Ein Forschungsprojekt im virtuellen Raum
Abstract
Illuminierte Urkunden erfordern als Objekte mit Text-Bild-Kombinationen einen interdisziplinären Zugang, um sie angemessen zu erforschen. Expertinnen und Experten im Feld der Kunstgeschichte, der Historischen Hilfswissenschaften – allen voran der Diplomatik – und der Digital Humanities arbeiten im am Institut der Mittelalterforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und am Zentrum für Informationsmodellierung der Universität Graz angesiedelten Projekt „Illuminierte Urkunden“ gemeinsam an der Präsentation der Forschungsergebnisse auf dem Online-Urkundenportal Monasterium. Anhand ausgewählter Beispiele zum Thema Marken auf Handwerksprodukten untersucht der vorliegende Aufsatz die Möglichkeiten und Grenzen der Arbeit mit illuminierten Urkunden im virtuellen Raum. Besonderer Fokus liegt dabei auf Urkunden mit der Darstellung von Handwerkermarken auf Messern.
Abstract (englisch)
Since illuminated charters make up a specific sort of historical source combining text and image, their thorough scholarly investigation should follow an interdisciplinary approach. Experts of art history, auxiliary sciences of history (especially diplomatic) and digital humanities have been contributing to a joint project on illuminated charters run by the Institute for Medieval Research of the Austrian Academy of Sciences and the Zentrum für Informationsmodellierung – Austrian Centre for Digital Humanities at the University of Graz. Results are being published through the world’s largest online portal of medieval charters, Monasterium. This paper outlines chances and limits of research into illuminated charters in virtual space by a study of marks and signs on late medieval tools. A special focus is laid on acts featuring images of artisan’s marks on the blades of knives.
Inhaltsverzeichnis
„Muss nicht jedes Abbild der reinen Anschaulichkeit gegenüber ein notwendig Fremdes bleiben, anstelle von etwas Präsentem ein Repräsentiertes, das im Medium von Gestalt und Farbe nur als Anschein von Gegenständlichkeit, als Vorschein von Begrifflichem fassbar wird?“
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Die Darstellung bzw. Repräsentation von Materiellem, also von objekthaften Dingen und real Existierendem durch die Mittel des Bildes, ist ein Thema, das der modernen Bildwissenschaft und Kunst- und Kommunikationstheorie zusehends fremd und problematisch geworden ist. Gerade unter dem in den letzten eineinhalb Jahrzehnten völlig im alltagssprachlich-technischen Gebrauch aufgegangenen philosophischen Begriff der Virtualität lässt sich jedoch gut ein gleichsam doppelter Repräsentations- und Imaginationsvorgang fassen, der Gegenstand der folgenden Skizze sein wird. Einerseits soll es um die Reflexion eines konkreten Ausschnitts materieller Kultur – jener der Zeichen und Marken auf Messerklingen des Mittelalters – im Bildschmuck mittelalterlicher Rechtstexte gehen, andererseits um die wissenschaftliche Bearbeitung dieser Dokumente in einer virtuellen Arbeitsumgebung. Auf die knappe Vorstellung eines einschlägigen Digital Humanities-Projekts folgt ein Abriss zu Funktion und Verwendung von Bildzeichen und Marken in wirtschaftsgeschichtlichen Kontexten des späteren Mittelalters und schließlich eine kurze synthetische Besprechung von bemalten Urkunden, die Messerzeichen und -marken thematisieren.
Urkunden im virtuellen Raum: Das Urkunden-Metaportal monasterium.net und die Sammlung „Illuminierte Urkunden“
Das ursprüngliche Vorhaben des virtuellen Urkundenportals Monasterium, dessen Anfänge auf das Jahr 2002 zurückgehen, war es, die Urkundenreihen diverser niederösterreichischer Klöster zu digitalisieren und der interessierten Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Den Grundstock des Portals bildeten somit die Bestände der Klöster Altenburg, Geras, Göttweig, Heiligenkreuz, Herzogenburg, Klosterneuburg, Lilienfeld, Melk, Seitenstetten und Zwettl. Schon früh wurde jedoch der engere Bereich der niederösterreichischen Klosterlandschaft verlassen und eine Ausweitung der auf dem Monasterium-Portal zu findenden Archivbestände sowohl österreichweit als auch über die Grenzen des Landes hinaus vorangetrieben. Ebenso wurde die Beschränkung auf Klosterarchive schon relativ früh – ab 2006 – aufgegeben. Zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Beitrags – die Einschränkung ist aufgrund der extremen Entwicklungsdynamik des Portals wichtig – haben Benutzerinnen und Benutzer Zugriff auf die Bestände von Archiven aus Österreich, Deutschland, Slowenien, Slowakei, Rumänien, Ungarn, Italien, Tschechien, Estland, Schweiz, Serbien, Kroatien, Polen und Mazedonien. Der Umfang und die Erfassungstiefe der einzelnen von Seiten der bestandshaltenden Institutionen beigesteuerten Datensätze sind dabei notwendiger Weise ebenso divers wie die Metadaten, und besonders im Bereich der inhaltlichen Erschließung durch Regesten inhomogen. Auch fehlen mitunter noch Digitalbilder der jeweiligen Urkunden, vor allem bei den erst kürzlich hinzugefügten Beständen.
Neben der Organisation der Plattform nach Archivbeständen enthält das Monasterium-Portal zu bestimmten Forschungszwecken zusammengestellte provenienzübergreifende Sammlungen, die nicht nur Fotos bzw. Scans von Urkunden bieten, sondern zu großen Teilen Aufbereitungen von älteren Urkundeneditionen in Verbindung mit Google-Books-Digitalisaten darstellen. Nur wenige Sammlungen entsprechen momentan dem ursprünglichen Gedanken eines zu Forschungszwecken bzw. zu einem bestimmten Rahmenthema zusammengestellten Quellenkorpus, beispielsweise die von Martin Roland aus mehreren gedruckten Editions- und Regestenwerken sowie durch eigene Archivrecherchen zusammengetragene Quellenübersicht zu den Büßerinnen von St. Hieronymus. In diesem Zusammenhang ist ebenfalls die über 8.000 Datensätze umfassende Sammlung „Geistliches und Weltliches Territorium Fulda“ zu nennen, die bereits im Monasterium-Portal in Einzelbeständen zur Verfügung stehende Urkunden aus verschiedenen Bibliothekssammlungen und Archiven in Fulda und Marburg versammelt. Einen ähnlichen Aufbau weist die Sammlung „Deutscher Orden“ mit 20.518 Datensätzen auf, die ebenso verschiedene auf der Monasterium-Plattform zu findende Archivbestände miteinander verbindet und gesammelt zugänglich macht. Eine im Moment noch kleine, nur 17 Urkunden enthaltende Sammlung stellen die „Serbischen Herrscherurkunden (1306–1388)“ dar, die – geht man nach der in der einleitenden Ansicht zu findenden Vorbemerkung – aus der laufenden diplomatischen Bearbeitung von Urkunden serbischer mittelalterlicher Herrscher am Institut für Balkanstudien der Serbischen Akademie der Wissenschaften entstanden ist. Aus demselben Umfeld stammt die Sammlung „Serbian Charters in Archives of Hungary (1411–1481)“, die im Moment insgesamt 23 Urkunden umfasst.
Die derzeit am stärksten wachsende, auf laufenden Forschungen basierende Sammlung zu einer bestimmten thematischen Gruppe in der Monasterium-Plattform ist mit Sicherheit diejenige zu „Illuminierten Urkunden“. Urkunden benötigen als Rechtsdokumente im Grunde kein Dekor, um ihre Gültigkeit zu erlangen. Trotzdem gibt es aber eine im Verhältnis zur Masse mittelalterlicher Urkunden sehr geringe Menge an Ausfertigungen, welche die Betrachterinnen und Betrachter durch bestimmte äußere Merkmale der Gestaltung beeindrucken wollen, sei es durch die schiere Größe des Stücks, den Einsatz einer repräsentativen Schrift, die Ausgestaltung von Initialen oder – am weitaus häufigsten – durch graphische Beglaubigungszeichen. Diese Elemente wurden auch traditionell in der diplomatischen Beurteilung der Stücke berücksichtigt, da sie als typische Gewohnheiten von Kanzleien bei der Beurteilung von Echtheit oder Fälschungsabsicht einer Urkunde hilfreich sein können. Eine kleinere Anzahl hebt sich durch ihre künstlerische Ausstattung nochmals von den zuvor genannten Stücken ab. Diese Urkunden weisen figürliche bzw. gegenständliche Elemente auf, die – um mit einem Terminus der Buchmalereiforschung zu sprechen – historisiert sind, die also auf den Rechtsinhalt, Aussteller oder Empfänger Bezug nehmen. Mit diesen illuminierten Urkunden im engeren Sinn beschäftigt sich die auf der Monasterium-Plattform verfügbare Sammlung in erster Linie, nicht ohne jedoch zusätzlich jene weiter gefasste Definition des Gegenstands einzubeziehen, die auf graphische oder gemalte Elemente abzielt, die nicht der Kontextschrift der Urkunde zuzuordnen sind.
Seit dem Jahr 2014 arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien einerseits und am Zentrum für Informationsmodellierung der Universität Graz andererseits an illuminierten Urkunden in der oben genannten Definition. Im ersten, von Mai 2014 bis Oktober 2017 laufenden und vom Österreichischen Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung finanzierten Projekt „Illuminierte Urkunden als Gesamtkunstwerk“ ging es zunächst um eine breiter angelegte diplomatische und kunsthistorische Bearbeitung ausgewählter Gruppen illuminierter Urkunden. Seit November 2017 läuft im Rahmen der „Go!digital“-Förderschiene der Österreichischen Akademie der Wissenschaften das für ein Jahr angesetzte Nachfolgeprojekt „Illuminierte Urkunden – Vom elektronischen Karteikasten zur Forschungsplattform“, in dem es vor allem um die Erweiterung einiger im Zuge der ersten Projektphase entwickelten Tools und deren bessere Integration in die virtuelle Forschungsumgebung geht. Ausgangspunkt für die wissenschaftliche Arbeit war eine über die Jahre von Martin Roland und Andreas Zajic (beide Österreichische Akademie der Wissenschaften, Institut für Mittelalterforschung) zusammengetragene umfangreiche Liste illuminierter Urkunden, die anfangs als Word-File vorlag. Die enge interdisziplinäre Zusammenarbeit ergab sich rasch aus den untersuchten Objekten und war ein zentraler Punkt des schließlich von Georg Vogeler (Universität Graz), Martin Roland und Andreas Zajic konzipierten Projekts: Text-Bild-Kombinationen – wie es illuminierte Urkunden eben sind – lassen sich sinnvoll nur durch den engen Austausch von Expertinnen und Experten aus den beiden genannten Disziplinen Kunstgeschichte und Diplomatik umfassend untersuchen und einordnen, während die Tatsache, dass es sich um die wissenschaftliche Bearbeitung eines Bestands aus real über eine große Zahl internationaler Archive und Sammlungen verstreuter Objekte handelt, von vorneherein den Ausschlag zur Einrichtung einer virtuellen Arbeits- und Publikationsumgebung gegeben hat. Als wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Projekts fungieren daher einerseits Gabriele Bartz (Kunstgeschichte) und Markus Gneiß (Diplomatik) in Wien und andererseits Martina Bürgermeister (Digital Humanities) in Graz.
Da eine den Objekten angemessene Darstellung der Forschungsergebnisse nur durch die Einbindung von Scans bzw. Fotos der besprochenen Urkunden erfolgen kann, kommt den Digital Humanities eine wichtige Rolle in dieser interdisziplinären Zusammenarbeit zu. Die Open-Access-Plattform Monasterium bot sich in diesem Zusammenhang als Tool für die Veröffentlichung der Forschungsergebnisse an, da sie einerseits eine auf Urkunden spezialisierte Datenbank darstellt und andererseits die Einbindung von Bildern in die einzelnen Datensätze ermöglicht. Außerdem bietet sie einen plattformeigenen Editor, in dem alle Forschungsdaten systematisch erfasst und als XML in der Datenbank gespeichert werden. Die einzelnen Urkunden-Datensätze werden nach dem Standard der CEI (Charters Encoding Initiative) annotiert. Der Editor ermöglicht sowohl eine strukturierte Erfassung in Feldern, als auch das flexible Hinzufügen von Markups und Attributen. Die Editionsumgebung basiert auf JavaScript, die Beschreibung der Urkunden wird somit intuitiv ermöglicht: Der Editor bietet eine Mischung aus strukturierten Eingabemasken und Freitextfeldern an und stellt den Zugriff auf kontrollierte Vokabularien sowie auf Text-Bild-Verknüpfungswerkzeuge zur Verfügung.
Für das im Jahr 2014 gestartete FWF-Projekt wurde der standardmäßige MOM-Editor in einigen Bereichen adaptiert, um dem interdisziplinären Charakter der wissenschaftlichen Arbeit gerecht zu werden. Da im MOM-Editor kein eigener Bereich für eine ausführliche kunsthistorische Beschreibung der jeweiligen Urkunde vorhanden war, wurde ein solcher ergänzt. Der sogenannte IllUrk-Editor wurde zwar um einige Reiter verringert, er bietet jedoch die wesentlichen Eingabefelder an (Abb. 1). Da mittlerweile die Option vorhanden ist, mit einer kombinierten Ansicht aus dem standardmäßigen MOM-Editor und dem IllUrk-Editor zu arbeiten, stehen der Benutzerin bzw. dem Benutzer jedoch alle Funktionalitäten in einer gemeinsamen Oberfläche zur Verfügung (Abb. 2).
Neben der Gesamtsammlung „Illuminierte Urkunden“, die alle im Zuge der wissenschaftlichen Arbeit an der Sammlung veröffentlichten Datensätze enthält, gibt es noch weitere spezialisierte Sammlungen, die nach bestimmten Urkundengruppen aufgebaut sind und gewisse Teile der gesamten Sammlung enthalten. Somit können je nach Interesse einzelne Gattungen illuminierter Urkunden gesondert von der Hauptsammlung gezielt durchsucht und durchgeklickt werden (Abb. 3). Auf Anregung des Projekts „Illuminierte Urkunden“ wurde für die gesamte Monasterium-Plattform die Möglichkeit generiert, Archivbestände und Sammlungen in Vorschaulisten mit integriertem Thumbnail zu durchsuchen.
Das großflächige Durchscreenen nach äußeren Merkmalen wird somit deutlich erleichtert und effizienter gestaltet. Mit Stand Jänner 2018 enthält die Sammlung „Illuminierte Urkunden“ über 2.250 Datensätze, wobei der Bearbeitungsgrad der einzelnen Urkunden noch durchaus inhomogen ist.Durch Gabriele Bartz und Markus Gneiß weitgehend sowohl diplomatisch als auch kunsthistorisch tiefenerschlossen sind die Urkundengruppen „Frankreich“ (enthält hauptsächlich französische Königsurkunden) und vor allem „Bischofsammelablässe“. Besonders letztere stellen als vergleichsweise massenweise produziertes diplomatisches Genre eine der Hauptgruppen illuminierter Urkunden dar: Mehrere Erzbischöfe und Bischöfe erteilten damit den Besucherinnen und Besuchern einer bestimmten geistlichen Institution einen Ablass. Diese angesichts ihrer sehr häufig farbigen Aufmachung, ihrer Größe und Publizität plakatartig zu nennenden Urkunden waren besonders in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts sehr begehrte, im Umfeld der päpstlichen Kurie in Rom bzw. Avignon entstandene „Werbemittel“ für den Besuch lokaler geistlicher Einrichtungen. Um Redundanzen bei der kunsthistorischen Bearbeitung des über 700 Urkunden umfassenden Quellenkorpus zu vermeiden und um auf übergreifende Erkenntnisse verweisen zu können, wurde ein Glossar entwickelt. Es dient den Benutzerinnen und Benutzern der Plattform als Nachschlagewerk und zur weiteren stilistischen Kontextualisierung der einzelnen Sammelindulgenzen (beispielsweise zu den Werkstätten, Bildinhalten und Ausstattungsniveaus). Innerhalb des Glossars besteht die Möglichkeit, andere Urkunden, die etwa über ein ähnliches Layout verfügen oder von demselben Maler/Zeichner dekoriert worden sind, zum Vergleich heranzuziehen. Das Glossar ist damit sowohl Erläuterung von vor allem kunsthistorischen Phänomenen der Sammelindulgenzen als auch über die im Projekt entwickelte Index-Applikation von Monasterium ein Rechercheinstrument. Zusätzlich dazu wurde auf Basis des Nachschlagewerks von Matthias Eubel eine Liste der zahlreichen diese Sammelablässe ausstellenden Erzbischöfe und Bischöfe erstellt, die grundlegende biographische Angaben und – falls möglich – eine Lokalisierung des jeweiligen Bischofssitzes enthält. Diese Liste diente als Grundlage für eine in XML/TEI kodierte prosopographische Datenbank, die als Link über die einzelnen Datensätze oder ebenfalls über die Index-Applikation abrufbar ist.
Die Wappenbriefe aus der Kanzlei des Heiligen Römischen Reiches haben durch Daniel Maier eine ausführliche diplomatische Bearbeitung erfahren. Die Sammlung „Lombardei“ enthält vor allem Urkunden aus der Kanzlei der Herzöge von Mailand, aber auch andere diese Region betreffende Stücke. Die Datensätze sind vor allem kunsthistorisch ausführlich bearbeitet worden und in der Regel mit einem mehr oder weniger umfangreichen (Kopf-)Regest erschlossen. Da die Bearbeitung in erster Linie von italienischsprachigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern (Marina Bernasconi-Reusser, Laura Alidori, Enrico Scaccabarozzi) erfolgte, steht eine zweisprachige Version zur Verfügung: der – meist ausführlichere – Originaleintrag auf Italienisch und die von Stephanie Rosenkranz verfassten, etwas kürzer gehaltenen Übersetzungen. Auf beide Versionen kann getrennt voneinander zugegriffen werden, sie sind jedoch ebenfalls miteinander verlinkt. Die Untersammlungen „Kardinalsammelindulgenzen“, „Italien (ohne Lombardei)“, „Iberica (Spanien und Portugal)“ sowie „Papsturkunden“ sind vorerst vor allem Materialsammlungen. Die Teilsammlung „Cimelia“ stellt schließlich einen Querschnitt durch alle aufgenommenen Urkunden dar. Sie präsentiert etwa 100 ausgewählte Stücke, denen eine besonders herausragende Bedeutung zukommt, sei es durch die enorm reiche bzw. ungewöhnliche künstlerische Ausstattung oder aufgrund des Vorläufercharakters für Illuminierungen späterer Urkunden.
Im Sinne des Generalthemas „Materielle Kultur“ als Leitparadigma des Online-Journals MEMO wollen wir in der Folge aus dem breiten ikonographischen Spektrum der Bildvorwürfe illuminierter Urkunden bewusst jene eher randständige und quantitativ bescheidene Zahl an Stücken herausgreifen, in denen Objekte der Alltagskultur unmittelbarer Gegenstand rechtlich normativer Verfügungen wurden. Konkret soll es um Urkunden gehen, in denen die Anbringung von verschiedenen Zeichen auf Messerklingen des Spätmittelalters nicht nur im Text thematisiert wird, sondern diese Symbole als visuelle Marker gleichzeitig in der Urkunde selbst bildlich dargestellt werden.
Marken und Zeichen auf Handwerksprodukten am Beispiel der messerherstellenden Gewerbe – nicht-illuminierte und illuminierte Urkunden als Quellen
Einer bestimmten Person oder Personengruppe bzw. Korporationen und Institutionen zuordenbare Symbole spielten im öffentlichen oder teilöffentlichen visuellen Raum einer mittelalterlichen europäischen Stadt
eine erhebliche Rolle, egal ob es sich um jene spezifischen Bildzeichen und Zeichenträger, die die Heraldik als Wappen bezeichnet, oder Zeichen und Marken im weiteren und engeren Sinn handelt. Formal vielgestaltig konzipiert und ausgeführt, richteten sie sich – je nach faktischer Zugänglichkeit bzw. Sichtbarkeit und Anbringungszusammenhang – gleichsam als graphische Identifikatoren an eine potentiell uneingeschränkt große Gruppe von Adressaten bzw. Rezipienten. In vorschriftliche Zeiten bzw. in den Zusammenhang mit schriftarmen Gesellschaften führen die nahezu global in zahlreichen Ausprägungen feststellbaren sogenannten Hausmarken zurück, die schon seit Längerem das Interesse der Forschung erfahren haben. Als Eigentums- und Besitzermarken waren sie von rechtlicher Bedeutung und Funktion, da sie in Form von einfachen geometrischen Zeichen eindeutig den Besitz einer Person oder Personengruppe kennzeichneten. Die Grundvoraussetzung der einfachen Erkenn- und leichten Anbringbarkeit an die jeweiligen zu kennzeichnenden Objekte gilt ebenso für Marken und Zeichen im handwerklichen bzw. wirtschaftlichen Bereich, um die es im Folgenden gehen wird. Mit den seit etwa der Mitte des 12. Jahrhunderts zunächst in Nordwesteuropa in höfisch-hochadeligem Kontext entstandenen, bis ins 14. Jahrhundert aber zusehends auch von nicht-adeligen und bisweilen sogar unterbürgerlichen Personen adaptierten oder wenigstens formal imitierten Wappen haben Hausmarken und Meisterzeichen die grundsätzliche Funktion gemeinsam, ihren Benützer (in der Heraldik den Wappenführer) eindeutig zu identifizieren und zu repräsentieren. Im Zuge der Diffusion der Wappenführung in immer breitere Gesellschaftsgruppen und Anwendungskontexte wurden bis um 1500 auf repräsentativen Grabdenkmälern oft ältere familiale Hausmarken nicht wappenführender Familien als „Quasi-Wappen“ auf einen Wappenschild aufgelegt (wodurch ein auf den ersten Blick heraldisch anmutendes Erscheinungsbild gegeben war), daneben begegnen aber gerade aus handwerklichen Kontexten auch Gegenüberstellungen von (individuellen) Hausmarken bzw. Meisterzeichen mit (genuinen) Wappen, die aber offenbar den Bruderschaften zuzuordnen waren, denen die einzelnen Meister angehörten. Dies scheint etwa beim Epitaph des Steyrer Baumeisters Wolfgang Tenk, also des Leiters der Kirchenfabrik der Stadtpfarrkirche von 1483 bis 1513, der Fall zu sein. Während der kleine Wappenschild am Kreuzesstamm sichtlich das Steinmetzzeichen Tenks zeigt, gibt der rechts davon sehr viel größer dargestellte Wappenschild mit einem aus dem (heraldisch) linken Schildrand hervorbrechenden gerüsteten Arm, der eine Doppelfläche (ein Werkzeug zur Steinbearbeitung) hält, offenkundig das Wappen der Admonter Steinmetzhütte wieder, der Tenk angehörte (Abb. 4).Neben der grundlegenden Funktion von Hausmarke bzw. Wappen, eine konkrete Person oder Personengruppe bzw. Korporation symbolisch zu repräsentieren, schreiben diese Bildzeichen den mit ihnen versehenen Objekten zusätzlich Besitzverhältnisse ein. So wie etwa die Anbringung eines Wappens am Stadttor den dieses Passierenden auf den ersten Blick über den Stadtherrn informieren soll, so dienten Hausmarken auf Hausrat und Handwerkszeug als Eignerzeichen der visuellen Verbindung von Besitztum und Eigentümer. Der grundsätzlich übereinstimmenden Auffassung von Wappen, Hausmarken und Meisterzeichen als Bildzeichen, die gleichermaßen personaler Repräsentation dienen und Eindeutigkeit der Identifikation durch Unverwechselbarkeit herstellen sollten, trägt die assoziative Verbindung dieser Symbole im bekannten Traktat De insignis [!] et armis des italienischen Juristen Bartolo da Sassoferrato Rechnung.
Im Anschluss an seine Ausführungen zu Wappen wendet sich der Postglossator Zeichen zu, denen man im modernen Sprachgebrauch die Begriffe Handelsmarke oder trademark zuordnen würde, also Marken, die „Logos“ eines bestimmten Wirtschaftsbetriebs und Handelsunternehmens sind (signa alicuius societatis et negotiationis).Solche signa, in deutschsprachigen Quellen des Mittelalters zeichen oder merke, konnten in diesem Sinn zur Kennzeichnung der Kaufmannsware dienen und halfen bei Verlust oder Raub diese Güter wieder zurückzubekommen – es kam ihnen in solchen Fällen also Beweiskraft zu.
Davon zu unterscheiden ist die Funktion ähnlicher Zeichen als Qualitätsmarken: Das Aufbringen an den jeweiligen Produkten garantierte die durch die Beschau autoritativ festgestellte einwandfreie Verarbeitung und Qualität derselben. So gab es in Nürnberg beispielsweise eigene „Zeichenmeister“, an die Abgaben gezahlt werden mussten, um ein (städtisches) Gütesiegel für die Produkte zu erhalten. Die Zahlungen an diese Funktionäre gingen teilweise an die Stadt und stellten somit einen wichtigen Einnahmeposten für die Nürnberger Finanzen dar. Ähnliches ist für die Zwettler Weber im 17. Jahrhundert festzustellen: Hier nahm die Stadt seit zumindest 1603 eine „Wahrzeichengebühr“ ein und die Handwerker mussten ebenfalls seit 1622 eine Beschaugebühr zahlen. Mit einer sogenannten Stadtmarke (der stat marich) wurde zum Beispiel in Wien einwandfreier Barchent bulliert, also mit einer Art Bleisiegel versehen. Solche Tuchsiegel oder -plomben sind aus Städten in ganz Europa bekannt: In Zwettl ist im 16. Jahrhundert in Bezug auf die Tuchherstellung das „Wahrzeichneramt“ nachweisbar, dessen Aufgabe es war, die aus Blei gefertigte Gütemarke an die beschauten Tuche anzubringen. Archäologische Funde haben sich unter anderem weiters aus Tulln, Trier, aus England oder Göttingen bzw. generell aus dem hansischen Raum erhalten. In der rezenteren Forschung wurde besonders an Tuchplomben häufig gezeigt, welch große Relevanz diese archäologischen Funde für die Erforschung von europaweiten Handelsbeziehungen zwischen einzelnen Städten und Ländern haben können. Diese Qualitätsauszeichnung war Beweis für das handwerkliche Können eines Meisters. Doch auch zur Unterscheidung ähnlicher Ware konnten diese Marken genutzt werden: Sie machten ein bestimmtes Produkt regional und – im Falle eines individuellen, von einem bestimmten Meister geführten Zeichens – einer Werkstatt zuordenbar.Wie Bartolos Traktat verdeutlicht, war es bereits um die Mitte des 14. Jahrhunderts in Italien ganz im besagten Sinn üblich, dass die Zünfte bzw. Bruderschaften der Handwerke die gemeinschaftliche Verwendung einer demnach die regionale Herkunft des Produkts kennzeichnenden Marke auf den von ihnen hergestellten Produkten regulierten. Daneben aber wurde jedes Mitglied der einzelnen Gewerbe berechtigt, ergänzend bzw. präzisierend ein jeweils individuelles Zeichen auf seinen Produkten anzubringen.
Bartolo geht dabei folgerichtig zunächst auf Zeichen ein, die auf ein bestimmtes (lokales) Handwerk bzw. dessen bekannt hohe lokale Entwicklung und Qualitätsstandards verweisen (signa cuiusdam artificii seu peritie […] in quo principaliter operatur qualitas loci). Als Beispiel führt Bartolo die Wasserzeichen der damals europaweit bekannten Papiermühlen in Fabriano in der Mark Ancona an. Daneben gebe es aber Zeichen, die besonders die Meisterschaft eines einzelnen Handwerkers signalisieren sollten (quedam sunt signa artificii in quo principaliter viget bonitas artificis). Als typischen Fall nennt Bartolo hier die Marken, die auf Produkte der Schmiedekunst geschlagen würden, besonders auf Spaten oder Schwertklingen. Innerhalb der jeweiligen Werkstatt (statio) dürfe jeder Handwerker dieses Zeichen auf die Objekte schlagen, weil der Meister bzw. Beschaumeister (magister principalis) die Produkte abnehme und dadurch die Qualität garantiere. Im Folgenden soll es daher um Informationen gehen, die sich aus den Klingen von Schmiedeprodukten herauslesen lassen.Während Schwerter, im Verständnis einer breiteren modernen Öffentlichkeit geradezu das ritterlich-kriegerische Signum des Mittelalters schlechthin, bisweilen recht ausführliche Inschriftentexte auf ihren Klingen vermitteln,
weisen die rein technisch weniger „beschreibbare“ Fläche bietenden und alltäglicheren Messer des späten Mittelalters – wohl auch angesichts ihres geringeren Sozialprestiges – wenig mehr als graphische Symbole, nämlich eben jene bereits umrissenen Schmiedemarken bzw. Meisterzeichen, als „lesbare“ Zeichen auf .Zu den Einlassungen Bartolos lassen sich für den nordalpinen Raum komplementäre Feststellungen treffen. Betrachtet man hier das Beispiel der messer- und klingenherstellenden Gewerbe, so sind die Belege für meisterspezifische Marken und Zeichen – neben solchen für das gesamte einschlägige Handwerk einer Stadt oder einer Region – ebenfalls keine Seltenheit. Für die Steyrer Messerermeister des 15. Jahrhunderts etwa sind zahlreiche Marken nachweisbar, die augenscheinlich zur Identifizierung des einzelnen Handwerkers dienten. Dass diese von Bedeutung für die Handelsleute waren, beweist eine Notiz in einer Münchener Handschrift: Im Kaufmannsbuch der Brüder Heinrich und Peter Lerer, die beide zur städtischen Elite Münchens um die Mitte des 15. Jahrhunderts gehörten, sind auch diverse Steyrer und Welser Nadeln, Scheren und Messer verzeichnet, die Heinrich Lerer auf seinen Reisen, die ihn über Venedig, Nürnberg und Nördlingen bis nach Wels und Steyr führten, gekauft hat. Danach folgt eine Liste von 20 Steyrer Messerermeistern: Jedem erwähnten Handwerker ordnet Lerer dabei offensichtlich eine Erkennungsmarke zu, zum Beispiel: item der Pischolf mitem pischolstab; item der Swàrczel mitem aynhurn; item der Ùberstuel das aychein plat. Es ist davon auszugehen, dass Lerer diese Liste als eine Art Vorlage verwenden wollte, anhand derer er die Qualität der von ihm zu erwerbenden Ware überprüfen konnte. Die sorgfältige Ausführung in Reinschrift lässt überdies vermuten, dass die Liste als auf längere Zeit angelegtes Hilfsmittel verstanden wurde. Von 1516 bis um die Mitte des 17. Jahrhunderts wurden die Steyrer Messermarken und deren Verleihung schließlich systematisch in das sogenannte Schultbuch des Handwerks eingetragen.
Jeder Steyrer Meister erwarb seine eigene Marke durch die Erlangung des Meisterrechts in der Stadt. Für die Genehmigung der Führung der Marke sind jedoch nicht selten landesfürstliche Urkunden erhalten.
Daneben war es den Steyrer Messerern insgesamt jedoch von landesfürstlicher Seite erlaubt, den Bindenschild als Marke zu führen und auf ihre Messer sowie Klingen zu schlagen. Schon 1441 erlaubte König Friedrich den Messerern in der Stadt und innerhalb des Burgfrieds Steyr, den Bindenschild als Marke auf ihre Messer zu schlagen. Zusätzlich verfügte er 1459, dass die Steyrer Messerer alle unbefugt mit dem Bindenschild gekennzeichneten Waren den landesfürstlichen Behörden anzeigen durften, damit diese beschlagnahmt wurden.Neben den Messerern von Steyr dürften auch die Meister desselben Handwerks in Wels den Bindenschild als Marke geführt haben, wie eine Urkunde Friedrichs III. vom 20. März 1465 zeigt: In dieser genehmigte der Kaiser den Welser Meistern, zur Unterscheidung von den Steyrer Messerern den schilt New-Oesterreich mit ainer kron als Marke zu führen, da zwischen den Handwerkern der beiden Städte diesbezüglich Streit geherrscht hatte.
Daneben führten die messerherstellenden Gewerbe von Wels aber ebenso individuelle Marken, wie beispielsweise in einer Genehmigung König Maximilians für den Messerschmied Hans Lindauer zur Führung eines besonderen Zeichens zu sehen ist. Im Gegensatz zu den bisher besprochenen Marken, die auf eher einfachen geometrischen Formen aufbauen, mutet das Zeichen Hans Lindauers verhältnismäßig komplex an: ein bärtiger Mohrenkopf mit Binde. Fast noch komplexer gestaltet sich das Zeichen des Welser Messerschmiedes Hans Lang, dem Kaiser Maximilian im Jahr 1511 dasselbe bestätigte: ain menschenköpflein mit einem gespitzten pärtlein und hinden im nagkh ain knöpfl am hals, daran die kron, auf dem khöpflein ain krewzl, auf dem krewz der halbmon vor mit dreien zindlein und hinden ains. Weitere Welser Belege für das 16. Jahrhundert haben sich erhalten, großteils durch in Stadtbücher eingetragene Verkäufe von Marken von einem Meister an den anderen.Auch mit den Wiener Messerern scheint es Konflikte um die Führung des Bindenschilds als Marke gegeben zu haben. Im Jahr 1449 entschied König Friedrich IV., dass die Messerer aus Wien im Gegensatz zu denjenigen aus Steyr den Bindenschild – also den schilt Neu-Ósterreich – farbig (!) auf ihre Messer schlagen durften, nämlich mit rot ausgestrichen und den mittern strich weis. Die dazu verwendete Farbe sollte dauerhaft sein (daz die maister und messrer daselbs zu Wienn […] den schilt mit varben also machen, daz die varb beleibleich sey ungevearleich). Die Messerer von Steyr sollten hingegen weiterhin nach irer brief laut ihr Zeichen führen.
Vier Jahre später erlaubte König Ladislaus den Wiener Messerern, diesen Schild ausschließlich schwarz und danach die individuelle Marke des jeweiligen Meisters auf ihre Produkte zu schlagen. Die Wiener bzw. Steyrer Messerer waren übrigens nicht die einzigen, die den Bindenschild als Qualitäts- und Herkunftsmarke verwenden durften: Den Hafnern Wiens und des Landes Österreich wurde bereits im Jahr 1431 dieses Recht zugestanden, jedoch nur für die Produktgruppe der eysendachteinen heven, bei denen der für die Töpfe verwendete Ton mit Graphit gemischt wurde.Diese Auswahl an Genehmigungen zur Führung einer Marke für messerherstellende Gewerbe aus diversen Städten zeigt, dass besonders für dieses Handwerk die diesbezügliche Überlieferungslage nicht gerade dünn ist.
Soweit unabhängig von der meist kopialen Überlieferung gesagt werden kann, sind die bisher besprochenen Stücke nicht illuminiert, zumal auch mögliche Hinweise auf eine Illuminierung im Diktat fehlen.Urkunden mit Darstellungen von Marken haben sich dennoch stellenweise erhalten – und das nicht nur auf (landes-)fürstlichen Genehmigungen zur Führung dieser Zeichen. Frühe Beispiele aus einem anderen Kontext sind heute in den National Archives in England zu finden: Am 5. Mai 1341 baten Schöffen, Hauptleute und der Rat der Stadt Gent Robert Bourchier, Lord Chancellor von England, die in London zu Unrecht – unter der Annahme, es handle sich um Eigentum von englischen Händlern – beschlagnahmten zehn Stück Tuch, die dem Genter Bürger Gille Naes gehörten und von diesem auf dem Markt in Gent erworben worden waren, freizugeben. Entweder sollten diese Tuche in England feilgeboten oder Gilles, der wegen Krankheit an der Reise nach England gehindert wurde, die Ausfuhr außer Landes gestattet werden. Die Tuche waren mit der am unteren Rand des Blattes dargestellten Marke gekennzeichnet (ensaingiet de cest merche).
Weiters wandten sich im Jahr 1435 die Vorsteher (aldermani seniores) und Geschworenen (iurati) der Hanse-Kaufleute in Brügge an den englischen König Heinrich VI., um beschlagnahmte Güter zurückzuerhalten. Sie sandten dabei Konrad Staal als Bevollmächtigten aus. Die Marken, die sich auf den betreffenden Handelsgütern befanden, wurden in den Kontext der Urkunde integriert, um die Erkennbarkeit und Zuordnung derselben zu erleichtern.Zurück zu den Urkunden, mit denen die Führung einer Marke bzw. eines besonderen Zeichens genehmigt wurde. Auch hier haben sich illuminierte Stücke erhalten. Freilich nicht auf ein Handwerk bezogen, jedoch im Zusammenhang mit dem Thema der vorliegenden Studie relevant, ist eine nur mehr kopial überlieferte Urkunde des französischen Königs Ludwig X. (le Hutin, der Zänker, 1314–1316), in der dieser den blinden Armen von Bayeux (pauperibus cecis civitatis Baiocensis) auf Bitten des dortigen Bischofs die Führung eines Zeichens gestattet, das aus dem bischöflichen Wappen und einer darüber angeordneten Lilie besteht (cum scuto dicti episcopi et successorum suorum, pro differencia et ut securius tractantur, ubique florem lilii perpetuo defferant).
Im Register der königlich-französischen Kanzlei, in das dieses Stück eingetragen wurde, findet sich im unteren Drittel des Textes die bildliche Darstellung des beschriebenen Zeichens. Mit großer Wahrscheinlichkeit war die ausgefertigte Urkunde ebenso illuminiert, wie das Layout des Registereintrags vermuten lässt. Die aus späteren Wappenbriefen der Reichskanzlei vertraute mittige Aussparung des Bildfelds wird hier angedeutet, wenngleich dies selbstverständlich noch kein Beweis dafür ist, dass das Zeichen in der Ausfertigung mitten in den Text eingemalt wurde.Deutlich näher am eigentlichen Thema dieses Aufsatzes ist ein italienisches Stück aus dem Jahr 1468 anzusiedeln. Herzog Amadeus IX. von Savoyen bestätigte dem Kaufmann Bongiovanni Bonino aus Avigliana (Provinz Turin) zwei schon bisher von diesem geführte Zeichen – eine Weltkugel mit Kreuz sowie eine Hand (signa mondi cum cruce desuper et manus) – und fügte diesen einen Bischofsstab (signum ferle seu crocie) hinzu. Bongiovanni war es gestattet, diese Zeichen in magistrerio et arte ferri, calibis, papiri et aliis quibuscumque suis mercibus idem insculpendi et apponendi zu verwenden.
Die drei genannten Zeichen sind am unteren Rand der Urkunde bildlich dargestellt. Aus Registereinträgen sind noch mehrere vergleichbare von den Herzögen von Savoyen ausgestellte Urkunden bekannt, von denen nicht wenige ebenfalls Darstellungen der im Kontext genannten Zeichen enthalten haben dürften.Der Kaufmann Bongiovanni Bonino handelte offenbar neben Papier auch mit Eisen- und Stahlwaren. Ihm war es also gestattet, die von ihm vertriebenen Produkte zur Kenntlichmachung der Zugehörigkeit zu den von ihm gehandelten Waren mit diversen Marken zu kennzeichnen. An dieser Stelle ist wieder auf die messerherstellenden Gewerbe zurückzukommen, denn diese bieten – wie bereits weiter oben gezeigt – eine Fülle an Belegen für Genehmigungen zur Kennzeichnung der von ihnen produzierten Waren. Ein bemerkenswertes illuminiertes Stück ist in diesem Zusammenhang die an dieser Stelle ausführlicher zu besprechende Urkunde Kaiser Friedrichs III. für die Messerer von Wendelstein (Landkreis Roth, Mittelfranken) und des zugehörigen Amts bzw. Gerichts aus dem Jahr 1471 (siehe Abb. 5).
Friedrich gestattete den Wendelsteiner Messerern, ihre Produkte mit einer Marke zum Zweck der besseren Wiedererkennbarkeit ihrer Arbeit zu kennzeichnen; diese sollte die Form eines Schilds in breiter Konturlinie mit einer unterhalb des Schildhaupts ausgesparten Leiste haben (in schildes weise unden mit einem aufgerichten offen runden bogen und darob zwischen einer durchgeenden leist ein eingeslagen leist). Im mittig ausgesparten Bildfeld ist die Marke so wie im Kontext der Urkunde beschrieben dargestellt. Diese bildliche Darstellung wird im Urkundentext auch angekündigt (als danne dasselb zeichen in disem briefe gemalet und gemerckt ist).Das Layout wie das Diktat der Urkunde stellen diese in die Nähe der kanzleimäßigen Gewohnheiten in Bezug auf Wappenbriefe, freilich ohne sie zu dieser Urkundengattung zählen zu können. Die Anlehnung an des Diktat eines Wappenbriefes zeigt sich nicht nur im dispositiven Verb und den zugehörigen Attributen (geben in das auch von Romischer keiserlicher machtvolkomenheit wissenlich und sondern gnaden in craft diss briefs), die sich in verschiedenen Varianten in den Wappenbriefen dieser Zeit regelmäßig wiederfinden, sondern auch in der an einen klassischen Wappenbrief angelehnten „Blasonierung“ des Zeichens innerhalb des Urkundenkontexts. Mit der Androhung der (kaiserlichen) Ungnade und der Strafzahlung einer gewissen Summe lötigen Goldes entspricht die Sanctio ebenfalls den diesbezüglichen Kanzleigewohnheiten.
Unter anderem findet sich die Androhung der Zahlung von 20 Mark Gold ebenfalls in der durch Friedrich III. im Jahr 1485 erfolgten Bestätigung des Zeichens für die Lübecker Zirkelgesellschaft , einer elitären Patrizier-Korporation (Abb. 6). Auch diese Urkunde ist illuminiert und in ihrer äußeren Form wie im Diktat an einen Wappenbrief angelehnt.Der dispositive Teil der Urkunde hält neben der Gestattung der Führung der in der Mitte des Blatts bildlich dargestellten Marke für alle Wendelsteiner Messerer ebenso fest, dass die einzelnen Meister dieser Berufsgruppe daneben weiterhin ihre individuellen, bisher im Gebrauch befindlichen Marken führen dürfen. Im 15. Jahrhundert hatte sich das messerherstellende Gewerbe – also Klingen- und Messerschmiede, Messerer und Schleifer – in Wendelstein bereits längere Zeit etabliert und war zu einem gewichtigen Faktor der örtlichen Wirtschaft geworden.
Auch andere Beispiele für Genehmigungen zur Führung von Marken sind für Wendelsteiner Vertreter dieses Gewerbes bekannt: Schon vor der Ausstellung der Urkunde für alle Messerer von Wendelstein ließ sich am 3. Juli 1471 Heinrich Poel, Messerschmied in ebendiesem Ort, sein bisher gebrauchtes Meisterzeichen bestätigen, nämlich am hindern teil bei dem heft ein schiltel mit einem leisten uberzwirch unden mit einem halben kleeplat und davor nach der leng des messers ein bierzepfel. Am 24. Juli 1471 – und damit am Tag der Ausstellung der Urkunde für alle Wendelsteiner Messerer – gestattete Friedrich III. den beiden Messerern Hans Hertl und Heinz Dürr (Durr) aus Wendelstein explizit neben der Führung der gewerbeübergreifenden Marke den Gebrauch ihres schon früher geführten Zeichens, nämlich ein ruben mit zweien aufgerackten rubpletern mit irer wurz. Weiters ließen sich am 31. August 1472 die beiden Wendelsteiner Messerschmiede Heinrich Müllner und Hans Plegkner ihr Meisterzeichen – ein schwarzes Spießeisen (eins swarzen spieszeisens) – von Friedrich III. bestätigen. Alle drei genannten Stücke sind nur mehr kopial überliefert. Im Gegensatz zur Urkunde für die Gesamtheit der Wendelsteiner Messerer kann die Frage nach einer möglichen Illuminierung nicht mit letzter Sicherheit beantwortet werden. Wahrscheinlich wurden sie jedoch ohne jegliche bildliche Ausstattung ausgefertigt, zumal auch im Diktat Hinweise auf die Darstellung des im Urkundenkontext genannten Zeichens fehlen.In einen hinsichtlich des Entstehungsprozesses illuminierter Urkunden aus der Reichskanzlei aufschlussreichen Kontext führt umgekehrt eine bemalte Supplik ein, die der Kölner bürgerliche Messermacher Heinrich (Hayrich) an König Maximilian I.
richtete (Abb. 7).Er gab an, seit Beginn seiner Tätigkeit als Messermacher unwidersprochen ein Messerzeichen gebraucht und auf seine Klingen geschlagen zu haben, das am unteren Rand des Papierblatts– als radspornartiges Zeichen auf der Klinge eines vollständig und sehr detailgetreu wiedergegebenen Messers, wie es wohl repräsentativ für die Erzeugnisse des Bittstellers stehen sollte – dargestellt ist. Um nun die künftige unbeeinspruchte Benützung dieses Zeichens durch ihn und seine Erben im gesamten Erstreckungsbereich der deutsche[n] nation rechtlich besser abgesichert zu wissen, ersuchte er den König um Bestätigung des Rechts zur Führung dieses Zeichens. Auf der Rückseite des Blatts trug ein Kanzleisekretär tatsächlich den Bewilligungsvermerk ein: fiat, doch das er kuntschaft pring, das sich sunst niemands dises zaichens prauche. Die Kanzlei setzte also anders als in vielen Wappenbriefen der Reichskanzlei keine Unschädlichkeitsklausel mit Bezug auf etwaige ältere Führung desselben Wappens durch Dritte ein, sondern wälzte die Beweislast über die Einzigartigkeit des Zeichens auf den Empfänger ab. Es steht anzunehmen, dass – die Beibringung eines entsprechenden Zeugnisses vorausgesetzt – die Kanzlei tatsächlich an die Ausfertigung einer einschlägigen Urkunde schritt bzw. geschritten wäre. Mit größter Wahrscheinlichkeit wäre in dieser Urkunde – eine Ausfertigung hat sich jedoch anscheinend nicht erhalten – Platz für die nachträglich durch den Empfänger zu besorgende Hinzufügung der bildlichen Darstellung des Messers samt Zeichen gelassen worden, denn eben so läuft die Ausfertigung der Wappenbriefe der Reichskanzlei zumindest unter der Regentschaft Maximilians I. offenbar in der Regel ab: die Kanzlei diktiert nach dem Bildkonzept des Petenten den Kontext der Urkunde und überlässt die zusätzlich verdeutlichende bildliche Darstellung wiederum dem Empfänger.
Der Themenkomplex „Marken und Zeichen“ in der Sammlung „Illuminierte Urkunden“
Die Präsentation der Urkunde für die Gesamtheit der Wendelsteiner Messerer vom 24. Juli 1471 in der Sammlung „Illuminierte Urkunden“ entspricht im Wesentlichen den üblichen Datensätzen auf Monasterium (Abb. 8). Neben der Abbildung der Urkunde enthält der Eintrag ein ausführliches Regest, Angaben zum Archivort, zum Siegel sowie zu diversen (Kanzlei-)Vermerken und eine Bibliographie. Zusätzlich sind die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die die Sammlung mit Daten füllen, darum bemüht, das jeweilige Stück sowohl kunsthistorisch als auch historisch-diplomatisch näher einzuordnen.
Der für das Projekt „Illuminierte Urkunden als Gesamtkunstwerk“ adaptierte Editor
bietet die Möglichkeit, in einem speziellen Reiter einen kunsthistorischen Kommentar zu verfassen – im Fall der Wendelsteiner Urkunde hat Martin Roland diesen geschrieben (Abb. 9).Jeder ausführliche kunsthistorische Kommentar innerhalb der Sammlung besteht aus zwei Teilen: „materielle Beschreibung“ und „Stil und Einordnung“. Während der erste Abschnitt der Beschreibung des äußeren Erscheinungsbildes der jeweiligen Urkunde gewidmet ist, erfolgt im zweiten Teil eine weiterführende Einordnung des Stücks mit Verweisen auf stilistische Ähnlichkeiten zu anderen Urkunden. Da das in der Urkunde verwendete (Bild-)Zeichen nahezu singulär ist, ergeben sich vor allem aufgrund des wappenbriefähnlichen Layouts
des Stücks Anknüpfungspunkte zu anderen Urkunden der Sammlung. Diesem Umstand trägt die Einordnung der Wendelsteiner Urkunde von 1471 in die Untersammlung „Wappenbriefe“ Rechnung. Klar ist zwar, dass es sich bei dem Stück nicht um einen Wappenbrief im engeren Sinn handelt, da nicht die Führung eines Wappens, sondern eines Zeichens autorisiert wird. Im Interesse einer leichteren Durchsuchbarkeit der Sammlung auf weitgehend einheitliche Begrifflichkeiten – auch mithilfe von im MOM-Editor vordefiniertem kontrollierten Vokabular – müssen diesbezügliche Unschärfen in Kauf genommen werden. Bei der Such- und Indexkategorie „IllUrk-Urkundenart“, die durch einen frei eingebbaren Text und nicht in Form eines vordefinierten kontrollierten Vokabulars vergeben wird (Abb. 10), wurden projektintern einige (Haupt-)Urkundengruppen bestimmt. Der überwiegende Teil der im Projekt verwendeten Begriffe in Bezug auf Urkundenarten orientiert sich dabei an den großen Hauptgruppen illuminierter Urkunden, die Martin Roland und Andreas Zajic schon vor Beginn des Projekts „Illuminierte Urkunden als Gesamtkunstwerk“ herausgearbeitet haben: Sammelindulgenzen und Wappenbriefe. Um diese Indexkategorie nicht unnötig zu verkomplizieren, wurde auf die korrektere, jedoch auf weit weniger Stücke innerhalb der Sammlung zutreffende Urkundenart „Genehmigung zur Führung eines Zeichens“ verzichtet, da einerseits das Layout und andererseits das Formular bzw. Diktat solcher Stücke diese in die Nähe von kanzleimäßigen Wappenbriefen stellen. Außerdem besitzen Handels- bzw. Qualitätsmarken und Wappen als einer bestimmten Person oder Gruppe zugeordnete Bildzeichen eine enge Verbindung, weswegen sich ebenso in dieser Hinsicht eine Überschneidung ergibt.Mit ersten Ansätzen eines kontrollierten Vokabulars – künftig auch mit Erweiterungspotential im Sinne eines detaillierten und umfassenden Thesaurus (vgl. auch unten Zusammenfassung und Ausblick) – wird jedenfalls in Bezug auf die Zuordnung zu den Ausstattungsniveaus
gearbeitet. Wie aus Abbildung 11 ersichtlich finden sich unter dem Schlagwort „Niveaus illuminierter Urkunden“ mehrere Einträge, die die Urkunde Friedrichs für die Wendelsteiner Messerer als Stück mit dem höchsten Ausstattungsniveau – nämlich Niveau 1 – ausweisen: Die Urkunde ist historisiert, da die Illuminierung eng mit dem Inhalt verknüpft ist; weiters enthält sie ein Bildfeld, in dem ein Symbol bzw. Zeichen zu finden ist. Auch hier wird wieder eine kleine Grenze des kontrollierten Vokabulars deutlich: Da die Niveaueinteilung keine (Handwerker-)Marke als vorgegebenen Begriff kennt, muss – ähnlich wie im Fall der Auswahl der Urkundenart – bei der näheren Zuordnung auf „N1: Wappen“ zurückgegriffen werden (Abb. 12).Der Vorteil der Zuteilung von Ausstattungsniveaus nach einem standardisierten Schema liegt vor allem in einem ebenfalls auf dem Monasterium-Urkundenportal befindlichen Tool begründet, das eine systematische Suche nach einem jeweiligen Niveau ermöglicht: So erscheint durch einfaches Anklicken von „N1: Wappen“ in der linken Auswahlspalte im rechten Feld der Benutzeroberfläche eine chronologisch sortierte Liste aller mit dieser Niveauzuteilung versehener Urkunden in der Sammlung „Illuminierte Urkunden“, die freilich auch das Stück für die Wendelsteiner Messerer von 1471 enthält (siehe Abb. 13 und 14). Die Liste kann jedoch im Moment nicht anderweitig durchsucht oder eingeschränkt werden, was ein Durchklicken bis zum gewünschten Ausstellungsdatum der Urkunde notwendig macht – freilich die Kenntnis des jeweiligen Datums vorausgesetzt. An der Auffindbarkeit des Tools kann in Zukunft ebenfalls noch etwas verbessert werden, erschließt sich einem mit der Monasterium-Plattform bzw. der Sammlung noch unerfahrenen Benutzer aufgrund eines fehlenden Links beim einzelnen Datensatz wohl nicht auf Anhieb, wie man zu dieser Indexsuche gelangt. Immerhin enthält das Vorwort zur Sammlung gleich zu Beginn einen direkten Link zur Niveau-Suche, wodurch die Sichtbarkeit etwas erhöht ist.
Der Abschnitt des diplomatischen Kommentars teilt sich in eine Bibliographie und die eigentliche Analyse des Stücks auf (Abb. 15). Wie in der Sammlung allgemein üblich, sind die bibliographischen Angaben nur gekürzt wiedergegeben; ausführliche Nachweise finden sich in der von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Projekts gepflegten und beim jeweiligen Kurzzitat als Link angegebenen Datenbank auf dem Online-Literaturverwaltungsprogramm Zotero, die für alle Benutzerinnen und Benutzer frei zugänglich ist. Der eigentliche diplomatische Kommentar korrespondiert im Fall der Urkunde für die Wendelsteiner Messerer stark mit der kunsthistorischen Analyse, da beide auf die Ähnlichkeit zum Kanzleigebrauch in Bezug auf Wappenbriefe eingehen. Wie im vorliegenden Aufsatz wird eine Einordnung des besprochenen Stücks vorgenommen. Der Vorteil gegenüber rein gedruckten Publikationen liegt auf der Hand: Durch zahlreiche Verlinkungen kann der Leserin/dem Leser die Argumentation leichter veranschaulicht werden, da einfach nur der Link angeklickt werden muss, um ein weiterführendes Bild zu sehen bzw. einen Text zu lesen. Auch wenn von manchen Urkunden (noch) keine ausführliche Beschreibung vorhanden ist, so kann zumindest auf ein Bild verwiesen werden, wie dies zum Beispiel bei den beiden Urkunden aus den National Archives der Fall ist. Auf andere Datensätze innerhalb der Sammlung wird ebenso verlinkt, da sich diese zum Vergleich anbieten: so etwa auf die Urkunde Friedrichs III. für die Lübecker Zirkelgesellschaft von 1485 oder auf die zwischen 1486 und 1508 zu datierende Supplik des Kölner Messermachers Heinrich. Nach Möglichkeit werden auch online zu findende Volltexte verlinkt, etwa der weiter oben erwähnte Aufsatz von Luisa Gentile. Die einordnenden Kommentare gewinnen dadurch an Transparenz und machen die wesentlichen Inhalte auf einfachem Weg nachprüfbar. Durch diese Verlinkungen entsteht somit ein virtueller Raum, in dem die Benutzerinnen und Benutzer je nach Interesse navigieren und selbst vertiefend in die Materie eintauchen können.
Zusammenfassung und Ausblick: „IllUrk“ als virtuelle Forschungsplattform
Zum Schluss bleibt die Feststellung, dass illuminierte Urkunden als lange Zeit von der Forschung vernachlässigte Bild-/Textkombinationen „zwischen“ benachbarten Fachdisziplinen im Grunde sowohl die Zusammensetzung des Forschungsteams als auch die Arbeitsweise in großem Maße vordefiniert haben: Interdisziplinäres Arbeiten ist unabdingbar notwendig, um die einzelnen untersuchten Stücke umfassend und auf der Höhe der aktuellen (auch jeweils intradisziplinären) Forschungsdiskussionen zu beschreiben. Die Präsentation der Forschungsergebnisse im virtuellen Raum auf dem Urkundenportal Monasterium schließlich trägt mehreren Faktoren Rechnung. Zunächst handelt es sich um eine Sammlung, die schon deshalb prinzipiell „born digital“ ist, weil sie einen rein virtuellen Bestand kreiert, dessen Einheiten physisch über internationale Sammlungen weit verstreut sind. Durch die Schaffung einer Sammlung „Illuminierte Urkunden“ ergibt sich daher erst die Möglichkeit zur vergleichenden Bearbeitung größerer Stückzahlen an einschlägigen Quellen. Dann gibt die Unverzichtbarkeit von Abbildungsmaterial als Arbeitsgrundlage ebenso wie als Schlüssel zur Überprüfbarkeit der Forschungsergebnisse den eindeutigen Ausschlag zur Publikation über eine Datenbank, in der digitale Bildquellen kostengünstig und unmittelbar mit den erschließenden Texten verknüpft werden können. Es erübrigt sich festzuhalten, dass die sehr zahlreichen Querverweise stilgeschichtlicher wie diplomatischer Art ebenso wie prosopographische Verbindungen (besonders etwa bei den Ausstellern der Bischofsammelindulgenzen) zwischen einzelnen Urkunden durch entsprechende Verlinkung ebenfalls sehr viel benutzerfreundlicher hergestellt werden können als in einer gedruckten Publikation. Darüber hinaus aber gewährleistet die Arbeit mit – zumindest innerhalb des Projekts festgelegten – standardisierten Termini und kontrollierten Vokabularien eine konsequente Systematik der Beschreibung und permanente kritische Reflexion der verwendeten Begrifflichkeit, die in einem narrativen (Print-)Text schwieriger zu beobachten wäre. Gerade auf diesem Gebiet gibt es noch genügend Potential, das es zu nutzen gilt: So etwa wäre die Erweiterung des bisher zu großen Teilen kunsthistorisch orientierten Glossars zu illuminierten Urkunden um diplomatische Begriffe wünschenswert. In enger Abstimmung mit den bereits im „Vocabulaire internationale de la Diplomatique“ enthaltenen Einträgen bzw. ergänzend dazu könnten somit weitere Möglichkeiten geschaffen werden, um die einzelnen Einträge zu den jeweiligen Urkunden benutzerfreundlicher zu gestalten und hilfreiche Thesauri an die Hand zu geben. Der weitreichendere Aufbau eines kontrollierten Vokabulars auf Grundlage dieses Glossars und der noch weitergehende standardisierte Ausbau des Index zu den Ausstattungsniveaus ist ein noch etwas weiter in der Zukunft liegendes Ziel, das nicht zuletzt auch von möglichen Nachfolgefinanzierungen des Projekts abhängt.
Als wesentlichstes Argument für die Einrichtung und den Ausbau einer virtuellen kollaborativen Arbeitsumgebung kann aber die Perspektive der Einbeziehung einer in Zukunft über das Projektkernteam hinausgehenden Gruppe von Bearbeiterinnen und Bearbeitern, also einer registrierten und damit qualifizierten sowie unter Supervision einer Moderation zu den Projektergebnissen beitragenden (wissenschaftlichen) Öffentlichkeit gelten. Dieser Gedanke liegt vor allem deshalb nahe, weil die internationale Provenienz der untersuchten Stücke die Bündelung der jeweils spezifischen nationalen Expertise in kunstgeschichtlichem wie historischem Kontext wünschenswert erscheinen lässt. Schon bisher wurden, wie oben festgestellt wurde, externe Expertinnen und Experten zugezogen, allerdings stets unter finanzieller Regie und inhaltlicher Kontrolle des Projektteams. Wenn in Zukunft die Bearbeitung der Sammlung „Illuminierte Urkunden“ tatsächlich über den engeren Personenkreis des skizzierten Initialprojekts hinauswachsen sollte, wird die angesichts der vermutlich auf absehbare Zeit noch weiter zunehmenden Anwendung szientometrischer Parameter problematischer werdende Frage nach der Autorschaft von nur online und nur in Form einer Datenbank publizierten Forschungsergebnissen kritischer werden: anonyme (Teil-)Beiträge zu einer Datenbank lassen sich schwer bibliometrisch evaluieren, wenn, wie in monasterium.net systemüblich, keine generellen und detaillierten Versionierungsinformationen vorliegen. Diesem potentiellen Problem hat die Projektgruppe allerdings in ganz traditioneller Weise vorzubauen versucht: zumindest die hauptsächlichen Datenbankbestandteile Regest und kunsthistorische Beschreibung tragen explizite Autorenangaben. Es lässt sich also, um beim Thema des gegenständlichen Artikels zu bleiben, die Qualität des jeweiligen textlichen (Teil-)Produkts durch ein distinktes Zeichen jederzeit überprüfen. In diesem Sinne wünscht sich das Projektteam für die Zukunft eine möglichst große Zahl an virtuellen Beschaumarken für seine Sammlung.
Siglenliste
AfD = Archiv für Diplomatik, Schriftgeschichte, Siegel- und Wappenkunde
FRA = Fontes rerum Austriacarum
HHStA = Haus-, Hof- und Staatsarchiv
LexMA = Lexikon des Mittelalters
NF = Neue Folge