Adelige Emigranten aus den österreichischen Erbländern in süddeutschen Reichsstädten
Abstract
Der Beitrag nimmt die materielle Kultur österreichischer Adelsfamilien, die während der Gegenreformation im 17. Jahrhundert in süddeutsche Reichsstädte ausgewandert sind, in den Blick. Die aus den Ländern der Habsburgermonarchie emigrierten Adeligen mussten sich einerseits mit den Führungsschichten im neuen, von Stadtbürgern dominierten sozialräumlichen Umfeld deutscher Reichsstädte arrangieren, andrerseits war es für die Aufrechterhaltung des adeligen Status von existentieller Bedeutung, die gesellschaftliche Vorrangstellung entsprechend zu repräsentieren. Ziel des vorliegenden Beitrages ist es, die Rolle der materiellen Kultur des Adels in den Praktiken der Repräsentation und der Distinktion in der spezifischen Situation des konfessionellen Exils in Städten zu beleuchten. Behandelt werden dabei die Bereiche Wohnen, Bibliotheken und Kunstsammlungen, der Umgang mit Waffen sowie die Festlichkeiten bei den Lebensstationen.
Abstract (englisch)
The article focuses on the material culture of Austrian noble families who emigrated to Southern German imperial cities in the course of the Counter-Reformation in the 17th century. The noble exiles were on the one hand compelled to come to terms with the ruling classes in the new societal field of Germen imperial cities dominated by the urban elites. On the other hand, it was of existential importance to them to represent their individual social position. The aim of this article is to shed light on the material culture of nobles in the practices of representation and distinction in the specific situation of confessional exile in cities. The topics covered in the article are housing, libraries and art collections, handling with weapons and aristocratic festivities.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Der Adelige ist die zum Individuum gewordene Gruppe. Er trägt den Namen der Gruppe, sie den seinen.
Der Adel ist, so Pierre Bourdieu, der Modellfall für eine Form von Repräsentation, bei der eine Gruppe von einer Teil-Gesamtheit derselben repräsentiert werden kann.Im Sinne der Kapitaltheorie Bourdieus resultiert dies aus dem hohen Maß an Sozialkapital, das der einzelne Adelige besitze; demzufolge könne dieser auf Ressourcen zurückgreifen, die sich aus der Zugehörigkeit zur Gruppe ergäben und die „mit dem Besitz eines dauerhaften Netzes von mehr oder weniger institutionalisierten Beziehungen gegenseitigen Kennens oder Anerkennens verbunden“ seien. Soziales Kapital fungiere demnach immer als symbolisches Kapital, weshalb die Anerkennung der adeligen Qualität durch die Standesgenossen von eminenter Bedeutung für den einzelnen Adeligen sei. Für das Bestehen des Adels als Gruppe ist es deshalb notwendig, dass die einzelnen Mitglieder den ihnen zukommenden Anteil an der kollektiven Arbeit der Verwaltung des sozialen Kapitals übernehmen; wer sich dieser Aufgabe verweigert, dem droht die Marginalisierung oder im Extremfall der Statusverlust. Die Verwaltung des sozialen Kapitals erfolgte im Adel vorwiegend durch die Beziehungspflege und durch die aristokratische Inszenierung, mit der man sich in Szene zu setzen und andere Gruppen auf Distanz zu halten trachtete. Es war gefordert, dass jede und jeder die mit seinem Rang und Status einhergehenden Repräsentationsverpflichtungen erfüllte, um die eigene Position in der Abgrenzung gegen Rangniedrigere zu wahren. Gleichzeitig führte „die ‚repräsentative‘ Lebensführung des Adels in Form von Statuskonsum mit der ostentativen Zurschaustellung von Reichtum und Muße die grundlegende Tatsache vor Augen, dass die Ständegesellschaft auf Ungleichheit beruhte, und reaktualisierte dies zugleich mit dieser Praxis“. Diese soziale Abgrenzung hat nach Martin Dinges die Tendenz, „sich selbst nicht nur anders, sondern vielmehr als besser darstellen zu wollen“. Der Begriff „Distinktion“ bezeichnet diese „Abgrenzung als Auszeichnung“.
Ziel des vorliegenden Beitrages ist es, Repräsentation und Distinktion bei adeligen Exulanten
in der spezifischen Situation des konfessionellen Exils in Städten zu beleuchten. Spezifisch deshalb, weil die aus den Ländern der Habsburgermonarchie emigrierten Adeligen im neuen, von Stadtbürgern dominierten sozialräumlichen Umfeld deutscher Reichsstädte einerseits gezwungen waren, sich zwecks günstiger Aufenthaltsbedingungen mit den dortigen Führungsschichten zu arrangieren und deren funktionalen Führungsstatus anzuerkennen, andererseits war es für die Aufrechterhaltung des eigenen Status aber von existentieller Bedeutung, die gesellschaftliche Vorrangstellung entsprechend zu repräsentieren. Repräsentation und Distinktion manifestieren sich in sozialen Praktiken, es handelt sich also nach einer Definition von Andreas Reckwitz um „sozial geregelte, typisierte, routinisierte Form[en] des körperlichen Verhaltens“. In den praxeologischen Theorien wird den Praktiken in der Regel eine materielle Dimension zugeschrieben, das heißt „sie sind in ihrem Vollzug immer mit Körpern und Dingen verbunden“. Konkret wird es also im vorliegenden Beitrag um den Stellenwert und die Funktion von Objekten der materiellen Kultur für die Praktiken der Repräsentation und der Distinktion gehen. Es sei vorweg darauf verwiesen, dass den Praktiken im Zusammenhang mit Dingen neben Repräsentation und Distinktion auch andere, bewusste oder unbewusste Motivationen zu Grunde liegen, auch wenn diese im Folgenden nur am Rande behandelt werden. Allen voran ist hier der funktionale Nutzen, der Dingen zugeschrieben wird, zu nennen, mitunter auch ein rein dekorativer oder ein ökonomischer Nutzen, z.B. als Wertanlage.Ausgehend von diesen theoretischen Überlegungen soll in diesem Beitrag nach einem einführenden Kapitel über die konfessionsbedingte Adelsemigration aus der Habsburgermonarchie die materielle Kultur der aristokratischen Repräsentation und Distinktion anhand von vier Bereichen adeligen Lebens im Exil analysiert werden, nämlich Unterkunft und Mobiliar, Bibliotheken und Kunstsammlungen, der Umgang mit Waffen sowie die Feiern bei den Lebensstationen. Aufgrund der Überlieferungssituation liegt der Fokus auf Vertretern des höheren Adels, der in der Habsburgermonarchie die in den Landständen vertretenen Fürsten-, Grafen- und Freiherrengeschlechter umfasste.
Die Einschränkung ist insofern von Bedeutung, als wir es hier mit meist wohlhabenden oder zumindest mit hohem Kredit ausgestatteten Personen zu tun haben. Der Beitrag stützt sich vorwiegend auf Quellen aus dem Familienarchiv Starhemberg, konkret auf die Korrespondenz und auf die Verlassenschaftsakten der Esther von Starhemberg (1629/30‒1697) sowie auf Material aus dem Familienarchiv des ausgewanderten Zweigs der Khevenhüller, wobei sich in letzterem auch Bestände verwandter oder befreundeter Familien finden. Als wesentliche Grundlage des vorliegenden Beitrages dient außerdem das quellengesättigte Standardwerk zu den österreichischen Exulanten in oberdeutschen Reichsstädten von Werner Schnabel.Kontext: Die konfessionsbedingte Migration österreichischer Adeliger
In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts konnte sich der Protestantismus in den Erbländern der Habsburgermonarchie
mit Ausnahme Tirols und der Vorlande relativ ungehindert verbreiten, weil es den protestantisch dominierten Ständen gelungen war, den Landesfürsten im Gegenzug für die Bewilligung der für die Verteidigung gegen die Osmanen benötigten Geldmittel Zugeständnisse in der Religionsfrage abzuringen. Diese galten zwar de jure nur für einen eingeschränkten Personenkreis, de facto herrschte aber weitgehende Bekenntnisfreiheit. Ende der 1570er Jahre begannen die Landesfürsten mit den ersten konsequenteren Maßnahmen der Gegenreformation. Vorreiter waren dabei die innerösterreichischen Länder, wo der bei den Jesuiten erzogene Erzherzog Ferdinand (der nachmalige Kaiser Ferdinand II.) nach seinem Regierungsantritt im Jahr 1596 die Gegenreformation binnen weniger Jahre rücksichtslos durchsetzte und damit die erste größere, vorwiegend das Bürgertum betreffende Emigrationsbewegung auslöste. In den Donauländern hingegen erlebte der Protestantismus während der innerfamiliären Auseinandersetzungen im Herrscherhaus im letzten Vorkriegsdezennium noch einmal eine Blütephase.Diese fand mit der militärischen und politischen Niederlage der Ständeopposition in der Schlacht am Weißen Berg im Jahr 1620 ihr abruptes Ende. Jene Adeligen, die sich politisch besonders exponiert hatten, flohen infolge der Niederschlagung des Ständeaufstandes vor der Strafe des Landesfürsten ins Ausland, ihr Besitz wurde ausnahmslos konfisziert.
Ansonsten zielten die ab dem Jahr 1624 intensivierten Maßnahmen der Gegenreformation zunächst auf das evangelische Bürgertum ab, erst mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung ging die Regierung auch mit Entschiedenheit gegen den Adel vor. Im Jahr 1627 erließ der Landesfürst ein Ausweisungspatent für das Land ob der Enns, mit dem die protestantischen Adeligen vor die Wahl gestellt wurden, sich binnen einer festgelegten Frist zur katholischen Konfession zu bequemen oder den Besitz zu veräußern und das Land zu verlassen. Ein Jahr später folgte ein analoges Patent für die innerösterreichischen Länder, während dem Adel im Land unter der Enns, der beim Ständeaufstand moderater aufgetreten war, zwar das evangelische Exerzitium, nicht aber das Bekenntnis verboten wurde.In den Folgejahren kam es vor allem innerhalb des Adels im Land ob der Enns und in Innerösterreich zu einer umfangreichen Emigrationsbewegung, insgesamt dürften Ende der 1620er Jahre etwa 1.200 Personen aus rund 350 Adelsfamilien emigriert sein.
Die für den Kaiser ungünstige Kriegslage führte in den 1630er Jahren zu einem Nachlassen des gegenreformatorischen Drucks gegenüber dem Adel, in dieser Zeit waren es in erster Linie evangelische Frauen in gemischtkonfessionellen Ehen, die nach dem Tod ihrer katholischen Ehemänner das Land verließen. Die erneute Verschärfung der religionspolitischen Maßnahmen nach dem Westfälischen Frieden (1648) löste insbesondere im Erzherzogtum unter der Enns, wo die Zahl evangelischer Adelsfamilien aufgrund der dort geltenden beschränkten Religionsfreiheit im Vergleich zu den anderen Ländern noch relativ hoch war, erneut eine Emigrationsbewegung aus. Die letzten größeren Auswanderungsbewegungen des habsburgischen Adels resultierten schließlich aus den osmanischen Bedrohungen in den Jahren 1663/64 und 1683.Generell war die Motivlage diffus, neben dem dominierenden konfessionellen Aspekt, der in der Regel den unmittelbaren Anlass für die Emigration abgab, traten mitunter in unterschiedlichem und schwer zu quantifizierendem Ausmaß auch wirtschaftliche oder soziale Beweggründe.
Häufig dürfte ein Bündel an Erwägungen für den Migrationsentschluss ausschlaggebend gewesen sein, wobei sich die einzelnen Motive kaum abgrenzen lassen. Der Typus der „Konfessionsmigration“, zu der auch die hier beschriebene Migrationsbewegung zu zählen ist, wird deshalb auch nicht primär mit einer religiösen Motivlage charakterisiert, sondern entscheidend sind dabei die spezifischen Ansiedelungsbedingungen in den Gastländern sowie die Prozesse der Eingliederung der Migranten und die damit einhergehenden Veränderungen in der Ankunftsgesellschaft im Rahmen des von Heinz Schilling postulierten Fundamentalvorgangs der Konfessionalisierung.Fließend war in den meisten Fällen auch der Übergang zwischen Zwang und Freiwilligkeit der Emigration, weil es „allenfalls einen graduellen, nicht aber einen prinzipiellen Unterschied darstellt, ob eine Person aus dem Land weicht, weil sie subjektiv unerträglich gewordenen Umständen entkommen will oder weil sie durch ein obrigkeitliches Edikt dazu gezwungen wird“,
wobei in den Hochphasen der Emigration der Zwangscharakter deutlicher hervortritt. Am Rande sei hier auch erwähnt, dass neben den zahlenmäßig kleinen adeligen Eliten zwischen 1625 und 1675 wohl deutlich mehr als hunderttausend Menschen bürgerlicher und bäuerlicher Herkunft die habsburgischen Länder verließen.Die bevorzugten Ziele der adeligen Emigranten waren Westungarn, die protestantischen Territorien des Reiches, vor allem Sachsen, und die lutherischen Reichsstädte in Süddeutschland, wobei die Popularität der Zielorte im Lauf der Zeit variierte: Die „Frühexulanten“
Anfang des 17. Jahrhunderts und die „Spätexulanten“ nach dem Friedensschluss 1648 tendierten mehrheitlich dazu, ihre Chance an einem protestantischen Hof in einem der Reichsterritorien zu suchen, die Emigranten der Hauptbewegung Ende der 1620er Jahre bevorzugten hingegen die Reichsstädte, weil diese während des Krieges mehr Sicherheit boten. Die wichtigsten Zuzugsorte unter den Reichsstädten, um die es im Folgenden gehen wird, waren Regensburg und Nürnberg, mit großem Abstand folgte Ulm. Für die beiden erstgenannten Städte sprachen die günstige geographische Lage nahe der Herkunftsländer der Emigranten und die gute Verkehrsverbindung über den Donauweg, beide Städte waren zudem seit dem 16. Jahrhundert wichtige Kontaktpunkte für den Protestantismus in den habsburgischen Ländern im Reich und es gab auch rege wirtschaftliche Beziehungen.Unterkunft und Mobiliar
Nach der Ankunft in der Exilstadt bezogen die adeligen Emigranten in der Regel eine Unterkunft in einem vornehmeren Gasthaus, weil Fremden der Aufenthalt in Privathäusern untersagt war. Für eine dauerhafte Ansiedlung mussten die Zuwanderer das Beisitzrecht in der jeweiligen Stadt erwerben, für das der richtige Glaube und politische Unverdächtigkeit vorausgesetzt wurden. Der Rechtsstatus des Beisitzes garantierte einerseits juristischen Schutz und eine befristete Aufenthaltsgenehmigung, andererseits mussten sich die Beisitzer der Jurisdiktion der Stadt unterwerfen, regelmäßig das sogenannte Schutzgeld bezahlen und diese Verpflichtungen durch einen Revers garantieren.
Die Wohnsitze der Exulanten aus dem höheren Adel befanden sich in der Regel in den vornehmeren Stadtteilen, meist mietete man zentral gelegene und repräsentative Häuser gleich zur Gänze an, mitunter teilten sich auch mehrere Familien ein Anwesen. Eigener Grundbesitz war den Beisitzern in vielen Reichsstädten untersagt, im Gegensatz zu bürgerlichen Zuwanderern gelang es vielen Aristokraten aber, das Verbot mehr oder weniger legal zu umgehen und sich der Abhängigkeit von bürgerlichen Vermietern zu entledigen. Dies wurde von den Stadtmagistraten meist auch geduldet, es wurde aber strengstens darauf geachtet, dass städtische Jurisdiktion und Steuerpflicht gewahrt blieben.
Die Familie des Hans von Khevenhüller mietete beispielsweise im Jahr 1629 das sogenannte Khunerische Haus in Nürnberg, das laut einem Inventar in luftiger Lage mit angesehenen vornehmen Nachbarn wohlgelegen war und im Sommer eine kühle Umgebung bot. Der Eingangsbereich des Hauses umfasste eine große Tenne und ein Gewölbe, dazu ein Bad mit einer kleinen Kammer, eine Stallung für vier oder fünf Pferde, einen Heuboden sowie drei Keller. Das gesamte Anwesen bestand aus drei Gaden, im ersten befand sich eine große Stube, ein kleines Stüblein und daran anschließend eine größere und eine kleinere Kammer, durch die man in eine kleine Schreibstube mit 30 teils absperrbaren Schubladen gelangte. Auf dem Söller waren die Speisekammer und eine große Küche untergebracht, in einem weiteren Söller eine zweite Küche mit anschließender Kammer und Stube. Im zweiten Gaden befand sich eine große Stube, die unter anderem mit sechs großen und 14 kleinen Tafeln, einer langen Tafel mit 24 Sitzplätzen und einem großen Hängeleuchter aus Messing ausgestattet war. Es handelte sich hier um den repräsentativsten Raum, der für die Bewirtung einer größeren Menge an Gästen ausgelegt war. An die Stube grenzte eine mit acht Tafeln möblierte Kammer an, die weiteren Räumlichkeiten in diesem Gaden waren ein Söller mit Kammer, ein kleiner Söller mit einer Stube, eine weitere Kammer und eine Küche. Der dritte Gaden hatte zwei Söller, eine Stube, drei Kammern und ein Kämmerlein. Auf dem gesamten Anwesen gab es darüber hinaus fünf Getreideböden. In allen größeren Räumen befanden sich ein oder mehrere Wasserbehälter wie Gießfässer, Kupferkessel oder Wandkalter, dazu kamen über das Haus verteilt rund 20 Truhen und vier Betten.
Die vielen im Haus verteilten Gießfässer hatten wohl nicht nur einen praktischen Nutzen zur Reinigung der Hände nach dem Essen, sondern sie dürften vorwiegend für ein Ritual der Bewirtung beim gemeinsamen Essen zur Ehrung des Gastgebers und der Gäste verwendet worden sein. Die Anzahl und die Qualität der Gießfässer in einem Haus ‒ über letztere ist uns aus dem hier vorgestellten Inventar allerdings nur bekannt, dass die Gießvorrichtungen oft in Form einer Eichel aus Zinn gestaltet und die Auffangbehälter als kupferne Kessel ausgeführt waren ‒ dienten deshalb der Statusrepräsentation der Bewohner (Abb. 1).Auch wenn es sich bei den Wohngebäuden des höheren Adels im Exil um durchaus stattliche Anwesen handelte,
so konnten diese als Bürgerhäuser errichteten Gebäude kaum zur Distinktion gegenüber der städtischen Oberschicht dienen und es fehlte ihnen im Gegensatz zu den heimischen adeligen Stadtwohnsitzen in Wien, Graz oder Linz auch die rechtliche Qualität als Freihäuser, die sie von den anderen Stadthäusern hätte abheben können.Jedenfalls konnten diese Wohnhäuser kaum jenen Anspruch erfüllen, den Karl Eusebius von Liechtenstein, der freilich der obersten Schicht der habsburgischen Aristokratie angehörte, in einem vermutlich im Jahr 1675 entstandenen Traktat über die Architektur formulierte.
Demnach sei die Errichtung von prunkvollen Bauwerken überhaupt das wichtigste Instrument zur Absicherung der Memoria einer Adelsfamilie, weil alle anderen Leistungen von Familienmitgliedern auf Dauer vom Vergessen bedroht seien und damit der soziale Status gefährdet sei. Für Liechtenstein hatte nur der Adelige das Verständnis für die Förderung hochwertiger Kunst, sein Dasein war einerseits mit ästhetischer Kompetenz verknüpft, andererseits dokumentierten und legitimierten die Bauwerke den sozialen Status des Bauherrn. Nach Andreas Pečar begründete Liechtenstein in seiner Architekturschrift die Legitimation des Adels dadurch, „daß den Betrachtern die Pracht des Familienpalais stellvertretend für den Status der Familie vor Augen geführt wurde; wer die Pracht bewundere oder aber die ästhetische Qualität erkennen könne, […] der akzeptiere auch den herausgehobenen Status der sich auf diese Weise repräsentierenden Adelsfamilie. Mit Hilfe von sichtbaren Bauwerken, also der Manifestation ästhetischer Qualität, werden so soziale Unterschiede sichtbar gemacht und zugleich transformiert. Nicht der Statusunterschied als solcher ist Ziel der Darstellung, da er sich unmittelbarer Visualisierung entzieht, sondern Schönheit und Pracht.“Für ein Haus der Größe des oben geschilderten Khunerischen Hauses des Hans von Khevenhüller mit seinen zahlreichen Räumen benötigte man für Instandhaltung und Reinigung mehrere Personen, dazu kamen Küchenpersonal, Kammerdiener, Lakaien, Kutscher, Pferdeknechte etc.
Johann Friedrich von Freyberg unterhielt beispielsweise im Jahr 1661 in seinem Domizil in Ulm zwölf Angestellte, selbst eine Witwe wie Esther von Starhemberg hatte mindestens fünf Diener. Das Personal nahm man in der Regel aus der Heimat mit, in späterer Zeit wurde es vorwiegend unter den emigrierten Landsleuten angeworben oder man ließ es von Bekannten oder Verwandten in der Heimat rekrutieren. Esther von Starhemberg, die sich regelmäßig über die Qualität und das Verhalten ihrer Dienstboten beschwerte, bat beispielsweise ihren Sohn Gundaker, dass er ihr einen guten Kutscher anwerben solle, weil sie in Regensburg keinen finden könne. Eine große Anzahl an Dienern repräsentierte hohen Status, umgekehrt fiel aber unschickliches Verhalten der Dienerschaft auch auf den Dienstherren oder die Dienstherrin zurück. Gräfin Starhemberg wollte ein aus Linz stammendes Dienstmädchen in ihre Heimat zurückschicken, weil sie „ein lautere huer“ sei, die „ein goschen wie die höll“ habe und „nur so greillich liege“, einem ihrer Diener ließ sie hingegen um 20 fl neue Hemden und Halstücher anfertigen, weil dieser Hemden getragen habe, die in der Stadt nicht zu ihrem mit Samt ausgekleideten Wagen gepasst hätten. Soziale Distinktion durch Personaleinsatz funktionierte auch noch in persönlichen Notzeiten. So war Hans Adam von Praunfalk in seinen letzten sechs Lebensjahren so schwer mit „dem schmerzhafften Chiragra und Podagra […] behafftet“, dass er weder gehen noch stehen konnte und sich, wenn er wohin wollte, heben und tragen lassen musste.Während die Immigranten bei der Aneignung von Wohnraum auf die in den Exilstädten bereits vorhandenen Häuser angewiesen waren und deshalb die von Karl Eusebius von Liechtenstein postulierte Verbindung von adeliger Statusqualität und ästhetischer Kompetenz kaum zum Tragen kommen konnte, war dieser Anspruch bei der Ausstattung einfacher zu erfüllen, da man diese in der Regel von zu Hause mitbrachte.
In den erhaltenen Inventaren sind nicht selten große Mengen an wertvollen Einrichtungsgegenständen verzeichnet. Regina Jörger besaß beispielsweise 51 Teppiche und 56 Vorhänge, Esther von Starhemberg hatte hingegen eine Vorliebe für kostbare Wandbehänge („Spaliere“), von denen ihre Innenausstattung rund 70 Stück umfasste. In fast allen untersuchten Inventaren finden sich große Mengen an Geschirr unterschiedlicher Qualität mit einem beträchtlichen Anteil an teilweise vergoldetem Silbergeschirr. Abseits der praktischen und der symbolisch-repräsentativen Funktionen dienten die Silbergegenstände als Wertspeicher in Zeiten hoher Inflation und als Geldbeschaffungsmittel, indem sie bei Bedarf versetzt wurden. Sie sind deshalb in den Inventaren auch mit ihrem Silbergewicht und nicht mit einem unmittelbaren Geldwert angegeben.Vereinzelt war an kostbarem Geschirr und an anderen Objekten wie Truhen auch das Familienwappen appliziert,
womit diese Gegenstände das Sozialkapital des gesamten Geschlechts repräsentierten. Silbergegenstände und Tafelgeschirr waren seit dem 16. Jahrhundert ein Zeichen für eine zunehmende Kultur häuslicher Geselligkeit, außerdem lassen die große Anzahl an Tischen und Sesseln, das viele Koch- und Essgeschirr sowie Objekte, die der Unterhaltung dienten, auf ein reges Gesellschaftsleben in den Wohnräumen der Exulanten schließen. So gehörten beispielsweise zum Mobiliar von Esther von Starhemberg gleich sechs unterschiedlich ausgestattete Spieltische.In den Inventaren finden sich vielfältige Luxusgüter wie Majolika-Keramik, Statuen oder Salzfässer, bei denen manches Mal darauf verwiesen wurde, dass es sich um Importgüter handelt. Einen besonders hohen Wert hatten Uhren: Eva Christina von Traun nannte beispielsweise sechs Stück ihr Eigen, Hans Adam von Praunfalk besaß vier Uhren, nämlich eine viereckige aus Messing auf einem breiten Fuß, eine kleine runde Sackuhr, die Viertel- und ganze Stunden schlug sowie zwei Hängeuhren unterschiedlicher Größe.
Die genannten Dinge dürften vor allem der Statusrepräsentation bzw. der Positionierung innerhalb der Gruppe adeliger Exulanten und weniger der sozialen Distinktion gegenüber den Stadtbürgern gedient haben, da diese mit den vor allem innerhalb des Hauses verwendeten Objekten kaum in Berührung kamen. Es sind zwar diverse engere Kontakte bis hin zu vereinzelten Kindspatenschaften zwischen adeligen Zuwanderern und Angehörigen der städtischen Oberschicht überliefert, im Allgemeinen war das Verhältnis zwischen Zuwanderern und Stadtbürgern ‒ im Gegensatz zu den Beziehungen zwischen adeligen Exulanten und Geistlichkeit ‒ aber eher distanziert und von Nützlichkeitserwägungen geleitet. Von Seiten des Bürgertums dürfte die Zurückhaltung wohl darauf zurückzuführen sein, dass engere Beziehungen mit den standesgemäß höherrangigen Zuwanderern unweigerlich die Frage nach der Präzedenz aufgeworfen hätten.
Dazu kamen nach einiger Zeit auch verschiedenartig gelagerte Interessenskonflikte, wie beispielsweise die ausbleibenden Zinszahlungen der Städte für die von den Adeligen gegebenen Darlehen sowie Auseinandersetzungen bezüglich Abgaben, fremdenrechtlicher Bestimmungen und der Jurisdiktion, die ebenfalls die Kontakte hemmten. Die Geselligkeiten in den adeligen Domizilen hatte deshalb vornehmlich die Funktion der Netzwerkpflege und der Förderung der Gruppenkohäsion innerhalb der adeligen Exulantengemeinde, mit Bourdieu gesprochen, diente sie der Reproduktion von Sozialkapital durch Beziehungsarbeit in Form ständiger Austauschakte.Wohl eher aus Gründen der Annehmlichkeit als der Logik der Repräsentation folgend, erwarben zahlreiche Adelige nach dem Friedensschluss 1648, vereinzelt auch schon vorher, Landgüter außerhalb der Exilstädte, auf denen sie einen Lebensstil pflegen konnten, der mehr als das Stadtleben ihrer gewohnten Lebensweise entsprach. Vereinzelt handelte es sich dabei durchaus um repräsentative Herrensitze wie beispielsweise Schloss Oberbürg bei Nürnberg, das nacheinander von Mitgliedern mehrerer namhafter österreichischer Adelsfamilien bewohnt wurde, häufig hatten die Landsitze aber eher den Charakter landwirtschaftlicher Höfe.
Bibliotheken und Kunstsammlungen
In den Verlassenschaftsinventaren verstorbener Exulanten des höheren Adels tauchen regelmäßig Bücher auf, einige der Emigranten waren Besitzer stattlicher Bibliotheken, die zum überwiegenden Teil aus religiösen Büchern bestanden, vereinzelt fanden sich aber auch Arznei-, Jagd- oder Pferdebücher sowie geographische, astronomische oder historische Werke, zum Beispiel stand in Adam von Praunfalks Bibliothek Gerhard Mercators Großer Atlas, Tycho Brahes Astronomiae Instauratae Mechanica oder Plutarchs Lebensbeschreibungen.
Die religiösen Schriften spiegelten im konkreten Fall auch die intensive Religiosität vieler Exulanten wieder, die sich ‒ so wird es zumindest in vielen Leichenpredigten behauptet ‒ als Schicksalsgemeinschaft von „Glaubenszeugen“ verstanden. Besonders fromme Emigranten widmeten sich zusammen mit Gleichgesinnten im Rahmen von häuslichen Treffen der Lektüre frommer Schriften und anderen Frömmigkeitspraktiken, so gab es beispielsweise einen von den Familien Teuffenbach und Herberstein eingerichteten „Hauskreis“.Im engen Zusammenhang mit den Buchsammlungen standen Sammlungen von Gemälden und anderen Kulturgütern. Für den bereits erwähnten Karl Eusebius von Liechtenstein stellte das Sammeln von Kunst eines der zentralen distinguierenden Merkmale des Adels dar: „Dan da bei dem Adel kein Curiositet, zu schatzen und zu lieben, was schen, vornehm und kunstreich, und consequenter rar, so ist von selbigem kein Unterschidt zwischen dem gemeinen Man und ihme, denn der gemeine Man schatzet es auch nicht wegen der Niderigkeit seines Gemiedts“.
Unter den Emigranten kam diesem Ansatz Hans Septimius Jörger, der nicht nur als umtriebiger Kunstsammler, sondern auch selbst als Künstler agierte, wohl am nächsten. Dessen Kunstkammer war so bedeutend, dass es sich selbst Erzherzog Leopold Wilhelm nicht nehmen ließ, diese bei einem Aufenthalt in Nürnberg im Jahr 1643 zu besichtigen, obwohl Jörger einer Familie entstammte, die sich auf Seiten des österreichischen Protestantismus besonders exponiert hatte, während der kunstsinnige Erzherzog mit seiner auch für die damalige Zeit ungewöhnlichen Ämterkumulation ‒ er war siebenfacher Bischof, Hochmeister des Deutschen Ordens, Statthalter der spanischen Niederlande sowie in der Spätphase des Dreißigjährigen Krieges Oberbefehlshaber der kaiserlichen Armee ‒ eine zentrale Figur auf der katholischen Seite war.
Weitere wichtige Sammler waren die Brüder Georg Augustin und Otto Gall von Stubenberg sowie deren Verwandter Rudolf von Stubenberg, dessen Kunstsammlung unter anderem Werke von Veronese, Cranach, Tizian, Bruegel und Caravagio enthielt. Kunstgegenstände fanden sich aber auch in den Haushalten von Adeligen, die nicht wie die Genannten, das Sammeln professionell betrieben (Abb. 2).Der Besitz von Büchern und Kunstwerken bedingt das für den Erwerb derselben nötige ökonomische Kapital, für deren symbolische Aneignung sind hingegen die auf dem Weg sozialer Vererbung erworbenen kulturellen Fähigkeiten, die den Gebrauch eines Buches oder den Genuss eines Kunstwerkes erst ermöglichen und die zum Habitus einer Person gehören, Voraussetzung.
Gegenüber jenen, denen diese kulturellen Fähigkeiten fehlen, sind Bücher und Kunstwerke grundsätzlich ein Mittel der Distinktion, im spezifischen Fall lassen sich auf unterschiedlichen Ebenen aber sowohl integrative als auch distinktive Praktiken im Zusammenhang mit diesen Kulturgütern festmachen. Das Vorzeigen von repräsentativen Sammlungen unter Standesgenossen war einerseits ein Akt der Beziehungspflege innerhalb des höheren Adels zum Zweck sozialer Distinktion, andererseits waren die Mechanismen der Statusrepräsentation zumindest bei den hier zu untersuchenden Akteuren nicht an konfessionelle Grenzen gebunden und so war der Besuch des Erzherzogs in der Kunstkammer eines protestantischen Exulanten ein Akt der Integration innerhalb der adeligen Eliten.Die Bibliotheken reproduzierten einerseits die Rangdifferenz, gleichzeitig wirkten die Buchsammlungen aber auch integrierend über die standesbedingten Schwellen hinweg, wenn Adelige als Auftraggeber religiöser Literatur in Erscheinung traten und mit den Gelehrten und Dichtern gesellschaftlichen Kontakt pflegten.
Die standesübergreifenden Beziehungen resultierten nicht zuletzt aus der Tatsache, dass viele Adelige nicht nur als Abnehmer von Büchern auftraten, sondern auch selbst ‒ mehr oder weniger gekonnt ‒ literarisch tätig und so in gewisser Weise mit der „Literaturszene“ verbunden waren. Besonders war dies bei jenen Exulanten der Fall, die es mit der Dichtkunst zu einiger Beachtung gebracht hatten, wie beispielsweise die als eine der bedeutendsten Barockdichterinnen geltende Catharina von Greiffenberg. Einige der literaturinteressierten Adeligen traten im Exil auch Dichtersozietäten bei. Weniger ausgeprägt dürfte die Überwindung der Ständehierarchie zwischen adeligen Auftraggebern und bildenden Künstlern und Kunsthandwerkern gewesen sein, weil hier mehr als in der Literatur der Markt die Beziehungen dominierte, wenngleich auch hier der Meinungsaustausch der Kunstbegeisterten und die Praktiken der Empfehlung oder Förderung bestimmter Künstler integrierend wirken mochten.Der Umgang mit Waffen
Ein Spezifikum der adeligen Haushalte in den Exilstädten waren die Waffensammlungen, die ‒ trotz des im Spätmittelalter einsetzenden Bedeutungsverlusts des Adels im Kriegswesen ‒ den statuslegitimierenden Anspruch des Adels als Wehrstand manifestierten. Manche Emigranten transferierten ganze Rüstkammern aus den heimatlichen Schlössern ins Exil.
Im Verlassenschaftsinventar des im Jahr 1678 in Nürnberg verstorbenen Bartholomäus Khevenhüller findet sich neben mehreren der für Adelige obligatorischen Degen ein Schusswaffenarsenal bestehend aus 24 Gewehren unterschiedlicher Qualität mit verschiedenen Rohren, Schäften und Schlössern, dazu kamen acht Paar Pistolen. Weiters besaß er auch Waffen türkischer Provenienz, nämlich einen Bogen mit Köcher und Pfeilen, eine Janitscharenhellebarde und ein türkisches Messer mit einem Griff aus Bein. Zur Jagd dienten ein mit Silber verzierter Hirschfänger, zwei Waidmesser, sowie verschiedene Jagdhörner. Besonders kostbar war die Turnierausrüstung, die sich in diesem Fundus aus zwei mit Gold verzierten Harnischen, etlichen Brust- und Rückenpanzern mitsamt Helmen und verschiedenen Turnierutensilien wie Lanzen, Rosszeug sowie mehreren Sätteln, teils aus Samt mit Silber oder Gold bestickt, teils aus Leder, zusammensetzte (Abb. 3).Zahlreiche Exulanten dienten auch in protestantischen Armeen, einige betätigten sich zum Missfallen der Aufnahmestädte, die sich politisch nicht allzu sehr gegenüber dem Kaiser exponieren wollten, auch als Kriegsunternehmer in Diensten des Schwedenkönigs Gustav Adolph.
So warben beispielsweise Paul und Hans Khevenhüller eigenständig ein Reiterregiment von 1.500 Mann für die schwedische Armee, letzterer verlor während seiner militärischen Aktivitäten im Jahr 1632 bei einem unglücklichen Zwischenfall durch Eigenbeschuss auch sein Leben.Wenngleich die in den Leichenpredigten bei den adeligen Exulanten überschwänglich gepriesene Frömmigkeit mehr einen Topos als die Realität wiedergibt, so bestehen doch kaum Zweifel, dass sich der überwiegende Teil der Emigranten in besonderem Maße der protestantischen Frömmigkeit verbunden fühlte, wofür schon das Verlassen einer relativ soliden Existenz in der Heimat im Austausch für eine unsichere Zukunft im Exil spricht.
Nichtsdestotrotz bestand offenbar für viele Adelige zwischen persönlicher Frömmigkeit und dem schnellen Griff zur Waffe kein Widerspruch. Duelle, schwere Körperverletzungen, Totschläge und andere Gewaltdelikte sind in größerer Zahl nachzuweisen, beispielsweise geriet Gotthard von Starhemberg im Rahmen eines Spiels mit einem Rittmeister in einen heftigen Streit, der zunächst in einem Handgemenge und schließlich in einem Duell mit Reiterpistolen endete, das ihm das Leben kostete. Als mehrfache Gewalttäter traten auch zwei Abkömmlinge der Familie Herberstein in Erscheinung. Von Adolf Friedrich von Herberstein ist bekannt, dass er mit Pistolen in der Stadt Nürnberg herumschoss und dass er seine Frau gewaltsam entführte, nachdem er sie und seinen Schwiegervater bereits vorher bedroht hatte. Sein Bruder Otto Friedrich fiel dadurch auf, dass er fremde Loden, die unberechtigterweise auf seiner Wiese getrocknet wurden, zerschnitt, ein anderes Mal drohte er, den nächstbesten Bauern „vor den Kopf zu schießen“, weiters verwundete er einen Knecht, der bei seinem Erscheinen nicht schnell genug zur Seite wich und schließlich misshandelte er einen Stadtknecht sowie einen Feldwebel der Stadtwache. Es kam gelegentlich auch zu schwerwiegenden Unfällen mit Waffen, so erschoss Georg Hanibal von Egk versehentlich die Exulantin Regina Sidonia Rechenbacher.Der Besitz und das Tragen von Waffen war Teil des mit der adeligen Erscheinung verbundenen „Gewalthabitus“,
der sowohl im Umgang mit Standesgenossen als auch in der Konfrontation mit rangniedrigeren Personen häufig Praktiken exzessiver Gewalt hervorbrachte, die den Adel besonders im stadtbürgerlichen Umfeld von anderen Bevölkerungsgruppen distinguierten. Das Tragen von Waffen demonstrierte den Anspruch des Adels, seine Interessen in Konflikten auch mittels Gewalt durchzusetzen.Eine der vornehmsten adeligen Beschäftigungen waren die Ritterspiele, viele Adelige besaßen auch in der Emigration in ihrem Fundus entsprechende Rüstungen und Waffen. Der Exulant Paul von Khevenhüller trat beispielsweise im Jahr 1630 bei einem vom Landgrafen von Hessen veranstalteten Ringelrennen in Regensburg an und gewann gegen Erzherzog Ferdinand (den späteren Kaiser Ferdinand III.) den Siegespreis. Der Verwendung des Platzes für das Turnier wurde vom Regensburger Stadtrat nach einer Initiative der Adligen unter der Bedingung bewilligt, dass sie selbst die Kosten tragen.
Hans Khevenhüller beteiligte sich im gleichen Jahr an einem vom Herzog Julius von Sachsen-Lauenburg veranstalteten Ringelrennen, bei dem sogar Kaiser Ferdinand II. höchstpersönlich teilnahm. Ritterspiele als eine der vornehmsten Inszenierungen adeliger Tugendzuschreibungen repräsentierten die gesellschaftliche Ordnung mit dem Adel an der Spitze und stellten diese Ordnung durch die im Turnier vollzogenen Praktiken der Distinktion gleichzeitig auch her, wobei diese Logik, wie im Fall der genannten Ringelrennen, auch über die Konfessionsgrenzen hinweg funktionierte. So ist es jedenfalls bemerkenswert, dass die beiden Freiherrn von Khevenhüller kurz nachdem sie aufgrund des landesfürstlichen Ausweisungspatents ihre Kärntner Heimat verlassen hatten und zu einem Zeitpunkt, an dem sie mitten im schleppenden Verkaufsprozess ihrer Besitzungen standen, an prunkvollen Selbstinszenierungszeremonien der Adelsgesellschaft mit dem Kaiser bzw. dessen Sohn an der Spitze teilnahmen.Adelige Geselligkeit bei den Lebensstationen
Adelige werden ‒ so das Zedlersche Lexikon ‒ „in der Titulatur von bürgerlichen unterschieden, können sich in Kleidung kostbarer halten und hervor thun, es wird ihnen das öffentliche Aufgebot, wenn sie sich vermählen, erlassen, die Trauung und Kind-Taufe im Hause zu thun erlaubt. Sie werden ferner zu denen Ringel-Rennen, Turnieren und Carousels gezogen; sind, wenn sie in Städten wohnhafft, von allen bürgerlichen oneribus befreyet, es werden auch, wann sie excedirt, und was begangen, ihre Strafen gelindert, und endlich haben sie auch bei ihren Laich-Begängnissen allerhand Solennitäten erlaubt, die dem Civil-Stand verboten.“
Während die Befreiung von den „oneribus“ und die Privilegierung in der Jurisdiktion für Exulanten in Reichsstädten nicht durchsetzbar war, genossen auch die Emigranten des hohen Adels die meisten der hier angeführten Vorrechte ihres Standes.Beispielsweise wurde die Praxis, Taufzeremonien in den eigenen Häusern vorzunehmen, von den Magistraten bei den Exulanten des höheren Adels geduldet, obwohl dies in den meisten Reichsstädten eigentlich verboten war.
Besonders prächtig wurden unter den emigrierten Adeligen Hochzeiten gefeiert und das obwohl während der Kriegsjahre vielen Reichsstädte Antiluxusgesetze erlassen hatten, die prunkvolle Feiern und verschwenderische Lustbarkeiten verboten, um den strafenden Gott zu besänftigen. Später legitimierten die städtischen Obrigkeiten diese Restriktionen mit dem Vorwand drohender Türkengefahr oder ausbrechender Seuchen.Als beispielsweise Sidonie von Racknitz im Jahr 1656 in Nürnberg den Grafen Moritz von Welz heiratete, wurde am Tag zuvor dessen Vater mit einer 60 Reiter umfassenden Abordnung vor der Stadt empfangen. Es folgte ein feierlicher Einritt in die Stadt mit insgesamt 120 Reitern und zehn Trompetern. Die Trauung selbst fand am Abend mit Musik, zehn Trompetern und einem Pauker in der Salvatorianerkirche statt. Für den prachtvollen Einzug wurde extra eine Türe in eine der Kirchenwände gebrochen, durch die das Brautpaar, das mit silberbestickter Kleidung ausgestattet war, von der Unterkunft kommend eintrat. Danach folgten drei Tage dauernde ausgiebige Feierlichkeiten.
Generell verhielten sich die Magistrate der Städte bezüglich Statusrepräsentation der Exulanten des höheren Adels großzügig, so wurde in der Pfarrkirche St. Lorenz in Nürnberg extra die Empore erweitert, damit die noblen Glaubensbrüder einen angemessenen Platz einnehmen konnten.
Die zuvorkommende Haltung, mit der dem höheren Adel von den Patriziern ein gleichrangiger Ehrenplatz in der Kirche eingeräumt wurde, wird umso deutlicher, wenn man bedenkt, dass der Streit um den Platz im Gotteshaus in der Frühen Neuzeit schichtübergreifend ein steter Konfliktherd war.Nicht weniger prunkvoll als die Hochzeiten wurden die Begräbnisse begangen, obwohl die in den Städten geltenden Leichenordnungen den Aufwand hinsichtlich musikalischer Umrahmung und maximaler Anzahl der zu verköstigenden Gäste eigentlich einschränkten. Während für die Stadtbewohner darüber hinaus auch die Gestaltung der Särge, die Ausgestaltung der Leichentücher und die Beschaffenheit der Trauerkleider streng reglementiert waren, ließen die Stadtmagistrate die Adeligen bei dem für ihre Statusrepräsentation wichtigen Begräbniszeremoniell weitgehend gewähren
(Abb. 4).Beim Begräbnis des Hans Adam von Praunfalk im Jahr 1655 ergingen beispielsweise Einladungen an alle Exulanten, den gesamten Nürnberger Stadtrat, an alle Prediger und Kapitel in den Kirchen, an mehrere Pfarrer, den Stadtrichter, den Waldamtmann, einige weitere Honoratioren, die Advokaten und Assessoren an den Gerichten, die Nachbarschaft aus bestimmten Gegenden, den Münzmeister, den Postmeister, verschiedene Wirte, den Baumeister und an eine Reihe von Stadtbeamten.
Dementsprechend hoch waren mit 1.810 fl auch die Kosten für die Leichenfeier. Unter anderem wurden für die Begräbniszeremonie auch verschiedene Utensilien angeschafft, wie beispielsweise einige vergoldete und mit den Wappen und den Titeln des Verstorbenen bemalte Zierfahnen, ein vergoldeter Helm und ein vergoldeter Wappenschild sowie mehrere gemalte Wappen, mit denen die Pferde geschmückt wurden.Adam von Praunfalk war der letzte seines Geschlechtes, sodass nach einem adeligen Ritual beim Begräbnis der Helm und der Schild zerbrochen und die Stücke in das Grab geworfen wurden. Beim Zerbrechen des Schildes soll der Zeremonienmeister folgende Worte gesprochen haben: „Hier ist der hochadelige Schild, das Kleinod des Adels, das Zeichen der Tugend und der Belohnung der tapfersten Gemüther, welches wir seinem rechtmäßigen und letzten Führer anstatt der Kleinoden und kostbaren Kleidung ins Grab beilegen müssen, alldieweil heut der Tag ist, an welchem wir kläglich sagen: ‚Heute Praunfalk und nimmermehr‘.“
Der adelige Schild mit dem Wappen repräsentierte die Gruppenzugehörigkeit der Familie zum Adel und wurde folgerichtig mit dem letzten Familienmitglied zerstört und begraben. Die Zeremonie dürfte bei den Stadtbürgern Eindruck hinterlassen haben, jedenfalls haben sich die Nürnberger Patrizier später die Zeremonie für das Aussterben eines Patriziergeschlechtes selbst angeeignet.Auch das Begräbnis des letzten Praunfalk wurde wie üblich mit einem Conduct begangen.
Trauerzüge waren seit dem Hochmittelalter der wichtigste Bestandteil und der Höhepunkt des Begräbniszeremoniells. Die Reihenfolge der Teilnehmer am Trauerzug demonstrierte die hierarchische Rangfolge, wobei einerseits die objektive Stellung in der Hierarchie angezeigt wurde, andererseits konnte es im konkreten sozialen Kontext durchaus Verschiebungen nach Präferenz der Trauerfamilie geben. Neben dem Platz in der Anordnung des Trauerzuges wurde die sozialräumliche Position einer Person auch durch die Kleidung ausgedrückt. So finden sich unter den Begräbnisausgaben verschiedene Positionen für Stoffe und Kleidung unterschiedlicher Qualität und Preislage, vermutlich für die hierarchisch unterschiedlich positionierte Dienerschaft des Verstorbenen, wie teure „Hamburger Strümpfe“, etwas billigere „Hamburger Weiberstrümpfe“, schlechte Strümpfe für die Lakaien, schlechte Mannsstrümpfe und kleine Strümpfe, die offenbar für Kinder gedacht waren.Die Exulanten des höheren Adels wurden in der Regel in prestigeträchtigen Grablegen beigesetzt, in Nürnberg waren dies die Bartholomäuskirche in Wöhrd und die Johanneskirche.
Die wichtigsten Familien versuchten sich in einer Kirche den Raum für eine Gruft zu sichern, außerdem wurden an den Kirchenwänden Funeralwaffen, Fahnen oder Epitaphien angebracht, die dem Gedenken an die Verstorbenen dienten. Vor allem bei jenen Adeligen, die sich eine Erbgrablage leisten konnten, funktionierte die Repräsentation zum Zweck der Distinktion auch im Exil über den Tod hinaus.Bei der Khevenhüller‘schen Grablege in der Kirche in Wöhrd fand sich beispielsweise rechts neben dem Altar auf der Seite der Sakristei eine gemalte Geschlechts- und Stammtafel. Oberhalb dieser wurden nach dem Begräbnis des Bartlme Khevenhüller im Jahr 1662 zwei große vergoldete Helme und Wappen sowie zwei Fahnen, von denen eine mit schwarzer Farbe, die andere mit dem khevenhüllerschen Wappen und einer Inschrift mit Bezugnahme auf den Verstorbenen bemalt war, angebracht.
Bartlme Khevenhüller war übrigens bei einem repräsentativen Gelage bei der Hochzeit eines Herrn von Traun ums Leben gekommen, weil er im Rausch seidene Bänder gegessen, Gläser zerbissen und die Trümmer geschluckt hatte.Zusammenfassung
Die mit Objekten der materiellen Kultur verbundenen Praktiken der Statusrepräsentation und der Distinktion zielten bei adeligen Exulanten im städtischen Umfeld in den hier untersuchten Bereichen Unterkunft und Mobiliar, Bibliotheken und Kunstsammlungen, Umgang mit Waffen sowie adeliger Geselligkeit bei den Feiern zu den Lebensstationen, die freilich nur eine Auswahl darstellen ‒ ergänzen könnte man zum Beispiel Ernährung, Kleidung oder Schmuck –, in verschiedene Richtungen. Während die von den Aristokraten bewohnten Häuser in den Reichsstädten nach außen hin kaum dem Zweck der Distinktion dienen konnten, weil es sich dabei zwar um repräsentative, aber doch gewöhnliche Häuser der bürgerlichen Oberschicht handelte, dürfte das von den heimatlichen Schlössern mitgebrachte Interieur und die große Anzahl der Diener, welche diese Dinge gebrauchten, vor allem der Repräsentation und der Positionierung innerhalb des Adels gedient haben, weil es in erster Linie Standesgenossen waren, die diese Objekte zu sehen bekamen. Bücher- und Kunstsammlungen dienten hingegen einerseits der sozialen Distinktion und der Beziehungspflege innerhalb des höheren Adels, andererseits wirkten sie integrierend über die sozialen Schichten hinweg, weil besonders bei der Anschaffung von Büchern, die bei vielen Adeligen auch durch eigene dilettantische Literaturproduktion begleitet war, standesübergreifende Beziehungen entstanden.
Das Tragen von Waffen und die auch in den Unterkünften im Exil anzutreffenden Waffensammlungen waren Ausdruck des adeligen „Gewalthabitus“, mit dem der Adel den Anspruch untermauerte, Auseinandersetzungen sowohl im persönlichen als auch im politischen Bereich mit Waffengewalt zu lösen. Durch die (oft gewaltsamen) Praktiken im Umgang mit Waffen repräsentierte der Adel die gesellschaftliche Ordnung und konstituierte diese aufs Neue.
Auch im Exil waren die Feiern zu den Lebensstationen für die adelige Repräsentation von besonderer Bedeutung, weil diese ‒ insbesondere die Begräbniszeremonien ‒ einen breiten Rezipientenkreis erfassten. Trotz strenger Antiluxusgesetze in den Reichsstädten wurde das Repräsentationsbedürfnis der adeligen Zuwanderer in diesen Bereichen von den dortigen Magistraten weitgehend anerkannt, solange die für die Stadt wichtigen Vorrechte wie die Steuerhoheit und die Jurisdiktion gesichert waren.