Abstract
Im Maximilianmuseum in Augsburg findet im ‚Maximiliansjahr‘ 2019 die Ausstellung „Maximilian I. (1459-1519). Kaiser. Ritter. Bürger zu Augsburg“ statt. Die Ausstellung beherbergt außer hochwertigen Leihgaben auch ein besonderes Highlight: In einer virtuellen Umgebung werden längst abgerissene Stadttore computergestützt nachmodelliert und für die Besucher wieder zugänglich, obwohl die Originale schon lange nicht mehr Teil des Stadtbildes sind. Eines davon war einst eine berühmte Touristenattraktion: Augsburgs ‚Alter Einlass‘, das Nachttor, erbaut 1514 angeblich für Kaiser Maximilian I. Abgerissen wurden die letzten Überreste der großflächigen Anlage 1867. Besonders die komplexen Mechaniken im Inneren des Durchgangs waren weithin berühmt und können nun durch penible wissenschaftliche Recherche und Virtual-Reality-Brillen wieder erfahrbar gemacht werden.
Abstract (englisch)
Augsburg‘s Maximilianmuseum, which is not only the city’s art-historical museum but also includes the history of the town, will be home to an exhibition themed around Emperor Maximilian Ist in the third quarter of 2019. Within the exhibition there is one very special highlight to be found: Embedded in a virtual-reality-environment, two of the city’s historical gates are getting a computer-based re-modeling and will be opened for visitors, even though the original buildings were torn down many years ago. The larger of those gates, the ‚Alter Einlass‘ of Augsburg, an entrance to the city erected in 1514, was initially built for Emperor Maximilian Ist. The last remains of this complex building were torn down in 1867. Once famous for its hidden mechanics, the famous portal can now be experienced once again through virtual-reality-glasses.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
(Autoren: Christoph Emmendörffer und Heidrun Lange-Krach)
Das Maximilianmuseum ist das älteste kommunale Museum Bayerns. Seit der Gründung des nach König Maximilian II. von Bayern (1811–1864) benannten Stammhauses der Kunstsammlungen und Museen Augsburg vor mehr als 150 Jahren haben sich sein Profil, seine Sammlungen und ihre Präsentation mehrfach und grundlegend geändert. Mit der in den 1960er Jahren erfolgten Aufteilung der Kunstsammlungen in die Hauptabteilungen Römisches Museum, Deutsche Barockgalerie mit Grafischer Sammlung im Schaezlerpalais, denen später die Stadtarchäologie, das H2 – Zentrum für Gegenwartskunst, das Brechthaus und das Mozarthaus folgten, ist das Maximilianmuseum offiziell die Abteilung für Skulptur und Kunstgewerbe und hat als Schwerpunkte die Plastik Süddeutschlands, das Kunstgewerbe des Augsburger und schwäbischen Raumes, vor allem der Augsburger Goldschmiedekunst, und stadtgeschichtliche Bestände. Da das Projekt eines eigenen Museums für Stadtgeschichte nicht realisiert wurde, muss das Maximilianmuseum, das von Sammlungskonzept und -geschichte her ein genuin kunsthistorisches Museum ist, auch stadtgeschichtliche Aspekte thematisieren. Dabei kommt ihm zugute, dass das Gebäude selbst erstes Ausstellungsexponat ist und auf eine bedeutende Hausgeschichte zurückblicken kann: Der Weltunternehmer und Finanzier Kaiser Karls V., Bartholomäus Welser, der Zunftbürgermeister Jakob Herbrot, welcher Augsburgs Geschichte nachhaltig prägen sollte, der zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges tätige Kunsthändler und Diplomat Philipp Hainhofer oder der um 1700 tätige Kunstverleger und Schabkünstler Elias Christoph Heiß – sie alle waren Bewohner des aus zwei Bürgerhäusern des 15. und 16. Jahrhunderts bestehenden Gebäudekomplexes.
Leitgedanke der musealen Präsentation ist: Das Original ist der Star. Das Museum ist seine Bühne, es hilft ihm, durch eine sensible Präsentation mittels Architektur, Lichtgestaltung, Textierung und sinnvoller Gruppierung, seine spezifische Aura zu entfalten. Dass dieses Konzept überzeugt, zeigt die Auszeichnung des Maximilianmuseums mit dem Bayerischen Museumspreis 2007. Doch ein Star braucht auch sein Publikum: die Museumsbesucherinnen und -besucher. Seit einigen Jahren schon hält zwar das Maximilianmuseum – neben dem obligatorischen Audioguide für Erwachsene und Kinder – mit dem von der Augsburger Agentur Liquid entwickelten Lebenden Buch© eine digitale und interaktive Besucherinformation zur Museumssammlung und Geschichte des Hauses bereit. Doch fehlen bislang weitere mediale Angebote, die den Besucherinnen und Besuchern des Hauses helfen, einen neuen Zugang zur Sammlung des Hauses und zu der in den Museumsobjekten gespeicherten Geschichte zu vermitteln. Dass sich in den Jahren seit Wiedereröffnung des Museums die Lebens-, Seh- und Lerngewohnheiten radikal gewandelt haben, ist nicht neu, ändert aber nichts an der Tatsache, dass viele Museen mit ihren Angeboten hinter den veränderten Erwartungshaltungen der Besucherinnen und Besucher (Digitalität, Virtualität, Social Media) aus vielerlei Gründen (Finanzen, Personalmangel, Bürokratie, Datenschutz) zurückstehen.
Mit der virtuellen Modellierung des Gögginger Tors und speziell des Alten Einlasses für die Ausstellung „Maximilian I. (1459-1519). Kaiser. Ritter. Bürger zu Augsburg“, hält das Maximilianmuseum nun ein niederschwelliges Angebot zu einer neuen Art der Geschichtsvermittlung bereit. Eingebettet in die stadtgeschichtliche Abteilung, umgeben von historischen Modellen und Stadtplänen, begeben sich die Museumsbesucherinnen und -besucher auf eine Zeitreise. Moderne Technik erweckt eine vergangene Epoche wieder zum Leben. Dieses Eintauchen in eine „Welt von vorgestern“ hat eine völlig neue didaktische und vor allem emotionale Qualität. Die Besucherinnen und Besucher können erstmals die Rolle der aus der Distanz Betrachtenden ablegen und Geschichte bzw. einen historischen Ort, der seit Jahrhunderten untergegangen und keine Gegenwart mehr ist, unmittelbar erfahren.
Über Jahrhunderte hinweg hat die ehemals Freie Reichsstadt Augsburg ein lebendiges Nachleben Maximilians I. gepflegt.
In Augsburg besaß Maximilian I. mehrere Häuser und Gärten, deren Lokalisation trotz überragender Quellenlage nicht eindeutig zu klären ist. In der Nähe von Maximilians Harnischhaus wurde 1514 ein Nachttor errichtet. Tatsächlich ist es erst Achilles Pirmin Gasser, der das Stadttor „Neuen Einlass“ in seinen 1576 abgeschlossenen Annales Augustani mit Maximilian I. in Verbindung bringt. Das Tor sei „zu underthänigster erzeigung eines danckbarn Gemüths gegen jr May. (so vielmals pflegte deß Abendts spaat von dem Vogelbaissen unnd Hirschengejäd allher wider in die Statt zukommen) […] ein sonderlich Thörle / nicht weit oberhalb dem Klenckerthörlin […] von newem gemacht worden / durch welches die jenigen / so uber Landt allher kommen / unnd wann andere Thor deß abendts schon beschlossen seyn / durch wunderbarliche Irrgänge und gleichsam Fallen / zu nachts umb ein benannt Gelt / in die Statt gelassen werden.“ Der einzige frühere Hinweis auf einen Zusammenhang des Tores mit Maximilian I. stammt aus der Stadtchronik von Wilhelm Rem 1527, der zufolge erst ein Jahr nach Errichtung des Nachttores ein kaiserlicher Maultiertreiber 1515 den Einlass benutzt habe.
Aller mangelnden Quellengrundlage zum Trotz etablierte sich in Augsburg die Ansicht, der Alte Einlass sei für Maximilian I. gebaut worden. Insbesondere Luitpold Brunners einschlägiger Aufsatz zu Maximilian und Augsburg legte das Fundament für die Ansicht, das nun „Alter Einlass“ genannte Tor sei für den Kaiser errichtet – wenn nicht gar selbst von ihm in Auftrag gegeben – worden. Als Objekt der Erinnerung an Maximilian I. ist der 1867 abgebrochene Alte Einlass bis heute in der Stadt präsent. Sowohl im Stadtbild, das bis heute den nur eine Hausnummer umfassenden Straßennamen „Alter Einlass“ kennt, aber auch insbesondere durch die hiesigen autodidaktisch erarbeiteten, stadthistorischen Abhandlungen, die abgesehen von Böhm bis heute die Grundlage der baugeschichtlichen Forschung bilden.
Wir sind überzeugt, dass durch dieses erweiterte Museumserlebnis die Besucherinnen und Besucher mit einem neuen Blick den ausgestellten Artefakten gegenübertreten – interessiert und staunend. In jedem Fall ist das neue virtuelle Angebot ein Gewinn für das Museum.
Die authentische Modellierung der Einlass-Anlage
(Autor: Christoph Hauptmann)
Das Nachttor Augsburgs, der Einlass, war ein bauliches sowie psychologisches Meisterwerk seiner Zeit. Als eine Schleusenanlage konzipiert, erlaubte das Tor den Durchgang in die Stadt, ohne dass der Besucher einen der beiden Torhüter zu Gesicht bekam. Diese konnten unbemerkt die versteckte Mechanik aus verbauten Kettenzügen und Hebeln bedienen, welche zur Zeit ihrer Erbauung 1514 absolute Hochtechnologie waren. Durch seine langen, dunklen Durchgänge und wie durch Geisterhand öffnende und schließende Türen war der psychologische Effekt des Tores auf Neuankömmlinge in der Reichsstadt ungemein hoch und jahrhundertelang eine Hauptattraktion der Stadt. Heute erhebt sich das Große Haus des Staatstheaters Augsburg über die Nord-Süd-Achse der Innenstadt an genau der Stelle, die in dreieinhalb früheren Jahrhunderten nachts in die befestigte Stadt hineinführte. Hier wurde auch bevor es eine Bühne gab schon gestaunt: Komplizierte Mechaniken sorgten dafür, dass Passanten das Gefühl bekamen, Magie öffne ihnen die Tür zu der Stadt des Kaisers.
Hinter dieser Illusion verbargen sich versteckte Hebel und Gestänge, die alle Türen und sogar die Zugbrücke so bewegten, dass man im Erdgeschoss nichts davon mitbekam. Erbaut wurde das Tor im Jahr 1514, von Gasser mit seiner kaiserlichen Majestät in Verbindung gebracht.
Die erwähnte Majestät war Maximilian I. und der Grund für den Bau der schwelende Streit zwischen den Geschlechtern und dem Rat der Stadt, bei dem sich der Kaiser auf die Seite der Geschlechter gestellt hatte. Um nicht zu stark in der Gunst des Monarchen zu sinken, widmeten ihm die Augsburger den Neubau des Nachttores. Sein Ende fand der Zugang in die Reichsstadt im Zuge der Niederlegung der Augsburger Befestigungsanlagen im Jahr 1867, als er bis auf die Grundmauern abgetragen wurde, um einer Straßenkreuzung zu weichen.Informationen über die verschiedenen Bauabschnitte boten viele grafische Darstellungen aus unterschiedlichen Epochen und Perspektiven. Zusätzlich haben sich zahlreiche schriftliche Quellen erhalten: Archivalien, Chroniken, stadt- und technikhistorische Literatur mussten durchsucht und interpretiert werden. Besonders gut dokumentiert ist der Einlass in Text- und Skizzenform durch Gustav von Kern-Kernried, der 1819 die Maschinerie des Einlassgebäudes exakt vermaß und aufzeichnete (vgl. Abb. 1). Doch von Kern-Kernried interessierten überwiegend Innenansicht, Grundriss und insbesondere Mechaniken. Für eine virtuelle Modellierung fehlten zahlreiche Details, vor allem zur Anlage außerhalb des Stadtgrabens. Dafür waren Stadtchronisten wie Achilles Pirmin Gasser, Paul von Stetten der Ältere oder Paul von Stetten der Jüngere hilfreich, die immer wieder Details zu der Toranlage festgehalten haben. Ebenso ergiebig zeigten sich Reiseberichte aus den Jahren, in denen der Einlass Bestand hatte, deren Details in Chroniken untergingen, jedoch durch bildliche Darstellungen bestätigt werden. Dadurch entstand parallel zum digitalen Bau des Modells ein immer schärfer werdendes Bild der Anlage – was auch auf die Modellierung rückkoppelte: Manche Teile des Modells mussten umgearbeitet werden, da durch weitere Abbildungen oder Texte neue Erkenntnisse davon entstanden, wie das Nachttor und seine Umgebung einst aussahen (vgl. Abb. 2 und 3). Erst durch die Vernetzung von diversen Perspektiven, Berichten über Details und deren Verortung im Gesamtbild wurde es möglich, die verschiedenen Abbildungen zu einem homogenen Bild zusammenzuführen, das den Einlass authentisch wiedergibt.
Forschungsliteratur zum Einlass findet sich ausgesprochen wenig: Karl Aloys Koob erforschte bereits 1900 die späten Jahre der Anlage ausführlich, Wilhelm Ruckdeschel lieferte 1977 einen Aufsatz, vornehmlich über die Mechaniken, die im Inneren des Gebäudes wirkten, und Hermann Kießling räumte dem Bauwerk in seinem Buch „Türme – Tore, Bastionen“ drei Seiten ein, die sich mit den verschiedenen Bauabschnitten befassen. Die bis dato jüngsten Erkenntnisse stammten von Franz Häußler, der sich in seinem Buch „Augsburgs Tore. Der Reichsstadt Wehr und Zier“ auch mit der Geschichte des Einlasses auseinandersetzte. Die Literatur führte zunächst einleitend in die Thematik und die schiere Vielfalt der Quellen ein, vermittelte aber auch, gerade in Bezug auf die versteckten Funktionen, ein tieferes Verständnis für die technologische Leistung, die der Einlass in maximilianischer Zeit darstellte.
Die Wahl des richtigen Zeitpunkts für die Zeitreise
Zunächst war es wichtig, einen Zeitpunkt zu finden, welchen das virtuelle Modell abbilden sollte; am besten eine Ausbaustufe der Toranlage, in der die Verteidigungsfähigkeiten des Tores schon mehrfach getestet worden waren. Zudem war der ursprüngliche Durchgang aus Haus und Brücke im Laufe der Geschichte um einige weitere Raffinessen und Mechaniken erweitert worden, die die Idee des ursprünglichen Torhauses weiterführten und ausbauten. Vor 1703 war das Kerngebäude noch im Zustand von 1514. Bereits 1703/04 wurden die Augsburger Verteidigungsanlagen im Zuge des Spanischen Erbfolgekrieges geschleift, wobei der Kernbestand des Einlasses aufgrund seiner ausgefeilten Maschinerie in letzter Minute „begnadigt“ wurde, obwohl die Sprengung bereits vorbereitet gewesen war. Das genaue Ausmaß dieser Vorbereitungen gibt von Kern-Kernried nicht an. Die Quellenlage wird dünner, je weiter man in der Zeit zurückgeht, was für einen möglichst späten Zeitpunkt für die Modellierung gesprochen hätte. Durch das Abwägen dieser verschiedenen Faktoren fiel die Entscheidung letztlich auf das Jahr 1700. Der gewählte Zeitpunkt bietet die Möglichkeit, die Dimensionen des Festungsbaus in seiner größten Ausbaustufe darzustellen ohne dabei den Bezug zu Maximilian I. und seiner Zeit zu verlieren, da bis 1703 das Hauptgebäude offenbar nicht verändert worden war.
Die Ausgangsbasis: Bilddokumente des Alten Einlasses und ihr historischer Wert für eine Modellierung
Im Fall des Alten Einlasses ist als Grundlage sogar ein anonym aufgenommenes Foto überliefert, das den Einlass zwischen 1860 und 1867 zeigt (Abb. 4). Die hier sehr gut erkennbare Darstellung des Brückenkopfes korrespondiert mit Darstellungen aus der Zeit vor 1704 (Abb. 5), weswegen davon ausgegangen werden kann, dass Schäden aus der Zeit des Spanischen Erbfolgekrieges restauriert wurden und keine optische Veränderung nach sich gezogen hatten. Dadurch konnten auch bildliche Darstellungen zur Modellierung hinzugezogen werden, die eigentlich erst nach 1700 entstanden waren: so zum Beispiel die Aquarell-Darstellung des Einlasses von Gallus Weber 1858 (Abb. 6), ein nicht datierter Stich, der die Anlage von Norden zeigt (Abb. 7) oder eine ebenso undatierte Ansicht von Süden (Abb. 8). Besonders grundlegend für die Rekonstruktion wurden die Abbildungen Gustav von Kern-Kernrieds, der den Alten Einlass 1823 vor dem Abriss vermessen hatte (Abb. 1, 9, 10 und 11).
Eine für die authentische Wiedergabe der Anlage einschränkende Veränderung der Bausubstanz zwischen 1704 und 1823 konnte ausgeschlossen werden: Ein Umbau
des Gebäudes hätte größer angelegte Bauarbeiten für den Grabenbereich bedeutet, was zu der Zeit, in der diese erfolgt wären, weder in Aufzeichnungen zu finden ist, noch wäre es aus verteidigungstechnischer Sicht nützlich gewesen. Dadurch kann von Kern-Kernried als verlässliche Quelle gehandhabt werden.Das Hauptgebäude
Die Außenansicht des Hauptgebäudes, das eigentliche Nachttor mit der legendären Schließanlage, war mit dieser Grundlage rekonstruierbar. Die Front des Gebäudes ist gerade auf späteren Darstellungen sehr gut ersichtlich, ausschlaggebend ist hier, dass die Fenster in Zahl und Position mit Abb. 4 übereinstimmen. Bei Abb. 5 stimmt die Anzahl der Fenster in der mittleren Reihe nicht überein, weshalb diese nicht als authentisches Bildmaterial in Frage kam. Nichtsdestoweniger enthält diese Darstellung viele wichtige Informationen, auf die an anderen Stellen zurückgegriffen wurde, da die hier gezeigte Perspektive nur selten abgebildet wurde.
In Verbindung mit den Grundrissen von Kern-Kernrieds (Abb. 10), historischen Augsburger Stadtplänen wie dem Plan von Jörg Seld von 1521 (Abb. 12), jenem von Wolfgang Kilian aus dem Jahr 1626 (Abb. 13) oder dem Wenng-Plan von 1846 (Abb. 14) sowie der Perspektive, die beispielhaft auch in einer späteren Lithographie von Stempfle
(Abb. 8) abgebildet ist, konnte ein – zunächst wie ein Anbau wirkender – Flügel rechts der Zugbrücke als Teil des Kerngebäudes identifiziert werden (vgl. Abb. 2 und 3). Form und Winkel des Daches lassen sich aus den Plänen und einer weiteren Abbildung erschließen: Ein Foto – es entstand, nachdem der Einlass bereits abgerissen war – zeigt die sogenannte Leihhausgasse, in welcher auch der direkt neben dem Einlass befindliche Salzstadel lag, der hier von der Giebelseite her zu sehen ist (Abb. 15). Die Stadtpläne belegen, dass der Einlass und der Salzstadel direkt aneinander gebaut wurden. Bei genauer Betrachtung der Giebelseite des Salzstadels kann man hier einen Abdruck erkennen, der daher stammt, dass der Bereich, wo der Salzstadel an den Einlass stieß, neu verputzt werden musste, oder zumindest weniger verwittert ist. Diese Abbildung ermöglichte, die Traufhöhe des Einlassgebäudes nachzuvollziehen und somit im Modell authentisch umzusetzen (vgl. Abb. 16).Eine weitere Stadtansicht, die auf die maximilianische Zeit datiert werden könnte (Abb. 17), kommt für die Modellierung nicht in Frage, da das hier dargestellte Gebäude außer der Beschriftung „Einlaß“ keine Ähnlichkeit mit dem in vielen anderen Ansichten belegbaren Bauwerk aufweist: Die Giebelseite zeigt eine künstlerisch ausgeschmückte Fassade und eine völlig andere Einteilung der Fenster. Es ist keine Zugbrücke vorhanden, dafür ist der Graben mit einer gemauerten Brücke mit vier Rundbögen überspannt.
Möglicherweise handelt es sich hier um einen Vorgängerbau, die durch die Anzahl an Bögen an der Brücke suggerierte Breite des Grabens stützt jedoch die These, dass die Darstellung zu späterer Zeit entstand und ohne genaue Kenntnis des Einlassgebäudes erstellt wurde.
Eindrücklich schildert Michel de Montaigne in seinem Reisebericht,
dass der Bereich vor dem Haupthaus eine Zwischenstation für Passanten bedeutete. Hier warteten sie darauf, dass die Zugbrücke (auffälligerweise ohne sichtbare Ketten!) zum Eingang heruntergelassen und das davor befindliche Gatter geöffnet wurden (vgl. Abb. 18).Der Einlass als Teil der Befestigungsanlage
Auch für die Stadtmauer und deren Verlauf konnten diverse Karten zu Rate gezogen werden. Dass der Mauerverlauf nördlich bzw. südlich des Einlasses sich zwischen 1514 und 1700 verändert hat, ist nicht anzunehmen. Von den direkt an der Mauer befindlichen Gebäuden sieht man auf einigen Abbildungen des Einlasses und der angrenzenden Mauer lediglich die Kamine (Abb. 19 und 20), zumeist sind auch diese nicht dargestellt. Das spricht dafür, dass es sich hier um Bauten mit Pultdächern handelte, die zum Stadtinneren hin abfielen und damit auch in der virtuellen Umgebung nicht sichtbar sind (vgl. Abb. 21).
Die Stadtmauer erhob sich, wie man bei Abb. 7 und 14 erkennen kann, hinter einer Zwingermauer über dem Stadtgraben; hinter dem Graben existierten also noch weitere Verteidigungslinien. Die Zwingermauern hatten ihre Basis im Graben. Nördlich des Einlasses, etwa auf halber Strecke zum nächsten Stadttor, befand sich zudem eine Kasematte (Abb. 9), die den Bereich zusätzlich verstärkte.Der Einlass selbst war stark befestigt worden. 1542 wurde der Graben südlich und 1548 nördlich des Einlass im Rahmen einer Befestigungskampagne verbreitert und vertieft.
Im Zuge dieser Erweiterung wurde direkt neben den Einlass eine Verteidigungsanlage gesetzt, eine interessante Mischform aus Turm, runder Bastei und eckiger Bastion (Abb. 10 und 22). Sie verstärkte die Ecke der Stadtmauer, hinter dem der Einlass zurückgesetzt war. Die Bastion war so ausgerichtet, dass sie das gesamte Feld vor dem Einlass gut im Blick hatte. Sie ist im Kilian-Plan auch gezeigt (vgl. Abb. 13). Da der Einlass gerade in früherer Zeit gerne von Norden her abgebildet war, findet sich das Verteidigungswerk in vielen Stichen wieder, und die Modellierung dieses Teils der Anlage war somit gesichert.Der Trockengraben, über und in dem die verschiedenen Bereiche des Einlasses errichtet waren, ist gut aus den Darstellungen zu erkennen. Er machte die Errichtung einer Holzbrücke über den Graben nötig. Um die Tiefe des Grabens zu ermitteln, mussten die Darstellungen der Holzbrücke verglichen werden (Abb. 5, 6, 8, 19 und 20). Auffallend ist: Die beiden Stelzen, auf denen die Brücke ruht, sind im Verhältnis zur Länge der Brücke stets ähnlich lang. Von Kern-Kernried gibt die Höhe eines der Brückenköpfe genau an, ein Glücksfall für die Modellierung (Abb. 11). Dieser Brückenkopf war ein besonderer Teil des Einlasses: Er stand mitten im Graben, war eine Art künstlich geschaffener Pylon, der das Niveau der Brücke aufnahm und gleichzeitig als Widerlager für die Zugbrücke vom Hauptgebäude her diente, wenn diese heruntergelassen wurde und sich das Gatter öffnete, das den Besucher vor dem Absturz in den Graben bewahrte (vgl. Abb. 18). Dieses Gatter war auch für das virtuelle Modell ein neuralgischer Punkt. Bisher wurde dieses von Jean de Blainville 1764 „Stacket von eisernem Laubwerk“
genannte Gatter als vollautomatisches Törlein interpretiert, das durch die Krafteinwirkung beim Einrasten der Zugbrücke ausgelöst würde. Dieser These, die das Gatter als Automatik identifiziert, folgen die meisten der Arbeiten zum Einlass ohne differenziertere Betrachtungen. Dabei wurde der Aufsatz aus dem Jahr 1900 von Carl Aloys Koob übersehen oder nicht hinlänglich rezipiert. Koob hat sich kurz nach der Festungsniederlegung mit dem Einlass befasst und beschreibt ein Bauteil, das einem Hebel gleich das Gatter öffnete.Vgl. Koob 1900, S. 13. Offensichtlich wurde also das Gatter durch die Wachhabenden aus dem Obergeschoss heraus bedient. Dabei bleibt unklar, ob dieses Törlein bereits 1514 Teil der Anlage war. Leider fehlen Zeugnisse aus den Jahren 1514–1542, die es nachweisen könnten. Erst mit der Verbreiterung des Stadtgrabens 1542 war der zunächst noch äußerste Teil der Verteidigungsanlage in die Mitte des Stadtgrabens gewandert. Im Zuge dessen wurde auch die Verteidigungsfertigkeit des Einlasses durch eine Bastion erhöht (Abb. 22). Möglicherweise war das Gatter ab diesem Zeitpunkt erst nötig geworden, da sich die Zugbrücke ab jetzt nicht auf die Außenseite des Grabens oder einen Steg – wie es der Stadtplan von Jörg Seld (Abb. 12) nahelegt – sondern auf eine künstliche Aufschüttung in der Mitte des Grabens herabließ, welche auch baulich anders befestigt worden war (vgl. Abb. 23 und 24).Die Dokumentation dieses künstlichen „Vorhofes“ auf dem Pylon, gleich einer Insel aus dem Graben aufragend, gelingt von Kern-Kernried in seinem Schnitt durch das Einlassgebäude. Dadurch lässt sich die Höhe des Pylonen mit etwa 27 Fuß (ca. 9 m) und die Neigung seiner Mauer um 10° ermitteln (Abb. 11). Aus der Höhe des Pylonen, dessen Dach auf dem Niveau der Zugbrücke war, kann man auch auf die ungefähre Tiefe des Grabens schließen. Interessanterweise finden sich auf vielen Darstellungen des Pylonen auch Fenster oder Schießscharten an dessen Seiten (Abb. 25). Auch wenn auf den Abbildungen nie ein Zugang zu erkennen ist, lässt sich also vermuten, dass dieser Teil des Einlasses im Kriegsfall bemannt war und so selbst die letzten toten Winkel im Graben beschossen werden konnten. Details dazu sind nicht bekannt. Festzustellen ist jedoch, dass der Graben nicht nur aufgrund seiner Tiefe, sondern auch durch die Verstärkungen der Stadtbefestigungen inner- und oberhalb des Grabens, ein ernstzunehmendes Hindernis für Angreifer dargestellt haben muss. Unklar muss auch bleiben, ob der Pylon mit der Verbreiterung des südlich des Einlass verlaufenden Grabenabschnittes 1542
oder erst mit der Fortsetzung dieser Umbaumaßnahme nach Norden hin im Jahr 1548 entstand. Ab 1548 war er jedoch als Teil der Anlage unabdingbar, denn in diesem Jahr wurde der Graben in diesem Bereich der Stadtbefestigung auf seine endgültige Breite vergrößert.Die Holzbrücke
1548 war vom Vorhof auf dem Pylonen zur anderen Seite des Grabens eine Brücke errichtet worden.
Um ihre Ausmaße zu rekonstruieren, bot vor allem der bereits genannte Brückenkopf einen sehr guten Ansatzpunkt. Aus dem Grundriss von Kern-Kernrieds, der auch die Brücke mit berücksichtigt, lässt sich für diese eine Länge von etwa 118 Fuß (ca. 40 m) bei einer Breite von nur 7 Fuß (ca. 2,3 m) herausmessen (Abb. 10). Am äußeren Ende der Brücke befand sich laut dem französischen Philosophen Michel de Montaigne eine Klingel, mit deren Hilfe sich ankommende Reisende bemerkbar machen konnten: Das andere Ende des Seilzuges, durch den die Klingel funktionierte, löste im Hauptgebäude eine Glocke aus und der Wachmann konnte – ebenfalls mit Hilfe eines Kettenzuges – die äußerste Türe am Ende der Holzbrücke öffnen (vgl. Abb. 26 und 27). Durch die verschiedenen Abbildungen war die Form der Brücke bereits sehr klar ersichtlich, die Pläne von Kern-Kernrieds konnten zudem eine große Maßgenauigkeit geben.Die Holzbrücke dürfte – bedenkt man die Nachtzeit, in der sie zumeist genutzt wurde, mit ihrer geringen Breite, dem niedrigen Dach, dem Material der Brücke sowie der Länge des Bauwerkes – beeindruckend gewesen sein. Wer sie überquerte, war dabei vermutlich höchstens von flackerndem Kerzen- oder Fackellicht begleitet oder bekam durch die Fenster auf der Seite nur Reste des Mondlichtes zu sehen (vgl. Abb. 26). Die akustische Begleitung durch den Widerhall der Holzkonstruktion dürfte ihr Übriges getan haben. Hatte man ein Pferd bei sich, so dröhnten die Hufe zusätzlich auf den Planken des Überganges. Mit der virtuellen Modellierung, die auch Geräusche umfasst, wird man das theatralische Moment wieder erleben können.
Der Ravelin, also die dreieckige Schanze außerhalb des Grabens, konnte mit Hilfe der ältesten Abbildungen vom Einlass rekonstruiert werden. Aus verschiedenen Darstellungen ist ersichtlich, dass diese Schanze ab spätestens 1633 aufgeworfen worden sein muss: Eine Gedenkmedaille des Augsburger Rates zu Ehren Gustav II. Adolfs von Schweden datiert auf dieses Jahr und zeigt die Verteidigungsringe der Stadt, so auch den Ravelin am Einlass (Abb. 28), ebenso die anonyme, auf das 17. Jahrhundert datierte Darstellung der Anlage (Abb. 5). Auf dem Kilianplan von 1621 ist dieses äußere Verteidigungswerk noch nicht abgebildet (Abb. 13). Der Ausbau der Verteidigungsanlagen wurde unter der schwedischen Besatzung Augsburgs geplant und auch umgesetzt. Beschrieben werden diese Ereignisse vom Augsburger Chronisten Paul von Stetten, der sich auf verschiedene Tagebücher von Augsburger Bürgern sowie Urkunden des Rates beruft. Den Einlass selbst erwähnt er nicht, dafür, dass die Schanzarbeiten bereits den Sommer des Jahres 1632 über andauerten und 1633 offensichtlich fertig gestellt waren.
Dargestellt wird der Ravelin mit einem sehr steilen Böschungswinkel, hoch aufgeschüttet und mit in die Erde gerammten Pflöcken bewehrt. Um in diese Schanze hinein zu gelangen, musste man über einen Steg gehen, der auf den Stadtgraben hinaus gebaut und mit zwei Toren versehen war (Abb. 5 und 7). Er war also eine weitere Ausbaustufe, die auch das Feld vor dem Graben einbezog.
Die Ausmaße des Ravelin sind nicht überliefert; schon im Spanischen Erbfolgekrieg 1704 wurde er abgetragen. Aber die Schanze wurde bereits 1737
wieder aufgebaut und ist im späteren Zustand auch auf Stadtplänen dokumentiert. Vermutlich sah der erste Ravelin der späteren Anlage ähnlich, wie das seit 1622 existierende Wärterhäuschen (das sich innerhalb der Fläche befand, die der Ravelin schützte) annehmen lässt (Abb. 29). Seine benötigte Grundfläche legt nahe, dass sich die Grundfläche der früheren und der späteren Schanze nicht maßgeblich unterschied. Nur die Position des Steges änderte sich zwischen den beiden Bauphasen insofern, als dass der Zugang nach 1737 ebenerdig verlief und nicht über den Stadtgraben hinaus auskragte.Das exakte Profil des Ravelins konnte nicht ermittelt werden. Aus den Darstellungen der Bauphase lässt sich jedoch recht gut erkennen, dass es sich um eine steil ansteigende Aufschüttung als innere Verteidigungslinie gehandelt haben muss, um die ein Graben verlief, der noch zusätzlich mit einem Zaun gegen Ansturm gesichert war. Die wallartige Aufschüttung war zudem mit in den Boden gerammten Holzpflöcken weiter gesichert. Auf mehreren Darstellungen lässt sich auf dem Ravelin ein Unterstand erkennen, der wohl für Späher Schutz vor schlechtem Wetter bot (vgl. Abb. 30 und 31).
Die Innenansicht und Mechaniken
Der Innenraum des Hauptgebäudes erforderte am meisten Aufmerksamkeit, hier lag die komplexe Mechanik, die im Einlass verbaut war. Für Passanten bot sich lediglich das folgende Bild: Sie durchquerten drei Räume, die von wuchtigen Türen abgeteilt wurden, und diese Türen schwangen wie von selbst auf und schlossen sich. In den beiden stadteinwärts gelegenen Räumen sah man Galerien, die es ermöglichten, dass Wachposten aus dem ersten Obergeschoss auf die ebenerdig befindlichen Reisenden hinuntersehen konnten. Im Erdgeschoss fanden sich keine Fenster, die Licht in die Räume herein lassen konnten. Es war also sehr dunkel. Diese Einteilung ist aus dem Grundriss und den Schnittzeichnungen von Kern-Kernrieds zu erkennen und korrespondiert auch mit den Außenansichten (Abb. 5, 10, 11, 19, 20).
Dass die Türen sich wie magisch auf und zu taten, wurde durch eine Mechanik im Obergeschoss ermöglicht, die mit langen Stangen die Bewegungen der dort befindlichen Hebel direkt auf die Türen übertrug. Diese Mechanik ist durch von Kern-Kernried äußerst detailliert abgebildet (Abb. 1). Sie ist zudem noch durch eine weitere Quelle aus früherer Zeit belegbar: Der schwedische Hofarchitekt Nicodemus Tessin der Jüngere bereiste bereits 1688, also gut 135 Jahre vor von Kern-Kernrieds Arbeit, Augsburg. Sein Reisetagebuch (Abb. 32) konnte dadurch die Arbeit von Kern-Kernrieds bestätigen und liefert gleichzeitig einen eigenständigen, authentischen und wesentlich früheren Beleg für die Mechanik.
Beide Quellen bilden mehreren Stangen ab, die ein U-Profil formten und am Türblatt befestigt waren (Abb. 1 und 32). Dadurch konnten die Türen des Erdgeschosses im Obergeschoss bedient werden. Um die Türen zu verriegeln, wurde eine Stange mit mehreren seitlich angebrachten Sperrbolzen so befestigt, dass sie vertikal bewegt werden konnte. In das Türblatt eingearbeitete L-förmige Löcher konnten diese Bolzen aufnehmen, ähnlich wie ein Bajonettverschluss arretiert wird. Zuletzt befand sich oberhalb der Türen ein Haken, der das Türblatt bei einem bestimmten Öffnungswinkel festhielt, sodass die Türe im Erdgeschoss nicht weiter geöffnet werden konnte. Auch dieser Haken war mit einer vertikal beweglichen Stange versehen, die es ermöglichte, die Sperre aus dem Obergeschoss heraus zu bedienen, aufzuheben und so die Türen doch auf den maximalen Öffnungswinkel zu öffnen.Die Kettenzüge, die die Zugbrücke bewegten, befanden sich im Keller des Kerngebäudes. Sie bewegten einen Gegengewichtsbalken, der zur Hälfte als Haupttragbalken für die Zugbrücke funktionierte. In der virtuellen Modellierung soll diese eigentlich verborgene Mechanik in einem Hologramm dargestellt werden, während der Besucher in der virtuellen Umgebung darauf wartet, dass die Zugbrücke heruntergelassen wird. Für die authentische Darstellung der komplexen Kettenzüge mussten sie bis ins letzte Detail aufgearbeitet werden. Wieder bildete von Kern-Kernrieds Beschreibung dafür den Ausgangspunkt. Schwierigkeiten machten vor allem sprachliche Unklarheiten. Von Kern-Kernried spricht beispielsweise von einem „Wallbaum“.
Die Vokabel wird nicht genauer erklärt, der Verlauf des Textes gibt aber Aufschluss: Es handelte sich hierbei um eine Achse, auf die die Zugketten des Gegengewichtsbalkens, der das Gewicht der Zugbrücke konterte, auf- und abgewickelt wurden, sodass dieser bewegt werden konnte. Um diese Achse zu drehen, war ein Schwungrad mit einem Übersetzungsgetriebe am oberen Ende des „Wallbaumes“ angebracht, welches sich im ersten Stock des Hauptgebäudes befand. Die Zugbrücke selbst war also ebenerdig angebracht, die dazugehörige Mechanik jedoch punktgespiegelt im Keller des Einlassgebäudes verbaut.Einen weiteren Einblick in den Aufbau solcher Gegengewichtszugbrücken gibt die Analyse der Brückentechnik durch Carl August Struensee,
der sich mit verschiedenen Verteidigungstechnologien befasste. Auch ein auf Basis dieser Literatur bereits früher erstelltes Modell der Schließanlagen des Einlasses half, ein tieferes Verständnis für die Kettenzüge zu erhalten. Dieses Modell von 2011 basiert auf von Kern-Kernrieds, stellt die Kettenzüge und Hebel in den verschiedenen Mechaniken des Einlassgebäudes dar und ist sogar im vollen Umfang funktionstauglich: Man kann die Hebel ziehen, wodurch sich die Türen ent- und verriegeln lassen, sich öffnen und schließen und wodurch diese Getriebe gesperrt werden können. Dreht man an dem Schwungrad am oberen Ende der Achse für die Kettenzüge der Zugbrücke, so hebt oder senkt sich diese. Für das vor der Zugbrücke befindliche Gatter ist im Modell eine Vollautomatik verbaut, was – wie bereits geklärt – nicht dem realen Zustand entsprochen haben dürfte. Eines haben alle Beschreibungen und das Modell gemeinsam: Die Kettenzüge im Keller laufen beide auf den „Wallbaum“, dabei jedoch einmal mit dem Uhrzeigersinn und einmal gegen ihn. Dreht sich der Wallbaum nun um seine Achse, wird die eine Kette um genau dieselbe Länge abgewickelt, wie die andere Kette aufgespult wird. Durch diese Mechanik konnte ein geschlossener Kreislauf entstehen, der den Gegengewichtsbalken der Zugbrücke bewegte, was auch die Zugbrücke in Bewegung versetzte. Die Konstruktion im Keller erklärt auch das Fehlen sichtbarer Zugketten im Außenbereich. Aufgrund dessen, dass die Mechaniken auch im Modell verborgen sind, sind für diesen Arbeitsabschnitt keine veranschaulichenden Bilder vorhanden. Kombiniert aus den oben genannten textlichen und bildlichen Quellen konnten Hologramme der Zugbrücke und ebenso der Türmechanik erstellt werden, die ersichtlich machen, wie die Kettenzüge und Hebel hinter den Mauern und Böden des Gebäudes verliefen und die Illusion einer Automatik erzeugten, ohne sichtbare Ketten, die die Zugbrücke bewegen könnten. Diese Hologramme werden in der finalen Version des Modelles abgebildet werden, sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedoch noch nicht implementiert.Leider existieren für den Innenbereich des Kerngebäudes keine Abbildungen außer der Skizze der Türmechanik von Nicodemus Tessin und den Schnitten und Rissen, die von Kern-Kernried im Zuge seines Aufmaßes anfertigte. Für die Raumeinteilung musste also vornehmlich auf die Maßgenauigkeit und Authentizität Letzterer vertraut werden. Selbst angefertigte perspektivische Skizzen der verschiedenen Räume, in denen die Pläne für eine dreidimensionale Darstellung aufgearbeitet wurden, konnten letztlich ein genaueres, aber natürlich auch nur interpretiertes Bild dessen liefern, wie die Räume im Einlass ausgesehen haben könnten und basierten auf Abb. 10. Wieder wurde auf die Pläne von Kern-Kernrieds als Grundlage zurückgegriffen, und einige Details konnten geklärt werden: Die Kellertreppe, die im zweiten der inneren Räume zu verorten ist, war wohl kaum offen gelegen – weniger weil Passierende im Halbdunkel hätten abstürzen können, sondern eher weil der Zugang zur Zugbrückenmechanik für jeden Vorbeikommenden ermöglicht worden wäre. Hier muss eine Art Abdeckung vorhanden gewesen sein; wahrscheinlich in Holzbauweise, denn eine Klappe in aufwändigerer Bauweise wäre übertrieben gewesen (vgl. Abb. 33).
Im Bereich des Kellerabganges befand sich eine Wartungsluke, die den Zugang zum Wallbaum mit den Ketten der Zugbrücke ermöglichte. Hier wurde aufgrund der Möglichkeit, die Maschinerie im virtuellen Modell zur Schau zu stellen, auf eine Abdeckung der Wartungsöffnung verzichtet.Um die beiden Räume, die der Tür in die Stadt am nächsten lagen, liefen Galerien, wie von Kern-Kernried zeigt. Mit einer Brüstungshöhe von ca. 120 cm waren sie etwa brusthoch, ermöglichten es den Wächtern aber auch, sich in die Deckung zurückzuziehen, sofern sie nicht gesehen werden wollten. Der Einlass war eine Verteidigungseinrichtung, also kann von geschlossenen Brüstungen ausgegangen werden, die einen Angriff auf die Torwächter auch mit Fernwaffen nahezu unmöglich machen mussten (vgl. Abb. 33). Für den Passanten machte das Zusammenspiel aus dieser Raumeinteilung, den aus dem Obergeschoss bedienbaren Durchgangstüren sowie der Unklarheit, ob und wenn ja, wie viele Personen die Maschinerie bedienten, wohl einen Großteil des Ehrfurcht gebietenden Eindruckes des Alten Einlasses aus. Als Nachttor musste der Einlass zudem in nahezu völliger Dunkelheit benutzt werden. Selbst wenn die Wächter im Obergeschoss Kerzen oder Blendlaternen nutzten, wurde von dem Licht nur ein minimaler Teil in das Erdgeschoss weitergegeben. Passanten bewegten sich also Größtenteils in Dunkelheit, sofern sie nicht selbst für Beleuchtung sorgten. Ein Lichtblick – im wahrsten Sinne des Wortes – erwartete die Einreisenden erst im letzten Raum des Einlasses. Hier wurde, das versichern Reiseberichte,
aus dem Obergeschoss eine Schale mit einem Licht heruntergelassen, damit die Passanten ihr Passiergeld entrichten konnten. Erst wenn dies geschehen war, bestand die Möglichkeit, dass man aus dem letzten Raum abgeholt würde. Dies geschah laut dem Schwur, den die sogenannten Einlässer als Diensteid ablegen mussten, durch den Bürgermeister.Wenn man aus dem Einlassgebäude heraustrat und in der Stadt angelangte, stand man am Anfang bzw. eigentlich am Ende der Leihhausgasse. Von dieser Straße existiert ein Foto aus der Zeit, bevor sie dem Theaterneubau von 1877 zum Opfer fiel (vgl. Abb. 15). Man kann auf diesem Bild die Straße entlang blicken; der Einlass war schon 10 Jahre zuvor abgetragen worden. Wie bereits erwähnt, zeigte sich hier auf der rechten Straßenseite, dass kein Durchgang zwischen Einlass und Salzstadel vorhanden war. Anders die gegenüberliegende Straßenseite: Dort befand sich ein Durchgang, der ermöglichte, an der Stadtmauer entlang zu gehen. Für die virtuelle Modellierung ist die Fotografie grundlegend. Die Häuser lassen sich im Stadtplan von 1846, dem sogenannten Wenng-Plan, identifizieren (Abb. 14) und verlaufen an beiden Seiten der Leihhausgasse. Betrachtet man die Fotografie und den Plan zusammen, so können alle Gebäude auf dem Foto exakt identifiziert werden. Das hier entscheidende Detail ist eine Regenrinne, die in der Mitte eines Hauses linker Hand senkrecht verläuft: Ein Hinweis darauf, dass hier der Traufbereich zwischen zwei Haushälften aufgeteilt war und es sich bei dem Gebäude um eine Doppelhaushälfte handelte. Diese These korrespondiert auch mit der Einteilung der Gebäude auf dem Stadtplan, der statt einem länglichen Haus zwei nahezu quadratische Grundrisse an dieser Stelle abbildet. Die Gebäude erhalten ihre Position im Gesamtbild erst zum Ende der Modellierung, weshalb hier noch keine Abbildungen der virtuellen Leihhausgasse gezeigt werden können. Die Leihhausgasse ist das letzte Bild, das sich dem Museumsbesucher bietet, wenn er den Einlass in der VR-Umgebung verlässt.
Texturierung: Ein Modell wird erlebbar
Um die Erfahrungen in der virtuellen Umgebung möglichst authentisch zu gestalten, mussten auch die Oberflächen der Bestandteile des Alten Einlasses möglichst originalgetreu den Zustand um 1703 wiederspiegeln – dies geschieht durch die sogenannte Texturierung. Hierfür waren die bisher verwendeten Abbildungen nur selten als Quellen nutzbar; Holzarten sind darauf nicht klar zu identifizieren, sofern überhaupt in Farbe gearbeitet wurde. Allerdings halfen die Schriftquellen hier weiter, und auch Praxiserfahrung bot viele Anhaltspunkte.
Von Kern-Kernried beschreibt beispielsweise, dass das Balkenwerk im Einlass aus Eichenholz gefertigt sei, was auch aus technischer Sicht naheliegend ist: Eichenholz bietet eine hohe Festigkeit und ist aufgrund seines hohen Gerbsäuregehaltes zudem sehr witterungsbeständig. Für das Tragwerk der Brücke und andere offenliegende Balken wurde also mit einer Texturierung gearbeitet, die Eichenholz nachbildet, das schon geraume Zeit der Witterung ausgesetzt war.
Der französische Philosoph Michel de Montaigne bemerkt in einem Reisebericht aus dem Jahr 1580, dass im oberdeutschen Raum Fichtenholz als Baumaterial gebräuchlich war. Holzarten wie Kiefer oder Lärche sind aufgrund ihres hohen Harzgehaltes noch witterungsbeständiger als Fichtenholz, andererseits sind sie nicht so leicht verfügbar wie die schneller wachsende Fichte. Zudem ist Fichte ein Weichholz und eignet sich gut, um in Bohlen- oder Bretterform gesägt zu werden. Dem entsprechend wurde als Textur für Bretter, Dielen und sonstige Holzbauteile eine Textur gewählt, die einem feinjährigen Fichtenholz entspricht. Im 16. und 17. Jahrhundert dürfte im Vergleich zu heutigen schnell gezüchteten Monokulturen die Wachstumsdauer von Fichten noch deutlich höher gelegen haben, weshalb zusätzlich auf eng liegende Jahresringe geachtet wurde (vgl. Abb. 34).
Auch für das Mauerwerk sind keine präzisen Darstellungen der Oberfläche überliefert. Heute kann man zwar an einigen Stellen der Augsburger Stadtbefestigung noch die Mauerstruktur sehen, doch ist diese unverputzt und entspricht daher wohl kaum den Anforderungen, die an eine Stadtmauer in der Frühen Neuzeit gestellt wurde. Denn selbst aus dem 18. oder 19. Jahrhundert zeigen Lithographien des Einlasses keine roh belassene Stadtmauer, sondern eine, die – wie man auch heute Bauwerke mit Putz vor Witterungseinflüssen schützt – mit einer Schicht überzogen war, die die gebrannten Ziegel abdeckte. Für die Bauwerke bedeutete dies eine Textur, die die schützende Schicht aus Mineralputz wiederspiegelte (vgl. Abb. 25).
Beschreibungen in Reiseberichten geben die Türen innerhalb des Einlasses, die Zugbrücke sowie die Tür am äußeren Ende der Holzbrücke als „eisenbeschlagen“ wieder. Dafür und für anderweitig sichtbare Metallteile wurde auf schmiedeeiserne Strukturen zurückgegriffen (vgl. Abb. 26 und 33). Gerade für massive Eisenteile war im 16. Jahrhundert keine andere Fertigungsmethode bekannt, um so genau ineinander greifende, stabile Mechaniken herzustellen, wie sie der Einlass benötigte: Der Stahlguss ist eine Erfindung der Moderne und Gusseisen wäre für die auftretenden Kräfte zu spröde.
Einfach war dagegen die Texturierung der Dächer, die man auf den verschiedenen Gebäuden sehen kann: Sie sind auch auf den Abbildungen häufig erstaunlich genau zu erkennen. Die in der Stadt befindlichen Gebäude erhielten die im süddeutschen Raum übliche typische Biberschwanzdeckung, die Brücke dürfte eine Mönch-Nonne-Deckung gehabt haben (vgl. Abb. 6 und 34).
Der Untergrund, auf dem sich der Passant bewegt, wurde den jeweiligen Gegebenheiten entsprechend dargestellt. Außerhalb der Stadt sind Straßen mit gekiesten Wegen angelegt, eine Pflasterung scheint für die Zeit anachronistisch. Die Brücken sowie Teile innerhalb des Einlassgebäudes wurden mit Holzboden versehen: Da die Zugbrücke konstruktionsbedingt eine Unterkellerung des Hauptgebäudes benötigte, um den Gegengewichtsbalken aufzunehmen, wurde für die im Gebäude liegenden Bereiche ein Holzboden gewählt, der diese Unterkellerung ermöglichte, ohne dass die Zwischendecke zu dick würde. Gerade im Bereich der Zugbrücke wäre eine andere Konstruktionsweise nicht umsetzbar gewesen. Innerhalb der Stadtmauern fiel die Wahl auf Kopfsteinpflaster, da 1700 zwar nicht alle Stadtstraßen gepflastert waren, die hier gezeigte Straße aber immerhin zu einem Stadttor führte. Die Auswahl des Untergrunds hat naturgemäß Einfluss auf die Geräusche, die die Schritte beim Durchqueren der Anlage erzeugen. Sowohl die Bodentexturen als auch die Geräusche sind noch nicht fertiggestellt.
Nicht unwesentlich war die Ausleuchtung des Einlassgebäudes. Da die erste starke statische (d.h. nicht mit der Bewegung des Besuchers verknüpfte) Lichtquelle sich erst im letzten Raum des Hauptgebäudes befand, es sich beim Einlass aber um ein Nachttor handelte, musste mit einer gewissen Menge an indirektem Licht gearbeitet werden. Zudem wird der Museumsbesucher virtuell eine Lichtquelle in Form einer Lampe mit sich tragen, wodurch sich ein authentisches Bild einer nächtlichen Durchquerung ergibt. Akustik und Beleuchtung runden das Gesamtbild dessen ab, wie sich ein Passant im Jahr 1700 gefühlt haben muss, wenn er die Reichsstadt Augsburg betrat und sich in die Sicherheit einer Befestigungsanlage begeben konnte.
An mehreren Stellen der Anlage befinden sich Sprungpunkte in die Gegenwart, die den Besuchern des Einlasses eine bessere Vorstellung davon geben, wo sie sich in der heutigen Zeit gerade befänden. Die genauen Positionen der Informationstexte zum Einlass und der Hologramme, die die Mechaniken im Inneren genauer erläutern, sind so gewählt worden, dass die jeweils darauffolgenden Elemente erläutert oder dargestellt werden. Die Zeitsprungpunkte vervollständigen das Bild, indem sie die genauen Positionen des Besuchers in der heutigen Umgebung wiedergeben.
Durch die Modellierung des Einlasstores und die Nutzung der alten Stadtkarten ergab sich außerdem eine weitere Fragestellung: Der bereits vorher erwähnte „Abdruck“ des Giebels am Salzstadel befindet sich bei der Fotografie in geringerer Höhe als die Giebelseite des virtuellen Modelles. Worauf diese Diskrepanz zurückzuführen ist, ist bisher unklar. Dass sich diese Frage ergeben konnte, zeigt jedoch den Wert von virtuellen Modellierungen für den Erkenntnisgewinn über historische Gebäude.
Zeitreise in die Vergangenheit: Eine neue Virtual-Reality-Installation verknüpft historische Orte mit der Gegenwart und ermöglicht den intuitiven Wissenstransfer.
(Autor: Ilja Sallacz; Projektleitung Leo Bergmann)
Ziel dieser Modellierung war es, die Geschichte so authentisch wie möglich erlebbar und nachvollziehbar zu machen. Wir wollten es dem Besucher ermöglichen, nicht mehr existente Orte im Augsburger Stadtbild kennenzulernen und diese selbstständig erkunden zu können. Dabei sollten sowohl die korrekte Größe, Ausdehnung, Beschaffenheit von Gebäuden, Straßen und Plätzen vermittelt werden, als auch die Atmosphäre des jeweiligen Ortes und seine Geräusche. Die Umsetzung mittels einer Virtual Reality-Programmierung bietet hierbei das größte Potential.
Konzeption der Installation
Für die Zeitreise ausgewählt wurde eine Epoche, die aufgrund ausreichend dokumentarischer Quellen eine detaillierte und historisch gesicherte Modellierung ermöglichte. Die ausgewählten Orte „Alter Einlass“ und „Gögginger Tor“ lassen sich in Zukunft stückweise erweitern und im Idealfall zu ganzen Stadtvierteln verknüpfen. Zwei wesentliche Punkte standen bei der Konzeption der Installation im Fokus: der Wissenstransfer und der Bezug zur Gegenwart.
Klar war von Anfang an, dass wir uns gegenüber aktuellen Computerspielen differenzieren müssen, ohne deren technisches Potential zu ignorieren. So wollten wir für den Besucher ein immersives Erlebnis schaffen und gleichzeitig die explorative Auseinandersetzung mit der Vergangenheit fördern. Der ‚Zeitreisende‘ kann in dieser Installation spielerisch Informationen entdecken, ohne dass ein aufgesetztes Spielprinzip (mit Punktesammeln oder Zielerreichung) zugrunde liegen muss. Denn bei dieser Installation sollte es sich nicht um ein ‚spaßiges Game‘ handeln, sondern um die lebendige Vermittlung fundierter Fakten mittels moderner Medien.
Wie wird dieses Wissen vermittelt?
Im historischen Stadtbild der virtuellen Umsetzung findet der Besucher gut erkennbare, doch homogen integrierte Informationsinseln, die bei der räumlichen Annäherung mit Texten, Bildern, Zeichnungen, Filmen oder Animationen die Inhalte präsentieren. So werden beispielsweise die komplizierten mechanischen Konstruktionen der sich selbst öffnenden Türen im Alten Einlass mittels im Raum schwebender Hologramme verständlich visualisiert. Auf diese Weise ist auch die Integration von Exponaten der Ausstellung wie dem Schwur der Einlässer (Kat.-Nr. 61) leicht möglich, denn die Objekte erhalten einen zeitlichen und räumlichen Bezug, werden also zu ‚erzählenden Objekten‘.
Doch erst in Relation zur Gegenwart kann die Vergangenheit nachvollziehbar werden. So ist es dem Besucher möglich, an zahlreichen Punkten, den ‚Sprung zurück in die Gegenwart‘ zu erleben, also zu sehen, wie der genaue Standpunkt im historischen Ort heute aussieht. Da sich an der Stelle des Alten Einlass heute ein Theater befindet, ist ihm dort beispielsweise der Sprung in das Theaterfoyer möglich. An einer anderen Stelle springt er auf eine vielbefahrene Verkehrskreuzung. Die Positionen für diese ‚Zeitsprünge‘ erkennt der Besucher an Bodensignets, die er nur betreten muss.
Der Alte Einlass wurde als nächtliches Stadttor genutzt. Das Gögginger Tor hingegen kann der Besucher in einer Tag- und Nachtsituation betrachten. Wie unterschiedlich die Orte zu verschiedenen Tageszeiten wirken, ist sehr beeindruckend.
Die technische Lösung
Virtual Reality-Lösungen (VR) finden sich heute bereits in zahlreichen Anwendungen der Wirtschaft und Unterhaltungsindustrie. Dennoch ist es für viele Museumsbesucher noch immer eine neue, entdeckenswerte technische Lösung. Der Besucher setzt eine VR-Brille auf, die ihm ein dreidimensionales Bild des virtuellen Raumes ermöglicht und Surround-Sound bietet. Der Erlebnis- und Erfahrungswert ist extrem hoch und kann geradezu körperlich gespürt werden. Keine andere Technik bietet derzeit eine höhere Immersion.
Entscheidend bei der Konzeption der Installation war für uns eine sehr einfache, intuitive Benutzerführung. Eine generationenübergreifende leichte Verständlichkeit kann nur gewährleistet werden, wenn man sich in der virtuellen Welt genauso bewegen kann wie in der realen. Wir haben uns bewusst für sehr geringe Interaktionsmöglichkeiten entschieden und auf Zusatzfunktionen verzichtet, die ein Interface und das Bedienen von Knöpfen auf dem Controller notwendig gemacht hätten. In der von uns entwickelten Umgebung muss sich der Besucher nur bewegen und löst durch Annäherung Inhalte aus und lässt diese durch Entfernen wieder verschwinden. Die Kopfbewegung verändert den Blickwinkel so, dass das perfekte dreidimensionale Bild der Stadt mit all seinen Gebäuden entsteht. Lediglich ein Controller in der Hand bestimmt die Bewegungsrichtung und -geschwindigkeit. Die Bedienung ist denkbar einfach.
Der Besucher kann sich in der virtuellen Stadt frei bewegen. Die Außengrenzen sind durch nicht sichtbare, gläserne Mauern abgegrenzt. Den Wechsel zwischen den beiden zunächst gewählten Orten, die später noch verbunden werden können, erreicht er durch das Durchschreiten einer markierten Gebäudetür, die ihm den ‚räumlichen Sprung‘ (Teleportation) ermöglicht.
Die Installation ist im Museum fest eingerichtet und derzeit jeweils durch einen Besucher nutzbar – später ggf. auch durch mehrere Personen gleichzeitig. Ein Monitor gibt den anderen Besuchern ein Bild von dem, was der ‚Zeitreisende‘ in diesem Moment sieht. Der Besucher erhält zuvor durch das Museumspersonal eine kurze Einführung zur Benutzung und zum Anlegen der VR-Brille.
Die Umsetzung
Aktuell wurden 32 Gebäude auf der Grundlage von zahlreichen historischen Zeichnungen, Grafiken und Plänen rekonstruiert. Zehn dieser Gebäude sind besonders detailliert ausgeführt, da sie vom Besucher sehr nah betrachtet und teilweise durchschritten werden können. Zur Ermittlung der Maße wurden die durch die Pläne festgelegten Maßstäbe auf die unterschiedlichen existierenden Zeichnungen übertragen. Die detailliert erstellte Umgebung um den Alten Einlass umfasst eine Fläche von umgerechnet rund 500 x 500 Metern, die des Gögginger Tores eine von ca. 300 x 300 Metern.
Für die Oberflächengestaltung kommen Texturen mit einer Auflösung von 4k nach dem aktuellen PBR-Prinzip (physically based rendering) zum Einsatz. Die detaillierten Gebäude verfügen über bis zu 60 Textur-Cluster, um eine möglichst realistische und detailorientierte Darstellung zu erzeugen. Die Umsetzung der VR-Umgebung wird durch eine individuell angepasste Form der Unity Engine ermöglicht. Die Wiedergabe erfolgt über einen PC mit aktuellster Hardware sowie einer VR-Brille vom Typ HTC Vive Pro, die eine 6DoF (degrees of freedom) ermöglicht – also eine Verortung im Raum, die nicht nur durch die Kopfdrehung erfolgt, sondern auch durch die Betrachterhöhe sowie Vor- und Zurückbewegung. Es handelt sich um eine Installation, die Bewegungen an den jeweiligen Orten nach dem ‚free locomotion‘-Prinzip ermöglicht, also der freien Bewegung im Raum und nur zwischen den Hauptorten die Bewegung durch die ‚Teleportation‘, also von Punkt zu Punkt, nutzt. Die Soundatmosphäre wird über ein Surround-Sound-simulierendes Spatial Audio Verfahren bewerkstelligt.
Zusammenfassung
Kaiser Maximilian I. hat bis heute seinen festen Platz im Stadtgedächtnis der ehemaligen Reichsstadt Augsburg. An mehreren Orten in der Stadt wird die Erinnerungskultur an ihn gepflegt, insbesondere der Alte Einlass gilt trotz dürftiger Quellenlage als „sein“ Nachttor. Das technische Meisterwerk von 1514 wurde über Generationen hinweg ausgebaut und in seinem komplexen Schleusenwerk erweitert. Durch Abbildungen, Reiseberichte und detaillierte Beschreibungen ist der Alte Einlass bis zu seinem Abbruch 1867 exzellent überliefert, was eine umfassende digitale Rekonstruktion ermöglicht hat. Im Rahmen der Ausstellung „Maximilian I. (1459-1519). Kaiser. Ritter. Bürger zu Augsburg“ entstand auf Grundlage der akademischen Abschlussarbeit von Christoph Hauptmann und der Erfahrung der Agentur Liquid ein virtuelles Modell des ‘Einlasses’, das nun als VR-Umgebung wieder durchschritten werden kann. Mit Hilfe von Zeitsprungpunkten kann der Besucher sich in das heutige Augsburg zurückversetzen lassen. Zusätzlich zeigen Hologramme die verborgenen Funktionsweisen der geheim gehaltenen Mechanik. Umgeben von den historischen Modellen der Augsburger Stadttore fügt sich der Alte Einlass nicht nur als moderne Variante in die Sammlung ein, sondern bietet gleichzeitig einen neuen Zugang zur Geschichtsvermittlung.