zwar sind aus Deutschland auch Exemplare aus teilgesintertem Frühsteinzeug bekannt, in der Regel dürften die meisten Gefäße aber, wie im Versuch ermittelt, eine nicht unbeträchtliche Flüssigkeitsmenge im Gefäßkörper absorbiert haben, die dann langsam nach außen diffundiert und verdunstet. Dieser Effekt könnte zur Kühlung von Flüssigkeiten eingesetzt worden sein oder aber, wie oben ausgeführt, als Diffusor vergleichbar zu heutigen, keramischen Wasserbehältern an modernen Heizkörpern zur Erhöhung der Luftfeuchtigkeit. Hier wäre eher an die Abgabe von aromatischen Essenzen zu denken. Zwar gibt es einige außen glasierte Gießgefäße; aber auch hier saugt sich der Gefäßkörper voll, allenfalls wird die Diffusion der Flüssigkeit nach außen verhindert. Da die – in der Regel – bleihaltige Glasur mit der Flüssigkeit im Inneren nicht unmittelbar in Kontakt tritt, ist die Anreicherung der Flüssigkeit mit Blei auszuschließen. Es ist daher der bisherigen Lehrmeinung beizupflichten, dass die Außenglasur mehr auf eine optisch-dekorative Wirkung abzielt und zusätzlich mit Glasur als innovatives Materialverfahren im 13./14. Jahrhundert auch eine potenzielle Erhöhung der Wertigkeit gegeben war. H. G. Stephan wies jüngst darauf hin, dass die überwiegend gelb-grünliche Farbigkeit der frühen Glasuren möglicherweise Bronze imitierte, womit hier über die Farbe eine Relation zu einem Aspekt des höherwertigen Hüllenmaterials hergestellt wäre. Zuletzt sei noch kurz auf Glas als Material der zoomorphen Scherzgefäße eingegangen: Dieses ist im Vergleich zu Metall und Keramik schlecht erwärmbar, da die Gefahr des Bruches in Folge von erhöhter Materialspannung besteht. Dafür ist es ist auch im Vergleich zu Keramikgefäßen leichter zu reinigen und Flüssigkeiten bzw. etwaige Verunreinigungen sind sichtbar.
Zieht man die hier angeführten Materialrelationen zwischen den Flüssigkeiten und Hüllenmaterialien in Betracht, so erscheint die Nutzung der Gießgefäße aus Messing für Wein aufgrund der Auswirkungen auf den Geschmack eher unwahrscheinlich. Für die Keramik- und Glasgefäße wie auch für die Zinnkannen lässt sich hingegen keine Präferenz für eine bestimmte Flüssigkeit argumentieren. Die Porosität der Schenkgefäße aus Irdenware und der damit verbundene Flüssigkeitsschwund wurde wohl in Kauf genommen, was bei geringen Wassermengen für rituelle Handwaschungen möglicherweise weniger ins Gewicht fällt als für (wertvolle) Trinkflüssigkeiten. Aber auch hier sei vor allzu utilitaristischen Denkweisen gewarnt, vor allem, wenn es um ritualisierte Praktiken geht.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die in der Forschungsliteratur zu findende These, dass figürliche Gießgefäße ausschließlich für die Nutzung von Wasser im Kontext von Reinigungsritualen verwendet worden sein, zu hinterfragen bzw. auf andere Flüssigkeiten und Gebrauchskontexte zu erweitern ist. Schwierig ist und bleibt die Quellenlage sowohl hinsichtlich materieller Spuren von Flüssigkeitsrückständen und Objektgebrauch als auch hinsichtlich textlicher und bildlicher Überlieferung. Diese Unsicherheiten haben ihre Konsequenzen für die Ausdeutung der figürlichen Motive und sind entsprechend kritisch zu berücksichtigen.
Metabolismen and (Anti-)Peristaltiken: die Aspektivierung von Flüssigkeitsaufnahme und -abgabe von Lebewesen beim Hantieren mit figürlichen Gießgefäßen
Als figurale Gießgefäße boten die Geräte auf kommunikativ-symbolischer Ebene einen Mehrwert, der in Verbindung mit den Praktiken, in die diese eingebunden sind, aufgerufen und aktualisiert wurde. Die Praktiken sind somit einerseits – insbesondere in ritualisierten Formen – in diskursive Settings eingebunden, andererseits wirken die Figuren in der Handlung und somit auch kommunikativ mit.
Im Fall der hier untersuchten Objekte ist dies das Materialverhalten ‚Fließen‘, das auf seine mögliche Aspektivierung in der zeichenhaften Ausdeutung von figürlichen Gießgefäßen im Gebrauch untersucht werden soll, was nicht bedeutet, dass nicht auch andere Flüssigkeitseigenschaften und -verhalten angesprochen wurden. Dass es sich hierbei um einen gesellschaftlich hochbedeutsamen Aspekt in unterschiedlichsten Kontexten handelt, wird auch aus den Beiträgen von Elisabeth Gruber und Heike Schlie in diesem Band deutlich. Die lebensspendende und -erhaltende Wirkung fließenden Wassers auf alle Lebewesen wird religiös in allen drei großen Buchreligionen – und wohl auch darüber hinaus – mit göttlicher Gnade metaphorisch aufgeladen. In der christlichen Taufe überlagert sich dann die Gnadenmetaphorik auch mit Reinheitskonzepten bis hin zu Vorstellungen über Tod und Wiedergeburt. In fürstlichen Mahlsettings des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit wird die Gnadenmetaphorik über den sprichwörtlichen Überfluss in Verbindung mit der fürstlichen Freigiebigkeit durch Tischbrunnen materialisiert und gleichzeitig Sakralität und Profanität in der Fürstengestalt vereinigt. Dass aber auch Kleinobjekte mit geringen Fassungsvermögen als ‚Gnadenquellen‘ figuriert werden konnten, konnten der Verfasser und H. Schlie am Beispiel eines keramischen Wasserkastens aus dem Lutherhaus in Wittenberg aufzeigen. Die zeitgenössische Bezeichnung ‚Wandbrunnen‘ zeigt überdies, dass einerseits auch geringe Wassermengen, sofern man sie zum Fließen bringen konnte, als solche verstanden und bezeichnet werden konnten. Gleichzeitig verweist die Synonymsetzung des lateinischen Wortes fons sowohl mit ‚Quelle‘ als auch mit ‚Brunnen‘, dass jegliche Brunnen als Fassungen von fließendem Wasser gedacht waren bzw. werden konnten. Das Verhalten fließenden Wassers immer an die tiefstmögliche Stelle zu fließen und Pegel an verschiedenen Stellen auszugleichen, wurde ebenfalls schon seit der Antike diskursiv aspektiviert, indem es auf die Tugend der temperantia metaphorisch übertragen wurde. Die Darstellung der Tugendpersonifikation mit zwei Gefäßen, bei denen Flüssigkeit von einem in das andere gegossen wird, konnte durchaus auch bei Reinigungsritualen, theoretisch aber auch bei Schenkritualen im kulturellen Gedächtnis der Beteiligten und Zuschauer*innen aufgerufen werden. Die beim Flüssigkeitsausgleich beteiligten ‚kommunizierenden Gefäße‘ konnten diese Funktion auch im übertragenen Sinne auf die beteiligten Personen ausüben. Für diese potenzielle Aspektivierungen von Flüssigkeits-Wirkungen stellt sich daher als nächste Frage, welche Bezüge zwischen der Motivik der figuralen Gießgefäße und dem Fließverhalten der von ihnen aufgenommenen bzw. abgegebenen Substanzen bestanden haben könnten. Dass es neben vereinzelten anthropomorphen Wesen vor allem Tiere sind, auf die die Produzent*innen der Gefäße als Gefäßkörper oder pars pro toto als Köpfe an den Ausgüssen von Kesseln und Kannen motivisch rekurrierten, mag in der langen Vorgeschichte dieser Objekte seine Wurzeln haben: Tierbälge, vor allem Ziegenhäute dienten als schlauchartige Behälter für Getränke aller Art. Im Alten Testament werden Tierbälge und Ledergefäße als Behälter von Wasser (Gen 21,19), Wein (1Sam 16,20) sowie Milch (Ri 4,19) genannt. Dabei wurden für die Nutzung der Tierhäute in der Regel die Beine abgebunden, das Einfüllen und die Flüssigkeitsabgabe erfolgte bei einer einzigen Öffnung im Halsbereich.
Im Gegensatz dazu besitzen nahezu alle figürlichen Gießgefäße zwei Öffnungen – eine Eingussöffnung am Rücken/beim Bügel oder auf der Kopfoberseite, und eine Ausgussöffnung im Maul, an der Brust/am Vorderkörper. Wie die Versuche gezeigt haben, kann im Gegensatz zu den mykenischen Rhyta das Nachahmen von Trinken mittels der vorderen/unteren Öffnung mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden. Fokussieren wir auf das Ausgießen, so werden mehrere Formen der Flüssigkeitsabgabe durch entsprechende Körperöffnungen assoziativ aufgerufen.
Die häufigste Darstellungsform im Objektgebrauch ist das Speien durch das Ausgießen der Flüssigkeit durch das Maul. Nur bei Püsterich-Figuren entweicht Dampf anstelle von flüssigen Substanzen durch den Mund/das Maul. Die zweithäufigste Assoziation ist jene des Urinierens oder Ejakulierens durch das männliche Glied, wie es anhand von männlich ausgezeichneten Wesen wie Kentauren, aber auch einem Judenaquamanile, durch die am Vorderkörper steil aufragende Tülle bildhaft aufgerufen wird. Im Gegensatz zur Antike ist bislang kein figürliches Gießgefäß bekannt, bei dem durch weibliche Brüste Flüssigkeit aus dem Körper tritt; die Vagina spielt in keiner der Epochen als Ein- oder Ausgussöffnung eine Rolle.
Diese Varianten ergeben einerseits Aspektivierungen in Bezug auf die dargestellten Wesen, andererseits bilden sie gemeinsame Bedeutungsfelder mit figürlichen Ausgestaltungen anderer Ausgüsse, insbesondere mit Laufbrunnenfiguren, Wasserspeiern und Tischbrunnen-Skulpturen. Daher wird im Folgenden auf beide Bezugsnetzwerke, auf ihre Überlappungen, aber auch Differenzierungen fokussiert.
Das Speien kann in Bezug auf die biologischen Vorgänge und die damit verbundenen Erfahrungen als Anti-Peristaltik, d. h. als unfreiwillige Abgabe von Nahrung und Flüssigkeit, verstanden werden. In Kombination mit der Befüllung der Körper von deren Rückseite entsteht im Gebrauch somit so etwas wie ein umgekehrter Stoffwechselprozess, der dem Wesen vom Bediener/von der Bedienerin aufgezwungen wird. Dies verbindet Gießgefäße mit Wasserspeiern, Brunnenfiguren, eventuell auch mit Tischbrunnenfiguren. Während bei den (Tisch-)Brunnenfiguren bislang deren Deutung eher allgemein assoziativ mit Wasser und dessen Angebotscharakter (Affordanzen) diskutiert wurde, gibt es zur Frage der zeichenhaften Bedeutung und Wirkung von Wasserspeiern deutlich mehr Literatur. Allerdings ist deren Interpretation bislang ebenso divergent wie bei den Gießgefäßen, insbesondere bei den Aquamanilien. Zum einen wird deren intendierte apotropäische Wirkung betont, zum anderen auch in Bezug auf das Speien auf den (erzwungenen) Dienst von Dämonen und unreinen Kreaturen hingewiesen. Beide Deutungen schließen einander nicht aus, da ja das erzwungene Speien von Dachwasser – als Kontaktflüssigkeit zwischen Sakralbau, Kreatur und kirchlichem Umfeld/Kirchhof – als eine von mehreren möglichen Gnadenwirkungen auch als unheilabwehrend verstanden worden sein könnte. Der Verfasser hat den Versuch unternommen, auf Basis von Überblicksliteratur zu den einzelnen speienden Objektgattungen die jeweilige Motivik auf deren Häufigkeit im deutschsprachigen Raum des 12.–16. Jahrhunderts zu erfassen. Diese Musterbildung erhebt keinen Anspruch auf allzu hohe statistische Genauigkeit, gibt aber zumindest Trends wieder (siehe Tabelle 1): Dabei zeigen sich zwischen Wasserspeiern, Tischbrunnen und figürlichen Gießgefäßen Übereinstimmungen, aber auch Differenzen. Diese betreffen freilich auch die Subgruppen der Aquamanilien aus Metall versus aus Keramik, die Bügelkannen und Lavabokessel wie auch die Henkelkannen mit zoomorphen Ausgüssen. Auffällig ist dabei der Befund, dass zwischen allen Objektgruppen immer nur partielle Übereinstimmungen vorherrschen, keine aber in ihrem Motivspektrum eine andere ausschließt. Mit Vorsicht lässt dies auf entsprechend offene diskursive Bezugssysteme schließen, die nicht allein durch die produktionstechnische Limitierung mancher Motive in unterschiedlichen Materialien, mangelndes Können der Produzent*innen oder mangelndes Interesse an differenzierter Darstellung erklärbar sind. Folgende motivische Übereinstimmungen konnten festgestellt werden:
- Sowohl bei den Metall-Aquamanilien wie auch jenen aus Keramik sind Ritter/Reiter häufig vertreten, schwächer ist die Übereinstimmung bei Hirschen und Misch- und Fabelwesen.
- Metallische Aquamanilien und Wasserspeiern zeigen beide häufig Misch- und Fabelwesen (Drachen, Greifen, etc.), ebenso, wenngleich mit geringerer Belegzahl, Widder bzw. Steinböcke.
- Auch bei Keramik-Aquamanilien und bei Bügelkannen/Lavabo-Kesseln sind Widder relativ häufig vertreten. Die bei den Kannenausgüssen identifizierbaren Schweine und Hunde spielen bei den Keramik-Aquamanilien eine geringere Rolle, sind aber auch durch Einzelexemplare belegt.
- Widder sind also ein verbindendes Motivmuster zwischen Keramik-Aquamanilien und Wasserspeiern, weniger Schweine und Hunde.
- Widder, Schweine, Hunde sowie auch Hasen sind bei Bügelkannen/Lavabo-Kessel und Wasserspeier häufig auftretende Motive.
Wie man anhand dieser Tabelle
Unter den vielen Tieren, die mit dem Laster der Völlerei (gula) assoziiert werden, kann aktuell nur die Katze in dem hier betreffenden Kontext zitiert werden, wenngleich bislang keine expliziten Bezugnahmen auf deren Speien nach dem Putzen gefunden werden konnten. Ein entsprechender bildlicher Beleg für Katzen als Sinnbild der Völlerei (nebst anderen Tieren als Lasterallegorien) kann aktuell erst für die Mitte des 16. Jahrhunderts angeführt werden. In den Concordantiae Caritatis des Ulrich von Lilienfeld frisst ein Hund, wenn er krank ist, bitteres Kraut und erbricht daraufhin, um wieder gesund zu werden. Angesichts der vielen drachenartigen Kreaturen auf allen hier angeführten Objektkategorien und deren Gleichsetzung mit der Schlange als kreatürlichem Urbild des Bösen liefern Physiologus-Schriften noch einen wertvollen Hinweis: So speien diese Gift aus, bevor sie Wasser trinken, um sich nicht selbst zu vergiften. Das Speien von Tieren wurde somit in Bezug auf einzelne Tiere und Wesen im christlichen Heilskontext ausgedeutet; insgesamt sind die Belege aber zu dünn bzw. die Anzahl an Tieren/Wesen im Vergleich zu den Figurationen in Gießgefäßen zu gering, um allein auf dem Speien ein in sich geschlossenes Deutungssystem zu plausibilisieren.
Dies gilt umso mehr für die anderen körperbezogenen Ausgießmotive: Für die Konnotation des röhrenförmigen Ausgusses mit dem Urinieren/Ejakulieren aus dem Penis lassen sich einzelne Belege bei metallenen und keramischen Aquamanilien wie auch bei Wasserspeiern finden. Das ‚Brustweisen‘ mit Ausgießen von Flüssigkeiten durch weibliche Brüste ist hingegen nur bei Tischbrunnen belegt; als Wasserspeier sind eine Kentaurin vom Magdeburger Dom und eine weitere weibliche Figur vom Kölner Dom jeweils mit weisender Brust gestaltet, die Ausgussöffnung bildet aber in beiden Fällen der Mund. Rektales Ausgießen von Wasser ist bislang (und dies auch nur selten) ausschließlich bei Wasserspeiern belegt. Das Ausgießen durch Gefäße, die von menschlichen Figuren gehalten werden, findet sich ebenfalls nur bei Wasserspeiern, die Formen zeigen dabei keine Ähnlichkeit zur figuralen Gießgefäßen. Wie also umgehen mit der Tatsache, dass es unbestreitbar motivische Überschneidungen aller Flüssigkeiten abscheidenden Objektgruppen gibt, aber kein konsistentes und für alle Kreaturen durch Texte belegbares Deutungsmuster? Blickt man auf die bei Brunnenfiguren, aber auch bei den Metall-Aquamanilien zuletzt stark favorisierten Tugend- und Lasterallegorien, so kann das Speien als eine Aspektivierung unter mehreren in diesem offenen Deutungsfeld betrachtet werden. Zu untersuchen wäre, inwieweit diverse Kreaturen in mittelalterlicher Dialektik zur körperlichen wie moralischen Reinigung dienstbar gemacht werden sollten und damit die unvollkommene Schöpfung dem Heilsgeschehen unterworfen wird. Die den kreatürlichen Körper durchfließenden Substanzen könnten in diesem Sinne durch einen umgekehrt gedachten Metabolismus von unreinen zu reinen Flüssigkeiten verwandelt werden: Aus aufgenommenen Flüssigkeiten werden keine abzuscheidenden Körpersäfte, sondern Körpersäfte werden zu Segens- und Gnadengaben. Dies ist für die Handwaschrituale plausibel, aber auch die – ritualisierte – Aufnahme von Wein wäre in dieser Weise denkbar. Allerdings fehlen für diese These aktuell noch jegliche zeitgenössischen Belege; hier ist zukünftige Quellenarbeit gefordert.
Es können aber auch Unterschiede zwischen den Funktionstypen der Flüssigkeitsverhalten herausgearbeitet werden: Brunnen sind, wie bereits oben durch die begriffliche Überschneidung mit der Quelle (fons) dargelegt, als potenziell unendlich fließend gedacht und entsprechend metaphorisch aufgeladen. Tischbrunnen bieten hingegen nur Überfluss auf Zeit, wobei auch echte Laufbrunnen bisweilen für derartige fürstliche Inszenierungen situativ umfunktioniert wurden. Wasserspeier sind funktional auf die Abgabe großer Wassermengen hin dimensioniert, leisten dies aber nur situativ, wenn Regen fällt, der dann als ‚Himmlisches Wasser‘ und im positiven Sinne mit dem Haus Gottes kontaminiert, verteilt und ausgegossen wird. Figürliche Gießgefäße leisten ihre Dienste, nicht zuletzt wegen ihrer geringen Fassungsvermögen, auch nur kurzfristig und situativ. Ihre große diskursive Stärke liegt in ihrer Einbettung in ritualisierte Settings mit entsprechender Gebrauchsgestik, deren Wirkung durch Wiederholung verständlich und verinnerlicht wurde. Der Gebrauch wird im Ritual diskursiviert und wirkt somit auf die Praktiken zurück. Dies gilt auch dann noch, wenn die Settings beispielsweise von der Liturgie zum profanen Mahl wechseln oder wenn durch das Anbringen eines Wasserhahns die Bedienung eines Aquamaniles für die Handreinigung auch ohne Dienstpersonal möglich war. Bestimmte Aspekte wandern durch leicht abgewandelte Kontexte in neue Bedeutungsbestände, wobei die kulturelle Präsenz bestimmter Phänomene, wie das Speien von Flüssigkeiten, eine Agency im Sinne einer Wirkmächtigkeit für die Schaffung neuer Bedeutungsebenen und einer (teilweisen) Neuaspektivierung entwickeln kann. Letztendlich könnten somit die frühneuzeitlichen Scherzgefäße ihre komische Wirkung genau durch die Kenntnis (älterer) Aspektivierungen von Flüssigkeiten in Reinigungs- und Trinkritualen entwickelt haben, vergleichbar den obszönen Badges als Substitute mittelalterlicher Pilgerzeichen: Die Affordanz sakraler und ritueller Handlungen für ein humoreskes Reframing ist ein klarer Fall von Aspektivierung.
Es bleibt somit festzuhalten, dass das Figurenspektrum figuraler Gießgefäße mit hoher Wahrscheinlichkeit keinem geschlossenen Deutungsfeld zugewiesen werden kann. Insofern sind auch das Speien aus dem Mund bzw. das Ausströmen der Flüssigkeit aus penisartigen Ausgussröhren ebenfalls nur Aspektivierungen, die diskursiv – in der Performanz wie möglicherweise auch im Denken und Sprechen darüber− aktiviert und in offene und dynamische Bedeutungsfelder eingespeist wurden. Dies verbindet die Gießgefäße freilich mit einer Vielzahl anderer offener Bildsysteme des Mittelalters und könnte ein Grundcharakteristikum mittelalterlicher Diskurskulturen sein.
Verlebendigung durch Wasser und Wein? Zur Frage möglicher Relationen von Flüssigkeiten und Behältermaterialien aus diskursiver Sicht
So bleibt noch zu fragen, inwieweit spezifische Aspekte der Hüllenmaterialien durch die Flüssigkeiten, die sie enthalten, aspektiviert wurden. Im Fall der aus Kupferlegierungen gefertigten Aquamanilien hat dies J. Olchawa zuletzt in Bezug auf die Rolle von Bronze für die Tempelausstattung in Jerusalem, insbesondere für das ‚Eherne Meer‘ als Becken für Reinigungsrituale der Priester, überzeugend dargelegt.
Aber auch für Keramik spielen Flüssigkeiten, konkret Wasser, sowohl in den Herstellungsprozessen als auch in deren Diskursivierung eine wesentliche Rolle: Seit dem zweiten Schöpfungsbericht im Buch Genesis 2,7 wird der göttliche Schöpfungsakt des Menschen mit den Materialien Erde und Wasser in Verbindung gebracht: Es ist der (Morgen-)Tau, der die Erde (limus terrae nach der Vulgata) durchtränkt und somit für die Gestaltung des Menschen formbar macht. Damit wird nicht nur die Bedeutung von Wasser für die Fruchtbarkeit der Erde angespielt, sondern auch auf die zentrale Rolle von Wasser, um Ton plastisch und formbar zu machen. Genau dieser Aspekt wird auch in zahlreichen theologischen und literarischen Texten des Mittelalters aufgegriffen und ausgedeutet. Auch Glas, das Hauptmaterial von frühneuzeitlichen Scherzgefäßen, ist seit der Antike in vielerlei Hinsicht symbolisch aufgeladen, hier sei nur auf die ‚Lauterkeit‘, symbolisiert in der Transparenz des Glases, verwiesen, die wohl auch für die Nutzung von Glasgefäßen als Reliquienbehälter maßgeblich gewesen sein dürfte. In allen drei Fällen – dem Bronzeguss, der Glasherstellung und dem Töpfern – wird amorphen, teilweise verflüssigten Materialien plastische Gestalt verliehen. Der Guss insbesondere in der Technik der ‚verlorenen Form‘, bei dem der Wachskern in der Lehmform durch die flüssige Bronze substituiert wird, wurde ebenso wie das Töpfern mit dem Schöpfungsakt Gottes in Verbindung gebracht. Den aus Bronze und Keramik geformten Figuren kann auf Basis dieses diskursivierten Materialwissens somit eine potenzielle Lebendigkeit zugesprochen werden, wenngleich für die Bronze die expliziten Belege für diese These vor dem 16. Jahrhundert fehlen. Im Metabolismus des Durchflusses beim Gebrauch der Gießgefäße konnten diese Wesen als situativ verlebendigt gedacht werden: Erst dadurch konnte ihre dienende Funktion als Kreaturen ihre volle Wirkung entfalten. Damit stimmt die von J. Olchawa in Bezug auf metallene Aquamanilien geprägte Formel „material follows form follows function“ allenfalls in Bezug auf die Materialität der Gefäße; in Bezug auf die flüssigen Substanzen müsste es hingegen ‚form follows function follows material‘ heißen.Conclusio
Das Fließverhalten von Flüssigkeiten durchläuft viele Wissens- und Bedeutungsbestände mit entsprechend unterschiedlichen Aspektivierungen, die z. T. wie Becken in einer Kaskade von einer Aspektivierung zur nächsten führen, ohne damit allzu enge Kausalitäten postulieren zu wollen oder zu können. Als fließend kann für die hier behandelten Flüssigkeiten auch das mit ihnen verbundene Wissen angesehen werden: Die Beobachtung des Fließverhaltens von Substanzen und seiner Wirkungen insbesondere auf Lebewesen wird unter anderem affordant aspektiviert in Bezug auf ‚Reinigung‘ und ‚Durst löschen‘. Die kontextabhängigen Diskurse um die Gefäße wirken wiederum auf die Praktiken zurück (Gebrauchsgestik) und bilden Wissensbestände rund um Objektvergesellschaftungen von Flüssigkeiten, Praktiken, Gefäßen, deren Materialitäten und spezifischen Settings. Spätestens mit der Weitergabe dieses Wissens und der Einbindung in sinngebende Relationen wie Kultur, Religion etc. werden diese diskursiviert und den Materialien über das Praxiswissen hinausgehende Bedeutungen zugeschrieben. Im (ritualisierten) Gebrauch wirken sich diese Aspektivierungen wiederum auf die Praktiken, die Gebrauchssettings, die Auswahl der Flüssigkeiten, die Auswahl, Gestalt und Materialität der Gefäße und die beteiligten menschlichen Akteure aus. Die Aspektivierungen starten von Neuem… Damit sind Aspektivierungen zentrale Faktoren soziokultureller Prozesse, in denen Aspekte in neue Wissens- und Bedeutungsbestände eingespeist werden, um letztendlich wiederum aus diesen zu schöpfen.