
Abstract
Lehm in ungebranntem Zustand wurde in kulturgeschichtlichen Abhandlungen oftmals mit untergeordneter Bedeutung behandelt. Lehm in gebranntem Zustand hinterließ im Vergleich zu ungebrannten Lehmprodukten in einem kulturgeschichtlichen Rückblick bleibende Spuren, betrachten wir etwa die Gebiete der Keramik oder gebrannter Ziegel. Bei genauer Betrachtung stellt sich Lehm in dessen ungebrannter Verwendung besonders im Bauwesen als ein Massenbaustoff von weitreichender Bedeutung dar. Dies wird besonders in einem vernakulären Baukontext auffällig. Als Baustoff für vernakuläre Anwendungen wurde Lehm meist im Umfeld seiner Abbaustelle verarbeitet. Unterschiedliche lokal bedingte natürliche und kulturelle Gegebenheiten stellten sich in gewissen Regionen dieser Erde über viele Jahrhunderte als förderlich für die Verwendung von Lehm in ungebrannter Form als Massenbaustoff dar. Die Region Ostösterreich ist eine dieser Gegenden, welche in charakteristischer Weise seit prähistorischer Zeit durch diesen Baustoff geprägt wurde. Im gegenständlichen Beitrag werden einerseits die besonderen Eigenschaften von Lehm als Rohstoff und als verarbeitetes Bauprodukt betrachtet. Andererseits werden kulturelle Faktoren wie wirtschaftliche oder rechtliche Parameter dargestellt, die für dessen Bedeutung als Massenbaustoff in vormoderner Zeit maßgeblich waren. Ebenso wird die Verdrängung von Lehm als Massenbaustoff durch die im 19. Jahrhundert beginnende wirtschaftliche Verfügbarkeit des fossilen Energieträgers Kohle für das Brennen von Ziegeln thematisiert.
Abstract (englisch)
Clay in an unfired state has been widely underestimated in cultural-historical research. Compared to unfired clay products, clay in the fired state left traces that are longer lasting in a cultural-historical retrospective, if we consider the fields of ceramics or fired bricks, for example. On closer examination, clay in its unfired state is of particular importance as a mass building material his becomes particularly noticeable in a vernacular building context, where clay was usually processed in close vicinity of the respective clay pit. Different local natural and cultural conditions in various regions of the world have facilitated the use of clay in unfired form as a mass construction material for many centuries. The region of Eastern Austria is one of these areas, shaped in a very specific way by this building material since prehistoric times. In this article, the special properties of clay as a raw material and as a processed building product are considered. Furthermore, cultural factors such as economic or legal parameters, which were decisive for its importance as a mass building material in pre-modern times, are presented. Also, the displacing of clay as a mass building material beginning in 19th century driven by commercial availability of the fossil energy source coal for firing bricks is adressed.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Der vorliegende Artikel nimmt sich des Materials Lehm als Baustoff in vormoderner Zeit aus unterschiedlichen Blickwinkeln an und gliedert sich in drei Kapitel. Das erste davon beschäftigt sich mit dem Material Lehm und seiner Funktion als Materialressource und gibt Einblick in geologische Voraussetzungen und die Bedeutung von Löss als Baumaterial. Weiters werden in diesem Kapitel das vormoderne Wissen zu Eigenschaften und Lehmbauweisen und vernakuläre Möglichkeiten zur Identifikation und Optimierung bestimmter Lehmbauweisen hinterfragt. Hierbei spielen Möglichkeiten zur technischen Optimierung von Lehmbautechniken aus einem vormodernen Blickwinkel eine wesentliche Rolle. In Folge wird die Bedeutung von Lehm als Baustoff für bestimmte vernakuläre Lehmbautechniken betrachtet. Dabei werden besondere Eigenschaften von Lehm für die Verwendung als ungebrannter Baustoff und die Bandbreite des vormodernen Wissens über Lehmeigenschaften und Lehmverarbeitungsmethoden aufgezeigt. Lehmbautechniken werden dabei in einen überregionalen Kontext zu angrenzenden Regionen und, soweit möglich, in einen chronologischen Bezug zueinander gebracht. Weiters wird auf wirtschaftliche und rechtliche Rahmenbedingungen für das vernakuläre Bauen als Grundlage für die Wahl von bestimmten Bauweisen mit Lehm eingegangen. Unter anderem wird in diesem Abschnitt auf rechtliche Rahmenbedingungen, welche auf den Zugang zu bestimmten Materialressourcen Einfluss hatten und die Wahl von Lehm als Massenbaustoff begünstigten, Bezug genommen.
Lehm als Baumaterial: Verfügbarkeit, Eigenschaften und historisches Materialwissen
Material und Ressourcen
Das Feinste vom Feinen: Tonminerale und Tone
Das Lockersediment Ton wird zu den Sedimentgesteinen gezählt und spielt für die Menschheit ihre gesamte Entwicklungsgeschichte hindurch eine wichtige Rolle. Etwas Besonderes am Ton ist seine Feinkörnigkeit und Plastizität, aus der sich eine fast grenzenlose Verformbarkeit im feuchten Zustand ergibt. Die feinen Partikel können gegeneinander verschoben werden und haften trotzdem gut zusammen, sodass die Masse nicht zerfällt.
Geologisch sind die folgenden drei mit Ton in Verbindung stehenden Begriffe zu unterscheiden:
- Tonfraktion: Ist eine reine Korngrößenangabe für die kleinsten Partikel mit einer Größe von < 0,002mm.
- Tonmineral: ist die Bezeichnung für sehr kleine silikatische Minerale, die bei der Verwitterung von Gesteinen entstehen und meist eine Korngröße von < 0,002 mm, häufiger aber sogar < 0,0001 mm aufweisen. Die wichtigsten Tonminerale sind: Kaolinit, Illit, Smektit, Vermikulit und Chlorit.
- Ton im geologischen Sinn ist ein Lockersediment und enthält als Hauptbestandteile verschiedene Tonminerale, sowie eine große Anzahl an grobkörnigeren Begleitmineralen wie Quarz, Kalifeldspäte, Plagioklas-Feldspäte, Glimmer, Kalzit, Dolomit, Pyroxene oder Amphibole. Umgangssprachlich wird das geologische Lockersediment Ton als Lehm bezeichnet. Von dieser Bezeichnung leiten sich auch die Begriffe Lehmbau, Lehmputz, Lehmziegel usw. ab.
Da Tone auf unserem Planeten nur an der Oberfläche – also zwischen Lithosphäre und Atmosphäre (d.h. terrestrischer Bereich = Landoberfläche) und Lithosphäre (Hydrosphäre = Meeresboden) – existieren können, sind deren Vorkommen in Österreich auf wenige sehr junge geologische Zonen beschränkt. In älteren geologischen Zonen sind diese Tonvorkommen entweder durch Metamorphose in andere Gesteine umgewandelt oder durch Erosionsprozesse längst entfernt worden.
Wo finden wir Tone?
Junge geologische Einheiten mit Tonlagerstätten sind in erster Linie die Molassezone – das entspricht geografisch dem Alpenvorland – und eine Reihe von inneralpinen Tertiärbecken, beispielsweise das Wiener Becken oder auch das Steirische Becken. Die geographisch am weitesten verbreiteten Tonlagerstätten sind meist marinen Ursprungs. Das heißt, sie wurden ursprünglich in einem Meer abgelagert. Flüsse transportierten feines Verwitterungsmaterial vom Land ins Meer und lagerten dieses im Laufe von vielen Millionen von Jahren als mehrere hundert Meter mächtige Schichten ab. Das Meer begann sich vor etwa 10 Millionen Jahren im Laufe der plattentektonischen Aktivitäten während der Alpenfaltung nach Osten zurückzuziehen. Daher sind die Tonablagerungen heute am Festland vorzufinden. Zu dieser Gruppe von Tonlagerstätten zählen die meisten der zuvor erwähnten Lagerstätten der Molassezone und der inneralpinen Tertiärbecken. Diese Lagerstätten weisen eine über viele Kilometer homogenere Zusammensetzung auf als die im Folgenden erwähnten kleineren Vorkommen.
Lagerstätten von geringerem Umfang sind gelegentlich auch terrestrisch, also an Land, und gelegentlich auch in Seen und Flussauen entstanden. Während der geologischen Zeit des Tertiärs
herrschten im heutigen Ostösterreich zum Teil tropische bis subtropische Klimaverhältnisse mit sehr hohen Temperaturen (Durchschnittstemperatur über 20°C) und hohen Niederschlagsmengen wie heute im Regenwald mit bis zu 10.000 mm. Unter diesen extremen Klimaverhältnissen wurden die Gesteine der Böhmischen Masse des Wald- und Mühlviertels in den nördlichen Landesteilen der heutigen Bundesländer Ober- und Niederösterreich stark verändert: Dabei verwitterten die Feldspäte aus den reichlich vorhandenen Graniten und Gneisen zu einem zum Modellieren und Bauen geeigneten Tonmineral, dem Kaolinit. Der überaus größte Anteil des Gesteins wurde auch hier durch Erosion abgetragen. Geringe Reste aus dieser Zeit blieben jedoch am Rande der Böhmischen Masse erhalten. Diese Kaolinlagerstätten enthalten die begehrten Tonrohstoffe für unterschiedliche Verarbeitungszwecke und im Laufe der Geschichte für unterschiedliche Industriezweige. Eine Zusammenstellung von Lagerstätten mit Tonvorkommen wurde im Tonatlas von Österreich durchgeführt.Vom Winde verweht: Löss und Lösslehm
Löss ist in Ostösterreich (Weinviertel und Nordburgenland) weit verbreitet
und war daher in der vormodernen Zeit für mehrere Wirtschaftszweige die wichtigste Ressource:(a) als Baumaterial für verschiedene traditionelle Lehmbautechniken,
(b) für die Ziegelindustrie als Rohstoff zusammen mit Tertiärtonen für die Herstellung handgeschlagener gebrannter Ziegel,
(c) für die Herstellung von Keramikware,
(d) für die Weinwirtschaft als exzellentes Ausgangsmaterial für die fruchtbaren Böden der unzähligen Weinrieden und zur Lagerung der Weine in den Kellern der Kellergassen, wo das ganzjährig gleichmäßige Klima eine ausgezeichnete Reifung der Weine ermöglicht.
Löss ist ein homogenes, ungeschichtetes und kalkhaltiges Sediment, das in den Kaltzeiten im periglazialen (eisfreien) Raum hauptsächlich äolisch, das heißt vom Wind abgelagert wurde.
Das Korngrößenmaximum liegt bei äolisch abgelagerten Sedimenten meist zwischen 10 µm und 50 µm im Schluffbereich. Der Schluffanteil liegt dabei zwischen 40 % und 70 %. Der Tonanteil ist mit 10 % bis 20 % deutlich geringer als in marinen Tonablagerungen. Der Kalkgehalt ist das wichtigste Kriterium, damit ein äolisches Sediment als Löss bezeichnet werden darf. Als Kalkgehalt wird der Anteil an den beiden Karbonatmineralen Kalzit (CaCO3) und Dolomit (Ca Mg [CO3]2) bezeichnet. Meist ist mehr Kalzit als Dolomit vorhanden. Die Anteile können in sehr weiten Bereichen zwischen 1 % und 40 % variieren.Das Ausgangsmaterial für den Löss stammt vorwiegend aus den in den Eiszeiten fast vegetationslosen Schwemmebenen der großen Flüsse und den enormen Moränenablagerungen der Gletscher im Alpenvorland. Diese waren den Angriffen der Winde besonders stark ausgesetzt. Löss bedeckt heute mit Mächtigkeiten bis zu einigen Zehnermetern riesige Flächen im Bereich der großen Flusslandschaften und der angrenzenden Hügelländer. Durch physikalische und chemische Verwitterung kann sich Löss stark verändern. Die Karbonatminerale Kalzit und Dolomit sind empfindlich gegenüber chemischer Verwitterung und können einerseits durch Niederschläge und andererseits durch die Pedogenese (Bodenbildung) aufgelöst werden. Durch diese Verwitterung und Entkalkung kommt es zu einer Anreicherung von Tonmineralen und Eisenhydroxiden wie etwa Goethit. Dadurch bekommt das Material grundlegend andere Eigenschaften. Man spricht dann von entkalktem Löss oder häufig auch von Lösslehm.
Bedeutung des Materials für Lehmbautechniken
Die Begriffe Lehm und Ton
Abgesehen von regional unterschiedlichen Dialektbegriffen gibt es in den jeweiligen Fachdisziplinen spezielle Nomenklaturen, in welchen die Verwendung der Begriffe Lehm oder Ton bevorzugt werden. So wird in der Tonmineralogie, in der Sedimentologie und Ingenieurgeologie von Ton, in der Bodenkunde hingegen von Lehm gesprochen. Als standarddeutscher Begriff ist für Bautätigkeiten in Ostösterreich der Begriff „Lehm“ am weitesten verbreitet. So sprechen wir etwa vom „Lehmbau“ (nicht von „Tonbau“). Andererseits hat sich für bestimmte bauliche Anwendungsgebiete, besonders bei der Absicht den Rohstoff durch Brennen in ein keramisches Produkt umzuwandeln, etwa für gebrannte Mauer- oder Dachziegel ähnlich wie in der Töpferei, die Bezeichnung des Rohstoffes als „Ton“ etabliert. Diese Differenzierung zwischen luftgetrocknet und gebrannt mag den Eindruck erwecken, dass ein zum Brennen erforderlicher Mindestgehalt an Ton für die Differenzierung zwischen Lehm und Ton entscheidend wäre. Grundsätzlich gibt es jedoch keinen technischen Hintergrund für die Unterscheidung zwischen Lehm und Ton, sondern einen rein sprachlichen, welcher sich in Bezug auf unterschiedliche Verarbeitungen des Rohstoffes (Lehm bzw. Ton) eingebürgert hat.
Aus geowissenschaftlicher Sicht wird entsprechend der EN ISO 14688 die Sieblinienfraktion < 2 µm als Tonfraktion bezeichnet.
Dies entspricht einer Definition von Ton im Handbuch zur Terminologie der mittelalterlichen und neuzeitlichen Keramik in Österreich. Die plastische Verformbarkeit von Ton ist eine seiner besonderen Eigenschaften, die ihn von anderen traditionell verwendeten Massenbaustoffen abgrenzt. Dies bedeutet, dass ein Mindestanteil an bindigem Material, eben Ton, gegeben sein muss, um die Bindigkeit sicher zu stellen und damit die plastische Verformbarkeit zu ermöglichen. So banal diese Darstellung klingen mag, so waren es doch seit Agricola, der sich 1546 in seiner Schrift De Natura Fossilium über eine erste Definition von Ton wagte bis ins späte 18. Jahrhundert (eben in der vormodernen Periode) einige wenige Eigenschaften, an Hand derer Ton als solcher definiert wurde.Dies war eine gewisse Feinheit des Materials, die Plastizität und, letztere kausal beeinflussend, die Zugabe von Wasser. Für die Verarbeitbarkeit von Ton ist ein bestimmter Feuchtigkeitsgehalt erforderlich, der diesen plastisch und innerhalb der Zustandsgrenzen „halbfest“ und „flüssig“ gut bearbeitbar hält (bildsamer Zustand). Diese Zustandsgrenzen wurden 1911 von Albert Atterberg, einem schwedischen Bodenmechaniker, eingeführt und sind heute als Atterberg’sche Grenzen bekannt.
Aber auch mit den ersten Definitionen von Lehm über die Zuordnung bestimmter Teilchengrößen wurde die Plastizität weiterhin als Grundeigenschaft zur Definition herangezogenen. Mit dem Einsatz der Röntgenröhre in den 1920er Jahren konnte die Klassifizierung von Mineralen stark verfeinert werden, wodurch jedoch die Definitionsfindung für Ton nicht erleichtert wurde. 1995 erstellten Guggenheim und Martin eine Definition des Begriffes “Tonmineral”, wiederum unter Einbeziehung der Eigenschaft der Plastizität. Nach ihrer Definition bezieht sich das Wesen eines Tonminerals auf die Existenz von Schichtsilikaten und weiteren Mineralen, die Ton Plastizität verleihen.Moore et al. verweisen auf drei Anwendungsmöglichkeiten des Begriffes „Ton“ in der Tonmineralogie:
eine Größe, ein Gestein und ein Mineral. Dieser Umstand zusammen mit unterschiedlichen Interessen an bestimmten Eigenschaften von Ton durch einzelne Fachdisziplinen wie die Geotechnik, die Sedimentologie oder die Bodenkunde machen die Festlegung einer allgemein anerkannten Definition schwierig. Zurückgreifend auf die vorangegangenen Darstellungen ist Lehm ein populär verwendeter Begriff für Ton und ein im Diskurs zu Bautechniken bei Verwendung von ungebranntem Lehm üblicher Begriff. Lehm wiederum besteht aus Tonmineralen < 2 µm und Begleitmineralen, wobei es im Besonderen die Tonminerale < 2 µm sind, welche dem Baustoff Lehm die Eigenschaft der Plastizität verleihen. Ein gemeinsamer Nenner aus unterschiedlichen Definitionen von Lehm ist folgende und für Lehmbautechniken in diesem Beitrag weiter verwendete Definition: Es handelt sich bei Lehm um ein Verwitterungsprodukt, welches aus Tonmineralen und aus Begleitmineralen besteht.Quellfähigkeit von Tonmineralen
Abseits der Diskussion um die begriffliche Definition von Tonmineralen kann zwischen zwei nach ihrer Quellfähigkeit unterschiedlich beeinflussenden Tonmineralarten unterschieden werden, nämlich jene, welche die Eigenschaft der Quellfähigkeit aufweisen, wie Smektite oder Vermikulite und jene ohne diese Eigenschaft wie Kaolinite, Illite oder Chlorite. Die Quellfähigkeit nimmt Einfluss auf die Verarbeitbarkeit von Lehm und auf das Wasseraufnahme- und Austrocknungsverhalten. So nehmen Lehme mit quellfähigen Tonmineralen mehr Wasser auf und der Austrocknungsprozess dauert wesentlich länger als bei Lehmen mit nicht quellfähigen Tonmineralen. Mit steigendem Feuchtigkeitsgehalt in den Tonmineralen sinkt die Festigkeit des Lehms. In der praktischen Anwendung dieser Minerale im Bauwesen hat die Eigenschaft der Quellfähigkeit einen besonderen Einfluss etwa darauf, ob eine Lehmoberfläche nach dem Austrocknen zur Rissbildung neigt und ob die Austrocknungsdauer eines Lehmbauteiles hoch ist. Die quellfähige Eigenschaft wird heute beispielsweise zur Abdichtung von Fundamenten im Hochbau oder des Bodens von Biotopen verwendet.
Im traditionellen Bauen wirkte sich ein Anteil an quellfähigen Tonmineralen etwa darin aus, dass Lehm leichter zu „Wuzeln“ geformt werden konnte
; dass eine daraus errichtete Massivlehmmauer leichter zum Kriechen neigte ; dass ein Mauerputz zwar gut haftete, aber nach Austrocknen zur Rissbildung neigte oder dass ein quellfähiger Lehmboden im Bauernhaus beim Betreten mit nassen Schuhen an den Sohlen stark kleben blieb, aber dafür weniger leicht absandete. Um die im Bauen ungewollten Auswirkungen eines zu hohen Anteils an quellfähigen Tonmineralen zu verringern, wird der Lehm vor der Verarbeitung gemagert. Dies kann entweder durch Beigabe nicht bindiger Minerale wie Quarz als Sand oder organischer Stoffe wie pflanzlichen Fasern (z.B. Stroh) oder tierischen Fasern (z.B. Tierhaaren) erfolgen. Durch die Magerung ändert sich wiederum die Aufnahme- und Speicherfähigkeit von Wasser. Die Zugabe von Sand macht den Lehm weniger bindig, führt Feuchtigkeit schneller ab und erhöht die Geschwindigkeit beim Austrocknen. Anders verhält es sich bei der Verwendung von Stroh, welches selbst Feuchtigkeit speichert und dadurch die Austrocknungsdauer verlängert. Sand und Fasern als Magerungsmittel haben einen rissmindernden Effekt – Sand primär durch die Abmagerung, Fasern darüber hinaus durch deren armierende Wirkung.Labormethoden und die experimentelle Rekonstruktion von vormodernen Lehmbautechniken
Heutige Untersuchungen von Ton können in einem Labor, etwa unter Einsatz der Röntgendiffraktometrie (XRD), der Sieb- und Sedimentationsanalyse, von Infrarot-Spektrografie oder Simultaner Thermoanalyse durchgeführt werden. Ergebnisse dieser Untersuchungen geben über die mineralische Zusammensetzung von Ton, über die Art der Tonminerale und über die Kornverteilung in Form einer Sieblinie Aufschluss. Für archäologische Fragestellungen nach der Materialherkunft können anhand der Mineraluntersuchungen von Lehmbauteilen und diesen gegenübergestellt von Tonlagerstätten Rückschlüsse auf die Herkunft des Ausgangsmaterials gezogen werden.
Moderne Analysemethoden dieser Art ermöglichen heute Materialuntersuchungen, wie sie in vormoderner Zeit nicht möglich waren. Auf diese Weise lassen sich eine auf bautechnische Optimierung ausgerichtete Wahl des Ausgangsmaterials experimentell nachvollziehen und historische Verarbeitungsmethoden rekonstruieren. Betrachten wir auf Bautradition beruhende vormoderne technische Optimierungen von Lehmbautechniken in Bezug auf die Wahl des Ausgangsmaterials als intrinsisch, so ermöglichen heute gängige Labormethoden einen Einblick in die mineralogische Zusammensetzung von unterschiedlichen Lehmen und deren Magerungsbestandteilen und die experimentelle Rekonstruktion bestimmter Verarbeitungsmethoden.Vormodernes Wissen über Lehmeigenschaften und Lehmbauweisen
Betrachtet man nun die Verwendung von Lehm aus vormoderner Perspektive, stellt sich die Frage nach früheren Möglichkeiten zur Identifizierung bestimmter Eigenschaften von Lehm und zur Findung einer technisch optimierten Verarbeitungsmethode. Manche historische Textquellen geben einen Hinweis auf die Verwendung von Lehm für unterschiedliche Bautechniken. Lehm war in vormoderner Zeit ein Massenbaustoff – das Baumaterial des „gemeinen Volkes“, wie dies in vielen Gegenden der Erde heute noch der Fall ist.
Die neolithische Siedlung in Brunn am Gebirge aus der Zeit 5650 bis 5075 v.Chr. ist die älteste Siedlung aus der Zeit der Bandkeramik. Funde von Hüttenlehm belegen die Verwendung von Lehm zur Beschichtung von Flechtwerkwänden,
wie dies in jungsteinzeitlichen Siedlungen häufig vorgefunden wird. Beschichtet wurden Flechtwerkwände mit bindigem Lehm, welcher mit Wasser unter Zugabe von Heu oder kleingehacktem Stroh verarbeitet wurde und von beiden Seiten der Wand „tief in das fugenreiche Flechtgerippe eingedrückt oder eingeworfen wurde“. Wie auch aus Brunn am Gebirge bekannt ist, sind es die verziegelten Beschichtungsteile – der sogenannte „Hüttenlehm“–, welche den Forscher*innen heute zur Identifikation eines darunterliegenden Flechtwerks auf Grund der Abdrücke im Hüttenlehm entgegen kommen. Ein im Zuge der Verarbeitung mit der Hand ausgeführter Lehmverstrich lässt an den entsprechenden Partien der Hüttenlehmoberfläche die Strichrichtung und die Methode der Oberflächenverarbeitung erkennen.Schwieriger als die Identifikation von Lehmbeschichtungen stellt sich bei archäologischer Befundung die Identifikation von Massivlehmbautechniken dar, wozu von der Jungsteinzeit bis ins Mittelalter bisher vorliegende Forschungsergebnisse sehr karg sind – etwa die Verwendung von Lehm zusammen mit Stein als Mauerkonstruktion in Tschechien in der Region Záhoří aus der Zeit um ca. 3700 v.Chr.
Der Fund von Lehmklumpen mit beigefügtem Keramikbruch bei der archäologischen Grabung in Stillfried im Weinviertel gibt seitens der Autoren Anlass zur Vermutung der frühen Verwendung von „Lehmwuzeln“: Nach archäologischer Deutung dieses Fundes „handelt es sich hierbei möglicherweise um vorbereiteten Tonrohstoff in Ballenform, der sich durch ein Schadfeuer erhalten hat“. Die Interpretation des Fundes durch die Autoren H. Feiglstorfer und R. Meingast mit Bezugnahme auf einen bestimmten kindskopfgroßen Lehmklumpen geht einen Schritt weiter, nämlich dass es nicht auszuschließen ist, dass es sich hier um einen durch das Schadfeuer verziegelten „Lehmwuzel“ handelte – was auf die Verwendung von „Lehmwuzeln“ bereits ca. 3000 Jahre v.Chr. hinweisen würde (Hypothese).Eine frühe Verwendung von Lehmziegeln aus der Zeit um 600 v.Chr. bzw. aus dem ersten Viertel des 6. Jahrhunderts v.Chr.
findet sich in der westlichen Verlängerung des österreichischen Donauraumes, nämlich im oberen Donauabschnitt in der Heuneburg, einem frühkeltischen Fürstensitz. Diese Lehmziegel wurden aus dem lokalen Lehm mit Sand und Strohhäcksel als quadratische oder rechteckige Ziegel oder auch als „Batzen“ (Zitat nach Burkhardt) hergestellt. Für die Periode der Eisenzeit stellen diese Lehmziegelmauern im west- und osteuropäischen Raum eine singuläre Erscheinung dar – während im Mittelmeerraum (Mesopotamien, Kleinasien und Ägypten) bereits ab der Bronzezeit Lehmziegel verwendet wurden und Burkhardt stellt fest, dass die in der Heuneburg verwendeten Lehmziegelmaße im griechischen Kulturraum zu finden sind. Der Grund für die Einmaligkeit der Anwendung der Lehmziegelbauweise zu dieser Zeit in diesem Raum liegt möglicherweise nicht darin, dass die Lehmziegelherstellung unbekannt gewesen wäre, sondern in den wesentlich höheren (nichtmonetären) Kosten für die Herstellung von Lehmziegeln im Vergleich zu den damals üblichen Bautechniken mit Lehm oder mit Lehm in Verbindung mit Holz. Nur bei Bauten, welche einer elitären sozialen Schichte zuzuordnen sind, wie auch bei kultischen Bauten oder bei militärischen Anlagen wie der Heuneburg ist es denkbar, dass solche Kosten ein nachrangiger Faktor waren.Die Verwendung von Ziegel und Stein und im weiteren Sinne jener im Maurergewerbe dominanten Baumaterialien wird in der Interpretation von Tacitus durch Lange
mit dem römischen Kulturraum in Verbindung gebracht – gemäß der Herleitung deutscher Wörter wie Mauer, Kalk, Mörtel, Ziegel, Pfeiler oder tünchen aus der lateinischen Sprache. Dem gegenüber steht der Holz-, Flechtwerk- und Lehmbau, deren sprachliche Wurzeln im Germanischen zu finden sind. Entsprechend dieser Darstellung ordnet Tacitus den Lehmbau als eine archaische Bauweise den Germanen zu.Ungenaue Übersetzungen von Baumaterialbeschreibungen von Vitruv können deren Bedeutungen gravierend verändern. Güntzel weist auf eine gängige Fehlübersetzung von Lehmziegel („later“) als gebrannter Ziegel und verweist darauf, dass durch eine entsprechende Übersetzung deren Eigenschaften, Herstellung und die Vermauerung von Lehmziegeln genau beschrieben werden. Der Übersetzung des Begriffs „materia“ mit „Baumaterial“ durch R. Meingast statt mit „Holz“
in einem Tacitus-Zitat („Ne caementorum…“, siehe Fußnote) folgend, könnte es sich bei der Beschreibung des „formlosen, unattraktiven und unschönen“ Baumaterials der Barbaren eher um „Wuzel“ aus Lehm gehandelt haben als um Holz. Die hier beschriebenen Behausungen der Germanen wären daher möglicherweise mit Lehm verputzte und bemalte „Lehmwuzelbauten“ gewesen.Diskurs zur bisherigen Rezeption des Tacitus-Textes in der Germania, Kapitel 16
Die außerordentliche Bedeutung dieser Tacitus-Stelle als baugeschichtliche Quelle begründet eine ausführliche Auseinandersetzung mit der bisher erfolgten Rezeption anhand der von Lange herausgegebenen 3. Auflage mit der von Lange zusätzlich kommentierten Übersetzung Rudolf Muchs. Letzterer begründet eingehend seine der Tradition folgende Übersetzung der Tacitus-Stelle in Kapitel 16.
Dabei offenbaren sich erhebliche Probleme die sich aus der Übersetzungsvariante von „materia“ mit „Holz“ ergeben. Diese Interpretationsprobleme bleiben beim unkritischen Zitieren der Standard-Übersetzung verborgen und werden anhand der beiden folgenden Zitate deutlich:1.: „ne caementorum quidem apud illos aut tegularum usus“
Damit werde laut Tacitus festgestellt, dass die Verwendung von Bruchsteinen oder gebrannten Ziegeln bei den Germanen nicht üblich war, schreibt Much und bekräftigt dies mit einem ähnlich lautenden Zitat von Herodian. Much argumentiert weiter, es seien alle deutschen Ausdrücke des Maurergewerbes wie Mauer, Kalk, Mörtel, Ziegel, Pfeiler oder tünchen lateinischer Herkunft während umgekehrt im Romanischen zahlreiche Wörter die im Holz-, Flechtwerk und Lehmbau ihre Wurzeln haben, aus dem Germanischen kämen.
2.: „materia ad omnia utuntur informi et citra specie maut delectationem“
Much entscheidet sich bei der Übersetzung dieses Satzes für die Interpretation von „materia“ als „Holz“, anstatt es, wie es genauso zulässig wäre, mit „Baumaterial“ zu übersetzen. Seine Übersetzung begründet Much folgendermaßen:
„Schon des Gegensatzes wegen kann „materia“ hier nur die engere Bedeutung „Bauholz“ haben“. Diese kategorische Argumentation mit einer eventuell schriftstellerisch begründeten Wortwahl von Tacitus wirkt im Zusammenhang der Textstelle möglich, aber wenig überzeugend.Auch der von Lange eingefügte Kommentar in der 3. Auflage von Muchs Werk weist auf eine weitere Schwachstelle dieser Übersetzung von „materia“ mit „Bauholz“ hin:
„Schließt man sich der Auffassung Muchs an, dass materia in diesem Falle Bauholz heißen müsse, so ergäbe sich daraus, daß die Germanen nur grob bearbeitetes Material verwendeten“. Langes Kommentar argumentiert detailliert gegen diese Interpretation anhand von archäologischen Funden in Norddeutschland aus der Römischen Kaiserzeit und er erklärt dazu auf Seite 255 wie folgt: „Sie lassen ein ausgebildetes Zimmermannshandwerk erkennen, dem fast alle auch heute noch üblichen Holzverbindungen bereits bekannt waren […] Schnitzereien an Hausbohlen lehren, daß das Äußere der Häuser dort nicht ganz schmucklos gewesen sein kann […]“. Das größte Problem aber, welches als Folge der gewählten Übersetzung von „materia“ mit „Holz“ entsteht, räumt Much selbst im Zusammenhang mit der Interpretation des folgenden Satzes ein: „quaedam loca diligentius illinuit terra ita pura ac splendente ut picturam ac liniamenta colorum imitetur.“ Er verstehe nicht, wie die so beschriebene glänzende Bemalung der Häuser mit der groben Oberfläche eines Gebäudes aus unförmigem Holz zusammenstimmen könne.Dieses Problem löst Much daraufhin wenig stringent mit einer Vermutung, dass Tacitus in diesem Zusammenhang Bauweisen verwechselt haben müsse. Er schreibt: „…daß bei Tacitus hier Berichte über zweierlei Dinge vermischt sind, einer über Blockhäuser und ein anderer über Fachwerkbauten mit Feldern, die glatt verstrichenen Lehmputz hatten, auf dem sich malen ließ.“
Da Much wie allen früheren Übersetzern offenbar die Möglichkeit, dass es sich um die archaische Lehmbauweise mit „Wuzeln“ gehandelt haben könnte, nicht bekannt war, fand er keine andere Interpretationsmöglichkeit. Eine dahingehende kritische Betrachtung aufgrund der Annahme der Autoren, dass Tacitus hier eine Bauweise mit „Lehmwuzeln“ beschreibt, macht erstmals eine technisch schlüssige und widerspruchsfreie Übersetzung dieser Stelle möglich. Veranschaulicht wird diese Hypothese mit den Abbildungen in diesem Beitrag zur rezenten Lehmwuzeltechnik.
Weiters könnte der zuvor genannte Fund eines mit Keramikbruch gemagerten Lehmklumpens
aus Stillfried im Weinviertel (siehe Ausführung zuvor) nach Darstellung der Autoren ein Indiz für die zeitlich weit vor der germanischen Antike liegenden Verwendung von „Lehmwuzel” sein. Auch die Erwähnung einer Magerung dieses Lehmklumpenfundes aus Stillfried mit Keramikbruch wäre dazu kein Widerspruch. Ein Vorteil der „Wuzelbauweise“ und der „gesatzten“ Bauweise ist, dass alle Arten von sonstigen unverwertbaren harten Siedlungsabfällen, wie Tonscherben und Knochen beim Bau vorteilhaft mitverwendet werden konnten. Einschlüsse von solchem Abfall in rezentem Massivlehmmauerwerk wurden von den Autoren an unterschiedlichen Orten gefunden.Weitere römische Textquellen
Chronologisch betrachtet etwas vor Tacitus gibt Vitruv einen assoziativen Vergleich für eine frühe archaische Behausungsform: Das Zitat „[…] und Einige, die Nester der Schwalben und ihre Wohnungen nachahmend, versuchten, sich aus Lehm und Zweigen Orte zu machen unter denen sie Schutz suchen konnten […]“, verweist auf die Verwendung von Lehm, möglicherweise in Form eines lehmbeschichteten Flechtwerks.
Der Bezug zu einem lehmbeschichteten Flechtwerk wird bei Vitruv auch in folgendem Zitat ersichtlich: „…und zuerst errichteten sie gabelförmige Hölzer und nachdem sie Zweige dazwischen angebracht hatten, bekleideten sie die Wände mit Lehm“.Die Verwendung von lehmverstärkten Gras-, Stroh- oder Schilfbündeln für Dächer wird von Vitruv etwa für die Deckung der Häuser in Massilia
oder die Verwendung von Lehm für das Dach des Areopag in Athen genannt. Die Verstärkung von Strohbündeln mit Lehm im Firstbereich von südburgenländischen Strohdächern ist noch heute eine praktizierte Technik, wie wir sie etwa beim Bauernhaus aus Deutsch Schützen im Freilichtmuseum in Bad Tatzmannsdorf vorfinden. Bei der im Südburgenland als „Kotfirst“ bekannten Methode zur Herstellung der Firstabdeckung werden die Strohbündel vor der Verlegung in Lehmschlämme getränkt. Dieser Vorgang wird von Viktor Pöttler in einer Grube oder Wanne beschrieben, in welcher die Lehmschlämme mit Strohhäcksel gemagert wird.Über die Fähigkeit zur Feuchtigkeitsaufnahme durch Lehm und die Problematik der Abgabe von Feuchtigkeit an darunter liegendes Fachwerk und den Umstand des Schwindens von Lehm wusste man, nach Vitruv zu schließen, gut Bescheid,
auch über die Verwendung von „mit Haar geknetetem Lehm“, um Maschinen aus Holz vor Feuer zu schützen. Auch Oberflächenbeschichtungen wie das Weißigen (auch: „Weißnen“) bzw. das Auftragen von Kalkmilch wurde nach Beimengung von Farbstoffen zur Färbung von Gebäuden verwendet, wie dies bereits von Tacitus überliefert wurde.Hypothetische Darstellung einer bautechnischen Entwicklung vom Pfosten- zum Massivlehmbau
Blicken wir von der Römerzeit in das Frühmittelalter, so finden sich im heutigen Deutschland Pfostenbauten mit Massivlehmwänden aus dem 6./7. Jahrhundert, welche im Weimarer Gebiet einen Beginn der Verbreitung des Massivlehms darstellen könnten.
Eine solche bautechnische Ablösung der Pfostenbauten durch Massivbauten fand im Thüringer Becken östlich von Erfurt im späten 9. Jahrhundert bis ins frühe 11. Jahrhundert statt und in Hohenrode in Niedersachsen im 12. Jahrhundert. In der „Jüngeren Siedlung“ (Bezeichnung lt. Grimm) der Ausgrabungsstätte Hohenrode, welche von ihm in das 12. bis 14. Jahrhundert datiert wird, wurden zum Unterschied zur „Älteren Siedlung (10. bis 12. Jahrhundert) Steinmauern mit in Lehm verlegten Steinen als Unterbau für den darüber liegenden Lehmwall errichtet. Grimm vermutet Stampflehmwände, welche wie von ihm beschrieben in der Gegend der umliegenden Harzdörfer errichtet wurden.Für Deutschland nennt Güntzel das 9. Jahrhundert als jene Periode in der mit der Errichtung von tragenden Lehmwänden ohne Anteil einer Holzkonstruktion begonnen wurde.
Als die ersten Massivlehmbauten in Deutschland werden von Ziegert zwei Objekte in der Region Weimar genannt, wobei eines dem 9./10. Jahrhundert und das andere dem 10./11. Jahrhundert zugeschrieben wird.Die experimentelle Rekonstruktion von historischen Bauteilen und Verarbeitungsprozessen
Einen vertieften Einblick in die Verarbeitungsweise zur technischen Optimierung von Lehmbauteilen gibt die experimentelle Rekonstruktion von Bauteilen und Verarbeitungsprozessen. Seit 2015 beschäftigen sich die Autoren zusammen mit Studierenden der Universität für Bodenkultur Wien und der Technischen Universität Wien im Rahmen von Lehmbaupraktika mit der experimentellen Rekonstruktion von traditionellen Lehmbautechniken. Das praktische Hauptaustragungsgebiet hierfür ist die Lehmbaustelle im Museumsdorf Niedersulz (Abb. 1) und ab 2023 in Kooperation mit dem Bundesdenkmalamt auch die Kartause Mauerbach. Diese Rekonstruktionen ermöglichten es, mit dem lokal verfügbaren Lehm in zahlreichen Versuchen technisch optimierte Bauteile herzustellen (Abb. 2 a). Ergebnisse aus diesen Optimierungsversuchen sind derzeit im Museumsdorf für Museumsbesucher zugänglich ausgestellt. Die technischen Daten zu den einzelnen Bauteilen liegen in Lehmbaupraktikums-Abschlussarbeiten in Form von unveröffentlichten Dokumentationsblättern vor. Die Fragestellung nach dem Zusammenhang zwischen lokal verfügbaren Lehmqualitäten und lokalen Lehmbautechniken entwickelte sich zu einer zentralen wissenschaftlichen Fragestellung im Rahmen der Forschung der Autoren. So wurden zu lokalen Lehmbautechniken und deren technischer Korrelation mit lokal verfügbarem Lehm am Institut für Angewandte Geologie (IAG) an der Universität für Bodenkultur (BOKU) Master- und Bachelorarbeiten verfasst.
Identifikation und Optimierung bestimmter Lehmqualitäten
- Abb. 1 Die ARGE Lehmbau der Universität für Bodenkultur (BOKU; siehe: http://lehmbau.boku.ac.at/) hält regelmäßig Praktika zum Lehmbau auf der Lehmbaustelle im Museumsdorf Niedersulz/NÖ ab. Im Vordergrund Prof. Franz Ottner beim Erklären der Geologie der Lehmgrube.
- Abb. 2 a Die im Weinviertel bekannten traditionellen Lehmbautechniken wurden im Rahmen der ARGE Lehmbau vom Team auf der Lehmbaustelle im Museumsdorf Niedersulz/NÖ experimentell rekonstruiert.
- Abb. 2 b Die Herstellung von Mauern mit Lehmwuzeln stellt eine der traditionellen Massivlehmbautechniken im Weinviertel dar. Im Rahmen von Lehmbaupraktika mit Studierenden wurden diese Techniken, unter anderem die Anfertigung von Lehmwuzeln und Techniken des Vermauerns, praktisch vermittelt.
In Folge werden wir uns in zwei Schritten Möglichkeiten der technischen Optimierung von Lehmbautechniken in vormoderner Zeit annähern, zuerst die Möglichkeit zur Identifikation bestimmter Lehmqualitäten betreffend und in einem zweiten Schritt auf Möglichkeiten zur Optimierung von bestimmten Lehmbautechniken Bezug nehmend. Aus vormoderner Sicht können wir für die meisten Lehmbauten nach derzeitigem Wissensstand von der Verwendung von lokal verfügbarem Lehm mit kürzest möglichen Transportwegen ausgehen. Betrachten wir eine rezente Entwicklung etwa bei der Herstellung von Lehmputzen, so beruht ein wesentlicher technologischer Sprung auf der nicht mehr vorrangigen Verwendung von lokal verfügbarem Lehm, sondern in der industriellen Herstellung aus wirtschaftlich und technisch optimierten Rohstoffen mit unterschiedlicher Herkunft aus oft großen Distanzen.
Zur Identifikation bestimmter Lehmqualitäten
Die Identifikiation von bestimmten Eigenschaften des für Bauzwecke verwendbaren Lehms kann auch heute noch zur ersten Klassifizierung vor Ort über Sinneswahrnehmungen oder einfache Tests (sog. Handprüfverfahren) durchgeführt werden. Der Geruch nach Erde kann etwa Aufschluss über einen für das Bauen ungeeigneten organischen Bestandteil geben.
Der Geschmack wiederum kann über das Vorhandensein von Salz, oder ein auf die Lehmprobe beißen kann über die Dominanz einer Kornfraktion Aufschluss geben, je nachdem, ob ein knirschender Sandanteil zwischen den Zähnen, ein schluffiger wenig klebriger oder ein klebriger Tongehalt auf der Zunge wahrgenommen wird. Haptisch kann ebenfalls ein klebriger von einem feinen aber schluffigen Anteil oder einem körnigen sandigen Anteil unterschieden werden. Auch der Kugelfalltest, bei welchem anhand der Deformation einer Lehmprobe nach Fallenlassen aus einer bestimmten Höhe die Bindigkeit veranschaulicht werden kann, wäre ohne Zuhilfenahme eines Werkzeuges in vormoderner Zeit vorstellbar. Auch der Konsistenztest oder der von Gernot Minke beschriebene Kohäsionstest (auch: „Bändchentest)“ können in situ durchgeführt werden und eignen sich für eine rasche Abschätzung der Bindekraft des Lehms. Visuell vermutete Klassifizierungen von Lehmeigenschaften können auf diese Weisen durch Geruch, Geschmack und die Haptik überprüft werden. Farbpigmente können Rückschlüsse auf die Genese des Tones zulassen, jedoch nicht wie häufig vermutet in direkten Zusammenhang mit bestimmten Lehmverarbeitungseigenschaften gebracht werden.Eine möglichst zuverlässige Abschätzung der Bindekraft des Lehms ist von wesentlicher Bedeutung für dessen Eignung für bestimmte Verarbeitungstechniken. Die Abschätzung der Qualität des Baugrundes ist – in vormoderner Zeit wie auch heute – von entscheidender Bedeutung für die Einschätzung der Durchführbarkeit bestimmter Bautätigkeiten. Im Zuge der Überprüfung des Baugrundes können bereits wesentliche Aussagen anhand des Aushubmaterials über dessen Eignung als Baumaterial getroffen werden. So kann etwa die Beobachtung des Versickerungs- und Wasserspeicherverhaltens von Lehmböden Aufschluss über die Bindekraft und Porosität geben. Ein traditioneller Test ist hierzu aus Tibet überliefert, der eine Vorstellung über eine einfach durchzuführende Untersuchung wiedergibt und auf eine Beobachtungsgabe von natürlichen Gegebenheiten zurückzuführen ist, wie wir diese von Bauleuten in vormoderner Zeit in vielen Teilen der Erde vermuten können.
Der Text beschreibt von der Vorbereitung bis zur Fertigstellung die Errichtung eines tibetisch buddhistischen Klosters und gibt im Kapitel „examination and taking possession of the building site“ neben zahlreichen geomantischen Anleitungen Hinweise zum Test des Baugrundes in zwei Schritten. Als „Grabungs-Test“ wird folgende Vorgehensweise beschrieben: „Es gibt den Grabungs-Test wobei man ein Loch gräbt, in dem die Sohle für jemanden, der in der Mitte des Lochs steht etwa knietief ist. Sodann, wenn beim Wiederverfüllen des Lochs mit der Erde, die zuvor ausgehoben wurde, mehr als genug verbleibt, um es zu füllen, ist es gut. Wenn die Erde nicht ausreichend ist, um das Loch wieder zu verfüllen ist es schlecht. Sodann, um ihre Eigenschaften zu prüfen, grabe wiederum und streiche die Seiten des Loches glatt. Fülle es mit Wasser und sodann gehe hundert Schritte weg. Zurückgekehrt, schaue in das Loch. Wenn das Wasser nicht abgesunken ist, sondern voll bleibt, ist das außerordentlich gut.“
Diese letzte Prüfmaßnahme lässt abschätzen, ob es sich um ein tonreiches („fettes“) Material oder bei raschem Versickern um mageres Material handelt, und lässt damit eine Aussage zur Bindekraft des Lehms als Baumaterial zu.Diese empirisch durchgeführten Tests können in einem kontextuellen Zusammenhang verstanden werden, wobei die jeweils zu bewertende Lehmprobe nicht alleinstehend, sondern in Zusammenhang mit der umgebenden Geologie und den angrenzenden geologischen Schichten zu betrachten ist. Einen wesentlichen Aspekt in der Identifizierung von Eigenschaften an Hand des Rohmaterials stellt die Erfahrung mit Lehmqualitäten mit Bezug zu einer bestimmten geologischen Umgebung dar. Die Stratigrafie der Lehmgrube auf der Lehmbaustelle im Museumsdorf Niedersulz beispielsweise zeigt über eine Höhe von etwa 170 cm eine Schichtabfolge von oben nach unten von Humus, Löss, Löss mit Sandlinsen, kalkhaltigem Löss, Sand und sehr „fettem“ Lehm als unterste Schicht. Eine jede Schicht unterscheidet sich in Farbe und Helligkeitsgrad von den angrenzenden Schichten (Abb. 3). In diesem Fall sind die Farbunterschiede vorrangig durch den Anteil an Eisenoxiden, Karbonat und anderen Begleitmineralen bestimmt. Über diese Farbnuancen ist es möglich, mit der entsprechenden Erfahrung im Umgang mit den zuvor genannten sinnlichen Bestimmungsweisen bestimmte Materialeigenschaften voneinander zu unterscheiden. Die jeweiligen Bestimmungskriterien können in näherer Umgebung einer Lehmgrube ähnlich sein, können jedoch bei sich änderndem Anteil an Begleitmineralen eine entsprechende Änderung in der sinnlich wahrnehmbaren Erscheinung, etwa der Lehmfarbe und Helligkeit bewirken. Die Erfahrung in der Feststellung bestimmter Lehmqualitäten mit Bezug zu bautechnischen Erfordernissen spielt demnach in der vormodernen Gesellschaft eine wesentliche Rolle.
- Abb. 3 Die Stratigrafie der Lehmgrubenwand auf der Lehmbaustelle im Museumsdorf Niedersulz/NÖ zeigt unterschiedliche geologische Schichten. Anhand der schichtenspezifischen Eigenschaften des Lehms können dessen Einflüsse auf die Eignung zur Verarbeitbarkeit für bestimmte Bautechniken nachvollzogen werden.
Zur Optimierung von bestimmten Lehmbautechniken
Welche Schlüsse können von der Identifikation der Art des Lehms auf bautechnische Anwendungen gezogen werden? Lehmbautechniken und deren technische Optimierungsmöglichkeit sind im vormodernen Baukontext an die mineralogische Zusammensetzung von lokal verfügbarem Lehm und damit an die jeweiligen örtlichen geologischen Voraussetzungen gebunden. Regionen mit überwiegend Festgestein als direktem Untergrund, etwa im alpinen Raum, haben für die Entwicklung von Lehmbautraditionen eine andere Bedeutung, als dies beispielsweise in lössreichen Regionen der Fall ist. Wenig bindiges Lockersediment, also jenes mit wenig Tonanteil und einem hohen Anteil an Kies und Sand lässt sich eher für die Stampflehmtechnik verwenden als zur Herstellung von „Wuzel“- oder Ziegelmauern oder von Lehmputzen. Für die Herstellung von „gesatzten Mauern“ kann tonmineralreicher Lehm (gleich „fetter Lehm“) gut verarbeitet werden, wodurch lokale Lehmbautechniken von der jeweils lokalen Verfügbarkeit von „fettem“ Lehm für „gesatzten“ Lehmbau oder „magerem“ Lehm mit hohem Kiesanteil für Stampflehmbau abhängig sein musste. So wurde von Sándor Horváth in der westungarischen Region um Szombathely die Herstellung von Fundamenten von Lehmbauten aus sehr fettem Lehm beschrieben, sofern diese nicht als Steinfundamente errichtet wurden.
Dieser materielle Aspekt mag ein Grund dafür sein, dass wir die Stampflehmtechnik als eine traditionelle Lehmbautechnik im Südburgenland vorgefunden haben, nicht jedoch im Weinviertel.
Dieser bedeutende Aspekt der lokalen Verfügbarkeit von bestimmten Lehmqualitäten ist jedoch nicht das alleinige die lokale Bautechnik bestimmende Moment. Unterschiedliche anthropogene Faktoren sind ebenso als maßgeblich für die Wahl bestimmter technischer Methoden zu nennen, wie der Stand des lokalen Wissens, die Art und Weise des Wissenstransfers, ein bestimmter Anspruch auf Komfort und Repräsentationsvermögen oder der Organisationsgrad innerhalb einer bestimmten Gemeinschaft.Für die Stampflehmtechnik, bei welcher erdfeuchter Lehm in Schichten von einer Stärke zwischen 10 cm und 15 cm in einer Schalung durch Stampfen verdichtet wird, genügt ein geringerer Tonanteil als Bindemittel zwischen den gröberen Teilchen der größeren Kornfraktionen wie Sand und Kies. Als Voraussetzung für die Stampflehmtechnik als traditionelle Bautechnik müssen lokal Materialien verfügbar sein, welche zur Herstellung einer Schalung geeignet sind. Dies müssen starke Bretter sein, deren Herstellung in der vormodernen Zeit jedoch mit einem hohen Arbeitsaufwand und dem Einsatz bestimmter Werkzeuge und damit auch mit vergleichsweise hohen Kosten verbunden war. Stattdessen konnten technisch auch aus Flechtwerk hergestellte Schalungen verwendet werden, wie dies aus Osteuropa oder aus dem Himalaja bekannt ist. Diese spezielle Schalungstechnik wurde jedoch in Ostösterreich von den Autoren noch nicht vorgefunden.
Stampflehm wird im erdfeuchten Zustand, das heißt ohne Zugabe von Wasser verarbeitet, sofern der Lehm gleich nach Aushub verarbeitet wird und nicht im Zuge von Zwischenlagerung austrocknet. Diese Eigenschaft verleiht der Stampflehmtechnik beispielsweise in ariden und wasserarmen Gegenden an Bedeutung.
Anders verhält es sich mit anderen Lehmbautechniken, für welche zur Plastifizierung die Beigabe von Wasser erforderlich ist, was ein wesentlicher Aspekt bei Betrachtung einer kulturgeschichtlichen Entwicklung bestimmter Lehmmauertechniken ist.Lehmbautechniken im kulturgeschichtlichen Kontext
Zur systematischen Zusammenstellung der Lehmbautechniken soll zuerst auf Massivlehmbautechniken („gesatzter Lehmbau“, Stampflehmbau, „Lehmwuzel“ und Quåderstock) und in Folge auf additive Methoden zur Beschichtung eingegangen werden.
Grassodenmauer
Als eine Massivlehmbautechnik oder vielmehr eine Massiverdbautechnik finden wir die Grassodenmauern in Nordeuropa, getrennt vom restlichen Europa entlang eines breiten Gürtels in Mitteleuropa.
Obwohl diese Bautechnik im Untersuchungsgebiet keine Anwendung fand ist das Verständnis der bautechnischen Eigenschaften von Grassodenmauern dienlich zum Verständnis der in Folge beschriebenen Massivlehmbautechniken. So benötigen die Grassoden eine über das Jahr gleichmäßig verteilte hohe Niederschlagsmenge, welche in diesem Ausmaß den Massivlehmbautechniken schaden würde. Um der nach Verrottung des Wurzelwerks abnehmenden Druckfestigkeit entgegenzuwirken, wurden die Wandstärken mit 1,5 m an der Basis und 1 m in einer Gebäudehöhe von 2 m dimensioniert.„Gesatzte“ Mauer oder Stampflehmmauer
Dem Stampflehm ähnlich erscheint der „gesatzte“ Lehm, der in manchen Berichten missverständlicherweise auch als Stampflehm bezeichnet wird. Etwa werden im Reallexikon der Germanischen Altertumskunde von 1976 dem Lehmbau unter dem Kapitel „Bauarten“ nur die folgenden Zeilen gewidmet: „Selten ist der reine Lehmbau (Pisé). Lehmstampfbau war bis zur frühen Neuzeit bei gewissen Speichern üblich (Leimes, Lehms in Schlesien und im Ammerland). Er soll auch bei kaiserzeitlichen Speichern in Kablow angewandt worden sein.“ Neben der irreführenden Aussage, dass der reine Lehmbau nicht zwingend mit Pisé gleichzusetzen ist, handelt es sich bei den genannten Speicherbauten in Schlesien und Ammerland nicht um Stampflehmbauten, sondern vorrangig um Holzbauten.
Der bei der „gesatzten“ Lehmbauweise verwendete Lehm wird in einem plastischen (das heißt nicht erdfeuchten) Zustand eingebracht. Um die Auflast auf das noch plastische Mauerwerk und ein damit verbundenes Kriechen des Lehms zu vermeiden, wird die Mauer in vertikalen Abschnitten
von etwa 60 bis 100 cm Höhe übereinandergeschichtet (Abb. 4). Dies ermöglicht die Austrocknung der einzelnen Mauerabschnitte vor dem darauf „Setzen“ der Folgeschicht. Diese Technik finden wir im Südburgenland wie auch im Weinviertel. Während die „gesatzte“ Lehmbauweise im Weinviertel ohne Schalung hergestellt wurde, wird sie im südlichen Burgenland und in Westungarn auch unter Verwendung einer Schalung beschrieben. Einen wesentlichen Unterschied zur zuvor beschriebenen Stampflehmtechnik stellt bei diesem Typus einer „gesatzten“ Mauer mit Schalung die Beigabe von Wasser und Stroh und die geringere erforderliche Verdichtung durch das bloße Festtreten der „Sätze“ mit den Füßen dar. Die Schalung für solche „gesatzte“ Lehmmauern kann daher leichter und somit kostengünstiger ausgeführt werden als beim Stampflehmbau. Es gibt zwei Arten von Schalungen: jene mit vertikalen Pfosten, welche als die ältere Technik gedeutet werden kann und jene mit die Wand durchdringenden Hölzern als Auflager für die Schalbretter, welche möglichweise durch die Handbücher zu Lehmbau im 18. und 19. Jahrhundert weiträumig bekannt gemacht wurde.- Abb. 4 Gesatzte Mauer auf Bruchsteinfundament in Windpassing/NÖ mit sichtbaren horizontalen Satzfugen, welche auf die einzelnen Verarbeitungsabschnitte hinweisen. Innerhalb eines horizontalen „Satzes“ sind Anschüsse in Form von schrägen Versätzen sichtbar, die als Gleitfugen relevante vertikale Risse in der „Satzlehmmauer“ verhindern. Der Grund dafür ist, dass sie die starke horizontale Schwindung beim Trocknen eines „Satzes“ durch schräges Abgleiten zum größten Teil in einen technisch nicht relevanten unschädlichen Höhenversatz umwandeln, der vom darauffolgenden „Satz“ ausgeglichen wird.
Immer wieder werden Massivlehmwände, welche offensichtlich nicht aus Lehmziegeln oder Quåderstock-Ziegeln errichtet wurden als Stampflehmwände bezeichnet, obwohl es sich bei eingehender Betrachtung um „gesatzte“ Lehmmauern (in Deutschland als „Wellermauern“ bezeichnet) oder um „Lehmwuzelmauern“ handelt. Ziegert gibt, bezugnehmend auf die als „gestampft“ bezeichneten, mit Spreu vermischten Lehmwände einer mittelalterlichen Dorfwüstung in Nordmähren
mehrere Gründe für die wiederkehrende Verbreitung dieses Irrtums an. Unter anderem nennt er den Umstand, dass bei archäologischen Grabungen zur Zeit des aufkommenden Betonbaus, als der „gesatzte” Lehmbau nur noch selten ausgeführt wurde, die fälschliche Assoziation mit Stampflehmmauern wegen der nun bekannt gewordenen Verwendung einer Schalung begünstigt wurde. Ziegert stellt weiters fest, dass in der oben genannten untersuchten Region traditionell der „gesatzte” Lehmbau seine Hauptverbreitung hatte und ein lokaler Wechsel zu einer anderen Massivlehmbautechnik schwer erklärbar wäre. Dieser Umstand wird in der weiteren Argumentation mit der kostenintensiven Herstellung von Schalhölzern und der kaum gegebenen lokalen Verfügbarkeit von Kies und Schotter im Gegensatz zum weitläufig verfügbaren Stroh untermauert.Ziegert nimmt in seiner oben angeführten Darstellung zwar Bezug auf eine bautechnische Entwicklung des “gesatzten” Lehmbaus in Mähren, welche Parallelen zu unrichtigen Darstellungen im Weinviertel veranschaulicht, wo es vorkommt, dass „gesatzte” Lehmbauten ebenfalls fälschlicherweise als Stampflehmbauten bezeichnet werden. Im Weinviertel konnte bisher jedoch kein historischer Stampflehmbau ausfindig gemacht werden. Andererseits ist in manchen Weinviertler Gegenden, etwa in der Region Retz der „gesatzte” Lehmbau eine weit verbreitete Lehmbautechnik.
In Mähren, welches an das Untersuchungsgebiet angrenzt und starke naturräumliche Ähnlichkeiten zum Weinviertel aufweist, wurden diesbezügliche Forschungen seit der Nachkriegszeit intensiv betrieben, wodurch eine gute Forschungsbasis mit entsprechend detaillierter Kategorisierung der Lehmbautechniken geschaffen werden konnte. So konnten unterschiedliche Massivlehmtechniken bestimmt werden, wie in Folge als Auszug der Kommunikation mit Zuzana Syrová (vom Czech National Heritage Institute) dargestellt werden soll.
Die ältesten in Mähren noch stehenden Massivlehmwände sind jene der hinteren Kammer von Haus Nummer 115 in der Marktstadt Pouzdřany/Pausram in Okres Břeclav/Bezirk Lundenburg. Diese können als „gesatzte“ oder gestampfte Mauern klassifiziert werden. Querhölzer der Bewehrung waren mittels Dendrochronologie nicht datierbar, jedoch erlaubte die Stratigrafie der Konstruktion eine relative Datierung vor 1607. Für die Massivlehmbautechnik der mit der Heugabel aufgeschichteten „gesatzten” Lehmwände (von Syrová in ihrem Mail als „pitched-forked“ bezeichnet), wie dies vorrangig aus Regionen der inneren Slowakei bekannt ist, gibt es in Mähren einige wenige Beispiele, etwa bei zwei Weinkellern in Šatov/Schattau in Okres Znojmo/Bezirk Znaim, welche an das Ende des 18. Jahrhunderts zu datieren sind und 2006 zerstört wurden.
Die Technik der übereinander gestapelten „Lehmwuzel“ (von Syrová in ihrem Mail als „stacked cob structures“ bezeichnet) ist in Mähren aus der Region Haná bekannt und wird von Syrová auf nicht älter als Ende des 18. Jahrhunderts eingeschätzt. Bei der Technik der gestampften „Lehmwuzel“ (von Syrová in ihrem Mail als „coffered cob“ bezeichnet), wurden diese in plastischem Zustand in eine Schalung eingefüllt und mit den gleichen Werkzeugen wie für Stampflehmmauern verdichtet. Die ältesten in Mähren gefundenen „gesatzten“ Lehmmauern wurden in dieser Technik hergestellt. Diese Technik ist aus dem 17. bis 18. Jahrhundert von Getreidespeichern bei alten Häusern in der Region Haná sowie von Weinkellern in der Region Znojmo/Znaim bekannt.
Für die Stampflehmtechnik, also jene Massivlehmbautechnik, bei der Lehm in erdfeuchtem Zustand verarbeitet wird gibt es in Mähren den Begriff „sypanice”, welcher aus schriftlichen Quellen bereits aus dem 14. Jahrhundert bekannt ist.
Hausmauern aus Stampflehm sind aus der Stadt Uherský Ostroh bekannt, wo der Lehm mit keramischen Bruchstücken abgemagert wurde. Eines dieser Gebäude aus dem 16. Jahrhundert wurde in den 1980er Jahren zerstört.Mit Ausnahme der gestampften „Lehmwuzel“ konnten diese Massivlehmtechniken auch im Untersuchungsgebiet vorgefunden werden. Nicht so eindeutig wie im Weinviertel lässt sich im Burgenland die kategorische Trennung zwischen Stampflehmbau und „gesatztem” Lehmbau durchführen. Traditionell wurden Lehmbauten überwiegend „in den ebenen, bis sanft hügeligen Gebieten des nördlichen und südlichen Burgenlandes errichtet.
Untersuchungen der Autoren an Bauernhäusern in Ólmod/Plajgor, einem Ort an der österreichisch-ungarischen Grenze zwischen Sopron/Ödenburg und Szombathely/Steinamanger gelegen, zeigen Lehmschichten, welche sich mit einer mittleren Höhe von 8 cm und einer ebenen und sich nicht nach oben hin verjüngenden Wandoberfläche als Stampflehmmauern interpretieren lassen. Die einzelnen Lehmschichten wurden vor Aufbringen der Folgeschicht mit einer dünnen Lage Stroh abgedeckt. Eine ähnliche Bauweise ist laut Darstellung von Zuzana Syrová in Tschechien bekannt.Recherchen seitens H. Feiglstorfer im Museum in Zalaegerszeg in Westungarn ergaben, dass die in Westungarn weit verbreitete Lehmbaumethode die „gesatzte” Mauertechnik war, bei der Lehm mit Stroh und Wasser vermengt wird. Diese Verarbeitung unterscheidet die „gesatzte” Mauertechnik von der Stampflehmmauertechnik, bei welcher der Lehm erdfeucht und ohne Zugabe von Stroh eingebracht wird. Für die Errichtung einer Stampflehmmauer ist eine Schalung zum Einbringen des Lehms erforderlich. Zwischen den Schalwänden wird der Lehm verdichtet. Diese Methode der Verwendung einer Schalung ist jedoch auch für „gesatzte” Lehmmauern regionsspezifisch unterschiedlich gut bekannt. Wurde im Weinviertel die „gesatzte” Lehmmauer ohne Verwendung einer Schalung aufgeschichtet, so findet sich im Burgenland und der angrenzenden westungarischen Grenzregion die Methode der Verarbeitung des feuchten Stroh-Lehms als „gesatzte” Mauern unter Verwendung einer Schalung.
So beschreibt Sándor Horváth für die Gegend von Szombathely/Steinamanger die Herstellung von Massivlehmwänden unter Zugabe von Wasser mit Stroh in einer 40 cm bis 50 cm hohen Schalung mit Lehmlagen von 10 cm bis 15 cm.
Auch im Freilichtmuseum in Zalaegerszeg wurde diese Technik als regional üblich beschrieben, wobei der „gesatzte” Lehm hier als durch Stampfen komprimiert beschrieben wurde.Mária Marx (vom Museum in Zalaegerszeg) nannte für die Lehmwand den ungarischen Begriff tömés und für das Verdichten den Begriff döngöl.
Bei Übersetzung des Terminus tömés mit „Füllung“ wird die Verwendung einer Schalung impliziert, in welche der Lehm eingefüllt wurde. Bei Übersetzung des Terminus döngöl mit „rammen“ wird eine verdichtende Methode mit einem Werkzeug impliziert. Zusammenfassend drücken diese lokal üblichen Begriffe das Stampfen von Lehm in einer Schalung als lokal tradierte Massivlehmbautechnik aus. Eine ähnliche Darstellung der Verdichtung von Wellerwänden in Deutschland findet sich bei Güntzel, wobei er den Verdichtungsprozess durch Festtreten oder Zuhilfenahme diverser Verdichtungswerkzeuge beschreibt.Im Südburgenland dominierten um 1800 Holzblockbauten und Lehmbauten, wobei mit dem Ende des 18. Jahrhunderts Lehmziegel und in weiterer Folge spätestens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kalkgetünchte Mauern aus gebrannten Ziegeln eine dominierende Verwendung fanden.
Eine frühe Erwähnung der „gesatzten” Mauertechnik stellt Komzak mit einem Zitat von Sebastian Franck aus 1534 dar. Komzak nennt zu der „gesatzten” Lehmbauweise als Beispiele im Nordburgenland die Florianizeche (sic. Johanneszeche) in der Florianigasse in Illmitz im Seewinkel und im Südburgenland Weinkeller in Heiligenbrunn im Bezirk Güssing. Eine ähnlich frühe Datierung von „gesatzten” Lehmmauern in das 14. oder 15. Jahrhundert kann für das Eisenhuthaus in Poysdorf im Weinviertel laut Darstellung des Eigentümers angenommen werden.Der älteste und mittlerweile abgerissene Wellerbau in Deutschland stand in Dothen in Thüringen und wurde auf das Jahr 1592 datiert.
Der von Ziegert für Deutschland genannte heutige Bestand an ländlichen Wellerbauten lässt sich etwa auf die Zeit 1750 bis 1860 datieren, wobei der Ziegelbau bis spätestens 1885 den Wellerbau verdrängte – eine Darstellung, welche hypothetisch zum derzeitigen Forschungsstand auch auf den Weinviertler Raum zutreffen könnte.Neben der Technik des „gesatzten“ Mauerbaus wurde im Burgenland auch die Technik des Stampflehmmauerbaus angewandt, beispielsweise im Bezirk Oberwart, wo wir diesen bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts vorfinden.
Im Vergleich dazu fand nach der Darstellung von Ziegert der Stampflehmbau im westlichen Mitteleuropa ab dem 17. Jahrhundert seinen Aufschwung, von wo aus sich diese Massivlehmbaumethode nach Osten und Südosten, beispielsweise in die Schweiz zwischen 1660 und 1670 verbreitete, während zu dieser Zeit in Deutschland noch keine Stampflehmbauten verbreitet waren. Im Gegensatz zur Verbreitung der Stampflehmtechnik in mitteleuropäischen Ländern erst nach Einführung im 18. und 19. Jahrhundert, war diese in Ungarn, soweit dies bisher recherchiert werden konnte, als vernakuläre Bautechnik auch ohne Veröffentlichung technischer Beschreibungen und überregionaler Propagierung bekannt.An dieser Stelle sollte darauf hingewiesen werden, dass wir es bei den hier aufgezeigten Lehmbautechniken mit vernakulären, das heißt mit regionalen Entwicklungen zu tun haben, welche sich mit Vorsicht und erst nach Vorhandensein einer entsprechenden Menge und Qualität von Indizien in einen überregionalen Kontext bringen lassen. Als ein abschließendes Beispiel hierzu soll eine bautechnische Entwicklung in Westungarn entlang der südburgenländischen Grenze genannt werden. Die in der Region von Szombathely/Steinamanger bekannten, in einer Schalung errichteten „gesatzten“ Mauern finden wir auch in der Gegend um Sopron/Ödenburg im Norden und in der Gegend um Zalaegerszeg im Süden von Szombathely, jedoch werden sie in der baugeschichtlichen Beschreibung der Region Örség, welche zwischen Zalaegerszeg und der österreichischen Grenze liegt, von Károly und Géza in deren Publikation zur Region Örség nicht genannt.
Sie beschreiben die Region Örség als eine Urregion des Holzblockbaus, welchen wir sehr wohl auch in den zuvor genannten westungarischen Regionen vorfinden. Im Örség bleibt der Massivlehmbau jedoch ungenannt und der Holzblockbau wird als baugeschichlich von der Ziegelbauweise gefolgt beschrieben. Dies entspricht der Darstellung von Sándor Horváth, dass sich im Örség, einer etnographischen Region im Komitat Vas der Holzbau länger als lokale Tradition erhielt und ab Ende des 19. Jahrhunderts vom Ziegelbau abgelöst wurde.Zur Propagierung des Stampflehmbaus
Die Propagierung des Massivlehmbaus, im Besonderen des Stampflehm- oder Pisé-Baus hatte ihren Ausgang in Frankreich
und beeinflusste lokale Entwicklungen in zahlreichen europäischen Regionen. Diese Phase der lehmbautechnischen europäischen Entwicklung soll in Folge in Kürze dargestellt werden. François Conteraux gründete 1785 die École d’architecture rural. Der Pisé-Bau fand unter anderem durch die von ihm publizierten Schriften starke Verbreitung. Johann Gottfried Lange veröffentlichte 1779 das Buch Zufällige Gedanken über die nothwendige und bequemere wirtschaftliche Bauart auf dem Lande und David Gilly veröffentlichte 1787 ein Buch zum Lehmbau unter dem Titel Praktische Abhandlung aus der Landbaukunst, betreffend den Bau der sogenannten Lehm- und Wellerwände wie man dieselben dauerhaft mit wenigen Kosten und einer wahren Holzersparung ausführen konnte. Holzersparnis, Senkung der Baukosten und eine Verbesserung der Wärmedämmung waren primäre Beweggründe für diese beiden Lehmbaupublikationen. In der Darstellung von Güntzel waren „leichtfertig in die Welt gesetzte Behauptungen über die Nachteile des Wellerbaus“ mitverantwortlich dafür, dass dieser mit einem negativen und minderwertigen Erscheinungsbild behaftet wurde.Ein Boom des Lehmbaus beginnt in der zweiten Hälfte Ende des 18. Jahrhunderts mit einem wichtigen Einfluss der staatlichen Bürokratie (Vorschriften gegen Feuer und Verbote von Holzkonstruktionen) und durch den Einfluss von Publikationen zum Bauen mit Lehm.
Deutschsprachige Lehmbaupublikationen waren in den damaligen Ländern der österreichisch-ungarischen Monarchie verbreitet. Das erste Handbuch zum Lehm, welches 1840 auf Tschechisch übersetzt wurde, wurde von Johann Philipp Joendl, einem mährischen Baudirektor in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts geschrieben. In Joendl‘s Handbuch findet sich ein aus baugeschichtlicher Sicht wichtiges Kapitel zum Pisé-Bau. Deutsch war eine Sprache, die ein Baumeister zu dieser Zeit in der Regel sprechen konnte, sodass er damals bereits in Wien oder Berlin veröffentlichte Bücher lesen konnte. Texte von Cointeraux, beispielsweise, wurden bereits in den 1790er Jahren ins Deutsche übersetzt. Laut Z. Syrová gilt Johann Philipp Joendl (1782-1870) in der aktuellen tschechischen Literatur als eine der führenden Personen der neoklassizistischen Architektur des Landes. Es ist wenig bekannt, dass er neben seiner Tätigkeit in Böhmen viele Jahre als Architekt und Ingenieur bei den Fürsten von Dietrichstein in Mähren gearbeitet hat. Aus seinem Handbuch geht hervor, dass er die Arbeit von Cointreau und/oder Gilly kannte, aber ihm sicherlich auch die traditionellen Lehmkonstruktionen in Mikulovs Stadt und Region bekannt gewesen sein mussten.Die Propagierung von Massivlehmbautechniken nahm einerseits traditionelle Bautechniken auf und hatte andererseits deren angeleiteten Einsatz, eine Art von Standardisierung und das „heimisch machen von Lehmarchitektur“ laut Formulierung von Striedter
als Absicht. Betrachtet man die Art des Wissenstransfers, zeigt diese Bewegung einen Übergang von einem vernakulären Wissenstransfer zu standardisierter Anwendung. Im Diskurs zu technischen Belangen stellen die Auseinandersetzung zu lehmbaurelevanten Themen und deren schriftliche Veröffentlichung einen wesentlichen Abschnitt in der zunehmenden Verbreitung und Zugänglichmachung von traditionellem Wissen seit dem 18. Jahrhundert dar.Lehmwuzel
Ein Materialgemisch, welches im Verhältnis der Bestandteile von Lehm, Stroh und Wasser ähnlich zum „gesatzten“ Lehm im Weinviertel ist (Abb. 5), stellt das Ausgangsmaterial von in eben dieser Region mit Hand geformten „Lehmwuzeln“ dar (Abb. 6). „Lehmwuzel“ werden ohne Schalung in feuchtem Zustand zu einer Mauer aufeinander geschichtet. Diese Lehmbautechnik kann als eine jener Baumethoden genannt werden, bei welchen keine technischen Hilfsmittel erforderlich sind.
- Abb. 5 Abgesiebte und abgetrennte Bestandteile eines Lehmputzes eines 2015 abgebrochenen Presshauses in Obersulz/NÖ (siehe Meingast/Feiglstorfer 2018); der Inhalt der drei Schalen von links nach rechts. Links: Fraktion bis 63 µm, Mitte: > 63 µm, rechts: Dreschrückstand als organischer Bestandteil des Lehmputzes.
- Abb. 6 „Lehmwuzelmauer“ auf einem Bruchsteinsockel in der Weinviertler Kellergasse in Wolfpassing (Nähe Hollabrunn)/NÖ.
Ein zum Teil aus „Lehmwuzeln“ errichteter Zehentkeller der Familie Thiem in der Brünnerstraße in Poysdorf kann auf Grund eines Fundes von Münzen, datiert zwischen 1554 und 1632, näherungsweise dem 16. oder 17. Jahrhundert zugeordnet werden.
Ein ähnliches Alter von 300 Jahren konnte für einen „Lehmwuzelbau“, ein Presshaus in Obersulz im Weinviertel, an Hand von dendrochronologischen Untersuchungen bestimmt werden. Im Zuge der Abrissaktivitäten, welche H. Feiglstorfer 2015 mit bautechnischen Untersuchungen begleitete, erhielten die Autoren detaillierten Einblick in die Bautechnik und Verarbeitungsweise von „Lehmwuzeln“ aus dieser Zeit. Hierbei konnte etwa festgestellt werden, dass „Lehmwuzelmauern“ ähnlich wie „gesatzte“ Lehmmauern in Sätzen mit schräggeneigt aneinander anschließenden Mauerabschnitten aufgeschichtet wurden. Ein ähnlicher Strohanteil bei den beiden Bauweisen lässt auf eine ähnliche Materialaustrocknungszeit schließen. „Lehmwuzelmauern“ wurden im Weinviertel ohne Schalung errichtet. Zur Einebnung von Mauerpartien wurden Oberflächen stellenweise mit Holzbrettern oder Holzpfosten eben gepresst, wie die Autoren dies beispielsweise in Weinkellern der Kellergasse in Wolfpassing im Weinviertel feststellen konnten.Eine Untersuchung der Autoren an einem 2017 abgerissenen Bauernhaus in Groß Riedenthal im Weinviertel – einem der letzten seiner Art in diesem Ort – zeugte von der Flexibilität der Erbauer in der Wahl von Lehmmassivbautechniken. So wurden die Mauern im Erdgeschoß „gesatzt“ und im Obergeschoß zum Teil aus „Lehmwuzeln“ hergestellt. Ein Fenster im Obergeschoß wurde dabei lediglich aus dem Massivlehmmauerwerk ausgestochen, was an dessen ohne Überlager ausgebildetem Sturzbereich erkennbar war.
Mit „Lehmwuzeln“ wurden auch Pfostenkonstruktionen ausgefacht, wie dies bei einer Scheune in Roggendorf
(Abb. 7) oder in der Rákóczi Ferenc utca in Ják/St. Georgen in Westungarn unweit der österreichischen Grenze im Jahr 2019 von H. Feiglstorfer festgestellt werden konnte (Abb. 8). Beispiele von Pfostenbauten mit Massivlehmwänden (bekannt als „merowingische Hüttenbauten“) sind in Deutschland im Weimarer Gebiet bereits aus dem 6./7. Jahrhundert bekannt. Die Verwendung von „války“ (i.e. der tschechische Terminus für „Lehmwuzel“) als Füllmaterial von Holzskelettbauten ist aus Chľaba/Helemba in der Slowakei aus dem 16. Jahrhundert bekannt.- Abb. 7 Scheune in Lehm-Pfostenkonstruktion in Roggendorf/NÖ.
- Abb. 8 Scheune in Lehm-Pfostenkonstruktion in der Rákóczi Ferenc utca in Ják in Westungarn nahe der burgenländischen Grenze.
Lehmziegel
Aufwändiger als die Herstellung von „Lehmwuzeln“ ist die Herstellung von Lehmziegeln
in Holzmodeln, nicht bloß wegen der erforderlichen Vorfertigung der Model, sondern vor allem wegen der erforderlichen Lagerung der geschlagenen Ziegel zur Lufttrocknung vor dem Einbau. Das Aufmauern von Lehmziegeln erfordert im Gegensatz zum Versetzen von „Lehmwuzeln“ die Herstellung einer Setz- und Lagerfuge aus Lehmmörtel, was einen zusätzlichen Arbeitsschritt erforderlich macht. Andererseits erlaubt das Aufmauern von Lehmziegeln in einem einheitlichen Mauerverband einen regelmäßigen und schichtenweisen Aufbau von hoher Stabilität mit geringer Anfälligkeit auf Schwindrisse nach erfolgter Austrocknung.Die Lehmziegelbauweise ist jene in Ostösterreich am häufigsten noch vorzufindende Massivlehmbautechnik. Durch die Verwendung von lokal verfügbaren Baustoffen konnten Materialkosten niedrig gehalten werden, was den Einsatz von Lehmziegeln als Baumaterial bis in die angehende Zeit der Industrialisierung attraktiv machte. Bereits in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts fand die Lehmziegelbauweise für die Ansiedelung von Arbeitskräften für die Textilfabrikation in Groß Siegharts im Waldviertel ihren Einsatz. Geplant war eine starke Vergrößerung des Ortes um 1720 mit 1000 Kleinhäusern durch den Unternehmer Johann Christoph Ferdinand Graf Mallenthein.
Die Bezeichnung „Lehmgrube“ für diesen damals neu geplanten Siedlungsteil zeugt noch heute vom Abbau von Lehm zur Herstellung von Lehmbaumaterial zwischen 1720 und 1725. Wie Untersuchungen der Autoren zeigten, befanden sich neben Häusern aus Lehmziegeln Reste eines Sockelmauerwerks eines Abbruchhauses, welche zwar ebenfalls in Massivlehmbauweise errichtet waren, jedoch auf Grund der nicht feststellbaren Ziegelfugen, als „gesatzte“ Mauern oder als „Lehmwuzel-Mauern“ interpretiert wurden. Bei Bauarbeiten in einem weiteren Haus in dieser Siedlung war der Aufschluss einer Lehmwuzelmauer sichtbar geworden. Diese Feststellung lässt die Frage offen, ob diese beiden Massivlehmbautechniken in einem weiter verbreiteten Umfang in Groß Siegharts Anwendung fanden und möglicherweise doch eine frühe Bauphase im Zuge der von Mallenthein geplanten Neuansiedelung darstellen.Die großformatigen Lehmziegel mit einer Abmessung von ca. 30x15x15 cm sind im Weinviertel auch als „Quåderstock“ bekannt (Abb. 9). Die Holzmodel werden zum leichteren Herausschlagen des „Quåderstock“ ohne Boden und konisch hergestellt. Der hierfür verwendete Lehm konnte von den Autoren in zahlreichen Fällen als grobkörniger festgestellt werden. Dies unterscheidet den „Quåderstock“ von den kleinformatigeren Lehmziegeln. Ein weiterer Unterschied zwischen „Quåderstock“ und kleinformatigeren Lehmziegeln ist die häufige Verwendung von Stroh bzw. von Dreschrückstand für „Quåderstock“, während für Lehmziegel im Weinviertel in der Regel kein organisches Magerungsmaterial verwendet wurde. Für ungebrannte und gebrannte Ziegel wurde, wie in Niedersulz festgestellt werden konnte, das gleiche Ausgangsmaterial verwendet. Diese wurden für unterschiedliche Einsatzzwecke herangezogen. Beispielsweise wurden gebrannte Ziegel im erdberührenden Gebäudesockel verwendet (Abb. 10).
- Abb. 9 Eine Scheune bei Windpassing bei Schöngrabern/NÖ zeigt einen Sturzbogen aus Lehmziegeln, darüber eine Nivellierschicht aus Lehmziegeln, welche wiederum als Auflager für das darüber befindliche „Quåderstockmauerwerk“ verwendet wurde.
- Abb. 10 Für die Rekonstruktion einer traditionellen Lehmziegelmauer wurden als erste Lage wegen der Wasserfestigkeit gebrannte Ziegel verlegt. Darauf wurde von Studierenden der Universität für Bodenkultur mit ungebrannten, luftgetrockneten Lehmziegeln gemauert, welche in einer Scheune im Museumsdorf Niedersulz zwischengelagert waren. Die Ziegel wurden ohne organische Zuschlagstoffe in einem Holzmodel mit Boden hergestellt, worauf sowohl bei den gebrannten wie auch den ungebrannten Ziegeln die Prägung an der Ziegeloberfläche schließen lässt.
Beschichtungen mit Lehm
Beschichtungen mit Lehm kennen wir im vormodernen Bauen in Ostösterreich auf mineralischem Untergrund, etwa auf „gesatzten“ Mauern oder „Wuzelmauern“ oder auf Holzuntergrund, etwa auf Flechtwerkwänden, auf Holzblockwänden, auf Deckenbalken und Mauerpfosten. Die Lehmputzhaftung auf Lehmuntergrund ist in der Regel problemlos, ebenso die Haftung des Lehms auf Flechtwerkwänden durch Umhüllen der Holzteile und durch Füllen der Hohlräume mit Lehm. Bei Holzblockwänden werden meist in die Balken getriebene Holzdübel (als „Spicken“ bekannt) verwendet, oder mit einem Beil oder einer Dechsel aufgeraute Oberflächen als Putzträger hergestellt. Kuhdung wurde für Lehmputze traditionell als Zuschlag verwendet. Er diente als Substanz zugleich zur Hydrophobierung und als Feinfaserzuschlag und wurde dem üblichen Gemisch aus Lehm, Wasser, Strohhäcksel bzw. Dreschrückstand, also Grannen und Spelzen, erfahrungsgemäß dosiert beigemengt (Abb. 11, 12). Diese Art der Hydrophobierung bewirkt eine Verbesserung der Wasserbeständigkeit bei Lehm-Außenputzen (Hypothese). Von den Autoren werden als Ursache für diesen Hydrophobierungseffekt stabilisierende chemische Reaktionen zwischen organischen Bestandteilen des Dungs und den Tonmineralen des Lehmputzmörtels in Zusammenwirken mit einem mechanisch stabilisierenden Faseranteil vermutet. Dahingehende wissenschaftliche Belege sind den Autoren bisher nicht bekannt und entsprechende Untersuchungen sind angestrebt.
- Abb. 11 Holzblockwand eines „Kitting“ Speicherbaus im Freilichtmuseum Vorau mit Holzkeilen (sog. „Spicktechnik“) als Putzgrund für den Grob- und Feinputz.
- Abb. 12 Rezepte für Musterlehmputze, welche im Freilichtmuseum Vorau auf einer Wand des „Kitting“ ausgestellt und beschildert sind.
- Abb. 13 Lehmstecken (das sind strohumwickelte Holzbalken; im regionalen Dialekt: „Loamsteka“) wurden nach Teileinsturz einer Decke über dem Erdgeschoß in einem Vierkanthof in Schleissheim/OÖ sichtbar.
- Abb. 14 Bauernhaus in der Rákóczi Ferenc utca in Ják in Westungarn nahe der burgenländischen Grenze. Der Strohlehmputz wurde mit einer Lehmschlämme überzogen. Diese erscheint in einer leicht bläulichen Farbe. Dieser Lehm wurde lokal für Töpferarbeiten verwendet, für welche diese Gegend vormals bekannt war. Darüber wurden bei späteren Unterhaltsarbeiten Weissingschichten aufgebracht.
Eine weitere Beschichtungstechnik unter Einsatz von Lehm findet sich bei den lokal im Weinviertel, Traunviertel oder Mostviertel als „Loamstecka“ bekannten Bauteilen (Abb. 13). Hierbei werden vertikale Holzbauteile wie Stecken oder Rundhölzer für Wände und horizontale Deckenbauteile aus Rundhölzern für Decken mit Strohlehm umwickelt und Mann-an-Mann verlegt. Für die Umwicklung wird langfaseriges Stroh verwendet. Diese Strohlehmumwicklung schließt die Spalten zwischen den Balken und erhöht die Wärmedämmung der jeweiligen Wand- bzw. Deckenkonstruktion.
Alle genannten Verarbeitungstechniken von Lehm für Bauzwecke reagieren sensibel auf Veränderungen der Art des Lehms oder des Mischungsanteiles von Wasser oder organischen Magerungsmitteln. Abweichungen können sich beispielsweise in einer geringeren Bindigkeit, im Auftreten von Rissen, im Absanden von Oberflächen, in einer geringeren Druckfestigkeit oder in einer leichteren Abschlämmbarkeit der Oberfläche äußern. Eine technische Optimierung von Lehmbautechniken zielt auf ein optimiertes Zusammenspiel zwischen den unterschiedlichen Materialkomponenten ab. Die zahlreichen Möglichkeiten bei der Wahl an Lehmarten, Magerungsstoffen, des Wasseranteils, von Austrocknungszeiten etc. lassen den Massenbaustoff Lehm in der vormodernen Anwendung komplex erscheinen. Eine auf Tradition und Anwendung beruhende Erfahrung kann daher als Voraussetzung für eine technische Optimierung von Lehmbautechniken vorausgesetzt werden.
- Abb. 15 Arbeitshypothese zum Alter der einzelnen traditionellen Lehmbautechniken in Ostösterreich (Überarbeitung einer Chronologie in: Meingast, Feiglstorfer 2018).
Mögliche Spuren und Forschungshypothesen
Die Grafik in Abb. 15 zeigt die Arbeitshypothese der Autoren in Bezug auf das Alter der einzelnen historischen Bauweisen mit Lehm. Die Masse der erhaltenen Lehmbauten ist nicht älter als aus dem 18. Jahrhundert. Daher kann diese vorläufige Arbeitshypothese am ehesten durch die Archäologie überprüft werden. Ausgangsbasis könnten die bautechnischen Erkenntnisse über die erhaltenen vorindustriellen Lehmbautechniken sein.
Aus der Kenntnis der erhaltenen Baukörper von Gebäuden in verschiedenen historischen Lehmbautechniken kann man mit gewisser Wahrscheinlichkeit Befunde erwarten, die diese nach ihrem Verfall im oder am Boden einst hinterlassen haben. Eine Lehm-Flechtwerkwand beispielsweise hinterlässt nach der Zerstörung des Gebäudes durch ein Brandereignis einen verziegelten „Hüttenlehm“. Dieser Hüttenlehm bleibt erhalten, wenn er mindestens eine Brenntemperatur von 500°C erreicht hat. Die Untersuchung von Mineralneubildungen im Hüttenlehm kann in vielen Fällen Rückschlüsse auf die erreichte Temperatur bei der Verziegelung zulassen.
Eine „gesatzte“ Mauer mit typischen 70 cm bis 100 cm Stärke hingegen würde bei einem Brandereignis mit derselben Brandlast wegen ihrer großen thermisch wirksamen und gut wärmeleitfähigen Masse höchstens im Oberflächenbereich mit einer Schichtdicke von wenigen Zentimetern „verziegelt“ werden, aber ansonsten intakt bleiben. Dies hat zur Folge, dass eine „Wuzelmauer“ oder „Satzlehmmauer“ selbst nach dem Abbrennen des Hauses für einen Wiederaufbau technisch verwendbar bleibt. Vorgänge dieser Art sind an rezenten Lehmbauten nachweisbar. Im Gegensatz dazu muss ein abgebrannter Flechtwerkbau komplett wiedererrichtet werden.
Nach Aufgabe bzw. Wüstung einer Siedlung mussten Flechtwerkwände und auf deren Existenz verweisende Indizien relativ rasch infolge ihrer geringen mineralischen Masse „verschwunden“ sein, abgesehen von im Boden verbliebenen Hinweisen, etwa den Pfostenlöchern. Aufgegebene Massivlehmmauern dagegen können erfahrungsgemäß viele Jahrzehnte lang gut der Verwitterung trotzen. Sie dürften auf Grund ihrer großen Masse nur langsam durch Verwitterung „zerflossen“ sein. Ein wichtiges archäologisches Indiz könnten ihre Fundamente sein. Aus rezenten Beispielen ist bekannt, dass Fundamente von „Wuzel“- oder „Satzlehmmauern“ aus demselben Lehmbaustoff wie die Mauer bestehen konnten und nicht zwangsläufig als Natursteinfundamente errichtet sein mussten.
Dafür wurden bei den derartigen rezenten Lehmbaubeispielen Gräben in Mauerbreite etwa knietief ausgehoben und es wurde ein homogenes Fundament aus „Wuzeln“ oder Satzlehm
aufgebaut (Abb. 16). Diese Vorgehensweise war für die ausreichende Stabilität einer solchen Massivlehmmauer statisch erforderlich, vor allem um den jahreszeitlichen Bewegungen des Baugrundes infolge des Wechsels von Bodenfrost und Tauwirkung langfristig zu widerstehen. Ein möglicher Ansatz für die Interpretation länglicher, wannenförmiger Vertiefungen im Boden durch R. Meingast als Fundamentbefunde basiert auf dem Artikel von Celine Wawruschka über frühmittelalterliche Siedlungsspuren in Niederösterreich. Mit 16 Nachweisen sind diese Vertiefungen das zweithäufigste Phänomen in den ausgewerteten und dokumentierten frühmittelalterlichen Siedlungsstrukturen. Sie könnten auf eine Mischbauweise hindeuten, die aus einzelnen, statisch aussteifenden, massiven Lehmmauern in „Lehmwuzel“- oder „Satzlehmbauweise“ und daran anschließenden leichten Lehmflechtwerkswänden bestanden. Rezente Beispiele für diese hypothetische Bauweise sind bisher jedoch nicht bekannt.- Abb. 16 Rekonstruktion eines „Langwuzelmauer“-Fundaments das nach einer Beschreibung von Franz Perschl im Rahmen eines Lehmbaupraktikums im Museumsdorf Niedersulz 2015 aus den gleichen langen Lehmwuzeln hergestellt wurde wie die aufgehende Mauer (in Meingast/Feiglstorfer 2018).
Wirtschafts- und rechtsgeschichtliche Rahmenbedingungen für das vernakuläre Bauen als Grundlage für die Wahl von Bauweisen mit Lehm
Wirtschaftliche Kosten
Die Wahl einer vernakulären Bauweise basierte auf ökonomischen Kosten für Baumaterial und Arbeit in der jeweiligen Bauzeit. Die Investitionen für einen Bau wurden mit einer Mischung aus naturalwirtschaftlichen und geldwirtschaftlichen Komponenten erbracht. Die Kosten für Ressourcen waren in der vorindustriellen Marktwirtschaft bis über das Ende des 18. Jahrhunderts hinaus bestimmt von der Beschränkung auf erneuerbare Energiequellen
. Dieser Umstand bewirkte – besonders in vernakulärer Architektur – eine eng limitierte, aber lokal durch die unterschiedlichen naturräumlichen Potentiale variierende Verfügbarkeit von Energie und Rohstoffen. Dies führte zu mosaikartig über das Land verteilten, differenzierten lokalen Marktwirtschaften mit Kleinstädten und Märkten als Zentren ihrer Wirtschaftsräume.Der Transport von Gütern war in vorindustrieller Zeit ein unvergleichlich größerer Kostenfaktor als heute. Schwere Lastentransporte, beispielsweise, wurden mit Ochsenfuhrwerken durchgeführt, die bei den damals üblichen Straßenverhältnissen mit einer maximalen Nutzlast von geschätzt 800 kg nur eine Tagesleistung von ca. 15 km erreichten.
Unter diesen Umständen ist klar, dass beispielsweise Sand als Zuschlag für Wandverputze oder Mauermörtel im vernakulären Bau in der Regel unverhältnismäßig teuer gewesen wären. Im Gegensatz zu Kalkmörtel lässt sich Lehmmörtel auch ohne Sand herstellen. Im historischen Lehmputz konnte Sand als Magerungsmittel durch Dreschrückstand oder Strohhäcksel ersetzt werden. Die daraus resultierende, geringere Druckfestigkeit des Putzes wurde in Kauf genommen – ein Umstand, welcher üblich war und den historisch niedrigeren Ansprüchen an den Gebrauchswert entsprach.Sand wäre allein wegen der Transportkosten in der Regel zu teuer für den vernakulären Bau gewesen. Gebrannter Kalk war unter vorindustriellen Produktionsbedingungen wegen seines hohen Bedarfs an Energie aus Brennholz relativ teuer, sodass er im vernakulären Bau, wenn überhaupt, in vielen Gegenden nur auf Lehmputzen in Form von hauchdünnen Lagen von Kalktünche zum Einsatz kommen konnte. Wie sehr auch dieser Witterungsschutz der Lehmoberfläche durch Kalk von seiner lokalen Verfügbarkeit abhing, zeigt die Darstellung von Sándor Horváth.
Eine dieser Gegenden, in welcher Kalk spät zum Einsatz gekommen sein dürfte, gibt es in Westungarn, in der Grenzregion zu Österreich mit einer im 18./19. Jahrhundert grenzübergreifend ähnlich geprägten vernakulären Bautradition. Hier etwa wurden in von Slowenen besiedeltem Dorfgebiet im ehemaligen Komitat Vas bis Ende des 18./Anfang des 19. Jahrhunderts Wände nicht geweissigt (das heißt mit Kalktünche Weiß gestrichen). Besonders in Bezug auf die Verwendung von Lehm für jene der Witterung ausgesetzten Bauteiloberflächen lässt dieses Beispiel vermuten, dass der Witterungsschutz der äußeren Lehmoberfläche bis zur späteren Verfügbarkeit von Kalk eben nicht mit Kalk sondern durch das Überziehen mit einer Lehmschlämme durchgeführt wurde. Ein solcher mit einer Lehmschlämme überzogener Lehmputz konnte bei einem Bauernhaus in der Rákóczi Ferenc utca in Ják/St. Georgen in Westungarn von H. Feiglstorfer festgestellt werden (Abb. 14).Kalkputz war dort selbst als Außenputz nicht „konkurrenzfähig“ im Vergleich zu den Kosten für Lehm-Außenputz. Dieser wurde vermutlich über Generationen hinweg erfahrungsgemäß mit einer für den örtlich verfügbaren Lehm optimal dosierten Beimengung von Kuhmist hydrophobiert und jährlich nur mit einer neuen Lage Kalktünche dauerhaft gegen Schlagregen geschützt. Für die Masse der nichtherrschaftlichen vernakulären Bauten waren gebrannte Ziegel und gebrannter Kalk als Baustoffe allein schon aus wirtschaftlichen Gründen bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts außer Reichweite, abgesehen von mengenmäßig geringfügigen Anwendungen
z.B. für gebrannte Ziegel zum Mauern von lastabtragenden Bögen über Tür- und Fensteröffnungen aus statischen Gründen wegen ihrer höheren Druckfestigkeit. Selbst bei manchen Kaminen mit integrierten Selchkammergewölben ist bekannt, dass diese häufig nur aus ungebrannten Lehmziegeln errichtet wurden.Rechtliche Rahmenbedingungen für den Zugang zu Materialressourcen in der vernakulären Baukultur
Seit dem Mittelalter werden im Untersuchungsgebiet Gewohnheitsrechte, die oft nur mündlich tradiert wurden, als „Banntaiding“
bezeichnet. Auf diese Weise wurden Rechte und Pflichten zwischen Grundherrschaft und behausten Untertanen geregelt und damit unter anderem auch der mehr oder weniger kostenlose Zugang zu Bauholz für Instandhaltung und Erneuerung ihrer Häuser. Güntzel nennt bei seinen Recherchen zu Hinweisen auf den Massivlehmbau in Weistümern aus dem 12. bis 16. Jahrhundert lediglich Hinweise auf die Gewinnung des Lehms, wie das Recht der Benützung von Lehmgruben für alle Bewohner.Verordnungen, wie etwa der Erlass der erzbischöflichen Waldordnungen in Salzburg in 1548 regelten den maximalen Holzbezug für den Baubedarf der Untertanen.
Im heutigen Deutschland gab es 1556 zur Förderung des Wellerbaus die erste dahingehende Verordnung, in welcher dieser zum ersten Mal als solcher namentlich genannt wurde.Ab Mitte des 18. Jahrhunderts versuchte der Staat mit Erlässen im Geiste des Merkantilismus zur „Holzersparnis“ den durch Gewohnheitsrecht kostenseitig begünstigten traditionellen Massivholzbau zu verbieten und stattdessen das Bauen mit Lehmziegeln zu fördern.
Die administrative Durchsetzung war regional sehr unterschiedlich. Im Einzugsbereich der Donau und ihrer Nebenflüsse, wo Holz für den Bedarf der wachsenden Residenzstadt geflößt werden konnte, musste die Nachfrage nach Bauholz lokal ansteigen. Im niederösterreichischen Waldviertel, beispielsweise, kam es offenbar zur Ablösung des lehmbeschichteten Holz-Blockbaus durch den mit Lehmmörtel gemauerten Steinbau. Im Weinviertel dagegen, wo schon zuvor, sowohl seit den mittelalterlichen Rodungen geeignetes Bauholz, als auch Naturstein wenig verfügbar waren, wurden die traditionellen Weinviertler Lehm-Massivbauweisen durch den ab dem ausgehenden 18. Jahrhundert eingeführten Lehmziegelbau abgelöst. Im heutigen mittleren und südlichen Burgenland dagegen, von wo kein wirtschaftlicher Transport von Bauholz in die wachsenden Großstädte des 18. Jahrhunderts möglich war, blieb, wie das Beispiel Oberwart zeigt, die althergebrachte lehmverputzte Holz-Blockbauweise erhalten und bis ins beginnende 20. Jahrhundert als traditionelle Bauweise nachweisbar.Durch die merkantilistische Gesetzgebung entwickelte sich im Frühkapitalismus des 18. Jahrhunderts ein Wirtschaftswachstum, das praktisch ausschließlich auf den damals verfügbaren, erneuerbaren Energiequellen beruhen musste. Wiederholte Versuche der staatlichen Verwaltung, fossile Kohle als Ersatzbrennstoff für die knappe Holzkohle einzuführen blieben im 18. Jahrhundert nahezu erfolglos.
Die Transportkosten waren wegen schlechter Straßen und wenig leistungsfähiger Transportmittel sehr hoch. Rohstoffe für den Bau waren daher nur in vergleichsweise geringem Umfang und regional unterschiedlich verfügbar. Als Hypothese wird in diesem Zusammenhang festgestellt, dass die Rahmenbedingungen für die vorindustrielle Wirtschaft daher primär naturräumlich bestimmt und nur in untergeordnetem Umfang staatlich und lokal obrigkeitlich geregelt waren.Ein Beispiel für obrigkeitlich-rechtliche Einschränkungen im historischen Bauwesen ist das Privileg des Ziegelbrennens für Adel, Klerus und Städte. Es war zuletzt 1773 formal ausdrücklich aufgehoben worden, aber trotzdem wurden de facto unfreien Bauern als Unternehmer bis 1848 erhebliche bürokratische Hindernisse in den Weg gelegt, wenn sie Ziegelöfen betreiben wollten.
Daher war das Bauen mit Lehm mit dem von allen bekannten Bautechniken mit Abstand geringsten Ressourcenverbrauch zugleich die kostengünstigste Bauweise für den wachsenden Bedarf an neuen Gebäuden in Ostösterreich in der Zeit vor der industriellen Revolution. Die Periode der „industriellen Revolution“ ist von regionalen wirtschaftlichen Faktoren abhängig und kann nur als grobe zeitliche Annäherung verstanden werden. Das Verschwinden der geschmiedeten Nägel als hochwertiges, leicht transportierbares Massenprodukt im 19. Jahrhundert, könnte als Indikator für diesen wirtschaftlichen Umbruch genannt werden. Ebenso wäre der Übergang vom behauenen zum (klein)industriell gesägten Bauholz (z.B. Innovation Dampfsägewerk) ein diesbezüglicher Indikator. In nahezu jedem Dorf gab es zumindest eine Lehmgrube, wo für den Bau und die Instandhaltung von Gebäuden im Rahmen lokaler Bezugsrechte geeigneter Lehm abgegraben werden durfte. Wo Abbau auf Eigengrund möglich war, entfielen sogar die lokalen Transportkosten. Das führte manchmal dazu, dass sogar humushaltiger und daher minderwertiger Lehm als Baumaterial verwendet wurde.
Bis 1848 konnten sich rechtliche Vorgaben stark und sozial selektiv auf die Verfügbarkeit von Baumaterialien und damit auf die lokalen Baukosten auswirken. Nach 1848 fielen die bürokratischen Schranken
für den vernakulären Bau beim Zugang zu bestimmten Baumaterialien. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden in Ostösterreich Ziegelöfen in großer Zahl im Umkreis von Dörfern, die für einen neu entstandenen lokalen Markt für gebrannte Ziegel produzierten. Ein Vergleich der großen Anzahl der Ziegelöfen in der Österreichischen Spezialkarte 1: 75000, die ab 1872 erschienen ist, mit dem Franziszeischen Kataster, der aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts stammt, zeigt die große und breit gestreute Zunahme der ländlichen Ziegelöfen. In nahezu jedem Dorf gab es nun zumindest eine Ziegelei. Die primäre Ursache für diese technische Umwälzung, auch als industrielle Revolution bezeichnet, waren die im Vergleich zur Situation vor 1840 gesunkenen Kosten für Energie und Transport am Markt durch die neue, scheinbar unbegrenzte Verfügbarkeit fossiler Energie aus Kohle. Die Entwicklung einer leistungsfähigen Transportinfrastruktur durch die neu angelegten Bahnlinien machte die Kohle auf dem nun überregionalen Markt verfügbar. Diese neue Situation beendete die Abhängigkeit von knappem, teurem Brennholz als erheblichen Hemmschuh für das Wachstum der Wirtschaft – ein Hindernis, welches die staatliche Administration seit dem 18. Jahrhundert vergeblich bekämpft hatte. Ein weiterer Faktor war das Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum mit entsprechender Nachfrage nach Neubau von Gebäuden. In der Zeit zwischen 1910 und 1939 erreichten die Einwohnerzahlen der ländlich peripheren Bezirke Niederösterreichs ihre Höchststände. So lange wirkte diese Dynamik auch noch im ländlichen Raum.Conclusio
Betrachten wir bestimmte Hochbautechniken systematisch aus einer rein technologischen Sicht, so lassen sich diese nach Material, Verarbeitung und Funktionsweise kategorisieren. Besonders bei standardisierten Bauweisen, etwa dem Betonbau, können regionsübergreifend und weltweit technisch standardisierte Materialien verarbeitet und in ähnlicher Manier verarbeitet werden. Statische oder bauphysikalische Parameter lassen sich dabei für die jeweilige örtliche Gegebenheit berechnen.
Anders verhält es sich bei der Forschung an vernakulären Bautechniken, welche auf lokal tradiertem Wissen zu Material und Verarbeitung beruhen. Bestimmte natürliche Baustoffe, im Besonderen Stein, Holz und Lehm sind für den Menschen aus kulturgeschichtlicher Sicht je nach regionaler Verfügbarkeit zugänglich. Entsprechend entwickelten sich regionsspezifische Bautraditionen, wobei das lokal verfügbare Material, der Stand des lokalen Wissens, die Art und Weise des Wissenstransfers, ein bestimmter Anspruch auf Komfort und Repräsentationsvermögen oder der Organisationsgrad innerhalb einer bestimmten Gemeinschaft entwicklungsrelevant sein konnten. Entsprechend unterschiedlicher natürlicher und anthropogener Einflussfakturen kam es zu regional spezifischen technologischen Optimierungen.
Diese regionalen Prämissen bestimmen auch technologische Entwicklungen im Lehmbau in der gezielten Verwendung bestimmter Materialqualitäten, in der Verarbeitung von Lehm und in der Nutzung von Lehmbauten. Demzufolge können wir bei der Erforschung von historischen Lehmbautechniken vorrangig auf regionsspezifische und nicht auf überregional standardisierte Bauweisen schließen. Dennoch gibt eine überregionale Betrachtung Aufschluss zu Entwicklungen in einem, beispielsweise europäischen Kontext. Fragen nach der Identifikation von bestimmten Baumaterialeigenschaften in vormoderner Zeit, ebenso wie Fragen nach einem wirtschaftlichen und sozialen Kontext sind maßgeblich im wissenschaftlichen Verständnis aus heutiger Sicht.
Historischer Lehmbau im ostösterreichischen Raum ist von Entwicklungen in umgebenden Regionen, besonders im Donauraum beeinflusst. Lassen sich derzeit für die urgeschichtliche Zeit nur sehr fragmentierte Aussagen zu Lehmbautechniken, im Besonderen zu Massivlehmbautechniken, machen, so geben Textquellen, beispielsweise von Tacitus oder Vitruv einen erstaunlich guten Einblick in die vernakuläre Verwendung von Lehm zu ihrer Zeit. Im Hochmittelalter zeichnet sich, etwa im Gebiet um Weimar eine technologische Veränderung von mit Lehm ausgefachtem Pfostenbau hin zum reinen Massivlehmbau ab, welcher spätestens im Spätmittelalter vorzufinden ist. Wie weit diese Hypothese für das Untersuchungsgebiet von Relevanz ist, kann erst nach weiteren archäologischen Befundungen festgestellt werden. Den derzeitigen Indizien im Untersuchungsgebiet folgend war Massivlehmbau zumindest am Ende des Spätmittelalters als vernakuläre Bautechnik etabliert. Die Verwendung von Massivlehmmauern bei Pfostenbauten lässt sich im Untersuchungsgebiet zwar feststellen, jedoch konnte ein zeitlich früher Übergang von mit Massivlehm ausgefachtem Pfostenbau als Vorläufer zum reinen Massivlehmbau im Untersuchungsgebiet nach derzeitiger Quellenlage nicht festgestellt werden.
Vom 18. Jahrhundert ausgehend erlebte der vernakuläre Lehmbau in Ostösterreich eine Transformation durch bautechnische Standardisierung. Diese verdrängte sukzessive – bedingt durch unterschiedliche kulturelle Faktoren – etwa seit beginnendem 19. Jahrhundert traditionelle Lehmbautechniken. Spätestens mit der industriellen Herstellung von gebrannten Ziegeln in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nahm der Einsatz von Lehm als vernakulärer Baustoff stark ab. Davon abgesehen finden wir noch heute an zahlreichen Orten im Untersuchungsgebiet Bauten, deren primäre Bausubstanz aus Lehm besteht und die Zeugnis für historische Lehmbautechniken ablegen können.
Titelabbildung:
Wartberg, NÖ. Linkes Gebäude: Mauern aus gesatztem Lehm mit Lehm-Steinfundamenten, mit späteren partiellen Ergänzungen in gebrannten Ziegeln. Funktion: ursprünglich ein Schüttkasten, später zum Presshaus umgebaut, heute eine Bauruine. Rechtes Gebäude: Presshaus. Beide Objekte sind im entsprechenden Kartenblatt in „Österreich unter der Enns“ der Josephinischen Landesaufnahme ersichtlich.